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Young Stage - Int. Circus Festival Basel
www.young-stage.com ; 85 Showfotos

Basel, 26. Mai 2013: Mit einem äußerst stark besetzten Programm beeindruckte das 5. „Young Stage – International Circus Festival“. Obwohl als Nachwuchsfestival deklariert, sind die Teilnehmer hier deutlich älter als etwa beim Wiesbadener „European Youth Circus“. Dort gibt es einen eigenen Wettbewerb für junge Artisten bis 17 Jahre. In Basel dagegen war die jüngste Teilnehmerin 19 Jahre.

Alle anderen Artisten waren jedoch schon „Twens“ und zählten zwischen 21 und 27 Lenzen. So sah man ausschließlich „fertige“ Nummern, die ausnahmslos für Varieté- und Galaengagements geeignet wären. Mithin standen u.a. fünf hochwertige Engagementpreise zur Verfügung. Ein wesentlicher Unterschied zu Wiesbaden ist auch, dass sich „Young Stage“ ausdrücklich dem „Nouveau Cirque“ widmet. So kam keiner der Teilnehmer aus einer Circusfamilie, niemand arbeitete im klassischen Circusstil, fast alle hatten jedoch eine Circusschule absolviert. Das Festival bestand aus vier identischen Shows, von denen die letzten zwei von der Jury bewertet wurden. Die Preisverleihung fand im Anschluss an die letzte Vorstellung statt. Ausgetragen wurde der Wettbewerb im edlen Ambiente des Tourneetheaters „Das Zelt“ auf der Basler Rosentalanlage. Das Chapiteau verfügt über eine Frontalbühne, Licht- und Tontechnik sind exquisit.


Opening, Max Loong, Finale

Die sympathische und professionelle Moderation übernahm bereits zum 4. Mal Max Loong, zum Teil live auf der Bühne, zum Teil in vorproduzierten Einspielfilmen. In kleinen Interviews stellte er alle Artisten vor. Für druckvollen Sound zwischen den Darbietungen sowie in Opening und Finale sorgte die deutsche Band „Äl Jawala“ aus Freiburg. In Opening und Finale begeisterte das Ensemble jeweils mit einem mitreißend choreographierten Tanz. Für die Bewertung der Darbietungen stand schließlich eine hochkarätig besetzte Jury zur Verfügung: die Entertainment-Chefs Werner Buss von der GOP-Gruppe und Ian Jenkins vom Europa-Park, Choreograph Andrew Corbett vom Cirque du Soleil, Artist David Dimitri, Christoph Haering von der Kulturförderung des Hauptsponsors Migros, die Schweizer Kunstturnerin Ariella Kaeslin, die lebende Jonglier-Legende Kris Kremo sowie der Schweizer TV-Showmaster Bernhard Thurnheer. So ging auch das Ergebnis der Juryarbeit voll in Ordnung.


Maxim Laurin und Ugo Dario

Klar war, dass die beiden Schleuderbrett-Darbietungen des Festivals nach Preisen riefen. Jasper D’Hondt (26) und Simob Bruyninckx (23) aus Belgien sowie Amaia Valle (26) und Jérôme Hugo (23) aus der Schweiz, Absolventen verschiedener Circusschulen (Brüssel, Châlons-en-Champagne, Sion), formen an diesem Requisit ein hervorragendes Quartett. Die drei Herren und ihre Partnerin verzichten darauf, „Menschentürme“ zu bauen. Stattdessen katapultieren sie sich gegenseitig, ohne den üblichen „Sprungturm“, in die Höhe. Nach mannigfaltigen Varianten von Salti und Pirouetten landen sie entweder auf einer dicken Matte oder direkt auf der gegenüber liegenden Seite des Schleuderbretts bzw. sogar dem anderen Schleuderbrett. So katapultiert jeder beim Landen nach einem Salto bereits wieder den nächsten Artisten in die Höhe – ein wahres „Feuerwerk der Turnkunst“, das mit einem Engagement bei der gleichnamigen Veranstaltung ausgezeichnet wurde. Dazu gab es den „Prix Migros“ dieses Sponsors. Dem gleichen Prinzip folgt die Nummer von Maxim Laurin (22, Kanada) und Ugo Dario (25, Frankreich), Absolventen aus Montreal. Allerdings sind sie eben nur zu zweit und arbeiten folglich auch nur mit einem Schleuderbrett. So steht aber auch niemand für Hilfestellung bei der Landung zur Verfügung, was beim Quartett dagegen mehrfach praktiziert wurde. Anders formuliert: Der Schwierigkeitsgrad im Duo ist noch höher. Schließlich verfügten Laurin und Dario auch über die charmantere Gesamtpräsentation ihrer Nummer, bei der sie die eleganten Fräcke gleich zu Beginn gegen freie Oberkörper tauschten. Letztlich wurden sie absolut verdient mit Gold geehrt. Daneben begeisterten die beiden auch die erstmals eingesetzte Kinder-Jury, welche ihnen den „Young Star“-Preis zubilligte.


