Der Spross der weit
verzweigten Schweizer Circusfamilie, diplomiert an französischen
Theaterschulen, ist als Autor und Regisseur der Kopf eines
ganzen Kreativteams, zu dem außerdem Lorène Martin (Kostüme),
Edelio Lopez Vasquez (Choreographie), Antonin Bouvret
(Bühnenbild), Manuel Voirol (Musik), Johnny Gasser (technische
Diektion) und Claude Bariteau (Licht) gehören. Sicher mussten
Jocelyne und Heinrich Gasser immer wieder auf ihre innere Stimme
hören und dieser vertrauen, um die Wege mitzugehen, auf die ihre
Kinder vordringen wollten. Dass der Weg der richtige war, davon
sind sie schon lange fest überzeugt.
 
Schlangen vor der Kasse
beim Gastspiel in La-Chaux-de-Fonds
Und das Bild eines ausverkauften
Chapiteaus an diesem Sonntagmorgen in La Chaux-de-Fonds ist
Beleg genug. Zwei Monate nach der Saisonpremiere spricht
Heinrich Gasser von einem großen Erfolg. Während der
dreimonatigen Tournee wechseln sich öffentliche Vorführungen und
verkaufte Schulvorstellungen ab.
  
Batchimeg Batbeh und
Azjargal Damba, Renaud Monthoux, Laurine Dumora
Um die innere Stimme geht es auch
in „MOI“ (zu Deutsch: „mich“), der neuen Kreation von
Christopher D. Gasser. Diese Stimme fordere uns jeden Tag und zu
jeder Zeit. Sie sage uns, was und wie wir es tun sollen – in
einer Welt zwischen Zweifeln und Perspektiven, in der unzählige
Türen Zugang zu unseren Gedanken und unserer Vorstellungskraft
bieten. Und so erleben wir im Opening das gesamte Ensemble, das
durch verschiedene Türen auf der Bühne tritt oder sich in
geöffneten Türen gegenübersteht wie vor einem Spiegel. Aus der
Artistenschar sticht der junge Komiker und Sänger Renaud
Monthoux hervor. Der Mann ganz in schwarz – mit Hose, Weste,
Gehrock und Zylinder – entsteigt einem großen Käfig und ist
offenkundig auf der Suche nach etwas. Es ist die „Lösung“, die
er vermisst und der er hinterherjagt. Dazu blättert er immer
und immer wieder in weißen Flugblättern, die eine besondere
Rolle in dieser Produktion spielen und an verschiedensten
Stellen zum Einsatz kommen. Die erste artistische Nummer gehört
Laurine Dumora. Sie erwacht aus dem Schlaf und wechselt dann ans
Tanztrapez, wo sie an den Seilen einen Überschlag zeigt, in der
Luft kreist, Rückwärts-Umschwünge um die Stange beherrscht oder
den Fershang wagt.
  
Eisuke Saito, Jessica
Gasser, Alexia Voirol
Eisuke Saito bastelt für seine
Angebetete ein Herz aus einem Luftballon, doch der Mann in schwarz
zerstört den Ballon, worauf sein Gegenüber weinen muss. Nun
tritt die Komikerin Alexia Voirol auf, in ein wundervolles Kleid
aus mehr als 4000 leeren Luftballons gehüllt. Es wurde eigens im
und für den Cirque Starlight gefertigt. Ohnehin zeichnet sich
diese Produktion durch sehr schöne Kostüme aus, die schwarzen
Grund mit vielfarbigen Zeichnungen kombinieren, wie sie sich
auch auf dem Gesicht im Plakatmotiv wiederfinden. Neben seinem
Beitrag zur Handlung beweist Eisuke Saito, dass er auch ein
famoser Diabolojongleur ist. Bis zu drei von ihnen lässt er
fliegen, begleitet von dynamischer Livemusik. Leistung und Musik
lassen das Publikum gleich mitgehen. Letztere wird auf der
Empore des Bühnenbildes von Sylvie Amadio (Akkordeon), Manuel
Voirol (Violine) und Leonardo Francia (Percussion) gespielt – es
ist das erste Mal in mehr als 15 Jahren, in denen wir den Cirque
Starlight verfolgen, dass auf der Bühne Musik gemacht wird.
Leonardo Francia und Direktionstochter Jessica Gasser haben
übrigens während des Gastspiels in La Chaux-de-Fonds geheiratet,
ebenso wie Christopher D. Gasser und seine Partnerin. Jessica
Gasser ist nach längerer Pause wieder einmal in einem der
Starlight-Programme vertreten. Eigentlich hat sie sich eine
Duo-Trapeznummer gemeinsam mit Elise Martin erarbeitet, doch
aufgrund einer Verletzung der Partnerin zeigt sie eine
Ersatznummer am Luftring. Strapatenbänder am Requisit sorgen für
zusätzliche Möglichkeiten.
  
