Stuttgart,
13. Dezember
2006:
Beim Wiesbadener European Youth
Circus Festival verblüffte die 25jährige Französin
Anne Weissbecker mit einer ungewöhnlichen
Vertikalseildarbietung. Ihr Seil lässt sich in zwei
splitten. Zurzeit arbeitet sie in Harald Wohlfahrts
Palazzo in Stuttgart. Zwischen den Auftritten stand die
charismatische Künstlerin Chapiteau.de Rede und Antwort. |
Chapiteau.de:
Anne, wann und wo genau begann
deine artistische Karriere?
Anne Weissbecker: Ich
entdeckte die Circuskunst im Alter von 11 Jahren an der
Circusschule Graine de Cirque in Straßburg. Ich hatte
die Chance bei der Kindertruppe der neugegründeten
Circusschule dabei zu sein. Wir studierten komplette
Circusprogramme ein und führten sie dann in den
Schulferien vor. Dabei wurde meine Lust geweckt, in Shows
aufzutreten.
Chapiteau.de: Seit wann arbeitest Du nun schon
als Profi-Artistin?
Anne Weissbecker: Meine
ersten Verträge unterschrieb ich, als ich achtzehn war.
Zu dieser Zeit präsentierte ich ein statisches
Solo-Trapez, mit dem ich vor allem bei Galas engagiert
war. Nebenbei trat ich mit der Straßenperformanzgruppe
Generik Vapeur auf und arbeitete im
französischen Pferdecircus Cirque Pagnozoo. Dort zeigte ich in der Show
Gipsy Spirit mit der Liveband "Les yeux
noirs" zwei Jahre lang mein Trapez. Allerdings war
ich damals noch nicht zu hundert Prozent professionell.
Nur am Wochenende war ich beim Circus, unter der Woche
trainierte ich in Straßburg und ging zur Universität.
Ich habe ein Diplom in Geografie. Dann studierte ich drei
Jahre lang an der Circusschule
von Montreal, wo
ich das Vertikalseil für mich entdeckte. Gemeinsam mit
meinem Trainer Pierre Carrier entwickelte ich mein
Seil, welches sich in zwei teilen lässt. Seit dem
Summer 2004 arbeite ich nun full time als
Artistin.
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Chapiteau.de: Welches war bisher dein
schönstes Engagement?
Anne Weissbecker:
Das ist schwer zu sagen. Ich hatte Glück und lernte mit
jedem Vertrag mehr über meine Kunst, traf wunderbare
Menschen und hatte immer eine gute Zeit. Das vielleicht
verrückteste Engagement war die Abschlussfeier der
Olympischen Winterspiele in Turin 2006. Es war ein
großartiger Moment: Ein ausverkauftes Stadion und drei
Milliarden Menschen, die die Show am Fernseher
verfolgten.
Chapiteau.de: Was sagten deine Familie und
Freunde dazu, als sie hörten, dass du dich für den
Artistenberuf entschieden hast?
Anne
Weissbecker: Es war keine große Überraschung
für meine Familie und Freunde, hatte ich ja bereits für
einige Jahre immer mal wieder als Artist gearbeitet.
Trotzdem war es für meine Familie etwas seltsam und
schwierig zu verstehen, warum ich mich für diesen Weg
entschied. Aber mittlerweile freuen sie sich für mich.
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Chapiteau.de: Im November hast Du am European
Youth Circus Festival in Wiesbaden teilgenommen. Mochtest
du die Atmosphäre dort?
Anne Weissbecker:
Ich werde das Festival und die Woche in Wiesbaden in
großartiger Erinnerung behalten. Das Festivalteam war
stets darum besorgt jedem Artisten zu helfen und ließ so
beinahe vergessen, dass es sich eigentlich um einen
Wettbewerb handelte. Auch die Artisten untereinander
verstanden sich prima.
Chapiteau.de: Wurden deine mit der
Festivalteilnahme verbundenen Erwartungen erfüllt?
Anne
Weissbecker: Die Teilnahme am diesjährigen
Wiesbadener Festival war mir sehr wichtig. Zumal 2006
aufgrund der Altersgrenze meine letzte Chance auf eine
Teilnahme war. Zudem wollte ich mein neues Requisit
präsentieren. Die Teilnahme an der Gala sowie der Gewinn
des Sonderpreises hat mich nun darin bekräftigt, die
Arbeit mit meinem speziellen Seil fortzusetzen.
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Chapiteau.de: In Wiesbaden präsentiertest du
eine sehr spezielle Vertikalseildarbietung. Ich habe sie
aufgrund der Musik, ihrem Kostüm und der Choreografie
sehr französisch getauft. Was war deine Idee
als du die Darbietung kreiert hast?
Anne
Weissbecker: Ich entwickelte meine
Vertikalseil-Darbietung während meiner Ausbildung an der
Circusschule in Montreal. Während der drei Jahre dort
verbrachte ich gemeinsam mit meinem Trainer Pierre
Carrier viel Zeit damit, neue Tricks zu entdecken und die
optimalen Abmessungen für mein Seil auszutüfteln. Unser
Ziel: Ein neues Vertikalseil zu entwickeln. Allerdings
sollte es simple bleiben. Ich mag einfach das
Bild eines einfachen, hängenden Seils. Mit meinem Seil
kann ich nun klassisch arbeiten und es
zusätzlich für einige Tricks splitten. Mit
der Choreografie meiner Darbietung begann ich in
Montreal. Mit der Zeit habe ich sie immer weiter
verfeinert. In Wiesbaden zum Beispiel arbeitete ich zum
ersten Mal mit neuem Kostüm und neuer Musik. Prinzipiell
versuche ich bei meiner Arbeit immer Sensibilität,
Weichheit und Energie zu verbinden. Denn natürlich
forderte die Arbeit am Seil Power und
Muskelkraft, aber ich versuche, es nicht danach aussehen
zu lassen.
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Chapiteau.de: Zurzeit arbeitest Du in Harald Wohlfahrts Palazzo in Stuttgart. Dort präsentierst
Du deinen Trapez-Act. Was kann man sich darunter
vorstellen und welche Darbietung Vertikalseil oder
Trapez magst Du persönlich lieber?
Anne
Weissbecker: Richtig, in Stuttgart präsentiere
ich mein statisches Trapez. Ich habe es an die
Palazzo-Atmosphäre angepasst. Das Publikum ist nur zwei
Meter unter dem Trapez, so kann ich während der ganzen
Nummer Augenkontakt zum Publikum halten. Welche Nummer
ich lieber mag, kann ich nicht sagen. Ich liebe es
einfach in der Luft zu sein, egal an welchem Requisit.
Natürlich bin ich immer froh, wenn ich meine
Vertikalseil-Darbietung zeigen kann, schließlich
arbeiteten wir drei Jahre lang sehr hart daran. Am besten
ist es, wenn ich beide Nummern abwechseln kann.
Chapiteau.de: Letztes Jahr bist du mit dem Circus Starlight durch die Schweiz getourt. Wie
hat dir das Circusleben gefallen und würdest du wieder
mit einem Circus auf Tournee gehen?
Anne Weissbecker: Natürlich,
nichts lieber als das! Denn trotz des Schnees und des
kalten Wetters habe ich jede Sekunde der Starlight-Tour
genossen. Ich habe mich für den Artistenberuf
entschieden, um durch die Welt zu reisen und mit Menschen
aus der ganzen Welt zu arbeiten. Ich denke, es gibt
keinen besseren Ort als den Circus (und das Varieté), um
dieses Leben zu leben.
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Text und Fotos:
Sven Rindfleisch
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