Jeder
bekommt Zugang zum Circusgelände. Im Chapiteau wird Abstand zwischen
zusammengehörenden Gruppen gelassen. Die Zuschauer werden gebeten, dort
Masken zu tragen. Die reduzierte Kapazität ist natürlich mit
wirtschaftlichen Einbußen verbunden. Finanziell lohne sich das im
Moment noch nicht, wie Direktor Johannes Muntwyler in Interviews
berichtet. Es sei enorm wichtig gewesen, dass sein Circus im
vergangenen Jahr finanzielle Unterstützung erhalten habe.
Chapiteau auf der Rosentalanlage in Basel
Die
diesjährige Produktion trägt den Titel „Cirque je t'aime!“. Sie ist
eine Hommage an den Circus. Genauso aber auch an die Gründer des Circus
Monti, Guido und Hildegard Muntwyler. Letztere verstarb 2019. Eine
Doppelseite im aufwendigen, informativen und künstlerisch hochwertigen
Programmheft erinnert an ihr Leben. Die Munwylers haben sich ihren
Traum erfüllt, aus der Lehrer- eine Circusfamilie zu machen. Und so
finden wir uns zu Beginn der beiden jeweils rund einstündigen
Programmteile in einer Schule wieder. Die Protagonisten sind Lehrer
Ernesto und seine Gefährtin Helmina. Düster geht es zu im Unterricht.
Die Schülerinnen und Schüler tragen dunkle Kittel. Die Tafel ist
schwarz und spielt eine zentrale Rolle. Denn man kann sie wenden. Dann
erstrahlt sie in bunten Farben. Ebenso verhält es sich mit dem
Bühnenbild im Hintergrund. Zudem werden auf der Tafel die
Stationen der Handlung angekündigt. Letztendlich sind es die
Schülerinnen und Schüler, die ihre Lehrer inspirieren, ihnen zeigen,
welche außergewöhnlichen Talente sie haben, wie schön bunt die Welt
außerhalb des Klassenzimmers ist. Darin verpackt sind die einzelnen
Darbietungen und die vielen herrlichen Ensembleszenen. Am Ende erleben
wir dann den Circustraum. Wunderbar ausgelassen, mit treibender Musik,
sind wir mitten in einer fröhlichen Circusvorstellung. Immer wieder
passiert etwas anderes, unzählige artistische Disziplinen werden in
einer ausgefeilten Choreographie präsentiert. Voller Lebensfreude,
wahrlich eine Hommage an den Circus. Natürlich sind auch die Clowns
dabei. Ein rot-gelbes Chapiteau im Miniaturformat wird Richtung Kuppel
gezogen.
Ensembleszene
Für
Konzept und Regie ist Marie-Josée Gauthier aus Kanada verantwortlich,
die Co-Regie liegt bei Nico Lagarde und das Akrobatikdesign hat André
St-Jean übernommen. Die Kostüme hat Olivia Grandy entworfen, das Licht
wurde von Christoph Siegenthaler konzipiert und die Musik von Lukas
Stäger komponiert. Gespielt werden die Stücke in der Show von der
famosen sechsköpfigen Band. Das große, jugendliche Ensemble bringt die
Show auf die runde Bühne. Der Großteil davon hat eine Circusschule
irgendwo auf der Welt besucht und dort sein Können erlernt. Die
Mitwirkenden sind ungemein sympathisch. Die Freude an ihren Auftritten
steckt unmittelbar an. Sie haben sich während der Proben auf neue
Choreographien für ihre Nummern eingelassen und gemeinsam mit den
anderen Ensemblemitgliedern die gesamte Show einstudiert.
Olivia Swoboda-Weinstein und Stefan Swoboda, Michael Patterson und Joelle Ziärjen, Amie Patching
Schon
in der Eröffnungsszene, der ersten Schulstunde, die wir erleben, gibt
es akrobatische Kostproben. Jonglage ist dabei, mehre
Zwei-Personen-Hoch etwa. Die aufgeklappte Tafel eignet sich wunderbar
dazu, durch deren Rahmen zu springen. Die Musiker stellen sich bei
ihrem Einzug vor. Das erste Solo, oder vielmehr Duo, gehört den Clowns.
Olivia Swoboda-Weinstein und Stefan Swoboda sind zwei liebenswürdige
Zeitgenossen mit herrlich verrückten Ideen. Darauf muss man erstmal
kommen, zwei Reifen an eine Stange zu montieren und die Stange dann in
der Mitte auf einem Helm rotieren zu lassen. Heraus kommt ein perfektes
Requisit für das Reifenspringen. Michael Pattersons Partnerin für die
Hand-auf-Hand-Akrobatik entsteigt einer Kiste. Das zugehörige
Benutzerhandbuch wird gleich mitgeliefert. So schafft er es, Joelle
Ziärjen zu gemeinsamen Tricks zu animieren. Nach den variantenreichen
Handständen werden die Rollen getauscht und Michael muss in die Kiste.
