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Monte Carlo, 20. - 30. Januar 2011:
In Monte Carlo wird nach
wie vor die ganz große Show aufgefahren. Jeweils zu Beginn und
Ende der beiden Auswahlshows ist die Manege mit rund 200
Mitwirkenden gefüllt. Flaggen aus aller Herren Länder zeugen von
der Internationalität des Festivals. Über dem opulenten
Artisteneingang spielt das große Orchester von Reto Parolari in
sattem Klang den monegassischen Circusmarsch. Das Publikum
begleitet das Schauspiel mit Applaus im Stehen, in der
Mittelloge verfolgt die Fürstenfamilie das Spektakel. Die
Stimmung ist ausgesprochen festlich, einfach „groß“. Das ganze
Fürstentum steht in diesen sonnigen Januartagen im Zeichen des
Circus. Die Schaufenster der meisten Läden sind passend
dekoriert, es gibt eine Open Air Circusshow (in diesem Jahr
wieder vor dem Fürstenpalast), begleitende Ausstellungen, einen
ökumenischen Gottesdienst im Chapiteau. |
Und ein Fußballspiel, bei
dem das Team des Fürsten gegen eine Auswahl von Artisten
antritt. Überall in der Stadt sieht man Menschen, die den blauen
Festivalschal um den Hals tragen. An der Cote d'azur herrscht
also circensische Hochstimmung. Die andere Frage ist, was von
dieser Stimmung in die internationale Circuswelt hinausgeht,
welche Impulse dieses 35. Internationale Circusfestival von
Monte Carlo abgibt. Diesbezüglich sieht es nicht ganz so
glanzvoll aus. Die wirklich spannenden Neuentdeckungen lassen
sich leicht an einer Hand abzählen. Die Auswahlshow 2, welche
wir am Freitag sahen, fand ich dann doch für das führende
Festival recht schwach besetzt. Die andere „Show de Selection“
konnte da schon weitaus mehr begeistern.
Flavio Togni (Gold)
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In beiden Vorstellungen
gleichermaßen vertreten sind Flavio Togni und die Clowns.
Sämtliche Tierdressuren, mit Ausnahme der von Bello Nock
vorgeführten Kühe von Alberto Althoff, stammen vom American
Circus. Bestandteil beider Auswahlshows sind die Tiger- und
die Elefantendressur. Die Tigergruppe sahen wir im
vergangenen Jahr beim Cirque Arlette Gruss. Wie von Togni
gewohnt, werden Tiger in unterschiedlichen
Farbschattierungen präsentiert. Ein weißes Exemplar zeigt
zunächst zwei Tricks und verlässt den Zentralkäfig sogleich.
Die restlichen vier Tiere absolvieren verschiedene bekannte
Tricks und überraschen mit dem Sprung eines Tigers auf den
Hinterpfoten über einen abliegenden Artgenossen. Fünf
indische Elefantendamen tragen jeweils eine Reiterin auf
ihrem Rücken und zeigen dabei Ausschnitte aus ihrem nicht
über die üblichen Tricks hinausgehenden Repertoire. Schön
anzusehen ist diese Vorführung aber allemal, zumal eine
fünfköpfige Elefantenherde in europäischen Manegen
mittlerweile schon zu den großen Gruppen zählt. Zusammen mit
Hans-Ludwig Suppmeier und zwei Damen reitet Togni eine Hohe
Schule im argentinischen Stil. Während die Akteure auf dem
Pferderücken Gaucho-Outfits tragen, agieren auf dem Boden
Tänzerinnen und Tänzer in Tango-Kostümen. Am besten von
seinen in Monte Carlo gezeigten Nummern aber gefiel mir
Flavio Tognis Pferdefreiheit. Dazu formiert er zwölf
wunderschöne cremefarbene Hengste, „Cremolos“ genannt,
harmonisch zu allen Figuren, die eine abgerundete
Freiheitsdressur auszeichnet. Als da capi gibt es nicht nur
Einzel- und Gruppensteiger, sondern auch eine Rarität in
Form der ohne Zügel gesprungenen Kapriole.
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Anton Franke,
Bello Nock (Gold)
Bei den Clowns liegt das
Hauptaugenmerk natürlich auf Bello Nock, der sich durch seine
Engagements in den USA (Big Apple, Ringling) einen Namen gemacht
hat. Davon ausgehend hatte ich erwartet, dass er die Zuschauer
im großen Chapiteau von Fontvieille zum Toben bringen würde. Die
ganz großen Ovationen, insbesondere die im Stehen, bleiben bei
den beiden von uns besuchten Vorstellungen allerdings aus.
Nichtsdestotrotz sorgt der stets schelmische Nock mit der
blonden XXL-Frisur für reichlich Spaß und verblüfft mit seiner
Vielseitigkeit: Er beherrscht die originären Clownsummern (z.B.
Kunstschützen-Entree mit Luftballons) genauso wie komische
akrobatische Acts, bei denen er an Bungees durch die Luft
wirbelt, auf dem Trampolin Kapriolen schlägt und sogar mit
seinem Partner David Martins rasante Runden auf dem Todesrad
dreht. „Nur“ als Clown mit größtenteils modernen
Interpretationen bekannter Szenen produziert sich der junge
Anton Franke mit seinem Vater Victor als Gegenspieler. Der
Russe, der seine Auftritte musikalisch gerne mit dem „Haus am
See“ aufpeppt, macht seine Sache überzeugend und kommt beim
Publikum gefühlt ähnlich gut an wie Nock. Sein zentraler
Auftritt ist der Boxkampf mit „Publikums“-Beteiligung, bei dem
Franke „oben ohne“ auf verschiedenen Musikstücke angepasst
agiert. Außerdem werden beide Spaßmacher dazu eingesetzt, in den
Umbaupausen für Unterhaltung zu sorgen. So erscheinen zum
Käfigabbau zig Bello-Kopien, die mit den passenden Perücken
große Luftballons auf die Reise durch das Publikum schicken. Mit
Hilfe der Nock'schen Haarteile werden selbst Prinzessin
Stephanie und Fürst Albert zu Bellos. Insgesamt sind die meisten
Übergänge – wenige Ausnahmen gibt es - sehr gut gestaltet. Die
ausführlichen Proben zahlen sich aus. Nicht eben
selbstverständlich für ein Festivalprogramm.
Truppe Alma's (Bronze)
Ebenfalls in beiden
Auswahlvorstellung, wenngleich mit unterschiedlichen
Darbietungen, sind die 22 Damen der Truppe Alma's vom
rumänischen Circus Globus. In ihren Auftritten bieten sie
jeweils große Schaubilder in der Manege und in der Luft. In
einem agieren neun der Damen an Vertikaltüchern, während in der
Manege passend dazu getanzt wird. Das alles in blau gehalten und
begleitet vom live gesungenen „Parlez-moi d'amour“. Im anderen
schweben die Artistinnen in großen Plexiglaskugeln, während in
der Manege, wiederum zu Gesang, mit aufblasbaren Kugeln sowie
Bällen getanzt wird. Beides sind stimmungsvolle „große Bilder“,
wie sie ein solches Festival einfach braucht. Letztendlich ist
ein Bronzener Clown der Lohn. Manegenfüllend gestalten sich
ebenso die beiden Auftritte der „Pompiers de Paris“. Einmal
erleben wir die 40 Feuerwehrleute beim Kampf gegen einen
lebenden „Feuerteufel“, den sie mit rasanten unzähligen Sprüngen
am laufenden Band von kleinen Trampolinen (über Hindernisse)
führen. In der anderen Show haben sie ihren Einsatz an insgesamt
fünf Barren, an denen sie eindrucksvolle Bilder entstehen
lassen, die von großem sportlichen Können zeugen. Sowohl die
Alma's als auch die Pompiers zeigen tolle große Nummern, welche
aber wohl nie in einem Tourneeprogramm zu erleben sein werden.
