Seit 1996 wetteifern alle zwei
Jahre hier – im festen Circusbau der Stadt - Artisten um die
Preise, „Pierrots“ genannt. So konnte man in diesem Jahr die
zehnte Auflage der renommierten Veranstaltung feiern. Zugleich
war es das erste Festival unter der Leitung von Direktor Jozsef
Richter, der vor rund zwei Jahren die Führung des Baus
übernommen hat. Zusammen mit seinem Team, allen voran Rita
Rónyai als Koordinatorin des Festivals, hatte Richter viele
richtig starke Nummern eingeladen – kein Wunder also, dass mehr
Hauptpreise vergeben wurden als all die Male zuvor. Anders als
in der Vergangenheit waren viele Darbietungen der zwei
Auswahlvorstellungen – mit zwei Ausnahmen allesamt Vertreter des
klassischen Circus – aus westeuropäischen Manegen bekannt.
Überraschungen, wie man sie sich von Festivals eigentlich
erhofft und in Budapest auch immer wieder erlebte, gab es
diesmal wohl deshalb leider nicht.
Familie Casselly,
Truppe aus Qingdao, Truppe Jozsef Richter jr.
Dreimal verlieh die Jury um Fredy
Knie jr. also in diesem Jahr Gold. Die trickreiche und kreative
Akrobatik-Routine der Casselly-Junioren Merrylu und Rene jr. auf
dem Rücken der vier afrikanischen Elefanten errang auch in
Budapest die höchste Punktzahl. Höhepunkt ist nun wieder Renés
vierfacher Salto vom Schleuderbrett auf den Dickhäuter. Viermal
Standing Ovations während der Darbietung. Mehr Worte müssen über
diese aktuell unerreichte Nummer wohl nicht mehr verloren
werden. Die gemeinsame Darbietung von Elefanten und Pferden war
zwar auch in den Auswahlvorstellungen zu sehen, wurde diesmal
aber nicht mit einem Preis bedacht. Mitunter ähnliche Tricks wie
die Elefanten-Akrobatik der Cassellys beinhaltete die
Jockeyreiteri der Truppe um Jozsef Richter jr. Seit dem letzten
Besuch in Budapest, Ende November, wurde offensichtlich noch mal
kräftig trainiert, das Trickrepertoire erweitert und eine
typisch ungarische, folkloristische Inszenierung samt Ballett
geschaffen. Zwei-Mann-Hoch zu Pferd, Radkaskaden auf drei
Pferden parallel, Salto vom Zwei-Personen-Hoch aufs zweite Pferd
(durch Springerin Anikó Biró), Saltos vom ersten zum zweiten und
dann zum dritten Vierbeiner und mehrere schnelle Saltos
hintereinander von Jozsef jr. gehören zum dynamisch
präsentierten Ablauf, der mit dem gemeinsamen Reiten der vier
Akteure auf einem Pferd endet. Dritte Gold-Gewinner waren die
chinesischen Akrobaten aus Qingdao mit gleich zwei Darbietungen.
Am doppelten Mast produzierte die zwölfköpfige Gruppe
risikoreiche Sprünge und Salti von Mast zu Mast, waghalsige
Abfaller und kräftezehrende Posen. Ihre Ikarier-Arbeit
begeisterte mit synchronen Abläufen, Passage, Salti und
Pirouetten – auch über mehrere Etagen hinweg. Im Winter waren
sie Teil der Flic Flac-Weihnachtsshow in Nürnberg.
