Vor allem
aber haben die Familie Richter und die Familie Casselly ihre
geschäftlichen wie auch ihre privaten Bande gelöst. Vergangen
sind damit die Zeiten, in dem die ganz großen, gemeinsam
kreierten Dressurnummern mit Elefanten, Exoten, Pferden und
Ponys die Programme des Ungarischen Nationalcircus prägten. Doch
auch weiterhin bleibt das Unternehmen der Familie Richter einer
jener Circusse, für die sich auch eine sehr weite Anreise
wohnt.
 
Steven Ferreri, Jozsef
Richter junior
Seit 2019
sind die Clowns Steve und Jones Caveagna mit dem Ungarischen
Nationalcircus unterwegs. Ganz offenkundig wird Steve mit seiner
markanten Stachelfrisur von großen Teilen der Besucher freudig
wiedererkannt, als er zum Warmup in die Manege kommt. Längst hat
er sich zum Publikumsliebling entwickelt; sein Name erscheint
schnell als ergänzender Suchvorschlag, wenn man nach dem Magyar
Nemzeti Cirkusz googelt. Die eigentliche Spielfolge eröffnet
Steven Ferreri. Zuletzt erlebten wir den Deutsch-Spanier vor
sechs Jahren beim European Youth Circus in Wiesbaden, damals
noch in der Altersgruppe der Jüngeren. Inzwischen ist aus dem
Nachwuchsartisten ein erwachsener Profi-Künstler mit toller
Manegenpräsenz geworden. Auf dem Drahtseil meistert er alle
Schwierigkeiten, die das Genre zu bieten hat – darunter den
Sprung über eine Barriere und durch einen sich drehenden, mit
Messern gespickten Reifen wie auch den Rückwärts- und sogar den
Vorwärtssalto. Beide Salti gelingen sicher im ersten Anlauf. Mit
einem Pirouettesprung vom Seil zum Boden beendet er diese
Hommage an seinen Vater Miguel, der einst mit einer nahezu
identischen Darbietung erfolgreich war. Inzwischen trainiert er
seinen Sohn und assistiert ihm. Neu im Programm und eine echte
Bereicherung ist der Achterzug aus jeweils vier weißen und
schwarzen Pferden, den Direktor Jozsef Richter junior feurig
präsentiert. Als Einleitung dirigiert er ein Schulpferd am
Zügel, dann folgen mannigfaltige Lauffiguren der gesamten
Tiergruppe. Bemerkenswert sind beispielsweise die Pirouetten,
bei denen weiße und schwarze Pferde in entgegengesetzte
Richtungen drehen. Dies alles leitet Jozsef Richter junior nur mit
Stimme und Gesten an, ohne Peitsche in der Hand. Das Orchester
spielt, verstärkt durch Clown Jones Caveagna am Saxofon, Lady
Masallah singt – die Szene ist eine Ode an den klassischen
Circus. Mit einem Potpourri temperamentvoller Steiger endet die
Darbietung.
 
Skating Rebels,
Alexandro Jostmann
Steve
Caveagna interpretiert derweil einen Klassiker der Clownerie auf
moderne Weise – hier ist nicht das Musizieren verboten, sondern
der TikTok-Tanz. Die Nachwuchsartisten Dorottya Váradi und Gerfö
Török wurden an der Artistenschule Imre Baross in Budapest
ausgebildet und zeigen nun alle Facetten einer klassischen
Rollschuhnummer, bis hin zum Genickhangwirbel. Im kommenden
Winter werden sie beim Main-Tauber Weihnachtscircus in Bad
Mergentheim zu erleben sein. Schwarz-weiß wie die Pferdefreiheit
ist auch die zweite Tiernummer im Programm, die Hundedressur von
Alexandro Jostmann mit seinen Pudeln. Das Seilspringen sowie der
Lauf auf den Hinterbeinen und auf einer Tonne sind nur drei
Elemente der Trickfolge.
  
Steve Caveagna,
Jozsef Richter junior, Truppe Gerling
In seiner
Film-Szene dreht Steve, der moderne Clown, natürlich mit dem
Smartphone auf dem Selfiestick statt mit einer normalen
Filmkamera. Unter seinen Mitspielern aus dem Publikum erkennt er
unter anderem „Pamela Anderson“ und „Robert de Niro“. Der
Auftritt löst große Heiterkeit aus. Jozsef Richter juniors
Freiheitsdressur mit drei Kamelen wird dank vier Tänzerinnen und
Sängerin Masallah zur Shownummer aufgewertet. Ein springendes Lama
sorgt für den Abschluss. Während Steve und ein Junge aus dem
Publikum mit der Wasserpistole auf eine Kerze schießen, wird das
doppelte Todesrad aufgebaut. Im linken Requisit sind mit vier
Artisten der Truppe Gerling alle Positionen in den Kesseln und auf
den Außenseiten besetzt, auf dem rechten Rad agieren nur zwei
Akrobaten. Mit Blindlauf, Seilspringen und hohen Sprüngen wird
das klassische Repertoire des publikumswirksamen Genres
angeboten, erhält die erste Programmhälfte eine spektakulären
Abschluss.
  
Michael Ferreri,
Henrik und Noémi Kraj, Steve Caveagna
Henrik und
Noémi Kraj eröffnen die zweite Hälfte des Programms mit ihren
Peitschenspielen, die im spanischen Flamenco-Stil gestaltet sind
und von Tänzerinnen umrahmt werden. Unter anderem köpft Henrik
Kraj eine Flasche mit der Peitsche und löscht eine Kerze, die
seine Partnerin auf einem Mundstab trägt. Auch in dieser Saison
beweist Steven Caveagna, dass er nicht nur ein toller Clown,
sondern auch einer der besten Diabolospieler unserer Zeit ist.
Vier Doppelkegel lässt er schließlich fliegen. Ein Höhepunkt des
Programms sind zweifellos die Jonglagen von Michael Ferreri. In
raffinierten Kombinationen schickt er bis zu zehn Bälle in die
Luft und fängt sie wieder auf; mit seiner tollen Ausstrahlung
nimmt er das Publikum vollends für sich ein. Ein jugendlicher
Weltstar der Manege.
 
Truppe Gerling,
Jozsef Richter junior
Fünf
tanzende Girls und ungarische Folklore überbrücken den Aufbau
des Hochseils. Aufgang übers Schrägseil, Sprünge über zwei auf
dem Seil kauernde Partner, eine Vier-Personen-Pyramide auf drei
Ebenen, Dreierpyramide auf Fahrädern mit freiem Stand auf dem
Stuhl und schließlich die Sieben-Personen-Pyramide sind die
Eckpfeiler dieser starken Performance der Truppe Gerling. Da die
Familie Richter zusätzlich zum Circus nun auch ihren eigenen
Safaripark betreibt, pendelt Jozsef Richter junior zwischen
beiden Betriebsteilen. Ist er nicht beim Circus, führt Alexandro
Jostmann Pferde und Kamele vor und folgt aufs Hochseil das
Finale. Wir haben das Glück, eine der Vorstellungen zu erleben,
in welcher der Direktor präsent ist. Und so dürfen wir die große
Jockeyreiterei erleben, die in der zweiten Saisonhälfte wieder
ins Programm genommen wurde. Nach dem Abschied der Familie
Casselly sind neue Gesichter hinzugekommen, darunter das Duo „Skating
Rebels“, das nun auch in dieser zehnköpfigen Truppe mitwirkt.
Jozsef Richter senior führt die Peitsche in der Manegenmitte.
Verschiedene Salti von Pferd zu Pferd, das Drei-Personen-Hoch –
allerdings mit einem longierten Kind an der Spitze – und fünf
Personen auf einem Ross bleiben markante Eckpunkte des
Repertoires. Immer wieder ein Fest ist der Anblick, wie der
stehend reitende Jozsef Richter junior die ungarische Flagge über
die Köpfe der Logengäste streichen lässt. Spontane Standing
Ovations sind der Lohn. |