Und für ein paar Tage im
Jahr ist sie dies bereits. Matabosch und sein Team haben in
Figueres ein internationales Circusfestival etabliert. Ende
Februar fand nun die fünfte Auflage statt. Auch diese war
äußert erfolgreich. Über 30.000 Besucher wurden während der
vierzehn Vorstellungen gezählt. Bei rund 2200 Sitzplätzen im
diesmal vom Circo Americano der Familie Faggione gemieteten,
durch eine Außenkonstruktion getragenen und daher ohne Masten
auskommenden Zelt entspricht dies einer Auslastung von knapp
99 Prozent.
Ensemble und Mitarbeiter
Das Alleinstellungsmerkmal
des Festivals in Figueres liegt in der Tatsache gegründet,
dass man ausschließlich Künstler einlädt, die allesamt noch
nicht in Westeuropa gearbeitet haben oder die hier zumindest
erstmals eine neue Darbietung vorstellen. Damit ist man – wohl
mehr noch als andere Festivals – zugleich auch immer eine
interessante Plattform für Artisten, Direktoren und Agenten
gleichermaßen. Die einen haben die große Gelegenheit, die
eigene Arbeit bekannt zu machen. Die anderen haben die
tatsächliche Chance, neue Nummern kennen zu lernen. Immer
wieder fanden in letzten Jahren Teilnehmer des Festivals
anschließend dann auch in den Weg in die Manegen und auf die
Bühnen Westeuropas. Gab es in den vergangenen Jahren viele
Beiträge aus dem südamerikanischen Raum, so stammte diesmal
die Mehrzahl der Artisten aus Asien und Osteuropa. Auffallend
war das durchgehend hohe bis sehr hohe Niveau. Kaum eine der
22 Darbietungen, welche in zwei von Genis Matabosch persönlich
moderierten und vom großartigen Orchester unter der Leitung
von Carmino D'Angelo begleiteten Auswahlvorstellungen um den
"Elefant d'Or" gegeneinander konkurrierten, fiel
leistungstechnisch wirklich ab. Im Grunde hätte es sogar noch
zwei weitere Nummern geben sollen. Doch die Requisiten der
nordkoreanischen Hochseiltruppe kamen nicht rechtzeitig in
Figueres an; und auch Anastasiya Yeukhimenka hatte Pech. Die
Weißrussin verletzte sich bei ihrer Hula Hoop zu
Pferd-Darbietung zu Beginn des Festivals und konnte damit
anschließend nicht mehr an den Wertungsvorstellungen
teilnehmen. Somit fehlte unfreiwillig auch der einzige
tierische Akteur des Festivals, Yeukhimenkas Hengst Aragorn.
Elefant d'Or: Qin
Warriors, Fan Dance, Troupe Nomuna
Im Teilnehmerfeld stochen
besonders die drei großen Truppen aus Asien heraus, die
folgerichtig von der Jury dann auch mit dem „Elefant d'Or“
ausgezeichnet wurden. Ganz nah an der Perfektion waren die „Qin
Warriors“ aus Wuhan. Die sechzehn jungen Chinesen zeigten
unglaubliche Leistungen auf dem Einrad. So wurden vierstöckige
Pyramiden im Fahren gebaut. Oder ikarische Spiele gezeigt,
während die Trinkas von fahrenden Untermännern getragen
wurden. Die Flieger wechselten dabei gar noch die Positionen.
Eindrucksvoll und einnehmend war daneben auch die absolut
authentische Inszenierung im Krieger-Stil. Das sahen die
Zuschauer ebenfalls so und verliehen den Schülern der Wuqiao
Arts School auch den Publikumspreis. Sensationell waren auch
die Kopfsprünge von „Fan Dance“ aus Sheyang, zumal die
Sprungplattformen oft nur mit einer Hand von den Untermännern
getragen wurden. Einen faden Beigeschmack erhielt die Nummer
jedoch durch den mit zwölf Jahren jüngsten Artisten im
Festival, der hier den Hauptanteil der Sprünge leisten musste
und nur bedingt glücklich damit aussah. Die elköpfige Troupe
Nomuna aus der Mongolei strahlte dagegen Fröhlichkeit aus und
wurde gleich für zwei Darbietungen geehrt. Sie waren sowohl
mit Handvoltigen als auch auf dem Schleuderbrett in Figueres
angetreten. Auch bei ihnen stimmte die Leistung, etwa bei
Sprüngen vom Schleuderbrett zu Menschentürmen bis zum
Fünf-Personen-Hoch oder mit mehrfachen Salti auf eine Matte.
Grandios auch ihre Passagen bei den Handvoltigen, die sie
zudem mit Trommelspielen effektvoll verkauften.
Elefant de Plata: Vladimir Deryabkin,
Duo 2-Zen-O, Golden Dream
Daneben hatten es die
anderen Künstler natürlich schwerer, sich zu behaupten.
Manchen gelang dies dennoch bestens. Etwa dem kanadischen Duo
2-Zen-O. Die Kür von Marie-Eve Bisson und Jonathan Morin bot
jene Momente, in denen man sich zurücklehnen und einfach nur
genießen kann. Was die beiden am von ihnen eigens entwickelten
Aerial Crossed Wheel zeigten, lud zum Träumen ein. Ihr
Auftritt war so wunderbar leicht und fließend, dass einem die
herausagende Trickstärke und das Gefahrenpotenzial erst beim
erneuten Anschauen bewusst wurde. Die Jury belohnte beide mit
dem „Elefant de Plata“, also Silber. Ohne die Konkurrenz der
großen Truppen wäre es vielleicht sogar Gold geworden, was
sicher auch mehr als verdient gewesen wäre. Deutlich
überraschender war hingegen der zweite „Elefant de Plata“ für
Clown Vladimir Deryabkin. Schließlich zeigte der vom Nikulin
Circus entsandte Russe eigentlich nur Bekanntes: Tellerdrehen
mit Zuschauerbeteiliung und Klatschspiel inkl.
Schlagzeug-Performance. Dabei wirkte er mal sympathisch, mal
doch eher grob. Das Publikum aber tobte wie selten zuvor
gesehen. Daher ging auch diese Jury-Entscheidung völlig in
Ordnung. Zu jenen Akteuren, die bereits bekannt sind und in
Figueres nun eine neue Darbietung vorstellten, gehörten Ambra
und Yves Nicols. Erstmals zeigten sie öffentlich ihre
umgestaltete Tücher-Nummer. Beide traten als Goldmenschen auf,
mit Adagio-Bewegungen am Boden und den bekannt-riskanten
Touren in der Luft. Für „Golden Dream“ wurde nicht nur der
Stil geändert, sondern auch neue Tricks eingebaut; etwa ein
Abfaller von Ambra aus dem von Yves im Nacken gehaltenen Hang,
bei dem er sie anschließend mit den Füßen fängt. Noch wirkte
die Darbietung nicht komplett rund, was sich aber mit mehr
Routine, etwa auf der aktuellen „Roncalli Salto Vitale“-Tour,
sicher ergeben wird. Die Jury jedenfalls vergab schon jetzt
einen dritten „Elefant de Plata“.
Elefant de
Bronze: Duo Idols, Alexandra Levitskaya, Duo Miracle
Auch unter den Preisträgern
der „Elefant de Bronze“ fanden sich Luftnummern stark
vertreten. Eine schöne und ebenso trickstarke Darbietung an
den Strapaten boten Yulia Makeeva und Alexey Turchenko. In
tollen orientalisch-bunten Kostümen zeigten sie als Duo Idols
beispielsweise ebenfalls den Abfaller aus dem Nacken-Hang in
die Füße sowie das kraftvolle Auf- und das gemeinsame
Abwickeln an den Bändern. Alexandra Levitskaya tanzte einem
Pas de Deux gleich mit einem Hula Hoop-Reifen, während sie
dabei an einer Schlaufe über der Manege flog. Der Auftritt
lebte vom energischen wie sinnlichen Gefühl, welches die
russische Künstlerin vermittelte. Abschließend fing sie
unzählige Reifen auf und entschwand damit nochmals in die
Lüfte. Der dritte „Elefant de Bronze“ blieb dann am Boden,
beim Duo Miracle. Yevhiina Obolina und Roman Khazifov
verbanden dabei kontorsionistische Elemente mit Equilibristik.
Dabei verrenkten sich die beiden Ukrainer auf unglaublichste
Weisen. Khazifov diente oft als Podest für die Figuren seiner
Partnerin, nicht ohne selbst in abnormalsten Körperstellungen
zu verharren. Die klassische Begleitmusik gab der Nummer einen
leichten Charakter.
Preis der
Kritiker-Jury: Zhygaltsov Brothers, Preis der Fotografen-Jury:
SwanLake, mehrere Spezialpreise: Troupe Victor
Während über die Gewinner
der „Elefanten“ eine in diesem Jahr aus neun Persönlichkeiten
der internationalen Circuswelt bestehende Jury entschied,
wählten auch ein Kreis aus Kritikern und Fotografen ihre
Favoriten und vergab jeweils einen weiteren Hauptpreis. Die
Brüder Denys und Maksym Zhygaltsov überzeugten in diesem Jahr
die Kritiker. Auch den beiden Ukrainern gelang es ihrer Hand
auf Hand-Darbietung eine gewisse Leichtigkeit, wenn gleich
anderer Art, zu geben. Nicht kraftstrotzendes Auftreten,
sondern ein sympatischer Verkauf zeichnete die Nummer aus;
nicht ohne auch beeindruckende Variationen von Einarmern auf
Hand und Kopf des Untermannes zu zeigen. Der Preis der
Fotografen-Jury ging hingegen an SwanLake. Hinter diesem Namen
verbargen sich vier Kontosionistinnen aus der Mongolei. Mal
synchron zueinander, mal gemeinsamen arbeiten sie ihr
beachtliches Repertoire. Die weiteren Teilnehmer traten die
Heimreise zwar ohne Hauptpreis an; die meisten von ihnen
konnten sich allerdings über Spezialpreise freuen, die auch
hier zahlreich verliehen wurden. Dabei hätte man der ein oder
anderen Darbietung durchaus mehr gegönnt. Die Mitglieder der
Troupe Victor etwa mit ihrer fliegenden Perche wären da sicher
Kandidaten gewesen. Nach ihrem Gastspiel beim Gelsenkirchner
Weihnachtscircus hatten sich die Ukrainer einen neuen Stil als
Gaukler anno dazumal zu extravaganter Musik verpasst. Die
Tricks, bei denen die Perchestange samt Oberfrau durch die
Manege geworfen werden, waren freilich die gleichen.
Diabolo in Soul,
Duo Vitalys, Vardanyan Brothers
Auffallend war die starke
Präsenz der Luft- sowie der Hand-auf-Hand-Duos. So gab es
natürlich gute Vergleichsmöglichkeiten. Auch gelang es
Regisseur Patrick Rosseel und seinem Team, ein Gefühl der
Wiederholungen geschickt zu vermeiden. Dennoch bleibt der
Wunsch für die Zukunft nach unterschiedlicheren Genres.
Beispielsweise gab es diesem Jahr keinen Jongleur im
klassischen Sinne. Lediglich Diabolo in Soul ließen ihre
gleichnamigen Requisiten durch die Manege fliegen. Die
achtköpfige Formation aus Taiwan beherrschte nicht nur
synchrone Abläufe, sondern wusste auch mit manch
ungewöhnlichen Wurfmustern mit immer neuen Anspielvariationen
zu überraschen. Der Hand-auf-Hand-Akrobatik hatten sich
dagegen, wie gesagt, neben den bereits erwähnten Zhygaltsov
Brothers noch zwei weitere Duos verschrieben. Nahezu
unglaubliche Leistungen boten Andranik und Gevorg Vardanyan.
Die beiden Armenier reihten einen Spitzentrick an den
nächsten. Das war zugleich ihr Problem, ging ihnen doch
deutlich spürbar Kraft und Konzentration aus. Auch ihr
sensationeller Schlusstrick, bei dem der Obermann nur durch
den Mundstand gehalten wird, klappte oftmals erst nach
mehreren Anläufen oder musste gar abgebrochen werden. Damit
waren auch die Hauptpreise nicht mehr erreichbar. Das galt
auch für Pablo Panduro und Joel Saavedras. Das Augenmerk ihrer
Darbietung als Duo Vitalys lag auf den Passagen, in denen die
Peruaner kraftstrotzend Kopf-auf-Kopf durch die Manege
schritten. Dabei war auch ihnen die Anstrengung manchmal
deutlich anzusehen.
Taisia & Tim, History
Makers, Volkov & Elkina
Noch mehr Duos zog es in
die Luft. Neben den schon angeführten Nummern flogen auch
Taisia Bonderenko und Congyang Tang an den Strapaten. Das Duo
aus Russland und China konnte aber trotz sehenswerter Tricks
nicht ganz an die Leistungen der anderen anknüfen. Vielmehr
lag der Fokus wohl auf dem romantischen Charakter der Kür.
Makysm Kruglyk und Viktor Stepanenko setzten als einziges rein
männliches Duo auf kraftvolle Elemente an den Strapaten und
boten gar einen Kopf-auf-Kopf-Stand in der Luft. Die als
History Makers angetretetenen Ukrainer hatten aber ebenso das
Nachsehen wie Ksenia Elkina und Sergey Volkov. Die Russen
hatten sich Ketten als Requisiten für ihre Flugsequenzen und
Abfaller ausgesucht. Interessant, dass auch in die Kostüme
Haltegriffe integriert waren, die weitere Möglichkeiten
öffneten. Insgesamt aber wirkte auch dieser Auftritt zuweilen
sehr kraftstrotzend, trotz der Partnerin als verführerische
Diva im roten Kleid als Gegenpol.
KonstaninO, Paquin &
Angelo, Iuliia
Stetsenko
Das im Rahmen eines
Festivals nicht alle Darbietungen an das Niveau der übrigen
Teilnehmer herankommen, ist verständlich. Die Zahl der dies
betreffenden Nummern war allerdings in diesem Jahr in Figueres
erstaunlich gering. Konstantin Sherstnev konnte dem Cyr keine
frischen Ideen abgewinnen. Auch die auf Endzeit getrimmte
Verpackung des Russen war nicht wirklich neu. Iuliia Stetsenko
flog zwar energiegeladen am Luftring durchs Chapiteau und
zeigte auch auch eine Vielzahl der möglichen Tricks. Dennoch
schaffte es die Ukrainerin nicht, eine besondere Stimung zu
kreieren. Das musste man auch den mexikanischen Clowns Paquin
und Angelo attestieren. Ihre Reprisen als lebende Statuen und
mit der Schleuderbrett springenden Puppe waren wahrlich
bekannt. Auch die Mimik von Arturo Pérez Ramírez und seinem
als Weißclown agierenden Sohn Àngel vermochten nicht zum
Lachen zu animieren. Insgesamt gesehen gingen diese drei
Darbietungen deutlich gegenüber den anderen Akteuren unter,
was vielmehr für die zum Teil überstarke Konkurrenz und die
hohe Leistungsdichte bei dieser Veranstaltung spricht. |