Alexander Lane, Zinzi Oegema und Evertjan Mercier, Jérémie Arsenault und Bruno Gagon

Klarer Silber-Kandidat war für meine Begriffe der 27-jährige Kanadier Alexander Lane mit seiner äußerst kraftvollen Variante des Cyrrades. Die Jury sah dies genauso. Die Performance des Montreal-Absolventen wurde in dieser Form eigens für Young Stage choreographiert. Dabei sorgte Orion Cleasby auf einem speziellen Musikinstrument, dem „Hang“, für eine sparsame, aber äußerst eindringliche musikalische Begleitung, die sich mit Momenten totaler Stille abwechselte. Nur Lanes Atem war dann zu hören. Das im Jahr 2000 in Bern erfundene „Hang“ besteht aus zwei miteinander verklebten Stahlblech-Halbkugelsegmenten und wird mit den Händen gespielt. Artist und Musiker ernteten Riesenbeifall. Bronze sowie den Circus-Monti-Preis gab es für das leistungs- wie ausdrucksstarke Duo Zinzi Oegema (23, Niederlande) und Evertjan Mercier (26, Belgien). Zu den beeindruckenden Tricks aus dem Bereich der Partner- und Wurfakrobatik gehörten zum Beispiel ein Rückwärtssalto, der „Hand-auf-Hand“ begonnen und gelandet wurde. Viel Power und Ausstrahlung kennzeichnete das Diabolo-Duett der beiden jeweils 25-jährigen Kanadier Jérémie Arsenault und Bruno Gagon, ausgebildet in Montreal. Wie die beiden die Diabolos fliegen ließen und sie wieder fingen, wie sie gemeinsam fünf Diabolos in der Luft hielten, das sorgte für ohrenbetäubenden Jubel unterm Chapiteau. Als Zugabe, nach der Nummer, gelang es den beiden dann im dritten Anlauf sogar, gemeinsam sechs Diabolos zu jonglieren. Ihr Lohn war der Publikums-Preis, bei dem alle Zuschauer abstimmen konnten.


Vadym Pankevych und Daria Shelest. Célia Grelier und Fabian Milet, Charlotte de Bretèque und Saphorine Pétermann

Ein ganz wunderbares, sinnliches Duett an den Seidentüchern zeigten Vadym Pankevych (25) und Daria Shelest (23) aus der Ukraine, Absolventen des Kiev State Circus College. Beide arbeiten abwechselnd als Porteur, bei ihrer Flugpassage am schwingenden Tuch schwebten sie hier über den Köpfen des Publikums in den vorderen Reihen. Ohne Netz und Loge stürzt sich Daria schließlich in die Tiefe und lässt sich mit den Füßen ihres Partners unter den Achseln fangen. Sie werden ihre Nummer noch häufiger auf der Rosentalanlage zeigen dürfen, erhielten sie doch den Preis der Dinnershow „Palazzo Colombino“. Nicht sehr weit von Basel, im Europa-Park Rust, werden dagegen die beiden Franzosen Célia Grelier und Fabian Milet (beide 27, Académie Fratellini und Circusschule in Lille) dank eines weiteren Engagement-Preises auftreten dürfen. Sie haben eine sympathische Nummer am chinesischen Mast einstudiert. Zu Blues-Musik versucht jeder, den anderen mit schwierigen Trics zu beeindrucken, zum Beispiel der Herr mit Pirouette und Salto am Mast. Andere Tricks werden mit bezauberndem Lächeln synchron gearbeitet – beispielsweise, wenn das Paar am Ende ineinander verschlungen kopfüber am Mast nach unten saust und kurz über dem Boden stoppt. Zu den ganz wenigen Artisten bei diesem Festival, die wir schon kannten, gehörten Charlotte de la Bretèque (26, Frankreich) und Saphorine Pétermann (25, Schweiz). Sie hatten ihre komische Vertikalseilnummer für das Programm 2012 des Schweizer Circus Monti entwickelt und damit dann den Publikumspreis beim European Youth Circus 2012 gewonnen. Der scheinbare Zwist, in dem die beiden stecken, beginnt hier schon in einem witzigen Einspielfilm aus der Garderobe. Dann setzen sie ihren amüsanten Streit, durchsetzt mit allerlei akrobatischen Kabinettstückchen, am Vertikalseil fort. Dank eines weiteren Engagement-Preises wird man sie künftig in einem der GOP-Häuser zanken sehen.


