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Monte Carlo, 15. - 25. Januar 2009:
Die Reaktionen in den Pausengesprächen waren eher verhalten. Die
Erwartungen an das Festival der Festivals seien nur bedingt
erfüllt worden, hieß es da des Öfteren. Auch der Gradmesser im
Chapiteau – standing ovations direkt nach der Nummer – spiegelte
in den ersten Hälften der beiden gut vierstündigen
Auswahlvorstellungen diese Reaktion wider. Darbietungen, die die
Zuschauer von den Sitzen rissen, waren nur vereinzelt zu
erleben. Natürlich sind die Ansprüche des Publikums an das
Internationale Circusfestival von Monte Carlo besonders hoch.
Das zu Recht. Schließlich sind die „Clowns“ nach wie vor eine
harte Währung in der Branche und beim breiten Publikum die
einzig wirklich bekannte Auszeichnung der Circuswelt. Die zweiten
Hälften waren durchweg stärker, sodass unterm Strich auch der
33. Auflage der „Weltspiele des Circuskunst“ ein durchaus
erfreuliches Niveau bescheinigt werden kann. |
Gold: Flight of Passion,
Flugtrapez aus Nordkorea
Trefflich
streiten lässt sich natürlich über die Vergabe der goldenen,
silbernen und bronzenen Clowns. Wobei es in diesem Jahr keine
wirklichen Überraschungen gab. Alle Preisträger wurden bereits
in der Vorstellung mit außergewöhnlich starken
Publikumsreaktionen gefeiert. Erwartungsgemäß erhielt somit die
Truppe aus Pyong Yang mit ihrer Luftnummer „Gold“. Dabei flogen
drei junge Damen und ein Herr zwischen drei statischen und einem
Fänger am schwingenden Fangstuhl durch den Raum unter der
Circuskuppel. Von der Präsentation her eine typische
Nordkorea-Nummer, die unter anderem mit einem präzise
gesprungenen vierfachen Salto überzeugen konnte. Eher
unerwartet, aber nicht unverdient, ging der zweite goldene Clown
an das Duo „Flight of Passion“ an den Strapaten. Eine
vergleichsweise „kleine“, aber sehr leistungsstarke, riskante
und perfekt präsentierte Luftnummer. Besonders faszinierend
dabei jene Tricks, die vom männlichen Part des Duos im Zahnhang
gehalten wurden.
Silber: Truppe
Fujian, Russische Schaukel aus Nordkorea
Versilbert
wurde die Kombination aus Russischer Schaukel und Reck, welche
ebenfalls aus Pyong Yang stammt und im letzten Stuttgarter
Weltweihnachtsircus zu erleben war. Sicherlich leistungsstark
hinsichtlich der gezeigten Sprünge, was die Präsentation anging,
allerdings wieder koreanisch bieder. Immerhin strahlten die
Akteure eine gewisse Fröhlichkeit aus. Durch und durch gestylt
die Lassojonglage der Truppe aus Fujian. Der Stil konnte mich
nach wie vor nicht begeistern, zumal die Artistinnen – im
Gegensatz zum letztjährigen Gastspiel bei Knie - wieder Glatze
trugen. Bei den Tricks fühlte ich mich des Öfteren an die
Westernshows hiesiger Familiencircusse erinnert, wenngleich hier
natürlich deutlich mehr geboten wurde. Etwa das Lassodrehen im
3-Personen-hoch. Offensichtlich haben derartige Darbietungen
aktuell Konjunktur. Siehe erstes Winterprogramm im Kronebau,
siehe Saisonprogramm Arlette Gruss.
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Silber: Truppe Tsisov |
Die einzige
wirklich neuartige Darbietung bei diesem Festival war für mich
die Hochseilnummer der Truppe Tsisov, die am ehesten noch mit
jener der Volshansky vergleichbar ist. Die Tsisovi arbeiten aber
auf einem vergleichsweise schlaff gespannten Seil und sichern
ihre Darbietung mit einem Fangnetz ab. Im Zwei-Mann-hoch liefen
sie über das Schrägseil, zu dritt übereinander über das
horizontal geführte Seil. Spektakulär ihre Arbeit auf zwei dicht
übereinander gespannten Seilen, wobei das obere Tau, nachdem es
an beiden Enden befestigt wurde, in der Mitte von einem Artisten
mit der Schulter abgestützt wurde. Nun bewegte sich auf jedem
der Seile ein Zwei-Personen-hoch in Richtung Mitte, wo sich die
vier Artisten kreuzten, um anschließend den Weg auf die
entgegengesetzte Plattform fortzusetzen.
