In
der Tat kein einfacher Auftrag. Der Mann, der dies leisten muss oder -
je nach Sichtweise – darf, ist Urs Pilz. Als artistischer Direktor hat
er diese Aufgabe auch für das Festival 2013 wieder gelöst. Im Großen
und Ganzen wird die aktuelle Ausgabe dieses Welt-Circustreffens dem
eigenen Anspruch gerecht. Zumindest (den ersten Teil der 2.
Auswahlvorstellung einmal ausgeklammert) was den artistischen Part
angeht. Bei Clownerie und Tierdressuren hingegen müssen Abstriche
gemacht werden. Das spiegelt sich in der Vergabe der Clowns wieder. Die
beiden Goldenen gehen an akrobatische Nummern. Erst unter den insgesamt
sechs Silbernen Clowns findet sich eine Darbietung mit Tieren.
Jean-Francois Pignon
Und
die ist eher Circus-untypisch, dafür aber umso spannender und
faszinierender. Jean-Francois Pignon tritt mit insgesamt elf Pferden
und einem Pony auf. In den beiden recht ähnlich aufgebauten Nummern
zeigt er zunächst die sechs älteren Tiere. Die jüngeren, zumeist
Fohlen, kommen im weiteren Verlauf dazu. Dabei dirigiert er seine
Schützlinge nur mit kleinen Gesten und Worten. Grandios ist etwa der
Fächer mit allen Zwölfen, den er vom Rand der Manege aus lenkt. Oder
die Stehendreiterei auf zwei Tieren einer Gruppe, die er ohne Zügel
zeigt. Das besondere Vertrauen zwischen Mensch und Tier wird auch dann
sichtbar, wenn er zwischen den Hinterbeinen eines auf einem der
Vorderbeine knienden Pferdes hindurch krabbelt. Lediglich das Abliegen
aller Pferde auf dem Boden gerät etwas langatmig.
Tiernummern vom Gran Circo Mundial, Pat Clarisson
Drei
Tiernummern steuert der Gran Circo Mundial aus Spanien bei. Am
geschmackvollsten ist dabei die Hohe Schule im spanischen Stil. Drei
Damen und ein Herr in Torero-Kostümen reiten verschiedene Figuren, bei
denen sie zunächst lange Holzstangen in den Händen halten. Es entstehen
schöne Bilder mit passender Musikuntermalung. Reiterei auf Pferden
kombiniert mit der Vorführung von zwei indischen Elefantendamen ist in
einem weiteren Auftritt zu sehen. Die Idee zur Nummer ist ähnlich
jener, die die Cassellys ein Jahr zuvor am gleichen Ort zeigten. Will
heißen, die beiden Tierarten zeigen gleichartige Tricks. Was
Trickstärke und Präsentation angeht, kommt die Darbietung von Mundial
aber bei weitem nicht an die der Cassellys heran. Völlig unprofessionell
ist zudem die musikalische Begleitung. Es gibt Musik aus dem Kinofilm
„Burlesque“. Allerdings nicht in einem speziellen Arrangement live
gespielt, sondern direkt von der CD mit den Stimmen von Christina
Aguilera und Cher. Es wirkt einfach „billig“, zumal über der Gardine
ein großartiges Circusorchester sitzt. Zu Diskomusik schließlich
arbeiten die vier indischen Elefantendamen mit neonfarbenen Kopfputzen.
Unter der Anleitung von Miss Aurori, welche wiederum von Lee Anthony
unterstützt wird, zeigen sie ein umfangreiches Repertoire. Prächtige,
gepflegte Tiere – darunter weiße Löwen - bilden die gemischte
Raubtiergruppe von Kid Bauer. Es wird eine schöne Auswahl an Tricks
gezeigt. Die Vorführung ist allerdings sehr behutsam. Nur beim finalen
Wettrennen am Gitter entlang wird es richtig rasant. Sowohl für ihn als
auch die Vertreter des Gran Circo Mundial gab es einen Bronzenen Clown.
Mit nur vier Hunden schafft es Pat Clarisson gut, die Manege zu füllen.
Seine Tiere sind mit viel Spaß dabei und haben rund um einen Hot
Dog-Stand viele Tricks auf Lager. Gute Dressurnummern also, ein
richtiges Ausrufezeichen aber fehlt. Das setzt am ehesten noch die für
den Circus eher untypische Pferdevorführung.
Ekivoquee, Bella und Alex Cher
Für
die Clownerie gibt es in den beiden Auswahlvorstellungen
unterschiedliche Akteure. In der einen dürfen die Equivokee für gute
Laune sorgen. Die drei pfiffigen Ukrainer konnte man bislang etwa bei
Nock und dem Offenburger Weihnachtscircus sehen. In den dortigen eher
kleineren Chapiteaus gefielen sie mir ausgesprochen gut. Anders sieht
dies bei den großen Dimensionen unter dem Zelt von Fontvieille aus.
Dort haben sie deutlich mehr Mühe, das Publikum zu erreichen. Etwa mit
ihren Jonglagen, magischen Einlagen oder dem Spiel mit Papierfliegern.
Ein ähnliches Schicksal ereilt Bella und Alex Cher. Auch sie spielen
schöne, kreative Reprisen, die man sich noch besser in einem intimeren
Ambiente vorstellen kann. Dabei kommt zudem ihr akrobatisches Talent
zum Tragen, etwa beim Jonglieren mit verschiedenen Gegenständen. Bella
agiert zunächst als burschikoses Weib, darf aber dann noch ihre
jugendliche Erscheinung zur Geltung bringen. Einen Bronzenen Clown
können letztendlich die Equivokee in Empfang nehmen.
Akrobatiktruppe aus Peking, Sergii Popov und Mykola Shcherbak
Zwei
Goldene Clowns gehen im Grunde genommen an drei verschiedene
Darbietungen. Zusammengefasst werden hierbei die beiden Auftritte der
Akrobatiktruppe aus Peking. Die rein weibliche Formation zaubert
wunderschöne große Bilder mit Diabolos. Diese eindrucksvollen
Choreographien vor allem sind es, die begeistern. Nichtsdestotrotz
enthält ihre Vorführung tolle Tricks wie das lang anhaltende Jonglieren
von drei Diabolos hinter dem Rücken. „Ferngesteuertes aus Fernost“
könnte man die Nummer der männlichen Reifenspringer betiteln, werden
doch einige der Requisiten per Fernsteuerung bedient. Das ist aber nur
ein origineller Nebeneffekt zur ansonsten leistungsstarken und
kreativen Artistik. Neben Sprünge durch mehrere sich bewegende Reifen
fasziniert vor allen Dingen der Riesensatz durch einen Ring in vier
Metern Höhe. Den Kontrapunkt dazu setzen Sergii Popov und Mykola
Shcherbak, kommen sie doch ganz ohne Requisiten aus. Als Tramps zeigen
sie zunächst zu „Singing in the rain“ unglaubliche Figuren der
Partnerequilibristik. Ihre Kür ist zweifelsohne außergewöhnlich stark.
Ob sie im Vergleich mit den anderen Teilnehmern einen Goldenen Clown
wert ist, darüber lässt sich herrlich streiten. Die Jury aber hat so
entschieden.
Navas Brothes, Leosvel und Diosmani, Truppe Grechshuskin
In
glänzender Form präsentiert sich die Truppe vom Nationalcircus in Pyong
Yang. Zumindest in der von uns besuchten Vorstellung klappen alle
Tricks sicher im ersten Versuch. Ganz gleich, ob dies der Vierfache ist
oder zwei Dreifache unmittelbar hintereinander. Insgesamt besteht diese
Formation aus je vier Fängern und Fliegern, die allesamt nicht so
blutjung erscheinen, wie dies oftmals der Fall ist. Gesprungen wird
entweder von einem der Fangstühle aus oder von einer Reckstange, die
sich oberhalb der Brücke befindet. Die Navas hatte ich von ihren
Engagements bei Pinder und Knie spritziger in Erinnerung. Ihre Touren
über das Todesrad wirken in Monte Carlo etwas behäbig. Dies gilt auch
für den als Schlusstrick gezeigten Salto auf dem rotierenden Todesrad.
Bei den Vanegas etwa sieht man diesen deutlich eleganter. Mit zwei
Partnern (Rene Ayala und Jhon Rivera) laufen die Navas zudem über das
Hochseil. Hier bildet die Dreier-Pyramide mit Stuhl in der oberen Etage
den Höhepunkt, nachdem zunächst kurz auf zwei übereinander gespannten
Seilen balanciert wurde. Leosvel und Diosmani haben der Mastenakrobatik
ganz neue Aspekte abgewonnen, wie sie bereits in Stuttgart und bei Knie
bewiesen haben. In Monte Carlo steigern die beiden Kubaner ihre bisher
gezeigten Leistungen noch: Nun gibt es einen einarmigen Handstand auf
dem Oberkörper des Partners, welcher sich im 90-Grad-Winkel vom Masten
abdrückt. Kurz und gut sind die Jonglagen von Alexander Koblykov. Als
schwankender Seemann wirft er unzählige Bälle in die Luft und fängt sie
wieder auf. Dies tut der junge Ukrainer in einem atemberaubenden Tempo
und so perfekt, dass keines der weißen Requisiten zu Boden fällt. Der
letzte Silberne Clown geht an die Truppe Grechushkin. Die sechs Herren
der jugendlich-sympathischen Formation katapultieren die beiden Damen
mit russischem Barren und einer Stange in die Luft. Zum Finale gibt es
den Vierfachen. Gewünscht hätte ich mir noch einen effektvollen Sprung,
bei dem sich die beiden Fliegerinnen kreuzen.
Familie Donnert, Trio Markin, Catwall Acrobats
Wunderbare
Vertreter des klassischen Circus sind die Donnerts. Hier passt einfach
alles. Sympathische Artisten in folkloristischen Kostümen, gepflegte
Tiere, passende live gespielte Musik und ein umfangreiches,
anspruchsvolles Trickrepertoire. Ihre Disziplin ist die Jockeyreiterei.
Sie springen den Salto zu Pferd und den Salto von Pferd zu Pferd
genauso, wie sie im Zwei-Mann-Hoch reiten. Zusätzlich zu einem Bronzenen
Clown gibt es dafür den Sonderpreis der Gesellschaft der Circusfreunde (GCD). Mit Bronze ausgezeichnet
werden, neben den bereits erwähnten Nummern, noch das Trio Markin und
die Catwall Acrobats. Das Trio Markin zeigt sehr spannende Tricks auf
der Rola Rola, wie etwa ein Drei-Personen-Hoch. Ihre an das Theater
angelehnte Aufmachung ist allerdings sehr gewöhnungsbedürftig und macht
den Spaß an ihrer Darbietung nicht eben größer. Für echtes Vergnügen
und viel Wirbel sorgen hingegen die Catwall Acrobats mit
Trampolinsprüngen an einem „Haus“ aus Plexiglas. Die jungen Kanadier,
darunter eine Frau, beherrschen den Verkauf ihrer Nummer im
Rock'n'Roll-Stil perfekt. Gleiches gilt für ihre elegant ausgeführten
Sprünge.
Giang Brothers, Arevik Seyranyan, Daylis und Daramis
Bei
den – dank einer wahren Inflation – wenigen nicht mit einem Clown
prämierten Darbietungen seien an erster Stelle die Giang Brothers
genannt. Die beiden Vietnamesen verkaufen ihre Hand-auf-Hand- sowie
Kopf-auf-Kopf-Akrobatik mit höchsten Schwierigkeitsgraden ungemein
professionell und sympathisch. Meines Erachtens wäre dies unbedingt
einen Clown wert gewesen. Aber sie werden auch so ihren Weg machen.
Ungeheuer spannend ebenfalls Arevik Seyranyan. Die Armenierin
vollführt zunächst verschiedene bekannte Tricks der Handstandakrobatik,
wobei sie lange durchgehende Abläufe zeigt. Ungewöhnlich sind ihre
zahlreichen Umschwünge, die man eher von den Strapaten kennt. Seyranyan
macht sie auf einem statischen Requist. Zum Schluss läuft sie im
Handstand durch die Manege, während sie mit den Füßen zwei Reifen
jongliert. Als Harlekin erleben wir sie zudem mit Schwester Tatevik.
Dann falten sie sich nacheinander in den gleichen durchsichtigen
Würfel, um dort kurz gemeinsam zu verweilen. Einen lateinamerikanischen
Tanz in der Luft zu mitreißend gespielter Livemusik vollführen Daylis
und Daramis. Ihre Zopfhang-Akrobatik wird nicht nur sehr charmant präsentiert,
sondern geht weit über das hinaus, was sonst in
diesem Genre gezeigt wird. Etwa wenn sich eine der kopfüber
hängenden Kubanerinnen einen Luftreif an den Haaren befestigt
und die andere daran verschiedene Tricks arbeitet.
Pas de deux aus Nordkorea, Trio Meshchanov, Truppe vom Circus von Kazan
Zu
einer Seenotrettungs-Übung gerät das Pas de deux aus Nordkorea. Der
männliche Part in orangener Schwimmweste rettet seine Partnerin quasi
aus den durch ein großes Tuch dargestellten Fluten. In diese
originelle, wenngleich etwas gewöhnungsbedürftige, Geschichte sind die
eigentlichen Tricks eingebettet. Kraftvoll gestaltet sich die Kür an
Ringen des Trio Meshchanov. Der Auftritt der Russen gipfelt im
dreifachen Handstand übereinander auf den Ringen bzw. den Füssen des
Untermannes. In ihrer schönen Tüchernummer in großer Höhe zeigt Marina
Shemyokina alle Tricks dieses Genres. Zu wummernder Diskomusik
schließlich sehen wir die Gruppenjonglagen mit Keulen vom Circus von
Kazan, der Hauptstadt von Tatarstan. Die jungen Artisten kreieren große
Bilder, stellen aber beim Tellerfangen, welches an diesem Abend erst im
fünften Versuch klappt, das Publikum auf eine harte Probe.
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