Camille Tremblay und Louis-Marc Brunneau Dumoulin

Der fünfte Engagement-Preis, nunmehr für „Swiss Christmas“, wurde an das kanadische Duo Camille Tremblay (21) und Louis-Marc Brunneau Dumoulin (22) vergeben. Auf fünf Handstäben, einer von ihnen deutlich erhöht, präsentieren die beiden gemeinsam und im Wechsel elegante Handstände. So zeigen beiden eine gemeinsame Handstandwaage auf drei Händen. Letztlich balanciert er auf nur einem Arm und trägt dabei sie um den Körper gewickelt. Das Duo durfte sich zudem über den Preis der Schweizer Circus-, Varieté und Artistenfreunden freuen. Auch die jüngste Teilnehmerin, die 19-jährige Finnin Nelli Kujansivu (Sorin Sirkus, Tampere) ging dank des Preises der Veranstaltung „Swiss Cup – Weltklasse-Turnen Zürich“ nicht leer aus. In ihrer recht kurzen Antipoden-Darbietung jonglierte sie mit Händen und Füßen zunächst und nicht ganz fehlerfrei vier weiße Bälle. Daran schloss sich das schnelle und variantenreiche Spiel mit einer Walze an.


Joris de Jong, Joachim Ciocca, Tarek Rammo

Ein Drittel der insgesamt 15 Acts blieb ohne Preis. Allerdings hätten wir besonders dem 26-jährigen Niederländer Joris de Jong eine Auszeichnung gegönnt, hat er sich doch eine besonders originelle Jonglage-Nummer erarbeitet. Der Absolvent von Codarts Circus Arts Rotterdam formt sich aus einem Koffer, einem roten Hemd und eben Jonglierkeulen eine „Reisepartner“, der mit ihm auch die Freude über die gelungenen Jonglagen teilen soll. Die Kanadier Yohann Fradette Trépanier (25) und Raphaël Dubé (22) alias „Les Beaux Frères“, ausgebildet an den Circusschulen von Québec und Montreal, jonglieren ebenfalls mit Keulen und kombinieren dies mit zahlreichen Gags. Aus verschiedenen Klappen und Kästen in ihrem Tisch tauchen immer wieder neue Requisiten auf. So finden sich eine überlange, eine in zwei Teile zerbrechende und eine wassergefüllte Keule. Letztere kann sogar „ausgetrunken“ werden. Aber natürlich gibt es auch bemerkenswerte Jongliertricks zu sehen. So sitzen sich die beiden mit entgegen gesetzten Blickrichtungen auf den Tischkanten gegenüber. Über ihre Rücken, also mit stark erhöhtem Schwierigkeitsgrad, halten sie gemeinsam neun Keulen in der Luft. Großer Jubel, als das Experiment im dritten Anlauf gelingt! „My love, don’t leave me“ hieß es in der musikalischen Begleitung zur Tricking-Nummer von Pavel Gurov (21) und Laura Krajewski (22). Der Russe und die Deutsche kombinierten in ihrer innovativen Darbietung Elemente von chinesischer Kampfkunst (er) und Kunstturnen (sie), hinzu kamen Breakdance- und Tanzelemente. Der 27-jährige Schweizer Joachim Ciocca, ebenfalls in Montreal ausgebildet, war bereits 2006 beim European Youth Circus und im Jahr drauf beim Cirque Starlight der Familie Gasser zu sehen. Seine Disziplin ist nach wie vor das Einrad. Teils nur mit dem Fuß, ohne die Pedale zu nutzen, treibt er das Rad an. Im ersten Teil seiner Nummer, zu recht schwermütiger Musik, trägt er noch einen wehenden grauen Mantel, den er für den zweiten, musikalisch schwungvollen Teil der Darbietung ablegt. Zu Marilyn Mansons „Sweet Dreams“ schwebt außerdem Tarek Rammo aus den Niederlanden, ausgebildet in Rotterdam, an den Strapaten, zeigt kraftvoll das gesamte Repertoire von Vorwärts- und Rückwärtssalti, Umschwüngen und Auf- und Abwickeln an den Stoffbändern.

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Text: Markus Moll; Fotos: Stefan Gierisch