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Circus Theater Roncalli - Tour 2023
www.roncalli.de ; 200 Showfotos

Bonn, 25. März 2023: Auch für sein Gastspiel in Bonn hat sich Roncalli wieder einen ganz besonderen Platz ausgesucht. Gespielt wird auf einer Fläche am Alten Zoll, nur durch eine Straße vom Hofgarten getrennt, wo der Circus von Bernhard Paul 1976 seine Welturaufführung erlebte. Historische Gebäude der Universität stehen in unmittelbarer Nachbarschaft. Noch dazu ist die Spielstätte zentral gelegen. Beste Rahmenbedingungen also für den Start der Tournee 2023 des in Köln beheimateten Unternehmens.

Mit seinem nostalgischen Material passt Roncalli natürlich perfekt in diese Kulisse. Wagen, Zelte, Zäune und die weiteren Bestandteile der rollenden Stadt sind in einem hervorragend gepflegten Zustand und strahlen mit der Sonne um die Wette. Nur für einen Teil der Wagen ist Platz in unmittelbarer Nähe des gestreiften Viermasters und der gesamte Aufbau muss den begrenzten Gegebenheiten angepasst werden. So führt der Weg die Zuschauer vom Haupteingang in Richtung Chapiteau in L-Form durch das große Vorzelt. Dort ist neben den Verkaufswagen und -ständen ebenfalls der Restaurantwagen „Cafe des artistes“ untergebracht.


Kasse und Chapiteau

Wie gewohnt wird der Einlass ausführlich zelebriert. Das Orchester unter der Leitung von Georg Pommer spielt, Mitglieder des Ensembles begrüßen die Gäste, es wird jongliert und Akrobatik gezeigt. Die Kostüme sind schon hier fantastisch. Es duftet nach Zuckerwatte, gebrannten Mandeln, Popcorn und anderen Leckereien, die natürlich erworben sowie genossen werden können. Herren in rot-goldenen Uniformen kontrollieren die Tickets und gewähren den Eintritt in den nächstem Bereich der Traumwelt.


Beginn des Finales

Auch im märchenhaft ausgestatteten Chapiteau schafft es Roncalli wie kaum ein anderer, bereits vor Vorstellungsbeginn für Atmosphäre zu sorgen. Schon der Artisteneingang ist prächtig, Insbesondere dann, wenn man ihn von der Balkonloge über den Haupteingang aus bestaunen darf. Auch der Rest des Innenraums ist aufwendig dekoriert. Am Beginn der Vorstellung stehen wiederum die Hologramme, die auf einen dünnen Vorhang rund um die Manege projiziert werden. Die Medienberichterstattung dazu ist in der Tat beeindruckend, die tatsächliche Wirkung hingegen eher überschaubar. Mit dem Einzug des Orchesters, auf dem Gradin bewundert von Weißclown Gensi und Konstantin Muraviev als komischem Requisiteur, geht es dann richtig los.


Opening

Das Programm steht wiederum unter dem Titel „All for art for all“. Es geht um die Verbindung von Circus und Kunst. Ein Motto, das so viele kreative Möglichkeiten eröffnet. Leider schöpft Roncalli diese wiederum nur in einem sehr geringen Maße aus. Gerade bei Roncalli, der vollkommen zu Recht als Erneuerer der Circuskunst gilt, sind die Erwartungen in diesem Bereich sehr hoch. Diesem Circus verdanken wir viele geniale Manegenstücke. Oder Darbietungen, die aufgrund der Neugestaltung durch Bernhard Paul eine ganz andere, viel stärkere Faszination entfalteten. Davon hätte die aktuelle Produktion mehr vertragen. Nichtsdestotrotz erleben wir auch in diesem Jahr eine wirkungsvoll und professionell in Szene gesetzte Vorstellung. Dies ist insbesondere das Werk von Patrick Philadelphia. Das Licht ist nach wie vor ein Traum. Ebenso die Musik des Orchesters unter der Leitung von Georg Pommer. Immer eine blendende Figur machen die Damen des Balletts. Selbstredend tragen sie wieder wunderbare Kostüme. Bei Artisten und Clowns gibt es Änderungen auf einzelnen Positionen.


Maria Sarach, Danil Lysenko

Im Opening wird der Programmtitel grandios aufgegriffen. Die Artisten tragen Bilder verschiedener Künstler herein oder verkörpern selbst bekannte Werke. Dafür stecken sie ihren kunstvoll verzierten Oberkörper in einen Bilderrahmen. Damit sind wir hervorragend in das Thema des Nachmittags hereingezogen worden. Perfekt in den Rahmen passt die Handstandakrobatik im Stil von Mondrian, die Maria Sarach zelebriert. Ein Sessel als Requisit und das Kostüm der Artistin sind im Stil des niederländischen Malers gestaltet. Während sie ihren Körper virtuos auf einem oder zwei Händen im Gleichgewicht hält und ihn dabei verbiegt, hält sie Sprechblasen aus einem Comic in die Höhe. Anzumerken ist allerdings, dass Maria Sarach ihre Nummer bereits vor dem Engagement bei Roncalli in dieser Aufmachung gearbeitet hat. „Der Mann mit der Melone“ von René Margritte dient als Vorbild für die nächste Szene. Figuranten, die Tänzerinnen und Sängerin Sash sorgen für stimmige Szenen. Mit Anzug und Aktenkoffer übernimmt Danil Lysenko. Als smarter Businessman in Nadelstreifen jongliert er mit Reifen, die akurat aufgereiht auf einer Wippe platziert sind, bevor Lysenko sie variantenreich in der Luft hält. Immer mehr der weißen Requisiten jongliert er äußerst gekonnt.


Pastelito junior, Duo Turkeev, Paolo Carillon

Pastelito junior ist der Neuzugang in der Riege der Roncalli-Clowns. Krissie Illing und Johnny Rico sind hingegen nicht mehr dabei. Der Spaßmacher aus Chile war bereits beim vergangenen Weihnachtscircus im Berliner Tempodrom zu erleben. Er steht für ausgelassene Heiterkeit und trifft damit auf den strengen Gensi, der ihm all das verbieten will. Sein fröhliches Tanzen, sein Musizieren und seine akrobatischen Einlagen. Das Grundprinzip entspricht der Szene, die Gensi hier vor einigen Jahren mit Chisterrin zeigte. Am Ende setzt sich Pastelito junior aber durch und darf mit seinem Gesang erfreuen. Sogar ein spanisches Ballett gibt es dazu. Auch die folgende Luftnummer ist neu dabei. Statt am Luftring gibt es nun Akrobatik an den Strapaten. Auf die Luna Girls folgt das Duo Turkeev. Julia und Dmytro zelebrieren eine wunderschöne Kür, in der sie ausdrucksstark agieren und in die sie kraftvolle Tricks integriert haben. Bislang hatte ich die beiden nur bei Flic Flac gesehen. Schön also, das Duo endlich einmal in klassischer Aufmachung zu genießen. Nachdem Anatoli Akerman einen Zuschauer in bewährter Weise dazu verdonnert hat, einen Scheinwerfer am Leuchten zu halten, erleben wir den poetischsten Auftritt der Show. Er gehört Paolo Carillon und seiner Tochter Nox. In nostalgischer Aufmachung verzaubert uns der Clown mit seinen Seifenblasen in den unglaublichsten Varianten. Das Licht unterstützt das filigrane Spiel von Carillon ungemein. Für die musikalische Unterstützung ist neben dem Orchester Nox mit ihrem Gesang verantwortlich. Sie lassen uns träumen und zugleich staunen.


