Alle
anderen Artisten waren jedoch schon „Twens“ und zählten zwischen 21 und 27
Lenzen. So sah man ausschließlich „fertige“ Nummern, die ausnahmslos
für Varieté- und Galaengagements geeignet wären. Mithin standen u.a.
fünf hochwertige Engagementpreise zur Verfügung. Ein wesentlicher
Unterschied zu Wiesbaden ist auch, dass sich „Young Stage“ ausdrücklich
dem „Nouveau Cirque“ widmet. So kam keiner der Teilnehmer aus einer
Circusfamilie, niemand arbeitete im klassischen Circusstil, fast alle
hatten jedoch eine Circusschule absolviert. Das Festival bestand aus
vier identischen Shows, von denen die letzten zwei von der Jury
bewertet wurden. Die Preisverleihung fand im Anschluss an die letzte
Vorstellung statt. Ausgetragen wurde der Wettbewerb im edlen Ambiente
des Tourneetheaters „Das Zelt“ auf der Basler Rosentalanlage. Das
Chapiteau verfügt über eine Frontalbühne, Licht- und Tontechnik sind
exquisit.
Opening, Max Loong, Finale
Die
sympathische und professionelle Moderation übernahm bereits zum 4. Mal
Max Loong, zum Teil live auf der Bühne, zum Teil in vorproduzierten
Einspielfilmen. In kleinen Interviews stellte er alle Artisten vor. Für
druckvollen Sound zwischen den Darbietungen sowie in Opening und Finale
sorgte die deutsche Band „Äl Jawala“ aus Freiburg. In Opening und
Finale begeisterte das Ensemble jeweils mit einem mitreißend
choreographierten Tanz. Für die Bewertung der Darbietungen stand
schließlich eine hochkarätig besetzte Jury zur Verfügung: die
Entertainment-Chefs Werner Buss von der GOP-Gruppe und Ian Jenkins vom
Europa-Park, Choreograph Andrew Corbett vom Cirque du Soleil, Artist
David Dimitri, Christoph Haering von der Kulturförderung des
Hauptsponsors Migros, die Schweizer Kunstturnerin Ariella Kaeslin, die
lebende Jonglier-Legende Kris Kremo sowie der Schweizer TV-Showmaster
Bernhard Thurnheer. So ging auch das Ergebnis der Juryarbeit voll in
Ordnung.
Maxim Laurin und Ugo Dario
Klar
war, dass die beiden Schleuderbrett-Darbietungen des Festivals nach
Preisen riefen. Jasper D’Hondt (26) und Simob Bruyninckx (23) aus
Belgien sowie Amaia Valle (26) und Jérôme Hugo (23) aus der Schweiz,
Absolventen verschiedener Circusschulen (Brüssel, Châlons-en-Champagne,
Sion), formen an diesem Requisit ein hervorragendes Quartett. Die drei
Herren und ihre Partnerin verzichten darauf, „Menschentürme“ zu bauen.
Stattdessen katapultieren sie sich gegenseitig, ohne den üblichen
„Sprungturm“, in die Höhe. Nach mannigfaltigen Varianten von Salti und
Pirouetten landen sie entweder auf einer dicken Matte oder direkt auf
der gegenüber liegenden Seite des Schleuderbretts bzw. sogar dem
anderen Schleuderbrett. So katapultiert jeder beim Landen nach einem
Salto bereits wieder den nächsten Artisten in die Höhe – ein wahres
„Feuerwerk der Turnkunst“, das mit einem Engagement bei der
gleichnamigen Veranstaltung ausgezeichnet wurde. Dazu gab es den „Prix
Migros“ dieses Sponsors. Dem gleichen Prinzip folgt die
Nummer von Maxim Laurin (22, Kanada) und Ugo Dario (25, Frankreich),
Absolventen aus Montreal. Allerdings sind sie eben nur zu zweit und
arbeiten folglich auch nur mit einem Schleuderbrett. So steht aber auch
niemand für Hilfestellung bei der Landung zur Verfügung, was beim
Quartett dagegen mehrfach praktiziert wurde. Anders formuliert: Der
Schwierigkeitsgrad im Duo ist noch höher. Schließlich verfügten Laurin
und Dario auch über die charmantere Gesamtpräsentation ihrer Nummer,
bei der sie die eleganten Fräcke gleich zu Beginn gegen freie
Oberkörper tauschten. Letztlich wurden sie absolut verdient mit Gold
geehrt. Daneben begeisterten die beiden auch die erstmals eingesetzte
Kinder-Jury, welche ihnen den „Young Star“-Preis zubilligte.
Alexander Lane, Zinzi Oegema und Evertjan Mercier, Jérémie Arsenault und Bruno Gagon
Klarer
Silber-Kandidat war für meine Begriffe der 27-jährige Kanadier
Alexander Lane mit seiner äußerst kraftvollen Variante des Cyrrades.
Die Jury sah dies genauso. Die Performance des Montreal-Absolventen
wurde in dieser Form eigens für Young Stage choreographiert. Dabei
sorgte Orion Cleasby auf einem speziellen Musikinstrument, dem „Hang“,
für eine sparsame, aber äußerst eindringliche musikalische Begleitung,
die sich mit Momenten totaler Stille abwechselte. Nur Lanes Atem war dann zu
hören. Das im Jahr 2000 in Bern erfundene „Hang“ besteht aus zwei
miteinander verklebten Stahlblech-Halbkugelsegmenten und wird mit den
Händen gespielt. Artist und Musiker ernteten Riesenbeifall. Bronze
sowie den Circus-Monti-Preis gab es für das leistungs- wie
ausdrucksstarke Duo Zinzi Oegema (23, Niederlande) und Evertjan Mercier
(26, Belgien). Zu den beeindruckenden Tricks aus dem Bereich der
Partner- und Wurfakrobatik gehörten zum Beispiel ein Rückwärtssalto,
der „Hand-auf-Hand“ begonnen und gelandet wurde. Viel Power und
Ausstrahlung kennzeichnete das Diabolo-Duett der beiden jeweils
25-jährigen Kanadier Jérémie Arsenault und Bruno Gagon, ausgebildet in
Montreal. Wie die beiden die Diabolos fliegen ließen und sie wieder
fingen, wie sie gemeinsam fünf Diabolos in der Luft hielten, das sorgte
für ohrenbetäubenden Jubel unterm Chapiteau. Als Zugabe, nach der
Nummer, gelang es den beiden dann im dritten Anlauf sogar, gemeinsam
sechs Diabolos zu jonglieren. Ihr Lohn war der Publikums-Preis, bei dem
alle Zuschauer abstimmen konnten.
Vadym Pankevych und Daria Shelest. Célia Grelier und Fabian Milet, Charlotte de Bretèque und Saphorine Pétermann
Ein
ganz wunderbares, sinnliches Duett an den Seidentüchern zeigten Vadym
Pankevych (25) und Daria Shelest (23) aus der Ukraine, Absolventen des
Kiev State Circus College. Beide arbeiten abwechselnd als Porteur, bei
ihrer Flugpassage am schwingenden Tuch schwebten sie hier über den
Köpfen des Publikums in den vorderen Reihen. Ohne Netz und Loge stürzt
sich Daria schließlich in die Tiefe und lässt sich mit den Füßen ihres
Partners unter den Achseln fangen. Sie werden ihre Nummer noch häufiger
auf der Rosentalanlage zeigen dürfen, erhielten sie doch den Preis der
Dinnershow „Palazzo Colombino“. Nicht sehr weit von Basel, im
Europa-Park Rust, werden dagegen die beiden Franzosen Célia Grelier und
Fabian Milet (beide 27, Académie Fratellini und Circusschule in Lille)
dank eines weiteren Engagement-Preises auftreten dürfen. Sie haben eine
sympathische Nummer am chinesischen Mast einstudiert. Zu Blues-Musik
versucht jeder, den anderen mit schwierigen Trics zu beeindrucken, zum
Beispiel der Herr mit Pirouette und Salto am Mast. Andere Tricks werden
mit bezauberndem Lächeln synchron gearbeitet – beispielsweise, wenn das
Paar am Ende ineinander verschlungen kopfüber am Mast nach unten saust
und kurz über dem Boden stoppt. Zu den ganz wenigen Artisten bei diesem
Festival, die wir schon kannten, gehörten Charlotte de la Bretèque (26,
Frankreich) und Saphorine Pétermann (25, Schweiz). Sie hatten ihre
komische Vertikalseilnummer für das Programm 2012 des Schweizer Circus
Monti entwickelt und damit dann den Publikumspreis beim European Youth
Circus 2012 gewonnen. Der scheinbare Zwist, in dem die beiden stecken,
beginnt hier schon in einem witzigen Einspielfilm aus der Garderobe.
