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Magyar Nemzeti Cirkusz - Tour 2022
www.magyarnemzeticirkusz.hu ; 111 Showfotos

Pápa, 9. Oktober 2022: Fast auf den Tag genau drei Jahre her ist es, seit wir den Magyar Nemzeti Cirkusz – den Ungarischen Nationalcircus – der Familie Richter das letzte Mal besucht haben. Und zwar am gleichen Ort, auf einer großen Wiese in der westungarischen Stadt Pápa. Nicht nur optisch hat sich seitdem einiges geändert. Der nostalgische Holzkassenwagen ist einer modernen Auflieger-Cassa mit roten LED-Buchstaben auf dem Dach gewichen. Auch die Leuchtschrift auf dem Chapiteau wurde erneuert. Drei Zeilen in den Landesfarben rot, weiß und grün geben den Unternehmensnamen wieder.

Vor allem aber haben die Familie Richter und die Familie Casselly ihre geschäftlichen wie auch ihre privaten Bande gelöst. Vergangen sind damit die Zeiten, in dem die ganz großen, gemeinsam kreierten Dressurnummern mit Elefanten, Exoten, Pferden und Ponys die Programme des Ungarischen Nationalcircus prägten. Doch auch weiterhin bleibt das Unternehmen der Familie Richter einer jener Circusse, für die sich auch eine sehr weite Anreise wohnt.


Steven Ferreri, Jozsef Richter junior

Seit 2019 sind die Clowns Steve und Jones Caveagna mit dem Ungarischen Nationalcircus unterwegs. Ganz offenkundig wird Steve mit seiner markanten Stachelfrisur von großen Teilen der Besucher freudig wiedererkannt, als er zum Warmup in die Manege kommt. Längst hat er sich zum Publikumsliebling entwickelt; sein Name erscheint schnell als ergänzender Suchvorschlag, wenn man nach dem Magyar Nemzeti Cirkusz googelt. Die eigentliche Spielfolge eröffnet Steven Ferreri. Zuletzt erlebten wir den Deutsch-Spanier vor sechs Jahren beim European Youth Circus in Wiesbaden, damals noch in der Altersgruppe der Jüngeren. Inzwischen ist aus dem Nachwuchsartisten ein erwachsener Profi-Künstler mit toller Manegenpräsenz geworden. Auf dem Drahtseil meistert er alle Schwierigkeiten, die das Genre zu bieten hat – darunter den Sprung über eine Barriere und durch einen sich drehenden, mit Messern gespickten Reifen wie auch den Rückwärts- und sogar den Vorwärtssalto. Beide Salti gelingen sicher im ersten Anlauf. Mit einem Pirouettesprung vom Seil zum Boden beendet er diese Hommage an seinen Vater Miguel, der einst mit einer nahezu identischen Darbietung erfolgreich war. Inzwischen trainiert er seinen Sohn und assistiert ihm. Neu im Programm und eine echte Bereicherung ist der Achterzug aus jeweils vier weißen und schwarzen Pferden, den Direktor Jozsef Richter junior feurig präsentiert. Als Einleitung dirigiert er ein Schulpferd am Zügel, dann folgen mannigfaltige Lauffiguren der gesamten Tiergruppe. Bemerkenswert sind beispielsweise die Pirouetten, bei denen weiße und schwarze Pferde in entgegengesetzte Richtungen drehen. Dies alles leitet Jozsef Richter junior nur mit Stimme und Gesten an, ohne Peitsche in der Hand. Das Orchester spielt, verstärkt durch Clown Jones Caveagna am Saxofon, Lady Masallah singt – die Szene ist eine Ode an den klassischen Circus. Mit einem Potpourri temperamentvoller Steiger endet die Darbietung.


Skating Rebels, Alexandro Jostmann

Steve Caveagna interpretiert derweil einen Klassiker der Clownerie auf moderne Weise – hier ist nicht das Musizieren verboten, sondern der TikTok-Tanz. Die Nachwuchsartisten Dorottya Váradi und Gerfö Török wurden an der Artistenschule Imre Baross in Budapest ausgebildet und zeigen nun alle Facetten einer klassischen Rollschuhnummer, bis hin zum Genickhangwirbel. Im kommenden Winter werden sie beim Main-Tauber Weihnachtscircus in Bad Mergentheim zu erleben sein. Schwarz-weiß wie die Pferdefreiheit ist auch die zweite Tiernummer im Programm, die Hundedressur von Alexandro Jostmann mit seinen Pudeln. Das Seilspringen sowie der Lauf auf den Hinterbeinen und auf einer Tonne sind nur drei Elemente der Trickfolge.


Steve Caveagna, Jozsef Richter junior, Truppe Gerling

In seiner Film-Szene dreht Steve, der moderne Clown, natürlich mit dem Smartphone auf dem Selfiestick statt mit einer normalen Filmkamera. Unter seinen Mitspielern aus dem Publikum erkennt er unter anderem „Pamela Anderson“ und „Robert de Niro“. Der Auftritt löst große Heiterkeit aus. Jozsef Richter juniors Freiheitsdressur mit drei Kamelen wird dank vier Tänzerinnen und Sängerin Masallah zur Shownummer aufgewertet. Ein springendes Lama sorgt für den Abschluss. Während Steve und ein Junge aus dem Publikum mit der Wasserpistole auf eine Kerze schießen, wird das doppelte Todesrad aufgebaut. Im linken Requisit sind mit vier Artisten der Truppe Gerling alle Positionen in den Kesseln und auf den Außenseiten besetzt, auf dem rechten Rad agieren nur zwei Akrobaten. Mit Blindlauf, Seilspringen und hohen Sprüngen wird das klassische Repertoire des publikumswirksamen Genres angeboten, erhält die erste Programmhälfte eine spektakulären Abschluss.


Michael Ferreri, Henrik und Noémi Kraj, Steve Caveagna

Henrik und Noémi Kraj eröffnen die zweite Hälfte des Programms mit ihren Peitschenspielen, die im spanischen Flamenco-Stil gestaltet sind und von Tänzerinnen umrahmt werden. Unter anderem köpft Henrik Kraj eine Flasche mit der Peitsche und löscht eine Kerze, die seine Partnerin auf einem Mundstab trägt. Auch in dieser Saison beweist Steven Caveagna, dass er nicht nur ein toller Clown, sondern auch einer der besten Diabolospieler unserer Zeit ist. Vier Doppelkegel lässt er schließlich fliegen. Ein Höhepunkt des Programms sind zweifellos die Jonglagen von Michael Ferreri. In raffinierten Kombinationen schickt er bis zu zehn Bälle in die Luft und fängt sie wieder auf; mit seiner tollen Ausstrahlung nimmt er das Publikum vollends für sich ein. Ein jugendlicher Weltstar der Manege.


Truppe Gerling, Jozsef Richter junior

Fünf tanzende Girls und ungarische Folklore überbrücken den Aufbau des Hochseils. Aufgang übers Schrägseil, Sprünge über zwei auf dem Seil kauernde Partner, eine Vier-Personen-Pyramide auf drei Ebenen, Dreierpyramide auf Fahrädern mit freiem Stand auf dem Stuhl und schließlich die Sieben-Personen-Pyramide sind die Eckpfeiler dieser starken Performance der Truppe Gerling. Da die Familie Richter zusätzlich zum Circus nun auch ihren eigenen Safaripark betreibt, pendelt Jozsef Richter junior zwischen beiden Betriebsteilen. Ist er nicht beim Circus, führt Alexandro Jostmann Pferde und Kamele vor und folgt aufs Hochseil das Finale. Wir haben das Glück, eine der Vorstellungen zu erleben, in welcher der Direktor präsent ist. Und so dürfen wir die große Jockeyreiterei erleben, die in der zweiten Saisonhälfte wieder ins Programm genommen wurde. Nach dem Abschied der Familie Casselly sind neue Gesichter hinzugekommen, darunter das Duo „Skating Rebels“, das nun auch in dieser zehnköpfigen Truppe mitwirkt. Jozsef Richter senior führt die Peitsche in der Manegenmitte. Verschiedene Salti von Pferd zu Pferd, das Drei-Personen-Hoch – allerdings mit einem longierten Kind an der Spitze – und fünf Personen auf einem Ross bleiben markante Eckpunkte des Repertoires. Immer wieder ein Fest ist der Anblick, wie der stehend reitende Jozsef Richter junior die ungarische Flagge über die Köpfe der Logengäste streichen lässt. Spontane Standing Ovations sind der Lohn.

Gewohnt ausgiebig zelebriert wird das Finale, in dem das Publikum nochmals stehend applaudiert. Ein wunderbarer Ausklang eines großen Circusabends voller Tempo, Witz und Temperament. Im Anschluss besteht Gelegenheit, bei der Autogrammstunde in der Manege Unterschriften zu sammeln und Selfies mit den Artisten zu machen – ein schönes Angebot, das zahlreich in Anspruch genommen wird.

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Text: Markus Moll, Fotos: Tobias Moll