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European Youth Circus 2018
Bericht ; Preisträger ; 175 Showfotos

Wiesbaden, 25.-28. Oktober 2018: Alle zwei Jahre bietet sich in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden ein Blick auf den europäischen Artisten-Nachwuchs. Die diesjährige Ausgabe des vom örtlichen Kulturamt organisierten European Youth Circus offenbart insbesondere zwei Tendenzen. So bestehen offenkundig nach wie vor ganz unterschiedliche ästhetische Vorstellungen zwischen Ost- und Westeuropa. Mehr noch zeigt sich: Die Zukunft des Circus und des Varietés kommt augenscheinlich aus der Ukraine, ist weiblich und jung, sogar sehr jung.

Noch nie war die Altersgruppe der 12- bis 17-Jährigen derart stark! Während in der Vergangenheit die herausragenden Darbietungen meist unter den 18- bis 25-jährigen Teilnehmern zu finden waren, so drücken diesmal gleich vier „Wunder-Mädchen“ aus der Ukraine dem Festival einen Stempel auf und buhlen um die Gunst von Jury und Zuschauern.


Vladyslava Naraieva, Valeriia Davydenko, Ameli Bilyk

Gold in der Altersgruppe I (12 bis 17 Jahre) erhält schließlich die 13-jährige Equilibristin Vladyslava Naraieva, die unter anderem im einarmigen Handstand eine Treppe hinauf hüpft und einen Turm aus Klötzchen abbaut. Dass sie den Vorzug vor ihrer gleichaltrigen Landsfrau Valeriia Davydenko bekommt, mag am originelleren Kostüm als Harlekin liegen. Davydenko jedenfalls präsentiert die elegantere Darbietung und steht auch technisch nicht hinten an, sos das mehr als Silber verdient gewesen wäre. Eine überragende Darbietung präsentiert auch Ameli Bilyk, die trotz ihrer ebenfalls erst 13 Jahre einen absolut sicheren Tanz auf dem Schlappseil hinlegt oder auf Händen auf diesem läuft. Neben Bronze gibt es auch den Publikumspreis.


Anna Plutakhina, Tightrope Walkers Kuznetsov

Noch mehr Charme strahlt die 12-jährige Anna Plutakhina aus. Trotz einer auch technisch sehr ordentlichen Nummer an Tüchern hat sie ein Nachsehen, erhält aber den Preis des ungarischen Circus- und Varietéverbandes Maciva. Ein weiterer Bronze-Preis geht indes nach Weißrussland. Was die fünf jungen Akrobaten der Tightrope Walkers Kuznetsov auf dem Drahtseil wagen, ist spektakulär: so überqueren sie ihr Requisit beispielsweise im Zwei-Personen-Hoch auf Stelzen, springen vom Drei-Personen-Hoch auf einen Vordermann oder rollen per Einrad das schräg gestellte Seil herab.


Zdenek Polach, Oleksandra Sobolieva, Duo Skyline

Zum dritten Mal in Folge kann sich in der Altersgruppe II (18 bis 25 Jahre) ein Jongleur durchsetzen. Zdenek Polach jongliert im schlichten schwarzen Kostüm mit kleinen weißen Bällen. Am Ende hält der Tscheche davon sieben Exemplare ausdauernd in der Luft. Insbesondere mit Originalität punktet Oleksandra Sobolieva aus der Ukraine, die mit vollschlanker Figur und im lässigen Flirt mit ihrem Assistenten die Hula Hoops kreisen lässt oder sie jongliert. Dafür gibt es Silber vor den beiden Landsfrauen, dem Bronze-Duo Skyline mit eleganten Haltefiguren und Abfallern an den Tüchern.


Four Sides, Saana Leppänen, Duo Olivia

Auffällig ist die eingangs angesprochene unterschiedliche Ästhetik – insbesondere in der Aufmachung der Darbietungen – zwischen Ost- und Westeuropa, die dieses Festival vereint. Da stehen beispielsweise ganz klassisch in Szene gesetzte Darbietungen wie das Drahtseil und dem noch nicht ganz reifen, dennoch mit einem Engagement beim Feuerwerk der Turnkunst belohnten Haltestuhl der Four Sides von der ungarischen Circusschule den zeitgenössischen Interpretationen der Finnin Saana Leppänen am Vertikalseil gegenüber, die für ihre Nummer die Auszeichnung der CVA Schweiz bekommt. Auch das mit dem Preis der Wiesbadener Kirchen ausgezeichnete Trapez-Duo Olivia aus Schweden und der vom Neuen Theater Höchst dekorierte Schweizer Jongleur Jeromy Zwick verkörpern den eher einen Neuen Circus-Stil.


Mike Togni jr., Nina Sugnaux, Alexander Mitin

Ganz anders hingegen das italienische Geschwisterpaar Sharon und Mike Togni jr., das den Traditionen mit Lasso-Spielen huldigt und ordentlich Tempo ins mastenfreie Zelt bringt. Dafür gibt es den Preis der GCD, während sich Nina Sugnaux über die Anerkennung des deutschen Varietéverbandes für ihre Darbietung am Tanztrapez freuen darf. Die Schweizerin präsentiert eine in der Aufmachung reduzierte Nummer mit ansprechenden Tricks; ebenso der russische Handstand-Equilibrist Alexander Mitin, der bekannte Vorbilder erkennen lässt. Engagements bei Grandezza Entertainment und im Tigerpalast warten nun auf ihn.


Azamat Aldanbaev, Louisa Sophia Drgala, Aki Haikonnen

Einige Darbietungen bleiben ohne Auszeichnung, etwa der auf Büchern balancierende Russe Azamat Aldanbaev, Louisa Sophia Drgala von diesjährigen Absolventenjahrgang der Berliner Artistenschule am Pole sowie die ebenfalls aus Deutschland stammenden Stella Garbe Huedo mit Equilibristik und Diabolo-Jongleur David Eisele. Auch der niederländische Strapaten-Artist Sander Boschma, die russischen Stelzenspringer Jump‘N‘Roll, Landsfrau Liubov Uliankina am Trapez und die beide aus Finnland stammenden Jongleure Ipsa ilpala mit Antipoden und Aki Haikonnen mit Ringen finden keine Berücksichtigung. Das hoch gehandelte moldawische Duo Our Story am chinesischen Mast fällt leider verletzt aus.


Axel Schiel

Mit Axel Schiel führt ein neuer Moderator durch die Vorstellungen, der die einzelnen Teilnehmer mit persönlichen Geschichten vorstellt. Regisseur Sebastiano Toma und seine Assistentin Pegah Ghalamber haben erneut für jeden Artisten ansprechende Videos kreiert, die zur Einstimmung auf den Artisteneingang projiziert werden. Darauf sitzt zwar erneut eine sechsköpfige Band, nur kommt diese leider kaum zum Einsatz. Ebenfalls zum Kreativteam gehört auch wieder Choreografin Sonia Bartucelli, die unter anderem Opening und Finale gestaltet hat und mit dem Musikstück „Circus“ von Mia einen eindringlichen Ohrwurm in die Köpfe von Artisten und Publikum setzt, der die fröhliche Stimmung des Festivals perfekt transportiert.

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Text: Benedikt Ricken; Fotos: Stefan Gierisch