Kommen wir nun zu den weiteren Darbietungen aus Show 1: Der von
Roncalli bekannte Andrey Romanovsky verblüfft hier als
Klischnigger mit rotem Zylinder und rutscht als Clou
zusammengefaltet ein schmales Rohr hinunter. |
Valerie Inertie (Silber) |
Größte Begeisterung beim
Publikum ruft Valerie Inertie mit ihrer wunderbar sinnlichen Kür
am Cyr-Rad hervor. Die an der Circusschule von Quebec
ausgebildete Kanadierin überzeugt artistisch sowie künstlerisch
gleichermaßen. Die ersten Standing Ovations des Abends und ein
Silberner Clown sind der Lohn. Ebenfalls versilbert wird die
Akrobatik auf Glühbirnen des chinesischen Flag Circus, welche im
vergangenen Winter im Stuttgarter Weltweihnachtscircus zu
erleben war, dessen Direktor Henk van der Meyden Mitglied der
Jury ist. Ihre Tricks sind so schon schier unglaublich werden
aber noch dadurch erschwert, dass die Artisten der untersten
Ebene dabei mit den Zehenspitzen auf brennenden Glühbirnen
stehen. Die Wirkung ihrer Hochleistungsartistik schmälern sie
aber dadurch, dass die Longen bei einigen der Kunsttücke klar
sichtbar zur Erhöhung der Stabilität eingesetzt werden und diese
so erst möglich zu machen scheinen. Ohne Vorteil arbeitet Roman
Kapersky seine Equilibristikkür auf langen Stelzen. Zu Gitarren-
und Klaviermusik drückt der muskulöse Russe Handstände und
sichert sich einen Bronzenen Clown.
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Super Silva,
Roman Kapersky (Bronze)
Dafür, dass es auch für
weitgereiste Circusenthusiasten etwas Neues zu erleben gibt,
sorgt der Brasilianer Super Silva. Im Spiderman-Outfit klettert
er zu lateinamerikanischer Musik in Windeseile am Seil bis unter
die Kuppel. Dort zeigt er in rasantem Tempo einige Tricks am
Trapez sowie beim Deckenlauf (mit Schlaufen). Höhepunkt aber ist
der Sprung von einem schwingenden Trapez zu einem
gegenüberliegenden, wo er sich mit den Füßen fängt. Das alles
ohne jegliche Sicherung. Mehr Risiko, mehr Nervenkitzel ist kaum
denkbar. Für mich persönlich die eindrucksvollste Nummer des
Festivals. Quasi zur Entspannung jongliert Pavel Roujilo dann
mit zig Bällen auf einer am Boden liegenden runden Plattform
stehend. Er arbeitet in fließenden Bewegungen, wie wir es von
anderen russischen Jongleuren seiner Generation kennen. Der
Spitzentrick mit neun Bällen gelingt an diesem Abend leider
nicht. Die Strangers zeigen an Schulter- und Stirnperche ihre
Tricks zu Ethno-Pop. Es wird an mehreren Requisiten gleichzeitig
gearbeitet, wobei die Akteure weiße Kostüme tragen, die Damen
sogar weiße Perücken. In meinen Augen keine besonders
ansprechende Präsentation. Weitaus gelungener hingegen die Art
und Weise, wie sich die Khubaev auf Trampolinbahnen (Fast Track)
produzieren. Es ist eine frivole Show mit leichtbekleideten
Damen zur Begleitung und coolen Typen, die ihre rasanten Sprünge
nur so abfeuern. Für diese temporeiche, knisternd erotisch
aufgemachte Nummer vergibt die Jury einen Bronzenen Clown an die
Akteure vom Moskauer Bolshoi Circus.
