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Newcomershow Krystallpalast 2017
 www.newcomershow.net - 44 Showfotos

Leipzig, 2. Juli 2017: Der Besuch der Newcomershow 2017 stimmt gleich in mehrfacher Hinsicht nachdenklich. Mit dem jährlichen Festival steht der Krystallpalast in Leipzig als Ausrichter nämlich hierzulande beinahe alleine da. Trotz ausgeprägter Zirkus- und Varieté-Szene sind Wettbewerbe bedauerlicherweise ziemliche Mangelware. Da gebührt den Verantwortlichen in Leipzig zunächst viel Lob und Anerkennung! Seit nun fast zwei Jahrzehnten bieten sie neuen Künstlern die Chancen, sich auf einer deutschen Bühne vor Publikum und Fachwelt zu beweisen.

Für die diesjährige Newcomershow haben Urs Jäckle, künstlerischer Leiter des Varietés, und sein engagiertes Team zwölf Darbietungen aus der Rekordsumme von 321 Bewerbern aus 41 Nationen ausgesucht. Dies spricht für das mit der Zeit gewonnene Renommee des im Jahre 2000 gegründeten Festivals.


Die Gewinner 

Die Geschichte des Krystallpalastes selbst ist indes eine viel längere. Bereits 1882 eröffnete das damals erste, später größte und berühmteste Varietétheater der Stadt mit einem Theatersaal für 800 Besucher; fünf Jahre später kam eine gigantische Zirkushalle mit 3000 Plätzen und 36 Metern Höhe hinzu. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Komplex zerstört. Eine neue Spielstätte entsteht erst wieder Jahrzehnte später: in der Magazingasse wird eine neue Heimat gefunden, in der am 17. November 1997 Premiere gefeiert wird. Somit feiert das Krystallpalast Varieté Leipzig im kommenden Winter sein 20-jähriges Bestehen. Der Theatersaal mit ungefähr 180 Sitzplätzen, die kleine Bühne von sieben mal vier Metern, aber auch das angrenzende Restaurant mit 80 Plätzen vermitteln eine intime, sehr stimmige Atmosphäre, die sich auch auf das Festival an sich überträgt. Mit Martin Quilitz hat man zudem einen charmanten Plauderer gefunden, der durch die Veranstaltung führt.


Impact Brothers, Duo HoopDuality, Dan Marques

Die deutsche Varieté-Szene ist nahezu geschlossen vertreten und vergibt zahlreiche Engagements. Dagegen üben sich die Vertreter der Zirkus-Branche offenbar in Desinteresse und Abwesenheit. Möglicherweise besteht hier wenig Neugier auf neue Köpfe. Begreifbar ist das nicht. Denn – mit Ausnahme des brasilianischen Magiers Dan Marques vielleicht, der Knöpfe in unterschiedlichen Farben und Größen an sein Kostüm zaubert – sind im Grunde alle Darbietungen sowohl auf Bühnen als auch in einer Manege, in modernen wie in traditionellen Produktionen denkbar. Extravagante Stile und Ästhetiken gibt es heuer kaum, vielmehr wirken die Darbietungen recht universell und kompatibel. So wie das amerikanische Duo HoopDuality, das für den Auftritt am ständig rotierenden Luftring den Preis von Roncallis Apollo-Varieté Düsseldorf erhält. Auch die Impact Brothers aus Spanien hätten in einer Manege ihren Platz. Für ihre Kombination aus einigen Partnertricks mit vorwiegend synchronen Tanzpassagen und Sprüngen zeichnet sie das Varieté Pegasus Bensheim aus.


Dmitry Ikin, Mantega, Thibault Theyssens 

Besonders zahlreich, ja über Gebühr vertreten ist bei dieser Newcomershow das Feld der Jonglage oder Objektmanipulation. Zufall, Ergebnis einer zu begrenzten Ausbildung an Artistenschulen, schlichte Orientierung an den Erfordernissen des lukrativen Gala-Marktes oder einfach fehlendes Interesse der jungen Künstler an anderen Genres? Darüber kann man wohl trefflich diskutieren; und auch dafür ist so ein Festival ja bestens geeignet. Die beiden Artisten White Asparagus aus Japan jedenfalls lassen einen kleinen roten Ball um ihre Körper wandern. Der Belgier Bavo Freestyles jongliert hingegen mit großen Basketbällen. Edgar Falzar tut es ihm mitunter gleich. Der Franzose scheitert jedoch beim Versuch, dem Ganzen eine komische Note zu geben. Eine verlorene Hose macht noch keine Lacher. Überzeugender ist da Landsmann Etienne, der für seinen Auftritt mit bis zu vier Diabolos den Preis des Wintergarten-Varietés Berlin bekommt. Dmitry Ikin hätte aufgrund der technischen Klasse seiner Balljonglage einen Preis verdient. Für die in der Jury sitzenden Varieté-Vertreter gelten aber offenbar andere Kriterien. Etwa Originalität, wie bei der Whiskeyglas-Jonglage des Deutsch-Brasilianers Mantega. Das Varieté Palais Hopp Kassel zeichnet ihn aus. Während dieser Preis dennoch seine Berechtigung findet, ist die Wahl des Festungsvarieté Koblenz und des Varieté et cetera Bochum für den Belgier Thibault Theyssens nur schwer nachzuvollziehen. Ein Künstler in Unterhose, der schwer atmend ohne Musik in seinem Cyr herumkreiselnd und dabei auf die Probleme der Welt aufmerksam machen möchte, ist doch inzwischen weit weg von innovativ.


Guillaume & Marie, Lea Prinz

Viel eindringlicher ist da schon die Aura, mit der Lea Prinz die Bühne und den Theatersaal für sich einnimmt. Das Spiel der Deutschen mit einem Reifen hat mal leichte, mal melancholische und insbesondere intensive Momente, die kongenial verschmelzen. Buchstäblich den Raum füllen auch Guillaume & Marie aus. Das kanadisch-französische Paar zeigt seine gewagten Voltigen am Trapez inmitten der Zuschauer. Da verwundert der Publikumspreis nicht. Auch der Hauptpreis der Jury – verbunden mit einem Engagement im Krystallpalast – geht an die beiden.

Eine wirkliche Überraschung ist diese Entscheidung mit Blick auf ähnliche Festivals nicht. Trapez-Duos liegen offenbar genauso im Trend wie Jongleure. Dabei bleibt bedauerlicherweise eine Vielfalt auf der Strecke, die Zirkus und Varieté doch eigentlich immanent ist. Und für die ein Festival doch stets die beste Bühne ist. Dank der Newcomershow auch in Deutschland.

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Text und Fotos: Benedikt Ricken