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Moskauer Circus - Tour 2022
www.staatscircus.eu ; 118 Showfotos

Bietigheim-Bissingen, 5. März 2022: Jahrelang setzte der Moskauer Circus der Familie Frank seinen Namen geschickt ein, um Assoziationen zum Staatscircus in Russland zu wecken und damit ein großes Publikum anzuziehen. Von der Gestaltung der Plakate bis zum Kassenwagen mit kyrillischer Schrift, stets wurde auf die Tradition der russischen Circuskunst Bezug genommen. Nach dem Beginn von Putins Angriffskrieg gegen den Nachbarstaat Ukraine wird der bisherige Vorteil offenbar zum Ballast. In mehreren Presseveröffentlichungen spricht die Familie Frank über offene Anfeindungen gegen das Unternehmen. Nun flattern ukrainische Flaggen am Eingang, wird die ukrainisch-russische Herkunft von Direktionsgattin Leyla Mak betont.

Und das harmonische Miteinander verschiedener Nationen herausgestellt. Es gehört zum Wesenskern der internationalen Circuswelt. Dem Kartenverkauf tut die aktuelle Situation zumindest an diesem Samstag offenbar keinen Abbruch. Die Nachmittagsvorstellung ist bestens besucht, jedenfalls im Rahmen des Corona-bedingt Erlaubten. Und als das Publikum nach dem Finale aus dem Chapiteau strömt, wartet draußen schon eine eindrucksvoll lange Menschenschlange auf Einlass.


Chapiteau, Kassenwagen

Dies im Freien, denn für ein Vorzelt ist auf dem beengten Gelände inmitten von Bietigheim leider kein Platz. Dort, wo es stehen sollte, liegt auf der Brachfläche ein großer Haufen Kies. Auch das ist eben Circus. Selbst unter widrigen Bedingungen wird gespielt. Und zwar in einem eindrucksvollen rot-weißen Viermaster mit Quaderpolen. Beim nachfolgenden Gastspiel in Neuwied wird dann ein flammneuer Viermaster eingesetzt. Im Inneren stehen Logenstühle und ein Schalensitzgradin zur Verfügung. Seniorchef Nando Frank moderiert die Vorstellung gesundheitsbedingt von einem Sitzplatz am Rande der Manege aus, aber dennoch mit angenehmer Stimme.


Red and Blue 

Mit seinem temperamentvollen Eröffnungstanz nimmt das Ensemble das Thema russischer Folklore auf, ehe die Manege zum ersten Mal dem lettisch-russischen Clownsduo „Red and Blue“ gehört, verkörpert von Gennady Kantorovich und seiner Manegen- und Lebenspartnerin Ekaterina Mikhailova. In bester russischer Circustradition erleben wir hier zwei hervorragende Pantomimen in wunderbarer Kostümierung. Zunächst messen beide sich darin, wer am meisten Applaus erhalten kann. Wenn sie nach jedem Versuch die Hüte wieder aufsetzen, sind einige Kapriolen garantiert. Auf eine komische Bootsfahrt folgt die große Illusionsschau, bei der unter anderem das Geheimnis der „schwebenden Jungfrau“ auf amüsante Weise auffliegt. Auch der „stärkste Mann der Welt“ ist dies nur augenzwinkernd. Neben Seifenblasenspielen zum Käfigabbau und „Popcorn“ als weitere Überbrückung präsentieren „Red und Blue“ zum Abschluss stimmungsvolle Lichterspiele mit LED-beleuchteten Kostümen und Requisiten. Mit ihrem Engagement wurde der clowneske Teil der Show gegenüber meinem letzten Besuch des Moskauer Circus 2018 deutlich gestärkt.


Olksandr Mak-Frank, Julia Hajdu, Duo Tonito 

Quasi schon zum Inventar gehört beim Moskauer Circus die Familie Tonito. Salvi und Kevin Tonito eröffnen die Spielfolge mit Artistik auf dem doppelten Drahtseil. Zu Rockmusik springt Kevin durch einen Feuer- und Salvi durch einen mit Messern gespickten Reifen. Schlusstrick ist Salvi Tonitos Rückwärtssalto. Oleksandr Mak-Frank zelebriert an den Strapaten kraftvolle Posen und gewagte Abfaller. Dazu lässt er seinen Charme spielen, interagiert offensiv mit dem Publikum. Eine wirklich attraktive Darbietung. Die erste der beiden Tiernummern im Programm zeigt Julia Hajdu, unter anderem mit farbenprächtige Aras und einen Kakadu. Die Vögel schieben beispielsweise einen kleinen Einkaufswagen oder flattern von Hürde zu Hürde. Leider kurz fällt der Freiflugpart mit einem Tier am Ende aus.


Truppe Tonito, Markus Korritnig, Alexandra Kopecká

Es ist heute fast schon eine Rarität, wieder einmal eine traditionelle Vertikalseilnummer zu erleben. Hier hat sich die junge Direktionstochter Latoya Mak-Frank für dieses Genre entschieden, nicht ohne verschiedene rasante Wirbel an Schlaufen zu zeigen. Acht Personen stark – fünf Herren und drei Damen – ist die Generationen übergreifende Truppe Tonito. Sie kombinieren ihr Trampolin mit einem Fangstuhl, was zusätzliche Tricks möglich macht. Höhepunkte der attraktiven Pausennummer sind das Drei-Personen-Hoch oder der dreifache Salto, ausgeführt von Marisa Tonito. Für Begeisterung sorgt auch der erst zehnjährige David mit seinen Sprüngen. Überhaupt bereitet allein das Bild der gut gefüllten Manege Freude. Teil zwei der Vorstellung beginnt mit den Tigern von Markus Korritnig. Zwar vereint er nur drei große Katzen im Zentralkäfig, aber inzwischen hat es fast schon Seltenheitswert, dass wir überhaupt Raubtiere in einer Manege erleben dürfen. Balkenlauf, Sprünge von Podest zu Podest und das Abliegen zum Teppich gehören zum Repertoire der Darbietung. Am Ende setzt sich der Dresseur auf eines der liegenden Tiere und krault es vertraut am Kopf. Alexandra Kopecká demonstriert am Luftring Kraft und Beweglichkeit, begleitet von einem romantischen Lovesong. Mit Strapaten, Vertikalseil und Ring bildet die Luftakrobatik – wie schon 2018 – neben der Clownerie den zweiten Schwerpunkt der Vorstellung.

 
Duo Madison, Kevin Tonito mit Assistentinnen, Oleksandr Mak-Frank 

Zu den stärksten Nummern im Programm gehören die Antipodenspiele von Marisa Tonito und ihrer Tochter Madison als Duo Madison. Dabei werden von Marisa Tonito fünf große Bälle mit den Füßen jongliert und von Madison Tonito vier Teppiche kreisen gelassen. Marisa Tonito bugsiert einen Ball über fünf Plattformen an einer Metallstange in den Korb am oberen Ende. Die Stange ist an ihren Füßen befestigt. Gemeinsame Sache machen Mutter und Tochter beim Schlusstrick. Madison steht im Schulterstand auf den Füßen von Marisa Tonito. So lassen beide gemeinsam fünf Teppiche auf Händen und Füßen fliegen. Mit klassischen Handständen zu Michael Bublés „It’s a new day“ überzeugt im Anschluss noch einmal Oleksandr Mak-Frank. Zum Abschluss lässt Kevin Tonito in einer großen, effektvollen Illusionsschau seine vier Assistentinnen nach Belieben erscheinen und verschwinden. Insgesamt macht dieses schöne Programm viel Freude, besonders der deutlich schwungvollere zweite Teil. Das Publikum dankt mit kräftigem Applaus.

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Text und Fotos: Markus Moll