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Ohlala - sexy - crazy - artistic 2022
www.circusohlala.ch ; 123 Showfotos

Kloten, 30. Oktober 2022: „Sexy – crazy – artistic“ lautet der Untertitel von Gregory Knies erotischer Circusshow „Ohlala“. Ein Versprechen, das den Nagel auf den Kopf trifft. Denn sexy ist das Spektakel auf jeden Fall – zum einen dank des achtköpfigen Balletts, welches das Programm mit lasziven Choreographien prägt. Zum anderen dank der besonders körperbetonten Genres, die für den akrobatischen Teil ausgewählt wurden. „Crazy“ wird die Vorstellung mit der schrägen Comedy von Dustin Nicolodi. Auch das Prädikat „artistic“ kommt nicht zu kurz. Vielmehr werden wirklich starke Darbietungen aufgeboten.

Zwei Jahre lang musste „Ohlala“ Corona-bedingt pausieren. Nun ist die Show zurückgekehrt, unter veränderten Vorzeichen. Seit der ersten Auflage im Jahr 2011 wurde stets auf dem Militärflughafen in Dübendorf gespielt. Für die Produktion 2022 ist Gregory umgezogen, ins zwölf Kilometer entfernte Kloten. Der dortige Platz beim Flughafen Zürich wurde bisher nur für den Weihnachtscircus „Salto Natale“ genutzt, bei dem Gregory Knies Vater Rolf die Federführung hatte. Nunmehr hat Rolf Knie (73) sich als Circusproduzent in den Ruhestand verabschiedet und seinem Sohn die Geschäfte übergeben. Dieser nutzte die Gelegenheit, beide Produktionen an einem Standort zusammenzuführen. Der Vorteil liegt auf der Hand: Die große Zeltstadt mit Chapiteau, Vorzelt und Dinnerzelten muss nur einmal aufgebaut werden, um zwei verschiedene Produktionen nacheinander zeigen zu können. Lediglich die Dekoration wird sich wandeln, vom sinnlich-provokanten „Ohlala“-Stil zur festlich-familiären Atmosphäre bei „Salto“, wie die Weihnachtsshow nun heißen wird. Im Übrigen ist „Ohlala“ nicht nur räumlich, sondern auch terminlich deutlich näher an die andere Produktion gerückt. Gerade einmal neun Tage liegen heuer zwischen den beiden Shows. Einziger Nachteil der Veränderung ist wohl, dass für „Ohlala“ nun das gleiche große Chapiteau wie für „Salto“ verwendet wird – wobei an den seitlichen Tribünenteilen die letzten Sitzreihen mit schwarzem Stoff abgehängt sind. Die intimere Atmosphäre im etwas kleineren Zelt in Dübendorf war dem Thema Erotikshow besser gerecht geworden.


Ensemble

Die Saison 2022 ist bereits die zehnte für „Ohlala“. Es dürfte keine andere erotische Circusshow auf der Welt geben, die Jahr für Jahr mit neuem Programm an einem festen Standort zu erleben ist. Anfangs hätten sicher nicht viele darauf gewettet, dass diese Produktion dauerhaft ein solcher Erfolg wird. Chapeau! Es bleibt eine Herausforderung, dem Erotikthema Jahr für Jahr neue Facetten abzugewinnen. „Rising PhoeniX“ ist die Show 2022 überschrieben. Der Titel nimmt Bezug auf den Neustart nach der zweijährigen Pause, das X greift das römische Zeichen für „zehn“ auf. „Aus der Asche erhebt sich unsere PhoeniX und mit ihr eine frische, starke Liebesglut. Stark genug, um ein heißes Liebesfeuer zu entfachen“, heißt es auf der Website des Circus. Vielmehr ist zum Programm nicht zu erfahren, denn weder werden die einzelnen Akteure online vorgestellt noch gibt es – wie in den Jahren zuvor – ein Programmheft. Das ist mehr als schade. „PhoeniX“ wird von der Sängerin Gigi McFarlane dargestellt, die während der gesamten Show mit Flügeln in wechselnden Farben arbeitet. Eine Handlung im engeren Sinne gibt es, über dieses Grundmotiv hinaus, jedoch nicht.