Renaud Monthoux, Dimitri
Terribilini, Jessica Gasser
Auf seiner Suche nach sich selbst
rezitiert Renaud Monthoux, der Mann in schwarz bekannte Zitate
der Weltliteratur („Sein oder nicht sein“) und die große Frage,
was denn nun zuerst da war, das Huhn oder das Ei. Wenn Dimitri
Terribilini seine Akrobatik am Masten zeigt, dann tut er dies in
einem Kranz aus Türen, die sein Requisit umringen. Scheinbar
mühelos erklimmt er dieses, zelebriert kraftvolle Posen. Die
Damen des Ensembles feuern ihn zunächst an, lassen ihn dann
jedoch alleine. Schlussendlich saust er kopfüber den Mast
hinunter, sich nur mit den Füßen haltend, und stoppt nur knapp
über dem Boden. Jessica Gasser und weitere Artistinnen
stehen im Mittelpunkt einer Nummer, bei der sich im Dunkeln
fluoreszierende Hula-Hoop-Reifen drehen und mit ebenso
leuchtenden Reifen jongliert und getanzt wird, begleitet von
aufpeitschenden Klängen.
  
Batchimeg Batbeh und
Azjargal Damba, Eisuke Saito, Laurine Dumora
Hälfte zwei nach der Pause
startet ebenfalls mit in der Dunkelheit leuchtenden Requisiten.
Insgesamt vier Diabolos hängen an langen Schnüren, die an dem
unter der Zeltkuppel schwebenden Käfig befestigt sind. Eisuke
Saito beweget sie mit dem Seil zwischen den Handstöcken in der
Art einer Horizontaljonglage, wie wir sie mit Bällen kennen.
Dazu lässt der schwarze Mann von oben seine Flugblätter regnen.
Zurück am Boden, sammelt er diese hektisch wieder ein. Batchimeg
Batbeh und Azjargal Damba zelebrieren Haltefiguren an einem
interessanten luftakrobatischen Requisit. Es besteht aus zwei
ineinander verschränkten Luftringen, so dass quasi eine
Kugelform entsteht. Eine Mittelachse, aber auch zwei
Handschlaufen bieten zusätzliche Möglichkeiten für Tricks. So
hält sich eine der Artistinnen nur mit einem Fuß zwischen den
Oberschenkeln der Partnerin. Ein doppelter Genickhangwirbel
gehört ebenfalls zum Repertoire. Der rastlose Mann in schwarz
wird von Jessica Gasser schließlich dazu aufgefordert, seine
Suche zu beenden, sich zu befreien und lieber auf die innere
Stimme zu hören. Er hört auf sie und zerknüllt seine Blätter, in
denen er zuvor die Wahrheit suchte. Laurine Dumora dreht nun zu
rockig-fröhlicher Musik ihre Runden im Rhönrad, nicht nur die
Lichtstimmung wird zunehmend heller.
  
Batchimeg Batbeh und
Azjargal Damba, Laurine Dumora, Alexia Voirol
Der aus seinen Zwängen befreite
schwarze Mann wagt nun einen fröhlichen Tanz gemeinsam mit den
anderen. Nochmals gibt es einen melancholischen Moment – bei
einer Reminiszenz an das Programm 2022, in dem Renaud Monthoux
ebenfalls das prägende Gesicht war und damals den Wächter des
Limbus, der Vorhölle, spielte. Wieder ertönt sein damaliger,
sehnsuchtsvoller Gesang und erscheinen die markanten
Maskenfiguren. Sie verkörpern Seelen, die ohne eigenes
Verschulden vom Himmel ausgeschlossen sind. Doch schnell werden
sie von den anderen weggezogen. Aexia Voirol erscheint nochmals
in einer wundervollen Kostümkreation, einem eleganten roten
Kleid, in dem sie mit dem Mann in schwarz einen Tango tanzt.
Wunderbar sind auch die mit unzähligen Spiegeln besetzten
Kleider, die Batchimeg Batbeh und Azjargal Damba tragen. In
einer geöffneten Tür stehen sie sich zunächst gegenüber wie beim
klassischen „Spiegelentree“, werfen sich ihre Jonglierkeulen
dann bei Passings durch den Türrahmen zu, begleitet von
treibender Musik. Rücken an Rücken, dann auf Einrädern und
Hochrädern zeigen sie ihre Jonglagekunst. Zurück am Boden
gelingt es der einen, sämtliche Requisiten zu fangen, die ihr
von der Partnerin zugeworfen werden. Nun befreit sich der
schwarze Mann endgültig von seinen Flugblättern und hört nur
noch auf die innere Stimme. Laurine Dumor zelebriert ihre
intensive Akrobatik am Vertikalseil, von eindringlichem
Chorgesang begleitet. Nochmal defiliert Alexia in einem
herrlichen Kleid, dieses erscheint nun wie aus Flugblättern
gefertigt. Und aus der geöffneten Tür im Hintergrund weht ein
Sturm der nun nutzlos gewordenen Flugblätter auf die Bühne. |