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37. Festival International du Cirque
de Monte Carlo 2013
www.montecarlofestival.mc ; 136 Fotos von Stefan Gierisch

Monte Carlo, 17. - 27. Januar 2013: Es ist schon ein äußerst anspruchsvolles Unterfangen, die Nummern für das nach eigener Aussage „größte und wichtigste Circus-Festival der Welt“ zusammenzustellen. Die „Besten der Besten“ müssen dabei sein, klar. Dazu aber auch spannende Neuentdeckungen. Traditionelle Circusnummern sollen zu sehen sein, aber ebenso solche, die der Szene neue Impulse geben. Ausgewogen müssen die Programme sein. Glücklicherweise haben in Monte Carlo die Tiere noch einen hohen Stellenwert. Sie gehören genauso dazu wie erstklassige Clowns und hochkarätige Artistik. Dazu jedes Jahr eine komplett neue Besetzung.

In der Tat kein einfacher Auftrag. Der Mann, der dies leisten muss oder - je nach Sichtweise – darf, ist Urs Pilz. Als artistischer Direktor hat er diese Aufgabe auch für das Festival 2013 wieder gelöst. Im Großen und Ganzen wird die aktuelle Ausgabe dieses Welt-Circustreffens dem eigenen Anspruch gerecht. Zumindest (den ersten Teil der 2. Auswahlvorstellung einmal ausgeklammert) was den artistischen Part angeht. Bei Clownerie und Tierdressuren hingegen müssen Abstriche gemacht werden. Das spiegelt sich in der Vergabe der Clowns wieder. Die beiden Goldenen gehen an akrobatische Nummern. Erst unter den insgesamt sechs Silbernen Clowns findet sich eine Darbietung mit Tieren.


Jean-Francois Pignon

Und die ist eher Circus-untypisch, dafür aber umso spannender und faszinierender. Jean-Francois Pignon tritt mit insgesamt elf Pferden und einem Pony auf. In den beiden recht ähnlich aufgebauten Nummern zeigt er zunächst die sechs älteren Tiere. Die jüngeren, zumeist Fohlen, kommen im weiteren Verlauf dazu. Dabei dirigiert er seine Schützlinge nur mit kleinen Gesten und Worten. Grandios ist etwa der Fächer mit allen Zwölfen, den er vom Rand der Manege aus lenkt. Oder die Stehendreiterei auf zwei Tieren einer Gruppe, die er ohne Zügel zeigt. Das besondere Vertrauen zwischen Mensch und Tier wird auch dann sichtbar, wenn er zwischen den Hinterbeinen eines auf einem der Vorderbeine knienden Pferdes hindurch krabbelt. Lediglich das Abliegen aller Pferde auf dem Boden gerät etwas langatmig.