Super Silva, Trio Stoian, Trio
Lázló Simet
Ebenfalls bei Flic Flac,
allerdings in Dortmund, konnte man Super Silva bestaunen. Sein
Schlaufenlauf und der Sprung von Trapez zu Trapez ohne jegliche
Sicherung ließen auch in Budapest sehr vielen Besuchern den Atem
stocken. Dafür bedachte ihn die Jury ebenso mit Silber wie das
Trio Lázló Simet. Zusammen mit seiner Frau Olga und der
gemeinsamen Partnerin Diana Bakk hatte er das Semaphore als
Requisit wiederbelebt, welches zuletzt Anfang der 1990er Jahre
gezeigt wurde. Die Konstruktion erinnerte durchaus an ein
Todesrad, anstatt der Kessel gab es allerdings nur einen
einzelnen dünnen Bogen. Daher ähnelten die Balancen und Tricks
auch eher einem Drahtseilakt. So gab es einen Kopfstand auf
einem zusätzlich in Balance gehaltenen Balken, ein
Zwei-Personen-Hoch inklusive Aufstehen vom Stuhl und
abschließend die Fahrt mit dem Fahrrad zu sehen. Während Lázló
Simet das Rad fuhr, stand eine Partnerin auf dem Rad, die andere
hing an Schlaufen unterhalb des Rades. Vom russischen Regisseur
Ruslan Ganeiev wurde die Darbietung zudem durchdacht in Szene
gesetzt. Die Artisten agierten als Astronauten mit Raumanzug und
Helm; sphärische Klänge und abgestimmte Lichtprojektionen
machten die Nummer perfekt. Silber gab es zudem für das Trio
Stoian und seine Arbeit auf dem russischen Barren. Die weibliche
Springerin überzeugte beispielsweise mit drei hintereinander
gesprungenen zweifachen Salti, es folgte ein ebenfalls einwandfrei
gestandener dreifacher Salto.
Sampion Bouglione, Duo Maybe,
Truppe Stynko
Die zweite Barren-Darbietung der
vierköpfigen Truppe Stynko musste sich hingegen trotz zwei
dreifacher Salti hintereinander mit Bronze begnügen. Vielleicht
war die merkwürdige Inszenierung – ganz in weiß, als spielende
Kinder (?) – der Formation des Rosgoscirk Schuld daran.
Originelle Elemente, jetzt im positiven Sinne, boten auch die
weiteren Bronze-Gewinner. Sampion Bouglione verband seine
Bouncing-Jonglage mit Stepptanz und schlug am Ende sogar Salti,
während er sieben Bälle in Bewegung hielt. Victoriia Kovalenko,
die mit Partner Iurii Grynchuk das Duo Maybe bildet, dagegen
hielt sich am Boden stets im Spitzentanz auf, während ihre
Strapaten-Nummer durch Sinnlichkeit, Nähe und starke Tricks,
darunter mehrere Abfaller, gekennzeichnet war. Beide waren im
Winter in Karlsruhe (Dinnershow „Crazy Palace“) zu sehen. Noch
besser bekannt in Deutschland, von Barum und Charles Knie, sind
Ambra und Yves Nicols mit ihrem Duett an Tüchern, dem sie mit
Live-Gesang und Tango die besondere Note geben. Charles
Knie-Kollege César Dias erhielt den fünften Bronze-Preis. Wer
seine Reaktionen und den Jubel aller Anwesenden bei der
Preisvergabe miterleben durfte, der merkte, wie unerwartet und
überwältigend diese Auszeichnung für den jungen Komiker war. Mit
seinem Pistolen-Duell und der „My Way“-Performance hatte er
Publikum und – verdientermaßen – auch die Jury auf seiner Seite.
Georgio Hromadko,
Nathalie Bouglione, Huang Yang
Einen weiteren Hauptpreis hätte
auch Huang Yang verdient gehabt. Die Chinesin stand ihren
männlichen Mitstreitern auf dem Schlappseil in nichts nach. Sie
musste sich mit einem Sonderpreis zufrieden geben, ebenso wie
Diabolo-Wirbelwind Georgio Hromadko, der kurz auch vier Diabolos
in der Luft hielt, der junge Bouncing-Jongleur David Enoch
Sosmann und Nathalie Bouglione mit ihrer geschmackvollen und
leistungsstarken Strapaten-Kür. Mit den rockigen Feuerspielen
der Los Alamos sowie Merrylu Casselly, die mit ihren
erstklassigen Kontorsionen kurzfristig für die wegen
Visa-Problemen ausgefallenen Messoudis eingesprungen war,
erhielten auch die weiteren deutschen Vertreter Sonderpreise. Ganz ohne Preise mussten die
Handvoltigeure „The Godfathers“, die Recktruppe Zhuk, die
Flugtrapez-Akteure der Flying Havannas und das Rollschuh-Duo
Triberti abreisen. Auch Deckenläuferin Graziella Balan,
Reifenjongleur Valeri Tkach, die Kaskadeur-Brüder Geraysmenko
und das Duo Azelle mit Akrobatik am horizontal hängenden
Luftring gingen leer aus. Lisandra Sanchez Cros an Tüchern und
Kateryna Sheludykova mit einer Kombination aus Handstand und
Hula Hoop komplettierten die Auswahlvorstellungen.
