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10. Internationales Circus-Festival Budapest 2014
www.fnc.hu

Budapest, 11. bis 13. Januar 2014: „Werden die Cassellys ihren Siegeszug fortsetzen können?“, hieß es fragend im Vorwort zum 10. Internationalen Circusfestival in Budapest. Die Jury entschied: Ja, sie können. Mit ihrer Akrobatik auf dem Rücken ihrer Elefanten waren Merrylu und René jr. Casselly auch in der ungarischen Hauptstadt nicht von der Spitze zu verdrängen. Aber sie bekamen hochkarätige Konkurrenz. Auch die Truppe um Jozsef Richter jr. mit Jockeyreiterei und die chinesischen Akrobaten aus Qingdao landeten ganz vorne. Dreimal Gold – das gab es noch nie in Budapest.

Seit 1996 wetteifern alle zwei Jahre hier – im festen Circusbau der Stadt - Artisten um die Preise, „Pierrots“ genannt. So konnte man in diesem Jahr die zehnte Auflage der renommierten Veranstaltung feiern. Zugleich war es das erste Festival unter der Leitung von Direktor Jozsef Richter, der vor rund zwei Jahren die Führung des Baus übernommen hat. Zusammen mit seinem Team, allen voran Rita Rónyai als Koordinatorin des Festivals, hatte Richter viele richtig starke Nummern eingeladen – kein Wunder also, dass mehr Hauptpreise vergeben wurden als all die Male zuvor. Anders als in der Vergangenheit waren viele Darbietungen der zwei Auswahlvorstellungen – mit zwei Ausnahmen allesamt Vertreter des klassischen Circus – aus westeuropäischen Manegen bekannt. Überraschungen, wie man sie sich von Festivals eigentlich erhofft und in Budapest auch immer wieder erlebte, gab es diesmal wohl deshalb leider nicht.


Familie Casselly, Truppe aus Qingdao, Truppe Jozsef Richter jr.

Dreimal verlieh die Jury um Fredy Knie jr. also in diesem Jahr Gold. Die trickreiche und kreative Akrobatik-Routine der Casselly-Junioren Merrylu und Rene jr. auf dem Rücken der vier afrikanischen Elefanten errang auch in Budapest die höchste Punktzahl. Höhepunkt ist nun wieder Renés vierfacher Salto vom Schleuderbrett auf den Dickhäuter. Viermal Standing Ovations während der Darbietung. Mehr Worte müssen über diese aktuell unerreichte Nummer wohl nicht mehr verloren werden. Die gemeinsame Darbietung von Elefanten und Pferden war zwar auch in den Auswahlvorstellungen zu sehen, wurde diesmal aber nicht mit einem Preis bedacht. Mitunter ähnliche Tricks wie die Elefanten-Akrobatik der Cassellys beinhaltete die Jockeyreiteri der Truppe um Jozsef Richter jr. Seit dem letzten Besuch in Budapest, Ende November, wurde offensichtlich noch mal kräftig trainiert, das Trickrepertoire erweitert und eine typisch ungarische, folkloristische Inszenierung samt Ballett geschaffen. Zwei-Mann-Hoch zu Pferd, Radkaskaden auf drei Pferden parallel, Salto vom Zwei-Personen-Hoch aufs zweite Pferd (durch Springerin Anikó Biró), Saltos vom ersten zum zweiten und dann zum dritten Vierbeiner und mehrere schnelle Saltos hintereinander von Jozsef jr. gehören zum dynamisch präsentierten Ablauf, der mit dem gemeinsamen Reiten der vier Akteure auf einem Pferd endet. Dritte Gold-Gewinner waren die chinesischen Akrobaten aus Qingdao mit gleich zwei Darbietungen. Am doppelten Mast produzierte die zwölfköpfige Gruppe risikoreiche Sprünge und Salti von Mast zu Mast, waghalsige Abfaller und kräftezehrende Posen. Ihre Ikarier-Arbeit begeisterte mit synchronen Abläufen, Passage, Salti und Pirouetten – auch über mehrere Etagen hinweg. Im Winter waren sie Teil der Flic Flac-Weihnachtsshow in Nürnberg.