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Der vierte silberne
Clown ging an die Gebrüder Giona, die mit einem umfangreichen
Marstall angereist waren. Die Ungarische Post kam bereits fertig
zusammengestellt (auf zwei Pferden stehender Reiter samt sechs
Vorauspferden) in die Manege, um sich nach einigen Runden wieder
zu verabschieden. Deutlich spektakulärer die Freiheitsdressur
einer der Brüder, wenngleich diese streng genommen nur aus einem
Trick bestand. Auf einem ungesattelten Schimmel reitend
versammelte er nach und nach sechs weitere Pferde, die er in
einen ständig laufenden Fächer integrierte. Das alles geschah in
einer selten gesehenen Ruhe und Harmonie. Als Hilfsmittel für
diese Dressurleistung diente, neben der Stimme des Vorführers,
eine weiße Pfauenfeder.
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Bronze:
Husch-Ma-Husch, Elvis Errani, Roger Falck
Zwei
circustypische Tierdressuren befanden sich unter den Gewinnern
der bronzenen Trophäen. Beide vorgeführt von jungen,
talentierten Tierlehrern. Zum Einen Elvis Errani, der mit seinen
drei Elefantendamen nahezu alle Tricks dieses Genres zeigte.
Aufgewertet wurde die ganz in der Farbe rot gehaltene Vorführung
durch die Mitwirkung dreier Showgirls, die zum Abschluss von
einer der Elefantendamen überschritten wurden, während Errani
vom Gradin aus per Mikrofon dirigierte. Zum Anderen Roger Falck,
der mit seinen drei weißen und drei normalfarbenen Tigern ein
leistungsstarkes Repertoire zeigte. Viele Hochsitzer, tolle
Sprünge und ein doppelter Steigerlauf sind besonders zu
erwähnen. Sehenswert auch der nostalgisch gestaltete
Zentralkäfig und die im gleichen Stil gehaltenen Requisiten. Mit
einer optimierten Musik- und Kostümauswahl kann die Wirkung der
Nummer ohne Probleme noch weiter gesteigert werden. Wie schon
bei Roncalli, im Tigerpalast und anderen Engagements überzeugten
die Sorellas auch in Monte Carlo mit ihrer riskanten Arbeit am
Trapez, die sie flott und höchst sympathisch rüberbringen.
Jubelstürme des Publikums und ein bronzener Clown waren der
Lohn. Bronze erhielt ebenfalls die Truppe aus Zhengzhu für ihre
Mastenakrobatik, wobei die Masten hier nicht statisch befestigt
waren, sondern wie Schaukeln hin und her schwangen. Last not
least gab es den Clown für einen Clown. Der auch hierzulande
bestens bekannte Husch-Ma-Husch hatte das Publikum von Anfang an
auf seiner Seite. Die Sympathien für den Komiker mit der
markanten Frisur wurden von Auftritt zu Auftritt stärker und
entluden sich zu standing ovations nach seinem Stepptanz mit
Publikumsbeteiligung. Alle Preise waren, wie bereist gesagt,
verdient. Allerdings halte ich die seit einigen Jahres steigende
Anzahl an vergebenen Clowns für höchst fragwürdig. Der Wert
jeder einzelnen Trophäe wird dadurch nicht gerade gesteigert.
Maria Erekima |
Ebenfalls hauptpreisverdächtig waren für mich noch die
Jongleure um Elena Drogaleva und Luftartistin Maria Eremkina.
Die Jonglagen der vier Akteure in höchst originellen
Konstellationen wurden stilvoll im Business Look dargeboten
und in immenser Geschwindigkeit gearbeitet. Maria Erekima
zeigte an der Lyra schwierigste Figuren wie den einfachen
Fersenhang in großer Höhe, wobei sie durch eine Longe
gesichert wurde. Immer wieder überzeugen kann Konstantin
Mouraviev, der seine bekannte Blitz-Gewichtsreduktion
mittels Rhönrad aufführte. Originell und leistungsstark
präsentierten sich die Darbietungen der beiden deutschen
Tierlehrer Wolfgang Lauenburger und Karl-Ferdinand Trunk.
Für einen der Clowns waren ihre Darbietungen mit Hunden bzw.
Ponies und Bauernhoftieren aber wohl zu „klein“.
Insbesondere Trunks Ponydressur überzeugte durch
anspruchsvolle Tricks, die perfekt liefen.
Seine
Popularität beim heimischen Publikum verdankte Dominic
Lacasse der Teilnahme an der französischen Version der
Fernsehshow „Supertalent“. Er arbeitete am vertikalen Masten
im Stil eines Dima Shine, ohne aber ganz an dessen Klasse
heranzukommen.
Zu den
weiteren Soloartisten des Festivals gehörten Gipsy Gomez,
Dany Daniel und Romain Carbon. |
Vivabco, Mayorovm, Romain
Carbon
Gomez
zelebrierte ihre Hula Hoop-Kür auf einer Glitzerkugel zu wilden
Diskorhythmen, Daniels stapelte Bretter und Walzen bei seiner
Rola-Rola-Darbietung, während Carbon insbesondere mit seinem
Schlusstrick, dem Abrollen an den Tüchern aus großer Höhe
überzeugte. Allesamt gute Darbietungen. Bei der Vergabe der
Clowns spielten sie aber keine Rolle, ebenso wie die beiden
weiteren Duos im Wettbewerb. Das Duo Spiral begann seine
Partnerequilibristik stark, konnte diesen Auftakt aber im
weiteren Verlauf nicht mehr steigern. Das Duo Tr'espace bot
tolle Tricks mit Diabolos, fiel aber aufgrund der theatralischen
Aufmachung aus dem Rahmen dieses Festivals.
Komiker Val
de Fun hatte eine Vorstellung lang Gelegenheit, in mehreren
Reprisen Publikum und Jury zu überzeugen. Dies gelang leider
nicht – Lacher und Applaus gab es für seine Einlagen nur in
geringem Umfang. Auf komische Wirkung setzten auch die Mayorov
bei ihrem Auftritt als Matrosen am Trampolin mit Sprüngen durch
und über überdimensionale Rettungsringe. Ihre andere Nummer fand
auf einer Trampolinbahn statt, litt aber darunter, dass man sich
nicht zwischen traditionellem und modernem Verkauf entscheiden
konnte. Der zu dieser Darbietung eingespielte „Ostblock-Techno“
sorgte für eine deutliche Abwertung der an sich guten
artistischen Leistung. Der Vollständigkeit halber seien hier
noch die Los Vivancos genannt. Die sieben Herren traten in
beiden Auswahlvorstellungen mit Tap Dance auf. Dies zur Freude
der Damenwelt an der Piste teilweise mit freiem Oberkörper. Den
Zusammenhang mit dem Anlass des Festivals, Circus nämlich,
werden wohl nur die Veranstalter kennen.
Soweit die Beschreibung der Nummern und Preisträger.
Natürlich ist das Festival in Monte Carlo mehr als deren
Summe. Atmosphäre und Flair sind schon einzigartig. Eine
solch große Anzahl an Artisten sieht man selten. Bei Opening
und Finale ist die Manege jedes Mal gefüllt mit unzähligen
Künstlern in prächtigen Kostümen. Das Licht ist geradezu
feudal und mit den Musikern um Reto Parolari gibt es ein
großes Orchester, das in diesem Jahr wieder öfter zum
Einsatz kam. Aber nicht nur in der Manege, auch im Publikum
finden sich unzählige bekannte Gesichter der Circuswelt.
Kurzum: Das Fürstentum an der Cote d'azur wird Anfang des
Jahres in der Tat für ein paar Tage zum Nabel der Circuswelt. |
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Text: Stefan Gierisch; Fotos: Stefan
Gierisch, Stefan Nolte
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