Valeri Tkach, The Godfathers, Kateryna Sheludykova
Besonders schwer war es in diesem
Jahr für die Clowns und Komiker. Da gleich vier Künstler(-Duos)
eingeladen worden waren, gab es kaum Gelegenheit, sich und seine
Reprisen rundum zu präsentierten. Am besten nutzen konnte das
noch – wie erwähnt – César Dias. Daneben wagte sich Don
Christian in den Boxring und machte das Publikum zum Orchester.
Seine spanisch-amerikanischen Kollegen Tom und Pepe musizierten
mit einem Gast und bauten sich arg melancholisch als Tramps
einen Schlafplatz auf der Parkbank, während Steve und Jones
Caveagna so gar nicht poetisch lieber zu moderner Musikauswahl
durch die Manege tanzten anstatt sich – wie eigentlich
vorgenommen – akrobatisch und musikalisch zu betätigen. Auch für
sie alle gab es keine Preise. Konstanten der
Auswahlvorstellungen und der Gala, in der zusätzlich
Gentlemen-Jongleur Kris Kremo als „Special Guest“ auftrat, waren
das große, hervorragende Live-Orchester unter Attila Maka –
welches auch vergleichsweise oft zum Einsatz kam – und Sprecher
Gyula Maka. Schade, dass die Moderation anders als noch vor zwei Jahren
ausschließlich in ungarischer Sprache erfolgte.
So musste man sich im informativen, zweisprachigen Programmheft
oder über die neu oberhalb des Artisteneingangs installierte
LED-Leinwand mit den Akteuren vertraut machen.
Tom und Pepe,
Steve und Jonas Caveagna, César Dias
Fürs Opening in allen Shows
sorgten eine zehnköpfige junge Tanzgruppe sowie anschließend ein
Ensemble der staatlichen Artistenschule Imre Baross. Die 30
Absolventen zeigten zu Live-Gesang Ausschnitte aus Luft- und
Bodenakrobatik, Hebefiguren und Voltigen sowie Parcour-Sprünge.
Anders als in den vergangenen Ausgaben präsentierte sich die
Circusschule hingegen nicht in der ungarischen Show, die das
Festival-Programm traditionell ergänzt. In diesem Jahr hatte man
unter dem Titel „Dream in the Circus“ meist gestandene, durchaus
bekannte Nummern zusammengeholt. Leider konnten nur einige
Darbietungen wirklich überzeugen. Den stärksten Eindruck
hinterließ dabei das brasilianisch-ungarische Trapez-Duo Lameth
(Boglàrka Németh und Eduardo Lamberti) in einer ruhigen,
stilvollen Präsentation mit hochwertigen Tricks, beispielsweise
dem Genickhang in den Händen des Partners. Ansprechend waren
auch die Leistungen von Handstandequilibrist Attila Fabian,
Bouncing-Jongleur Oliver Zsilak, der vom Wiesbadener
Nachwuchsfestival bekannten Einrad-Gruppe Black Roses und des
Trios Sarközi, das traditionell mit Keulen, Ringen und Reifen
jonglierte. Beachtliche Tricks bot auch Jenny Németh am Netz.
Ihrem Auftritt merkte man allerdings noch an, dass die junge
Künstlerin ihre Ausbildung an der Circusschule von Verona noch
nicht abgeschlossen hat. Anna Kodak zeigte herkömmliche
Kontorsionen als Meerjungfrau. Klassische Komödianten-Kunst
boten Henrik und Ildi Krai mit spanisch angehauchten
Peitschenspielen sowie David und Nicolette Adam mit
Stuhlbalance, allerdings in geringer Höhe. Letztere kommen
ebenso wie Krisztian Adam, der das Hochseil u.a. blind und mit
dem Fahrrad überquerte, vom „Europa Cirkusz“. Clown Mr. Gerald
(Gerald Steingruber) stellte eine Band zusammen, Gabor Hrisafish
und Gabor Szabo jonglierten mit Hüten, und Franco Olivera mimte
den komischen „Macho-Goucho“. Mit seiner Partnerin Adele
Cersosimo ließ er – wie zuletzt im Waiblinger Weihnachtscircus –
auch Papageien fliegen. Weitere Tiernummer war die Katzendressur
von Fatime und Paczo Peychev, der als „angetrunkener Gast“ zudem
auf dem Trampolin seine Eskapaden produzierte.
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