Tiernummern vom Gran Circo Mundial, Pat Clarisson

Drei Tiernummern steuert der Gran Circo Mundial aus Spanien bei. Am geschmackvollsten ist dabei die Hohe Schule im spanischen Stil. Drei Damen und ein Herr in Torero-Kostümen reiten verschiedene Figuren, bei denen sie zunächst lange Holzstangen in den Händen halten. Es entstehen schöne Bilder mit passender Musikuntermalung. Reiterei auf Pferden kombiniert mit der Vorführung von zwei indischen Elefantendamen ist in einem weiteren Auftritt zu sehen. Die Idee zur Nummer ist ähnlich jener, die die Cassellys ein Jahr zuvor am gleichen Ort zeigten. Will heißen, die beiden Tierarten zeigen gleichartige Tricks. Was Trickstärke und Präsentation angeht, kommt die Darbietung von Mundial aber bei weitem nicht an die der Cassellys heran. Völlig unprofessionell ist zudem die musikalische Begleitung. Es gibt Musik aus dem Kinofilm „Burlesque“. Allerdings nicht in einem speziellen Arrangement live gespielt, sondern direkt von der CD mit den Stimmen von Christina Aguilera und Cher. Es wirkt einfach „billig“, zumal über der Gardine ein großartiges Circusorchester sitzt. Zu Diskomusik schließlich arbeiten die vier indischen Elefantendamen mit neonfarbenen Kopfputzen. Unter der Anleitung von Miss Aurori, welche wiederum von Lee Anthony unterstützt wird, zeigen sie ein umfangreiches Repertoire. Prächtige, gepflegte Tiere – darunter weiße Löwen - bilden die gemischte Raubtiergruppe von Kid Bauer. Es wird eine schöne Auswahl an Tricks gezeigt. Die Vorführung ist allerdings sehr behutsam. Nur beim finalen Wettrennen am Gitter entlang wird es richtig rasant. Sowohl für ihn als auch die Vertreter des Gran Circo Mundial gab es einen Bronzenen Clown. Mit nur vier Hunden schafft es Pat Clarisson gut, die Manege zu füllen. Seine Tiere sind mit viel Spaß dabei und haben rund um einen Hot Dog-Stand viele Tricks auf Lager. Gute Dressurnummern also, ein richtiges Ausrufezeichen aber fehlt. Das setzt am ehesten noch die für den Circus eher untypische Pferdevorführung.


Ekivoquee, Bella und Alex Cher

Für die Clownerie gibt es in den beiden Auswahlvorstellungen unterschiedliche Akteure. In der einen dürfen die Equivokee für gute Laune sorgen. Die drei pfiffigen Ukrainer konnte man bislang etwa bei Nock und dem Offenburger Weihnachtscircus sehen. In den dortigen eher kleineren Chapiteaus gefielen sie mir ausgesprochen gut. Anders sieht dies bei den großen Dimensionen unter dem Zelt von Fontvieille aus. Dort haben sie deutlich mehr Mühe, das Publikum zu erreichen. Etwa mit ihren Jonglagen, magischen Einlagen oder dem Spiel mit Papierfliegern. Ein ähnliches Schicksal ereilt Bella und Alex Cher. Auch sie spielen schöne, kreative Reprisen, die man sich noch besser in einem intimeren Ambiente vorstellen kann. Dabei kommt zudem ihr akrobatisches Talent zum Tragen, etwa beim Jonglieren mit verschiedenen Gegenständen. Bella agiert zunächst als burschikoses Weib, darf aber dann noch ihre jugendliche Erscheinung zur Geltung bringen. Einen Bronzenen Clown können letztendlich die Equivokee in Empfang nehmen.


Akrobatiktruppe aus Peking, Sergii Popov und Mykola Shcherbak

Zwei Goldene Clowns gehen im Grunde genommen an drei verschiedene Darbietungen. Zusammengefasst werden hierbei die beiden Auftritte der Akrobatiktruppe aus Peking. Die rein weibliche Formation zaubert wunderschöne große Bilder mit Diabolos. Diese eindrucksvollen Choreographien vor allem sind es, die begeistern. Nichtsdestotrotz enthält ihre Vorführung tolle Tricks wie das lang anhaltende Jonglieren von drei Diabolos hinter dem Rücken. „Ferngesteuertes aus Fernost“ könnte man die Nummer der männlichen Reifenspringer betiteln, werden doch einige der Requisiten per Fernsteuerung bedient. Das ist aber nur ein origineller Nebeneffekt zur ansonsten leistungsstarken und kreativen Artistik. Neben Sprünge durch mehrere sich bewegende Reifen fasziniert vor allen Dingen der Riesensatz durch einen Ring in vier Metern Höhe. Den Kontrapunkt dazu setzen Sergii Popov und Mykola Shcherbak, kommen sie doch ganz ohne Requisiten aus. Als Tramps zeigen sie zunächst zu „Singing in the rain“ unglaubliche Figuren der Partnerequilibristik. Ihre Kür ist zweifelsohne außergewöhnlich stark. Ob sie im Vergleich mit den anderen Teilnehmern einen Goldenen Clown wert ist, darüber lässt sich herrlich streiten. Die Jury aber hat so entschieden.


