Zwei Jahre lang musste „Ohlala“
Corona-bedingt pausieren. Nun ist die Show zurückgekehrt, unter
veränderten Vorzeichen. Seit der ersten Auflage im Jahr 2011
wurde stets auf dem Militärflughafen in Dübendorf gespielt. Für
die Produktion 2022 ist Gregory umgezogen, ins zwölf Kilometer
entfernte Kloten. Der dortige Platz beim Flughafen Zürich wurde
bisher nur für den Weihnachtscircus „Salto Natale“ genutzt, bei
dem Gregory Knies Vater Rolf die Federführung hatte. Nunmehr hat
Rolf Knie (73) sich als Circusproduzent in den Ruhestand
verabschiedet und seinem Sohn die Geschäfte übergeben. Dieser
nutzte die Gelegenheit, beide Produktionen an einem Standort
zusammenzuführen. Der Vorteil liegt auf der Hand: Die große
Zeltstadt mit Chapiteau, Vorzelt und Dinnerzelten muss nur
einmal aufgebaut werden, um zwei verschiedene Produktionen
nacheinander zeigen zu können. Lediglich die Dekoration wird
sich wandeln, vom sinnlich-provokanten „Ohlala“-Stil zur
festlich-familiären Atmosphäre bei „Salto“, wie die
Weihnachtsshow nun heißen wird. Im Übrigen ist „Ohlala“ nicht
nur räumlich, sondern auch terminlich deutlich näher an die
andere Produktion gerückt. Gerade einmal neun Tage liegen heuer
zwischen den beiden Shows. Einziger Nachteil der Veränderung ist
wohl, dass für „Ohlala“ nun das gleiche große Chapiteau wie für
„Salto“ verwendet wird – wobei an den seitlichen Tribünenteilen
die letzten Sitzreihen mit schwarzem Stoff abgehängt sind. Die
intimere Atmosphäre im etwas kleineren Zelt in Dübendorf war dem
Thema Erotikshow besser gerecht geworden.

Ensemble
Die Saison 2022 ist bereits
die zehnte für „Ohlala“. Es dürfte keine andere erotische
Circusshow auf der Welt geben, die Jahr für Jahr mit neuem
Programm an einem festen Standort zu erleben ist. Anfangs hätten
sicher nicht viele darauf gewettet, dass diese Produktion
dauerhaft ein solcher Erfolg wird. Chapeau! Es bleibt eine
Herausforderung, dem Erotikthema Jahr für Jahr neue Facetten
abzugewinnen. „Rising PhoeniX“ ist die Show 2022 überschrieben.
Der Titel nimmt Bezug auf den Neustart nach der zweijährigen
Pause, das X greift das römische Zeichen für „zehn“ auf. „Aus
der Asche erhebt sich unsere PhoeniX und mit ihr eine frische,
starke Liebesglut. Stark genug, um ein heißes Liebesfeuer zu
entfachen“, heißt es auf der Website des Circus. Vielmehr ist
zum Programm nicht zu erfahren, denn weder werden die einzelnen
Akteure online vorgestellt noch gibt es – wie in den Jahren
zuvor – ein Programmheft. Das ist mehr als schade. „PhoeniX“
wird von der Sängerin Gigi McFarlane dargestellt, die während
der gesamten Show mit Flügeln in wechselnden Farben arbeitet.
Eine Handlung im engeren Sinne gibt es, über dieses Grundmotiv
hinaus, jedoch nicht.
  