Matthew Richardson, Ballett, Dustin Nicolodi

Die Vorstellung beginnt mit einem großen Opening, in dem Ballett und Artistenensemble tanzend mitwirken, Männer und Frauen in Outfits im Stile schwarzer Leder-Harnische gekleidet. Gigi McFarlane singt und hebt eine einzelne Feder aus ihren roten Flügeln empor – ein Symbol des Aufsteigens aus der Asche. Und zwischen den Mitgliedern der Truppe, die ihn umringen, entschwebt Matthew Richardson an einem großen Reifen unter die Circuskuppel, dreht sich in luftiger Höhe. Bald geht es wieder Richtung Boden, der Luftring wird aus seinem Haken genommen und nun, im längeren Teil der Darbietung, als Cyrrad eingesetzt. Der Reifen ist mit einem Netz aus Schnüren bespannt, was neue Effekte ermöglicht, beispielsweise wenn der Artist sich mit den Oberarmen darin hält. Geradezu ekstatisch kreiselt er über die Bühne. Die vier Damen des Balletts umtanzen in einer aufreizenden Choreographie die Tanz-Akrobatin Stefanny Moreno, die sich auf einem Ledersessel räkelt. Für die hochklassig-modernen Choreographien sorgt wiederum Starchoreograph Fidel Buika. Nach so viel Sinnlichkeit wird es Zeit für Humor. Dustin Nicolodi, stilvoll im roten Anzug, unterhält bestens bei seinen Blödeleien. Er verbrennt sich scheinbar die Finger an seinen „Musical Candles“, erprobt sich als Magier und jongliert auf haarsträubende Weise mit Messern und Äpfeln. „Was man nicht alles für Geld machen muss“, lautet sein selbstironisches Fazit.


Heather Holliday, Bettina Bogdan und Kriztina Vallai, Yuliia Lytvynchuk und Anastasiia

Als scheinbar Tote auf OP-Tischen, unter transparenter Folie, werden Bettina Bogdan und Kriztina Vallai auf die Bühne gerollt. Glücklicherweise sind beide doch noch sehr lebendig. Am „Body-Trapez“ wird der Körper der jeweils anderen quasi zum Requisit für akrobatische Übungen, zu einer menschlichen „Trapezstange“. Nach Genickhang in den Händen der Partnerin, Abfallern und synchronem Kreiseln geht es Richtung Boden, wo beide mit Pferdeköpfen ausstaffiert und an Zügeln weggeführt werden. Gigi McFarlanes starke Gesangsinterpretation von „I will leave the light on“ leitet über zum Auftritt von Schwertschluckerin Heather Holliday. Sie wirkt wie aus einem Pin-up-Kalender entsprungen. Im Stile einer Burlesque-Tänzerin arbeitend, werden die vielen Tattoos auf ihrem Körper nur durch einen transparenten Mantel verdeckt, den sie im Laufe der Darbietung ablegt. In der geradezu extremen Darbietung lässt sie letztlich bis zu fünf Schwerter durch Mund und Speiseröhre bis in den Magen gleiten, was sie stets mit charmantem Lächeln quittiert. In seitlich liegender Position am Boden verleibt sie sich ein gebogenes Schwert ein, und zum Abschluss schluckt sie in der Dunkelheit eine leuchtende LED-Röhre. Mit noch mehr schönen Frauen geht es weiter, nachdem zehn Herren ein wassergefülltes Plexiglasbecken zur Bühnenmitte gerollt haben. Yuliia Lytvynchuk und Anastasiia zeigen auf dem Rand der „Waterbowl“ Handstände und Equilbristik. Sie springen immer wieder ins Nass, tauchen unter und wieder auf, lassen Wassertropfen sprühen. Erotik pur. Zu einer Art Markenzeichen, zum Signature-Act jeder Ohlala-Produktion, ist über die Jahre die Bodypainting-Nummer geworden, die auch heuer vom Ballett zelebriert wird. Die Herren in fluoreszierenden Tangas, die Damen mit fluoreszierenden Perücken übergießen sich in der Dunkelheit mit leuchtender Farbe und sparen bei ihrem Tanz nicht mit sehr eindeutigen Bewegungen. Damit geht es in die Pause.


Noelia Pompa mit Ballett, Peter Holoda

Hälfte zwei wird eröffnet von einer großen, wiederum schamlosen Tanzchoreographie auf und um einen großen Tisch mit Stühlen. Gigi McFarlane interpretiert dazu einen Song über den aufsteigenden Phönix. Dann schwingt sich Peter Holoda am Aerial Pole in die Höhe. Der Tänzer beeindruckt mit Kraft und Flexibilität zugleich sowie kunstvoll fließenden Bewegungen. Dustin Nicolodis absurde Kartenzauberei und eine weitere Gesangsnummer von Gigi McFarlane („Shine bright like a Diamond“) leiten über zum Soloauftritt von Noelia Pompa. Sie beweist eindrucksvoll, dass Kleinwüchsigkeit nicht davon abhalten muss, eine professionelle Tänzerin zu sein und den eigenen Körper sinnlich und selbstbewusst zu präsentieren. Im zweiten Teil ihrer Nummer wirken auch die vier Herren des Balletts mit, die mit freien Oberkörpern und in Schottenröcken Maskulinität zelebrieren.


Dustin Nicolodi, Stefanny Moreno und Yeeremie Lugo, Caitlin und Spencer

Caitlin und Spencer lassen es bei ihrer gemeinsamen Akrobatik am Luftring prickeln und knistern, wagen kraftvolle Haltefiguren und kreiseln dynamisch. Immer wieder höchst witzig und unterhaltsam ist Dustin Nicolodis Nummer, bei der ein Zuschauer raten muss, in welcher Hand des Künstlers sich ein kleiner Ball befindet. Wie der Mitspieler dabei hinters Licht geführt wird, ist einfach herrlich gemein. Immerhin tröstet Coperlin sein “Opfer“ – es gehe allen Mitspielern so. Südamerikanisches Feuer bringen Stefanny Moreno und Yeeremie Lugo auf die Bühne, wenn sie ihren temperamentvollen Tanz mit starken Wurfelementen kombinieren. Der Abschluss dieses Jubiläumsprogramms soll eigentlich die Nummer „Scandinavian Boards“ sein, welche die Sensation des Festival Mondial du Cirque de Demain 2019 in Paris war. Sie gewann damals den Publikumspreis und einen über Gold stehenden „Grand Prix“, der erstmals in der 40-jährigen Geschichte des Festivals vergeben wurde. Leider verletzt sich bei unserem Besuch einer der Artisten bei einem der ersten Sprünge am Fuß und verlässt die Bühne sofort humpelnd, gefolgt von seinen Kollegen. Schnell werden die Schleuderbretter wieder abgebaut.


Scandinavian Boards

Schade, denn nach dem Festivalbesuch vor knapp vier Jahren hatten wir die Nummer in euphorischen Worten beschrieben: „Sieben junge Männer bilden die Formation 'Scandinavian Boards'; drei Koreanische Wippen stehen auf der Bühne nebeneinander. Die Requisiten bieten somit sechs Positionen, von denen sich die Akteure in die Luft katapultieren lassen oder auf denen sie landen können. Und diese Möglichkeiten werden reichlich genutzt. Für spektakuläre Platzwechsel, zur gegenüber liegenden Seite einer Wippe oder zu einem anderen Board. Für Salti und spektakuläre Pirouetten. Oftmals von drei Akteuren synchron gedreht. Es ist ein Feuerwerk der eleganten Sprünge, eine Präzisions-Maschinerie, eine beeindruckend dichte Abfolge von Tricks. Sie wird angetrieben von mitreißender Musik. Als sich die Akteure zwischendurch zum Kompliment versammeln, reißt es das Publikum von den Sitzen. Tausende stehen auf wie ein Mann. Schreien. Toben. Doch die Nummer ist nicht zu Ende, es folgen weitere Höhepunkte der Flugkunst. Dann nochmal komplette Standing Ovations.“ Zu gern hätten wir diese Darbietung wieder einmal gesehen.

Dennoch ist der Besuch bei Ohlala ein Genuss – dank ausschließlich starker und moderner akrobatischer Darbietungen, herzhaftem Lachen bei den Auftritten von Coperlin und der hochwertigen, ästhetischen, erotischen Bilder, die in den Tanz- und Gesangsszenen geschaffen werden. Ein würdiges Jubiläumsprogramm! Wollen wir hoffen, dass die groteske „Sexismus“-Debatte nicht weiter an Fahrt gewinnt, die einige Schweizer Medien mit Blick auf die "Ohlala"-Premiere führen wollten. Die Darstellung von Sinn und Sinnlichkeit in einer edel-verruchten Abendshow stellt Emanzipation und Gleichberechtigung sicher nicht in Frage. Darum: weiter so, Gegory Knie – auf die nächsten zehn Ausgaben „Ohlala“!

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Text: Markus Moll, Fotos: Tobias Moll