Dann setzen sie ihren amüsanten Streit, durchsetzt mit allerlei
akrobatischen Kabinettstückchen, am Vertikalseil fort. Dank eines
weiteren Engagement-Preises wird man sie künftig in einem der
GOP-Häuser zanken sehen.
Camille Tremblay und Louis-Marc Brunneau Dumoulin
Der
fünfte Engagement-Preis, nunmehr für „Swiss Christmas“, wurde an das
kanadische Duo Camille Tremblay (21) und Louis-Marc Brunneau Dumoulin
(22) vergeben. Auf fünf Handstäben, einer von ihnen deutlich erhöht,
präsentieren die beiden gemeinsam und im Wechsel elegante Handstände.
So zeigen beiden eine gemeinsame Handstandwaage auf drei Händen.
Letztlich balanciert er auf nur einem Arm und trägt dabei sie um den
Körper gewickelt. Das Duo durfte sich zudem über den Preis der
Schweizer Circus-, Varieté und Artistenfreunden freuen. Auch die
jüngste Teilnehmerin, die 19-jährige Finnin Nelli Kujansivu (Sorin
Sirkus, Tampere) ging dank des Preises der Veranstaltung „Swiss Cup –
Weltklasse-Turnen Zürich“ nicht leer aus. In ihrer recht kurzen
Antipoden-Darbietung jonglierte sie mit Händen und Füßen zunächst und
nicht ganz fehlerfrei vier weiße Bälle. Daran schloss sich das schnelle
und variantenreiche Spiel mit einer Walze an.
Joris de Jong, Joachim Ciocca, Tarek Rammo
Ein
Drittel der insgesamt 15 Acts blieb ohne Preis. Allerdings hätten wir
besonders dem 26-jährigen Niederländer Joris de Jong eine Auszeichnung
gegönnt, hat er sich doch eine besonders originelle Jonglage-Nummer
erarbeitet. Der Absolvent von Codarts Circus Arts Rotterdam formt sich
aus einem Koffer, einem roten Hemd und eben Jonglierkeulen eine
„Reisepartner“, der mit ihm auch die Freude über die gelungenen
Jonglagen teilen soll. Die Kanadier Yohann Fradette Trépanier (25) und
Raphaël Dubé (22) alias „Les Beaux Frères“, ausgebildet an den
Circusschulen von Québec und Montreal, jonglieren ebenfalls mit Keulen
und kombinieren dies mit zahlreichen Gags. Aus verschiedenen Klappen
und Kästen in ihrem Tisch tauchen immer wieder neue Requisiten auf. So
finden sich eine überlange, eine in zwei Teile zerbrechende und eine
wassergefüllte Keule. Letztere kann sogar „ausgetrunken“ werden. Aber
natürlich gibt es auch bemerkenswerte Jongliertricks zu sehen. So
sitzen sich die beiden mit entgegen gesetzten Blickrichtungen auf den
Tischkanten gegenüber. Über ihre Rücken, also mit stark erhöhtem
Schwierigkeitsgrad, halten sie gemeinsam neun Keulen in der Luft.
Großer Jubel, als das Experiment im dritten Anlauf gelingt! „My love,
don’t leave me“ hieß es in der musikalischen Begleitung zur
Tricking-Nummer von Pavel Gurov (21) und Laura Krajewski (22). Der
Russe und die Deutsche kombinierten in ihrer innovativen Darbietung
Elemente von chinesischer Kampfkunst (er) und Kunstturnen (sie), hinzu
kamen Breakdance- und Tanzelemente. Der 27-jährige Schweizer Joachim
Ciocca, ebenfalls in Montreal ausgebildet, war bereits 2006 beim
European Youth Circus und im Jahr drauf beim Cirque Starlight der
Familie Gasser zu sehen. Seine Disziplin ist nach wie vor das Einrad.
Teils nur mit dem Fuß, ohne die Pedale zu nutzen, treibt er das Rad an.
Im ersten Teil seiner Nummer, zu recht schwermütiger Musik, trägt er
noch einen wehenden grauen Mantel, den er für den zweiten, musikalisch
schwungvollen Teil der Darbietung ablegt. Zu Marilyn Mansons „Sweet
Dreams“ schwebt außerdem Tarek Rammo aus den Niederlanden, ausgebildet
in Rotterdam, an den Strapaten, zeigt kraftvoll das gesamte Repertoire
von Vorwärts- und Rückwärtssalti, Umschwüngen und Auf- und Abwickeln an
den Stoffbändern.
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