Matthew Richardson, Ballett,
Dustin Nicolodi
Die Vorstellung beginnt mit
einem großen Opening, in dem Ballett und Artistenensemble
tanzend mitwirken, Männer und Frauen in Outfits im Stile
schwarzer Leder-Harnische gekleidet. Gigi McFarlane singt und
hebt eine einzelne Feder aus ihren roten Flügeln empor – ein
Symbol des Aufsteigens aus der Asche. Und zwischen den
Mitgliedern der Truppe, die ihn umringen, entschwebt Matthew
Richardson an einem großen Reifen unter die Circuskuppel, dreht
sich in luftiger Höhe. Bald geht es wieder Richtung Boden, der
Luftring wird aus seinem Haken genommen und nun, im längeren
Teil der Darbietung, als Cyrrad eingesetzt. Der Reifen ist mit
einem Netz aus Schnüren bespannt, was neue Effekte ermöglicht,
beispielsweise wenn der Artist sich mit den Oberarmen darin
hält. Geradezu ekstatisch kreiselt er über die Bühne. Die vier
Damen des Balletts umtanzen in einer aufreizenden Choreographie
die Tanz-Akrobatin Stefanny Moreno, die sich auf einem
Ledersessel räkelt. Für die hochklassig-modernen Choreographien
sorgt wiederum Starchoreograph Fidel Buika. Nach so viel
Sinnlichkeit wird es Zeit für Humor. Dustin Nicolodi, stilvoll
im roten Anzug, unterhält bestens bei seinen Blödeleien. Er
verbrennt sich scheinbar die Finger an seinen „Musical Candles“,
erprobt sich als Magier und jongliert auf haarsträubende Weise
mit Messern und Äpfeln. „Was man nicht alles für Geld machen
muss“, lautet sein selbstironisches Fazit.
  
Heather Holliday, Bettina
Bogdan und Kriztina Vallai, Yuliia Lytvynchuk und Anastasiia
Als scheinbar Tote auf
OP-Tischen, unter transparenter Folie, werden Bettina Bogdan und
Kriztina Vallai auf die Bühne gerollt. Glücklicherweise sind
beide doch noch sehr lebendig. Am „Body-Trapez“ wird der Körper
der jeweils anderen quasi zum Requisit für akrobatische Übungen,
zu einer menschlichen „Trapezstange“. Nach Genickhang in den
Händen der Partnerin, Abfallern und synchronem Kreiseln geht es
Richtung Boden, wo beide mit Pferdeköpfen ausstaffiert und an
Zügeln weggeführt werden. Gigi McFarlanes starke
Gesangsinterpretation von „I will leave the light on“ leitet
über zum Auftritt von Schwertschluckerin Heather Holliday. Sie
wirkt wie aus einem Pin-up-Kalender entsprungen. Im Stile einer
Burlesque-Tänzerin arbeitend, werden die vielen Tattoos auf
ihrem Körper nur durch einen transparenten Mantel verdeckt, den
sie im Laufe der Darbietung ablegt. In der geradezu extremen
Darbietung lässt sie letztlich bis zu fünf Schwerter durch Mund
und Speiseröhre bis in den Magen gleiten, was sie stets mit
charmantem Lächeln quittiert. In seitlich liegender Position am
Boden verleibt sie sich ein gebogenes Schwert ein, und zum
Abschluss schluckt sie in der Dunkelheit eine leuchtende
LED-Röhre. Mit noch mehr schönen Frauen geht es weiter, nachdem
zehn Herren ein wassergefülltes Plexiglasbecken zur Bühnenmitte
gerollt haben. Yuliia Lytvynchuk und Anastasiia zeigen auf dem
Rand der „Waterbowl“ Handstände und Equilbristik. Sie springen
immer wieder ins Nass, tauchen unter und wieder auf, lassen
Wassertropfen sprühen. Erotik pur. Zu einer Art Markenzeichen,
zum Signature-Act jeder Ohlala-Produktion, ist über die Jahre
die Bodypainting-Nummer geworden, die auch heuer vom Ballett
zelebriert wird. Die Herren in fluoreszierenden Tangas, die
Damen mit fluoreszierenden Perücken übergießen sich in der
Dunkelheit mit leuchtender Farbe und sparen bei ihrem Tanz nicht
mit sehr eindeutigen Bewegungen. Damit geht es in die Pause.
 
Noelia Pompa mit Ballett, Peter
Holoda
Hälfte zwei wird eröffnet von
einer großen, wiederum schamlosen Tanzchoreographie auf und um
einen großen Tisch mit Stühlen. Gigi McFarlane interpretiert
dazu einen Song über den aufsteigenden Phönix. Dann schwingt
sich Peter Holoda am Aerial Pole in die Höhe. Der Tänzer
beeindruckt mit Kraft und Flexibilität zugleich sowie kunstvoll
fließenden Bewegungen. Dustin Nicolodis absurde Kartenzauberei
und eine weitere Gesangsnummer von Gigi McFarlane („Shine bright
like a Diamond“) leiten über zum Soloauftritt von Noelia Pompa.
Sie beweist eindrucksvoll, dass Kleinwüchsigkeit nicht davon
abhalten muss, eine professionelle Tänzerin zu sein und den
eigenen Körper sinnlich und selbstbewusst zu präsentieren. Im
zweiten Teil ihrer Nummer wirken auch die vier Herren des
Balletts mit, die mit freien Oberkörpern und in Schottenröcken Maskulinität zelebrieren.
  
Dustin Nicolodi, Stefanny
Moreno und Yeeremie Lugo, Caitlin und Spencer
Caitlin und Spencer lassen es
bei ihrer gemeinsamen Akrobatik am Luftring prickeln und
knistern, wagen kraftvolle Haltefiguren und kreiseln dynamisch.
Immer wieder höchst witzig und unterhaltsam ist Dustin Nicolodis
Nummer, bei der ein Zuschauer raten muss, in welcher Hand des
Künstlers sich ein kleiner Ball befindet. Wie der Mitspieler
dabei hinters Licht geführt wird, ist einfach herrlich gemein.
Immerhin tröstet Coperlin sein “Opfer“ – es gehe allen
Mitspielern so. Südamerikanisches Feuer bringen Stefanny Moreno
und Yeeremie Lugo auf die Bühne, wenn sie ihren
temperamentvollen Tanz mit starken Wurfelementen kombinieren.
Der Abschluss dieses Jubiläumsprogramms soll eigentlich die
Nummer „Scandinavian Boards“ sein, welche die Sensation des
Festival Mondial du Cirque de Demain 2019 in Paris war. Sie
gewann damals den Publikumspreis und einen über Gold stehenden
„Grand Prix“, der erstmals in der 40-jährigen Geschichte des
Festivals vergeben wurde. Leider verletzt sich bei unserem
Besuch einer der Artisten bei einem der ersten Sprünge am Fuß
und verlässt die Bühne sofort humpelnd, gefolgt von seinen
Kollegen. Schnell werden die Schleuderbretter wieder abgebaut.

Scandinavian
Boards
Schade, denn nach dem
Festivalbesuch vor knapp vier Jahren hatten wir die Nummer in
euphorischen Worten beschrieben: „Sieben junge Männer bilden
die Formation 'Scandinavian Boards'; drei Koreanische Wippen
stehen auf der Bühne nebeneinander. Die Requisiten bieten somit
sechs Positionen, von denen sich die Akteure in die Luft
katapultieren lassen oder auf denen sie landen können. Und diese
Möglichkeiten werden reichlich genutzt. Für spektakuläre
Platzwechsel, zur gegenüber liegenden Seite einer Wippe oder zu
einem anderen Board. Für Salti und spektakuläre Pirouetten.
Oftmals von drei Akteuren synchron gedreht. Es ist ein Feuerwerk
der eleganten Sprünge, eine Präzisions-Maschinerie, eine
beeindruckend dichte Abfolge von Tricks. Sie wird angetrieben
von mitreißender Musik. Als sich die Akteure zwischendurch zum
Kompliment versammeln, reißt es das Publikum von den Sitzen.
Tausende stehen auf wie ein Mann. Schreien. Toben. Doch die
Nummer ist nicht zu Ende, es folgen weitere Höhepunkte der
Flugkunst. Dann nochmal komplette Standing Ovations.“ Zu
gern hätten wir diese Darbietung wieder einmal gesehen. |