Super Silva, Trio Stoian, Trio Lázló Simet

Ebenfalls bei Flic Flac, allerdings in Dortmund, konnte man Super Silva bestaunen. Sein Schlaufenlauf und der Sprung von Trapez zu Trapez ohne jegliche Sicherung ließen auch in Budapest sehr vielen Besuchern den Atem stocken. Dafür bedachte ihn die Jury ebenso mit Silber wie das Trio Lázló Simet. Zusammen mit seiner Frau Olga und der gemeinsamen Partnerin Diana Bakk hatte er das Semaphore als Requisit wiederbelebt, welches zuletzt Anfang der 1990er Jahre gezeigt wurde. Die Konstruktion erinnerte durchaus an ein Todesrad, anstatt der Kessel gab es allerdings nur einen einzelnen dünnen Bogen. Daher ähnelten die Balancen und Tricks auch eher einem Drahtseilakt. So gab es einen Kopfstand auf einem zusätzlich in Balance gehaltenen Balken, ein Zwei-Personen-Hoch inklusive Aufstehen vom Stuhl und abschließend die Fahrt mit dem Fahrrad zu sehen. Während Lázló Simet das Rad fuhr, stand eine Partnerin auf dem Rad, die andere hing an Schlaufen unterhalb des Rades. Vom russischen Regisseur Ruslan Ganeiev wurde die Darbietung zudem durchdacht in Szene gesetzt. Die Artisten agierten als Astronauten mit Raumanzug und Helm; sphärische Klänge und abgestimmte Lichtprojektionen machten die Nummer perfekt. Silber gab es zudem für das Trio Stoian und seine Arbeit auf dem russischen Barren. Die weibliche Springerin überzeugte beispielsweise mit drei hintereinander gesprungenen zweifachen Salti, es folgte ein ebenfalls einwandfrei gestandener dreifacher Salto.


Sampion Bouglione, Duo Maybe, Truppe Stynko

Die zweite Barren-Darbietung der vierköpfigen Truppe Stynko musste sich hingegen trotz zwei dreifacher Salti hintereinander mit Bronze begnügen. Vielleicht war die merkwürdige Inszenierung – ganz in weiß, als spielende Kinder (?) – der Formation des Rosgoscirk Schuld daran. Originelle Elemente, jetzt im positiven Sinne, boten auch die weiteren Bronze-Gewinner. Sampion Bouglione verband seine Bouncing-Jonglage mit Stepptanz und schlug am Ende sogar Salti, während er sieben Bälle in Bewegung hielt. Victoriia Kovalenko, die mit Partner Iurii Grynchuk das Duo Maybe bildet, dagegen hielt sich am Boden stets im Spitzentanz auf, während ihre Strapaten-Nummer durch Sinnlichkeit, Nähe und starke Tricks, darunter mehrere Abfaller, gekennzeichnet war. Beide waren im Winter in Karlsruhe (Dinnershow „Crazy Palace“) zu sehen. Noch besser bekannt in Deutschland, von Barum und Charles Knie, sind Ambra und Yves Nicols mit ihrem Duett an Tüchern, dem sie mit Live-Gesang und Tango die besondere Note geben. Charles Knie-Kollege César Dias erhielt den fünften Bronze-Preis. Wer seine Reaktionen und den Jubel aller Anwesenden bei der Preisvergabe miterleben durfte, der merkte, wie unerwartet und überwältigend diese Auszeichnung für den jungen Komiker war. Mit seinem Pistolen-Duell und der „My Way“-Performance hatte er Publikum und – verdientermaßen – auch die Jury auf seiner Seite.


Georgio Hromadko, Nathalie Bouglione, Huang Yang 

Einen weiteren Hauptpreis hätte auch Huang Yang verdient gehabt. Die Chinesin stand ihren männlichen Mitstreitern auf dem Schlappseil in nichts nach. Sie musste sich mit einem Sonderpreis zufrieden geben, ebenso wie Diabolo-Wirbelwind Georgio Hromadko, der kurz auch vier Diabolos in der Luft hielt, der junge Bouncing-Jongleur David Enoch Sosmann und Nathalie Bouglione mit ihrer geschmackvollen und leistungsstarken Strapaten-Kür. Mit den rockigen Feuerspielen der Los Alamos sowie Merrylu Casselly, die mit ihren erstklassigen Kontorsionen kurzfristig für die wegen Visa-Problemen ausgefallenen Messoudis eingesprungen war, erhielten auch die weiteren deutschen Vertreter Sonderpreise. Ganz ohne Preise mussten die Handvoltigeure „The Godfathers“, die Recktruppe Zhuk, die Flugtrapez-Akteure der Flying Havannas und das Rollschuh-Duo Triberti abreisen. Auch Deckenläuferin Graziella Balan, Reifenjongleur Valeri Tkach, die Kaskadeur-Brüder Geraysmenko und das Duo Azelle mit Akrobatik am horizontal hängenden Luftring gingen leer aus. Lisandra Sanchez Cros an Tüchern und Kateryna Sheludykova mit einer Kombination aus Handstand und Hula Hoop komplettierten die Auswahlvorstellungen.


Valeri Tkach, The Godfathers, Kateryna Sheludykova

Besonders schwer war es in diesem Jahr für die Clowns und Komiker. Da gleich vier Künstler(-Duos) eingeladen worden waren, gab es kaum Gelegenheit, sich und seine Reprisen rundum zu präsentierten. Am besten nutzen konnte das noch – wie erwähnt – César Dias. Daneben wagte sich Don Christian in den Boxring und machte das Publikum zum Orchester. Seine spanisch-amerikanischen Kollegen Tom und Pepe musizierten mit einem Gast und bauten sich arg melancholisch als Tramps einen Schlafplatz auf der Parkbank, während Steve und Jones Caveagna so gar nicht poetisch lieber zu moderner Musikauswahl durch die Manege tanzten anstatt sich – wie eigentlich vorgenommen – akrobatisch und musikalisch zu betätigen. Auch für sie alle gab es keine Preise. Konstanten der Auswahlvorstellungen und der Gala, in der zusätzlich Gentlemen-Jongleur Kris Kremo als „Special Guest“ auftrat, waren das große, hervorragende Live-Orchester unter Attila Maka – welches auch vergleichsweise oft zum Einsatz kam – und Sprecher Gyula Maka. Schade, dass die Moderation anders als noch vor zwei Jahren ausschließlich in ungarischer Sprache erfolgte. So musste man sich im informativen, zweisprachigen Programmheft oder über die neu oberhalb des Artisteneingangs installierte LED-Leinwand mit den Akteuren vertraut machen.


Tom und Pepe, Steve und Jonas Caveagna, César Dias

Fürs Opening in allen Shows sorgten eine zehnköpfige junge Tanzgruppe sowie anschließend ein Ensemble der staatlichen Artistenschule Imre Baross. Die 30 Absolventen zeigten zu Live-Gesang Ausschnitte aus Luft- und Bodenakrobatik, Hebefiguren und Voltigen sowie Parcour-Sprünge. Anders als in den vergangenen Ausgaben präsentierte sich die Circusschule hingegen nicht in der ungarischen Show, die das Festival-Programm traditionell ergänzt. In diesem Jahr hatte man unter dem Titel „Dream in the Circus“ meist gestandene, durchaus bekannte Nummern zusammengeholt. Leider konnten nur einige Darbietungen wirklich überzeugen. Den stärksten Eindruck hinterließ dabei das brasilianisch-ungarische Trapez-Duo Lameth (Boglàrka Németh und Eduardo Lamberti) in einer ruhigen, stilvollen Präsentation mit hochwertigen Tricks, beispielsweise dem Genickhang in den Händen des Partners. Ansprechend waren auch die Leistungen von Handstandequilibrist Attila Fabian, Bouncing-Jongleur Oliver Zsilak, der vom Wiesbadener Nachwuchsfestival bekannten Einrad-Gruppe Black Roses und des Trios Sarközi, das traditionell mit Keulen, Ringen und Reifen jonglierte. Beachtliche Tricks bot auch Jenny Németh am Netz. Ihrem Auftritt merkte man allerdings noch an, dass die junge Künstlerin ihre Ausbildung an der Circusschule von Verona noch nicht abgeschlossen hat. Anna Kodak zeigte herkömmliche Kontorsionen als Meerjungfrau. Klassische Komödianten-Kunst boten Henrik und Ildi Krai mit spanisch angehauchten Peitschenspielen sowie David und Nicolette Adam mit Stuhlbalance, allerdings in geringer Höhe. Letztere kommen ebenso wie Krisztian Adam, der das Hochseil u.a. blind und mit dem Fahrrad überquerte, vom „Europa Cirkusz“. Clown Mr. Gerald (Gerald Steingruber) stellte eine Band zusammen, Gabor Hrisafish und Gabor Szabo jonglierten mit Hüten, und Franco Olivera mimte den komischen „Macho-Goucho“. Mit seiner Partnerin Adele Cersosimo ließ er – wie zuletzt im Waiblinger Weihnachtscircus – auch Papageien fliegen. Weitere Tiernummer war die Katzendressur von Fatime und Paczo Peychev, der als „angetrunkener Gast“ zudem auf dem Trampolin seine Eskapaden produzierte.

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Text: Benedikt Ricken; Fotos: Alexander Leumann