Mädchen aus Izhevsk, White Birds
(Silber), Chinesinnen aus Dalian (Silber)
In Show Nummer 2 erleben wir
nach dem Opening die Familie Weisheit auf dem mit einem Fangnetz
nach unten abgesicherten Hochseil. Zu zwölft balancieren die
Thüringer über den gespannten Draht – vom Truppenchef bis hin
zum jungen Mädchen. Sie fahren mit den verschiedensten
Fahrrädern und beenden ihre Show in weiß mit einer
Fünfer-Pyramide. Recht kurzfristig für die Vorobiev
eingesprungen ist Paolo Kaiser, den wir zuletzt beim Heilbronner
Weihnachtscircus erlebten. Kaiser setzt weniger auf das Stapeln
von Rollen als vielmehr auf gewagte Sprünge. So zeigt er den
Salto von einem auf einer Rolle balancierten Brett auf ein
anderes. Radfahrende Chinesinnen kommen aus Dalian zu diesem
Festival. Auf ihren Zweirädern zeigen sie verschiedene Figuren
sowie Sprünge von Rad zu Rad. Eine schöne Darbietung, die mit
einem Silbernen Clown meines Erachtens aber zu hoch dekoriert
ist. Zu Blalaika- und Akkordeonklängen arbeiten, nein spielen
die beiden jüngsten (8 und 9 Jahre) Teilnehmerinnen des
Festivals ihre Kunststücke in den Sparten Equilibristik und
Kontorsion. Die beiden Mädchen aus Izhevsk haben ein fröhliches,
kindgerechtes Auftreten, sodass das Zuschauen Vergnügen
bereitet. Den Netzaufbau integrieren die White Birds gleich in
ihre Inszenierung am Flugtrapez, an welchem sie mit zwei
Fängern, zwei Fliegern und einer Artistin in einem an Seilen
befestigten Ring ihre Sprünge absolvieren.
Royal Brothers (Bronze) |
Wie der Name vermuten
lässt, produzieren sich die Artisten vom Nikoulin Circus als
Vögel. Höhepunkt ist ein (nahezu) gestreckter Dreifacher,
für den es letztendlich einen Silbernen Clown gibt. Als
Idole nennen die Royal Brothers aus Italien die Alexis
Brothers. Das wird beim Zuschauen deutlich: Die muskulösen
Brüder Dell Acqua aus Italien erinnern sowohl im Auftritt
(eng anliegende Hosen, dramatischer Verkauf) als auch von
den Tricks her an ihre portugiesischen Vorbilder. Zwischen
den letzten Tricks legen sie längere Pausen ein, wodurch sie
den Applaus des Publikums bis hin zu Standing Ovations
forcieren. Von der Jury gibt es einen Bronzenen Clown. |
Abschließend noch ein paar allgemeine Worte zur Vergabe der
Hauptpreise. Insgesamt 19 Aspiranten auf die begehrten Clowns
gibt es, zehn haben einen bekommen. Ein für die Künstler
geradezu traumhaftes Verhältnis. Wie aber bei einer solchen
Inflation üblich, verliert somit jeder einzelne Preis an Wert.
Damit verkauft sich auch das Festival unter Wert. Die eingangs
angesprochene Bedeutung der Veranstaltung für die Circuswelt
insgesamt leidet. Spannend auch, dass es neben zwei Clowns und
einem Tierlehrer nur artistische Nummern im Wettbewerb sind,
aber ausgerechnet Flavio Togni und Bello Nock die beiden
Goldenen Clowns gewinnen. Das wirft ein zweifelhaftes Licht auf
die teilnehmenden Artisten. Vorausgesetzt natürlich, man glaubt
an die Souveränität der Jury, was man allerdings – wenn
überhaupt - nur sehr bedingt tun sollte. Es wäre zu begrüßen,
wenn die Clowns aus Monte Carlo wieder an Wert gewinnen würden.
Denn das Festival ist auch 2011 ein großes Spektakel mit dem „Who
is who“ der internationalen Circusszene in der Manege und
drumherum. Kurzum: Monte Carlo war in diesen Januartagen wieder
der „Nabel der Circuswelt“.
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Text und Fotos: Stefan Gierisch
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