Navas Brothes, Leosvel und Diosmani, Truppe Grechshuskin

In glänzender Form präsentiert sich die Truppe vom Nationalcircus in Pyong Yang. Zumindest in der von uns besuchten Vorstellung klappen alle Tricks sicher im ersten Versuch. Ganz gleich, ob dies der Vierfache ist oder zwei Dreifache unmittelbar hintereinander. Insgesamt besteht diese Formation aus je vier Fängern und Fliegern, die allesamt nicht so blutjung erscheinen, wie dies oftmals der Fall ist. Gesprungen wird entweder von einem der Fangstühle aus oder von einer Reckstange, die sich oberhalb der Brücke befindet. Die Navas hatte ich von ihren Engagements bei Pinder und Knie spritziger in Erinnerung. Ihre Touren über das Todesrad wirken in Monte Carlo etwas behäbig. Dies gilt auch für den als Schlusstrick gezeigten Salto auf dem rotierenden Todesrad. Bei den Vanegas etwa sieht man diesen deutlich eleganter. Mit zwei Partnern (Rene Ayala und Jhon Rivera) laufen die Navas zudem über das Hochseil. Hier bildet die Dreier-Pyramide mit Stuhl in der oberen Etage den Höhepunkt, nachdem zunächst kurz auf zwei übereinander gespannten Seilen balanciert wurde. Leosvel und Diosmani haben der Mastenakrobatik ganz neue Aspekte abgewonnen, wie sie bereits in Stuttgart und bei Knie bewiesen haben. In Monte Carlo steigern die beiden Kubaner ihre bisher gezeigten Leistungen noch: Nun gibt es einen einarmigen Handstand auf dem Oberkörper des Partners, welcher sich im 90-Grad-Winkel vom Masten abdrückt. Kurz und gut sind die Jonglagen von Alexander Koblykov. Als schwankender Seemann wirft er unzählige Bälle in die Luft und fängt sie wieder auf. Dies tut der junge Ukrainer in einem atemberaubenden Tempo und so perfekt, dass keines der weißen Requisiten zu Boden fällt. Der letzte Silberne Clown geht an die Truppe Grechushkin. Die sechs Herren der jugendlich-sympathischen Formation katapultieren die beiden Damen mit russischem Barren und einer Stange in die Luft. Zum Finale gibt es den Vierfachen. Gewünscht hätte ich mir noch einen effektvollen Sprung, bei dem sich die beiden Fliegerinnen kreuzen.


Familie Donnert, Trio Markin, Catwall Acrobats

Wunderbare Vertreter des klassischen Circus sind die Donnerts. Hier passt einfach alles. Sympathische Artisten in folkloristischen Kostümen, gepflegte Tiere, passende live gespielte Musik und ein umfangreiches, anspruchsvolles Trickrepertoire. Ihre Disziplin ist die Jockeyreiterei. Sie springen den Salto zu Pferd und den Salto von Pferd zu Pferd genauso, wie sie im Zwei-Mann-Hoch reiten. Zusätzlich zu einem Bronzenen Clown gibt es dafür den Sonderpreis der Gesellschaft der Circusfreunde (GCD). Mit Bronze ausgezeichnet werden, neben den bereits erwähnten Nummern, noch das Trio Markin und die Catwall Acrobats. Das Trio Markin zeigt sehr spannende Tricks auf der Rola Rola, wie etwa ein Drei-Personen-Hoch. Ihre an das Theater angelehnte Aufmachung ist allerdings sehr gewöhnungsbedürftig und macht den Spaß an ihrer Darbietung nicht eben größer. Für echtes Vergnügen und viel Wirbel sorgen hingegen die Catwall Acrobats mit Trampolinsprüngen an einem „Haus“ aus Plexiglas. Die jungen Kanadier, darunter eine Frau, beherrschen den Verkauf ihrer Nummer im Rock'n'Roll-Stil perfekt. Gleiches gilt für ihre elegant ausgeführten Sprünge.


Giang Brothers, Arevik Seyranyan, Daylis und Daramis

Bei den – dank einer wahren Inflation – wenigen nicht mit einem Clown prämierten Darbietungen seien an erster Stelle die Giang Brothers genannt. Die beiden Vietnamesen verkaufen ihre Hand-auf-Hand- sowie Kopf-auf-Kopf-Akrobatik mit höchsten Schwierigkeitsgraden ungemein professionell und sympathisch. Meines Erachtens wäre dies unbedingt einen Clown wert gewesen. Aber sie werden auch so ihren Weg machen. Ungeheuer spannend ebenfalls Arevik Seyranyan. Die Armenierin vollführt zunächst verschiedene bekannte Tricks der Handstandakrobatik, wobei sie lange durchgehende Abläufe zeigt. Ungewöhnlich sind ihre zahlreichen Umschwünge, die man eher von den Strapaten kennt. Seyranyan macht sie auf einem statischen Requist. Zum Schluss läuft sie im Handstand durch die Manege, während sie mit den Füßen zwei Reifen jongliert. Als Harlekin erleben wir sie zudem mit Schwester Tatevik. Dann falten sie sich nacheinander in den gleichen durchsichtigen Würfel, um dort kurz gemeinsam zu verweilen. Einen lateinamerikanischen Tanz in der Luft zu mitreißend gespielter Livemusik vollführen Daylis und Daramis. Ihre Zopfhang-Akrobatik wird nicht nur sehr charmant präsentiert, sondern geht weit über das hinaus, was sonst in diesem Genre gezeigt wird. Etwa wenn sich eine der kopfüber hängenden Kubanerinnen einen Luftreif an den Haaren befestigt und die andere daran verschiedene Tricks arbeitet.


Pas de deux aus Nordkorea, Trio Meshchanov, Truppe vom Circus von Kazan

Zu einer Seenotrettungs-Übung gerät das Pas de deux aus Nordkorea. Der männliche Part in orangener Schwimmweste rettet seine Partnerin quasi aus den durch ein großes Tuch dargestellten Fluten. In diese originelle, wenngleich etwas gewöhnungsbedürftige, Geschichte sind die eigentlichen Tricks eingebettet. Kraftvoll gestaltet sich die Kür an Ringen des Trio Meshchanov. Der Auftritt der Russen gipfelt im dreifachen Handstand übereinander auf den Ringen bzw. den Füssen des Untermannes. In ihrer schönen Tüchernummer in großer Höhe zeigt Marina Shemyokina alle Tricks dieses Genres. Zu wummernder Diskomusik schließlich sehen wir die Gruppenjonglagen mit Keulen vom Circus von Kazan, der Hauptstadt von Tatarstan. Die jungen Artisten kreieren große Bilder, stellen aber beim Tellerfangen, welches an diesem Abend erst im fünften Versuch klappt, das Publikum auf eine harte Probe.

Monte Carlo 2013 hat durchaus wieder Spaß gemacht, wenngleich die diesjährige Ausgabe sicher keinen besonders prominenten Platz in den Circusannalen erhalten wird. Sehenswert ist dabei natürlich auch immer das Drumherum. Dies sowohl im gesamten Fürstentum als auch unter dem Chapiteau von Fontvieille selbst. Der Aufmarsch aller Mitwirkenden zu Beginn und Ende jeder Vorstellung ist immer wieder beeindruckend. Mit Reto Parolari und seinen Musikern sitzt ein fantastisches Circusorchester über der prachtvollen Gardine. Die zehn Tänzerinnen aus Minsk ergänzen die Shows mit geschmackvollen Einlagen vortrefflich. Und Petit Gougou ist ein inzwischen vertrauter Begleiter durch die langen Abende an der Cote d'azur.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch