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35. Festival International du Cirque
de Monte Carlo 2011
www.montecarlofestival.mc ; 92 Fotos von Stefan Gierisch

Monte Carlo, 20. - 30. Januar 2011: In Monte Carlo wird nach wie vor die ganz große Show aufgefahren. Jeweils zu Beginn und Ende der beiden Auswahlshows ist die Manege mit rund 200 Mitwirkenden gefüllt. Flaggen aus aller Herren Länder zeugen von der Internationalität des Festivals. Über dem opulenten Artisteneingang spielt das große Orchester von Reto Parolari in sattem Klang den monegassischen Circusmarsch. Das Publikum begleitet das Schauspiel mit Applaus im Stehen, in der Mittelloge verfolgt die Fürstenfamilie das Spektakel. Die Stimmung ist ausgesprochen festlich, einfach „groß“. Das ganze Fürstentum steht in diesen sonnigen Januartagen im Zeichen des Circus. Die Schaufenster der meisten Läden sind passend dekoriert, es gibt eine Open Air Circusshow (in diesem Jahr wieder vor dem Fürstenpalast), begleitende Ausstellungen, einen ökumenischen Gottesdienst im Chapiteau.

Und ein Fußballspiel, bei dem  das Team des Fürsten gegen eine Auswahl von Artisten antritt. Überall in der Stadt sieht man Menschen, die den blauen Festivalschal um den Hals tragen. An der Cote d'azur herrscht also circensische Hochstimmung. Die andere Frage ist, was von dieser Stimmung in die internationale Circuswelt hinausgeht, welche Impulse dieses 35. Internationale Circusfestival von Monte Carlo abgibt. Diesbezüglich sieht es nicht ganz so glanzvoll aus. Die wirklich spannenden Neuentdeckungen lassen sich leicht an einer Hand abzählen. Die Auswahlshow 2, welche wir am Freitag sahen, fand ich dann doch für das führende Festival recht schwach besetzt. Die andere „Show de Selection“ konnte da schon weitaus mehr begeistern.


Flavio Togni (Gold)

In beiden Vorstellungen gleichermaßen vertreten sind Flavio Togni und die Clowns. Sämtliche Tierdressuren, mit Ausnahme der von Bello Nock vorgeführten Kühe von Alberto Althoff, stammen vom American Circus. Bestandteil beider Auswahlshows sind die Tiger- und die Elefantendressur. Die Tigergruppe sahen wir im vergangenen Jahr beim Cirque Arlette Gruss. Wie von Togni gewohnt, werden Tiger in unterschiedlichen Farbschattierungen präsentiert. Ein weißes Exemplar zeigt zunächst zwei Tricks und verlässt den Zentralkäfig sogleich. Die restlichen vier Tiere absolvieren verschiedene bekannte Tricks und überraschen mit dem Sprung eines Tigers auf den Hinterpfoten über einen abliegenden Artgenossen. Fünf indische Elefantendamen tragen jeweils eine Reiterin auf ihrem Rücken und zeigen dabei Ausschnitte aus ihrem nicht über die üblichen Tricks hinausgehenden Repertoire. Schön anzusehen ist diese Vorführung aber allemal, zumal eine fünfköpfige Elefantenherde in europäischen Manegen mittlerweile schon zu den großen Gruppen zählt. Zusammen mit Hans-Ludwig Suppmeier und zwei Damen reitet Togni eine Hohe Schule im argentinischen Stil. Während die Akteure auf dem Pferderücken Gaucho-Outfits tragen, agieren auf dem Boden Tänzerinnen und Tänzer in Tango-Kostümen. Am besten von seinen in Monte Carlo gezeigten Nummern aber gefiel mir Flavio Tognis Pferdefreiheit. Dazu formiert er zwölf wunderschöne cremefarbene Hengste, „Cremolos“ genannt, harmonisch zu  allen  Figuren, die eine abgerundete Freiheitsdressur auszeichnet. Als da capi gibt es nicht nur Einzel- und Gruppensteiger, sondern auch eine Rarität in Form der ohne Zügel gesprungenen Kapriole.


Anton Franke, Bello Nock (Gold)

Bei den Clowns liegt das Hauptaugenmerk natürlich auf Bello Nock, der sich durch seine Engagements in den USA (Big Apple, Ringling) einen Namen gemacht hat. Davon ausgehend hatte ich erwartet, dass er die Zuschauer im großen Chapiteau von Fontvieille zum Toben bringen würde. Die ganz großen Ovationen, insbesondere die im Stehen, bleiben bei den beiden von uns besuchten Vorstellungen allerdings aus. Nichtsdestotrotz sorgt der stets schelmische Nock mit der blonden XXL-Frisur für reichlich Spaß und verblüfft mit seiner Vielseitigkeit: Er beherrscht die originären Clownsummern (z.B. Kunstschützen-Entree mit Luftballons) genauso wie  komische akrobatische Acts, bei denen er an Bungees durch die Luft wirbelt, auf dem Trampolin Kapriolen schlägt und sogar mit seinem Partner David Martins rasante Runden auf dem Todesrad dreht.  „Nur“ als Clown mit größtenteils modernen Interpretationen bekannter Szenen produziert sich der junge Anton Franke mit seinem Vater Victor als Gegenspieler. Der Russe, der seine Auftritte musikalisch gerne mit dem „Haus am See“ aufpeppt, macht seine Sache überzeugend und kommt beim Publikum gefühlt ähnlich gut an wie Nock. Sein zentraler Auftritt ist der Boxkampf mit „Publikums“-Beteiligung, bei dem Franke „oben ohne“ auf verschiedenen Musikstücke angepasst agiert. Außerdem werden beide Spaßmacher dazu eingesetzt, in den Umbaupausen für Unterhaltung zu sorgen. So erscheinen zum Käfigabbau zig Bello-Kopien, die mit den passenden Perücken große Luftballons auf die Reise durch das Publikum schicken. Mit Hilfe der Nock'schen Haarteile werden selbst Prinzessin Stephanie und Fürst Albert zu Bellos. Insgesamt sind die meisten Übergänge – wenige Ausnahmen gibt es - sehr gut gestaltet. Die ausführlichen Proben zahlen sich aus. Nicht eben selbstverständlich für ein Festivalprogramm.


Truppe Alma's (Bronze)

Ebenfalls in beiden Auswahlvorstellung, wenngleich mit unterschiedlichen Darbietungen, sind die 22 Damen der Truppe Alma's vom rumänischen Circus Globus. In ihren Auftritten bieten sie jeweils große Schaubilder in der Manege und in der Luft. In einem agieren neun der Damen an Vertikaltüchern, während in der Manege passend dazu getanzt wird. Das alles in blau gehalten und begleitet vom live gesungenen „Parlez-moi d'amour“. Im anderen schweben die Artistinnen in großen Plexiglaskugeln, während in der Manege, wiederum zu Gesang, mit aufblasbaren Kugeln sowie Bällen getanzt wird. Beides sind stimmungsvolle „große Bilder“, wie sie ein solches Festival einfach braucht. Letztendlich ist ein Bronzener Clown der Lohn. Manegenfüllend gestalten sich ebenso die beiden Auftritte der „Pompiers de Paris“. Einmal erleben wir die 40 Feuerwehrleute beim Kampf gegen einen lebenden „Feuerteufel“, den sie mit rasanten unzähligen Sprüngen am laufenden Band von kleinen Trampolinen (über Hindernisse) führen. In der anderen Show haben sie ihren Einsatz an insgesamt fünf Barren, an denen sie eindrucksvolle Bilder entstehen lassen, die von großem sportlichen Können zeugen. Sowohl die Alma's als auch die Pompiers zeigen tolle große Nummern, welche aber wohl nie in einem Tourneeprogramm zu erleben sein werden. Kommen wir nun zu den weiteren Darbietungen aus Show 1: Der von Roncalli bekannte Andrey Romanovsky verblüfft hier als Klischnigger mit rotem Zylinder und rutscht als Clou zusammengefaltet ein schmales Rohr hinunter.


Valerie Inertie (Silber)

Größte Begeisterung beim Publikum ruft Valerie Inertie mit ihrer wunderbar sinnlichen Kür am Cyr-Rad hervor. Die an der Circusschule von Quebec ausgebildete Kanadierin überzeugt artistisch sowie künstlerisch gleichermaßen. Die ersten Standing Ovations des Abends und ein Silberner Clown sind der Lohn. Ebenfalls versilbert wird die Akrobatik auf Glühbirnen des chinesischen Flag Circus, welche im vergangenen Winter im Stuttgarter Weltweihnachtscircus zu erleben war, dessen Direktor Henk van der Meyden Mitglied der Jury ist. Ihre Tricks sind so schon schier unglaublich werden aber noch dadurch erschwert, dass die Artisten der untersten Ebene dabei mit den Zehenspitzen auf brennenden Glühbirnen stehen. Die Wirkung ihrer Hochleistungsartistik schmälern sie aber dadurch, dass die Longen bei einigen der Kunsttücke klar sichtbar zur Erhöhung der Stabilität eingesetzt werden und diese so erst möglich zu machen scheinen. Ohne Vorteil arbeitet Roman Kapersky seine Equilibristikkür auf langen Stelzen. Zu Gitarren- und Klaviermusik drückt der muskulöse Russe Handstände und sichert sich einen Bronzenen Clown.


Super Silva,
Roman Kapersky (Bronze)

Dafür, dass es auch für weitgereiste Circusenthusiasten etwas Neues zu erleben gibt, sorgt der Brasilianer Super Silva. Im Spiderman-Outfit klettert er zu lateinamerikanischer Musik in Windeseile am Seil bis unter die Kuppel. Dort zeigt er in rasantem Tempo einige Tricks am Trapez sowie beim Deckenlauf (mit Schlaufen). Höhepunkt aber ist der Sprung von einem schwingenden Trapez zu einem gegenüberliegenden, wo er sich mit den Füßen fängt. Das alles ohne jegliche Sicherung. Mehr Risiko, mehr Nervenkitzel ist kaum denkbar. Für mich persönlich die eindrucksvollste Nummer des Festivals. Quasi zur Entspannung jongliert Pavel Roujilo dann mit zig Bällen auf einer am Boden liegenden runden Plattform stehend. Er arbeitet in fließenden Bewegungen, wie wir es von anderen russischen Jongleuren seiner Generation kennen. Der Spitzentrick mit neun Bällen gelingt an diesem Abend leider nicht. Die Strangers zeigen an Schulter- und Stirnperche ihre Tricks zu Ethno-Pop. Es wird an mehreren Requisiten gleichzeitig gearbeitet, wobei die Akteure weiße Kostüme tragen, die Damen sogar weiße Perücken. In meinen Augen keine besonders ansprechende Präsentation. Weitaus gelungener hingegen die Art und Weise, wie sich die Khubaev auf Trampolinbahnen (Fast Track) produzieren. Es ist eine frivole Show mit leichtbekleideten Damen zur Begleitung und coolen Typen, die ihre rasanten Sprünge nur so abfeuern. Für diese temporeiche, knisternd erotisch aufgemachte Nummer vergibt die Jury einen Bronzenen Clown an die Akteure vom Moskauer Bolshoi Circus.


Mädchen aus Izhevsk, White Birds (Silber), Chinesinnen aus Dalian (Silber)

In Show Nummer 2 erleben wir nach dem Opening die Familie Weisheit auf dem mit einem Fangnetz nach unten abgesicherten Hochseil. Zu zwölft balancieren die Thüringer über den gespannten Draht – vom Truppenchef bis hin zum jungen Mädchen. Sie fahren mit den verschiedensten Fahrrädern und beenden ihre Show in weiß mit einer Fünfer-Pyramide. Recht kurzfristig für die Vorobiev eingesprungen ist Paolo Kaiser, den wir zuletzt beim Heilbronner Weihnachtscircus erlebten. Kaiser setzt weniger auf das Stapeln von Rollen als vielmehr auf gewagte Sprünge. So zeigt er den Salto von einem auf einer Rolle balancierten Brett auf ein anderes. Radfahrende Chinesinnen kommen aus Dalian zu diesem Festival. Auf ihren Zweirädern zeigen sie verschiedene Figuren sowie Sprünge von Rad zu Rad. Eine schöne Darbietung, die mit einem Silbernen Clown meines Erachtens aber zu hoch dekoriert ist. Zu Blalaika- und Akkordeonklängen arbeiten, nein spielen die beiden jüngsten (8  und 9 Jahre) Teilnehmerinnen des Festivals ihre Kunststücke in den Sparten Equilibristik und Kontorsion. Die beiden Mädchen aus Izhevsk haben ein fröhliches, kindgerechtes Auftreten, sodass das Zuschauen Vergnügen bereitet. Den Netzaufbau integrieren die White Birds gleich in ihre Inszenierung am Flugtrapez, an welchem sie mit zwei Fängern, zwei Fliegern und einer Artistin in einem an Seilen befestigten Ring ihre Sprünge absolvieren.


Royal Brothers (Bronze)

Wie der Name vermuten lässt, produzieren sich die Artisten vom Nikoulin Circus als Vögel. Höhepunkt ist ein (nahezu) gestreckter Dreifacher, für den es letztendlich einen Silbernen Clown gibt. Als Idole nennen die Royal Brothers aus Italien die Alexis Brothers. Das wird beim Zuschauen deutlich: Die muskulösen Brüder Dell Acqua aus Italien erinnern sowohl im Auftritt (eng anliegende Hosen, dramatischer Verkauf) als auch von den Tricks her an ihre portugiesischen Vorbilder. Zwischen den letzten Tricks legen sie längere Pausen ein, wodurch sie den Applaus des Publikums bis hin zu Standing Ovations forcieren. Von der Jury gibt es einen Bronzenen Clown.

Abschließend noch ein paar allgemeine Worte zur Vergabe der Hauptpreise. Insgesamt 19 Aspiranten auf die begehrten Clowns gibt es, zehn haben einen bekommen. Ein für die Künstler geradezu traumhaftes Verhältnis. Wie aber bei einer solchen Inflation üblich, verliert somit jeder einzelne Preis an Wert. Damit verkauft sich auch das Festival unter Wert. Die eingangs angesprochene Bedeutung der Veranstaltung für die Circuswelt insgesamt leidet. Spannend auch, dass es neben zwei Clowns und einem Tierlehrer nur artistische Nummern im Wettbewerb sind, aber ausgerechnet Flavio Togni und  Bello Nock die beiden Goldenen Clowns gewinnen. Das wirft ein zweifelhaftes Licht auf die teilnehmenden Artisten. Vorausgesetzt natürlich, man glaubt an die Souveränität der Jury, was man allerdings – wenn überhaupt - nur sehr bedingt tun sollte. Es wäre zu begrüßen, wenn die Clowns aus Monte Carlo wieder an Wert gewinnen würden. Denn das Festival ist auch 2011 ein großes Spektakel mit dem „Who is who“ der internationalen Circusszene in der Manege und drumherum. Kurzum: Monte Carlo war in diesen Januartagen wieder der „Nabel der Circuswelt“. 

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Text und Fotos: Stefan Gierisch