Nachdem der erste Tag im Circus mit einer ausgelassenen Tanzszene
gefeiert wurde, wird es wieder ruhiger. Das Scheinwerferlicht gehört
Amie Patching. Die blonde Australierin versteht sich ebenfalls auf die
Kunst der Equilibristik. Ruhig zeigt sie ihre Handstandvariationen auf
Handstäben und direkt auf der Bühne.
Antino Pansa, Aerial Emery, Julia Stewart
Dann
ist wieder Zeit für die beiden Komiker im roten Sportdress. Stefan
Swoboda hat die Trommel zur akustischen Untermalung gleich mal auf
seinem Fahrrad montiert. Artistisch beweisen er und Olivia
Swoboda-Weinstein sich mit Hula Hoop-Reifen. Olivia lässt sogar einen
davon um ihre Nase rotieren. Beim allem Spaß ist somit eine wahres
artistisches Kabinettstückchen dabei. Innovativ ist die Darbietung auf
dem Schlappseil von Antino Pansa, integriert er doch neuartige
Bewegungsabläufe, die ich so noch nicht gesehen habe. Aber der hochgewachsene Artist aus Französisch-Guyana beherrscht auch Standards
wie den Handstand auf dem Seil oder das Balancieren auf dem weit
schwingenden Draht. In der Handlung geht es jetzt sechs Monate nach
vorne. Lehrer Ernesto macht Fortschritte. Als Bodenakrobat und mit
Reifen. Letztere beherrscht Aerial Emery ganz virtuos. Die
US-Amerikanerin agiert dabei sehr ausdrucksstark. Ihr quirliges
Auftreten spricht einen direkt an. Sie kombiniert Hula-Hoop-Akrobatik
mit Reifenjonglagen. Es beginnt ruhig und wird dann zum Rhythmus der
Musik immer flotter. Die lebendige Stimmung wird durch die
Ensembleszene vor der Pause aufgenommen. Schwungvoll, mit einem großen
Bild geht der erste Teil zu Ende. „Back to school“ heißt es zu Beginn
des zweiten. Der geordnete Unterricht weicht schnell einem bunten
Treiben, in das wiederum Artistik eingebunden ist. Helmina, die
zunächst noch versucht, Mathematik zu vermitteln, wird am Ende der
Szene von den Schülerinnen und Schülern zum Luftring geleitet. Dort
erleben wir ihre Darstellerin Julia Stewart in einer schönen Kür, in
der sie eindrucksvoll ihre Körperbeherrschung demonstriert.
Oskar Norin und Anton Persson, Antoine Boisserau
Mit
Metalleimern auf Kopf und Füßen sowie einem vor den Bauch gespannten
Holzbrett ersetzt Olivia Swoboda-Weinstein das Schlagzeug für ihren
Partner Stefan Swoboda. Doch sie revanchiert sich, indem sie ihm eine
Hupe in den Mund steckt. Auf die nächste Gruppenszene folgt der
artistische Höhepunkt der Show. Oskar Norin, Anton Persson, Amit
Kralizki und Lucas Romero stammen aus Schweden, Israel und Argentinien.
Gemeinsam haben sie sich eine Darbietung an einem Schleuderbrett
aufgebaut, die durch Rasanz, Trickstärke und Originalität besticht. Es
geht wirklich Schlag auf Schlag, wenn sich das Quartett gegenseitig zu
waghalsigen Sprüngen in die Luft katapultiert. Wenn die vier Jungs
einmal innehalten, dann nur, um mit witzigen Einfällen für zeitweise
Entspannung zu sorgen. Noch einmal haben die Clowns eine erfrischende
Szene, bei der ein Kaktus eine wichtige Rolle spielt. Die Schlussnummer
bildet folgerichtig die Akrobatik an Tüchern von Antoine Boisserau.
Denn er spielt den Lehrer Ernesto, der jetzt – zwei Jahre später, wie
die Tafel verkündet - zum ausgereiften Artisten geworden ist. Boisserau
überzeugt mit neuartigen Bewegungsabläufen und auch jetzt mit
darstellerischem Können. Und dann folgt die große, bunte Szene, in der
Ernesto und Helmina von ihrem eigenen Circus träumen. Für mich ist es
weniger ein Traum, als vielmehr eine Feier des realen, quicklebendigen
Circus! Das wird sicher jeder für sich selbst interpretieren.
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