Gensi, Konstantin Muraviev, Duo Minasov

Voller Schwung endet der erste Teil. Das Trio Jump'n'Roll sorgt mit gewagten Sprüngen auf federnden Stelzen für Action. Immer wieder geht es hoch hinaus. Ihre Salti lassen das Publikum hörbar mitgehen. Gemeinsam mit dem Ballett und Konstantin Muraviev sowie Anatoli Akerman kündigen sie die Pause an. Beim Opening der zweiten Hälfte sind Jump'n'Roll schon wieder mit von der Partie. Diesmal als Springer auf dem Fast Track. Pastelito junior beweist, dass er ebenfalls akrobatisch versiert ist. Komplettiert wird das Bild von den Tänzerinnen sowie vier Artistinnen an Luftringen. Mit dem Glocken-Konzert von Gensi und Gastmusikern aus dem Publikum werden daraufhin wieder ruhige Töne angeschlagen. Ein Roncalli-Klassiker ist die Comedy-Akrobatik von Konstantin Muraviev. Nun ist Muraviev zurückgekehrt, um einmal mehr die Geschichte vom korpulenten Mann zu erzählen, der dank Akrobatik am Rhönrad in Windeseile seine Wampe loswird. Nun in der Rolle des komischen Requisiteurs, der uns an verschiedenen Stellen im Programm begegnet. Ebenfalls „alte Bekannte“ sind Elena und Victor Minasov. Seit einiger Zeit präsentieren sie ihre Quick Change-Illusionen in einem neuen Stil mit Motorrad und originellen Einfällen. So verhüllt etwa Victor seine Gattin in einer Wolke aus Kunstnebel, in welcher sie blitzartig das Kleid wechselt. Auch sonst geht bei ihnen das Umziehen so schnell vonstatten, dass das Auge kaum mitkommt. Natürlich erleben wir zum Finale das Anlegen eines neuen Outfits im Glitterregen. Wie gewohnt ist das Duo Minasov mit vollem Einsatz bei der Sache.


Vanessa & Sven, Anatoli Akerman, Hermanos Acero

Vom Zuschauereingang aus ziehen Gensi, Anatoli Akerman und Paolo Carillon musizierend ein. Daraufhin bewundern sie den nächsten Auftritt des Balletts, der in kreativen bunten Kostümen eine Reminiszenz an das Bauhaus darstellt. Mit Fingerpfeifen unterhält Gensi auf dem Gradin, während ein weißer Flügel in die Manege gebracht wird. Begleitet von Georg Pommer und Sängerin Sash zelebrieren Vanessa und Sven darauf ihre Partnerakrobatik im Schein von Kronleuchtern. Die Absolventen der Staatlichen Artistenschule in Berlin tauschen dabei die Rollen. Die Frau, sprich Vanessa, übernimmt zumeist den tragenden Part. Sven ist der gelenkige Obermann. Zusammen erfreuen sie und mit einer ungemein harmonischen Darbietung und starken Figuren. Daraufhin bekommt Anatoli Akerman sein großes Solo. Als „Bühne“ dient ihm ein Koffer. Darauf steppt und jongliert er mit Zigarrenkistchen. Zuvor hat er sich eines Großteils seiner Garderobe entledigt. Auch ein Zuschauer muss unfreiwillig Bauch zeigen, was ihm sichtbar wenig behagt. Der Auftritt ist schon irgendwie skurril und mit seinem „Viu viu“ werden vermutlich etliche Kinder in den kommenden Tagen ihre Eltern nerven. Die Tänzerinnen in Pettycoats machen den Auftakt für die Artistik am Schleuderbrett von Jump'n'Roll. In quietschgelben Anzügen katapultieren sich die Mitglieder des Trios gegenseitig in die Luft. Schlag auf Schlag erleben wir atemberaubende Sprünge, die mit Witz und Charme präsentiert werden. Das Publikum feiert die Akteure gebührend lebhaft. Ruhig und gebannt folgen die Zuschauer hingegen der Partnerakrobatik der Hermanos Acero. Faszinierend, wenn die Brüder aus Kolumbien im Kopf-auf-Kopf eine Treppe herunter und wieder hinauf balancieren. Da kennt der Applaus kaum Grenzen. Schon vor diesem Spitzentrick haben die smarten Jungs mit einem umfangreichen Repertoire hervorragender Kunststücke fasziniert und dabei kaum eine Variante ausgelassen. Hand-auf-Hand, Kopf-auf-Hand, Hand-auf-Kopf, Kopf-auf Fuß, Schulter-auf-Schulter - alles ist dabei. Das Finale wird gewohnt ausschweifend zelebriert. Ein Fest für Augen und Ohren. Im liebevollen Epilog machen sich die Clowns „bettfertig“.

Roncalli entführt das Publikum auch in diesem Jahr wieder in seine ganz eigene Zauberwelt. Schon das traumhafte Material ist unerreicht und den Besuch wert. Der Innenraum des Chapiteaus bildet ein wunderbares Ambiente. Gemeinsam mit Licht und Musik sind die Rahmenbedingungen für ein einmaliges Erlebnis geschaffen. Das Programm selbst hat mir in diesem Jahr ein gutes Stück besser gefallen als noch im letzten. Es ist einfach eine geschickt zusammengestellte, runde Mischung.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch