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Circus Knie - Tour 2021
www.knie.ch ; 174 Showfotos

Bern, 7. August 2021: Ein Scan des im QR-Code hinterlegten Corona-Zertifikats, ein Abgleich mit einem Ausweisdokument und schon öffnet sich die 2021er Welt des Circus Knie. Keine Masken, keine Abstände, volle Auslastung der Sitzplätze im Chapiteau. Der Schweizer National-Circus hat sich für seine diesjährige Tournee für das von der Regierung genehmigte Konzept entschieden, nur Zuschauer einzulassen, die genesen oder geimpft sind oder einen aktuellen negativen Test vorweisen können. Aufgrund von Corona weicht auch der aktuelle Spielplan vom bekannten Muster ab.

Premiere wurde erst am 29. Juli in Rapperswil gefeiert. Die Derniere soll am letzten Tag des Jahres in Luzern stattfinden. Es fühlt sich schon ungewohnt an, in einem Innenraum auf die inzwischen vertrauten Hygieneregeln hinsichtlich der Pandemie zu verzichten. Auch wenn die maximale Zuschauerzahl von 2.300 an diesem Abend nicht ausgeschöpft wird. Im Restaurant hat man gerade noch auf dem Weg zum Platz eine Maske getragen, war durch eine Plexiglasscheibe vom Nachbartisch getrennt. Ebenso galt im Bus Maskenpflicht. Und jetzt bestellt man im feudalen Vorzelt ein Getränk und mischt sich damit unter das Publikum. Im Chapiteau ohne innenliegende Masten nimmt man seinen Platz unmittelbar neben dem Sitznachbarn ein. Komiker und Sänger gehen mit den Gästen während der Show auf Tuchfühlung. Daran muss man sich erstmal gewöhnen. Doch der Circus war immer schon dafür da, um aus der realen Welt zu entschwinden, den Alltag zu vergessen, zu träumen. Das bekommt in diesen Zeiten eine ganz besondere Bedeutung.


Chapiteau

Ein weiteres Novum in der 102-jährigen Geschichte des Circus Knie ist es wohl auch, dass zwei Saisons hintereinander die gleichen artistischen Darbietungen und Tiernummern gezeigt werden. Einzig Feuerkünstler Joseph Stenz ist nicht mehr dabei und eine der beiden Strapaten-Darbietungen wurde angepasst. Diese Prolongation der Artisten ist natürlich der Tatsache geschuldet, dass die Tour 2020 aufgrund von Corona nach weniger als zwei Monaten Spielzeit abgebrochen werden musste. So kamen nur wenige Zuschauer in den Genuss der absolut spektakulären und innovativen Show. Dies noch dadurch verstärkt, dass im vergangenen Jahr die maximale Auslastung deutlich limitiert werden musste.


Bastian Baker, Duo Full House

Das Plakatmotiv hingegen verheißt Neues. Im letzten Jahr waren darauf die Komiker Ursus & Nadeschkin sowie ein Motorradspringer abgebildet. Zudem wurde die Kooperation mit Flic Flac verkündet. 2021 präsentieren die Werbemedien erstmals einen Sänger als Headliner. Bastian Baker feiert beim Schweizer National-Circus sein zehnjähriges Bühnenjubiläum. Ursus & Nadeschkin konnten aufgrund anderweitiger Verpflichtungen nicht erneut gebucht werden. Hoffen wir, dass wir ihre herrlichen, in der Mehrzahl extra für den Circus geschriebenen Stücke zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal sehen können. Doch die Sparte Komik ist auch heuer vortrefflich besetzt. Das Duo Full House war bereits im französischsprachigen Teil der Schweiz bei Knie zu erleben. Jetzt darf es auch das deutschsprachige Publikum mit seinen größtenteils etwa von „Salto Natale“ bekannten Stücken zum Lachen bringen.


Opening mit Bingo und Bastian Baker

Die Ouvertüre gehört wie gewohnt dem Orchester unter der Leitung von Ruslan Fil. Es erklingt „Come alive“ aus dem Film „Greatest Showman“. Die Begrüßung durch Geraldine Knie kommt aus dem Off. Die artistische Direktorin drückt darin ihre Freude aus, wieder für das Publikum spielen zu dürfen. Diese Freude transportieren an diesem Abend alle Mitwirkenden bei ihren Auftritten. Man merkt, wie sehr sie es genießen, endlich ihr Können zeigen zu können und Applaus dafür zu bekommen. Im Opening mit einem Bingo-Ensemble werden eindrucksvoll die technischen Neuerungen sichtbar, welche 2020 eingeführt wurden. Die unter die 15 Meter hohe Kuppel ziehbare Rundbühne mit allen denkbaren technischen Raffinessen etwa. Oder die gigantische Lichtanlage mit rund 150 gesteuerten Leuchten und über 300 LED-Scheinwerfern. Zudem erfolgt ein Teil der Beleuchtung vom ebenfalls neuen Artisteneingang aus. Eindrucksvoll sind die meterhohen Feuersäulen. Verantwortlich für all das ist der technische Direktor Maycol Errani. Die Technik geht eine wunderbare Symbiose mit dem Geschehen in der Manege ein. Beim Auftakt eben mit dem Ensemble aus der Ukraine. Ihre Auftaktchoreographie wird vom Lied „Let's start the show“ begleitet, das Bastian Baker singt. Dazu kommt der blendend aussehende 30-jährige Singer und Songwriter aus Lausanne eine schmale Showtreppe vom Orchesterpodium herunter, um sich dann in die Choreographie einzureihen. Das Publikum kennt und liebt ihn offensichtlich. Bastian Baker wird frenetisch gefeiert.


Fratelli Errani, Chanel Marie Knie, Ivan Frederic Knie

Begeisterten Applaus erhalten ebenfalls die Mad Flying Bikers. Die fünf Motocross Freestyler wagen atemberaubende Stunts mit ihren Motorrädern. Sie springen von einer Rampe in einem Auslass des Gradins hinüber zu einer Plattform vor der Gardine. Nervenkitzel pur und ein enormer Überraschungseffekt gleich zu Beginn. Die notwendige Entspannung bringt das Duo Full House. Das sind Henry Camus aus New York („The city that never sleeps.“) und Gaby Schmutz aus Effretikon („The city that never wakes up.“). Das Ehepaar legt einen rasanten Wortwitz an den Tag. So macht er sich etwa über ihr Schweizerdeutsch lustig. Und eigentlich gönnt er ihr ja den großen Auftritt, schafft es aber irgendwie doch nicht, sich dezent im Hintergrund zu halten. Pure Harmonie bei den Passings mit Keulen, in die sie etwa einen Scheinwerfer, eine Gitarre und einen Wäscheständer integrieren. Das US-Schweizer Duo ist wirklich witzig und eine glänzende Besetzung für den komischen Part der Show. Bei ihren Handvoltigen katapultieren Maycol und Wioris Bruder Guido in die Luft. Zur Darbietung der Fratelli Errani gehören ebenfalls Bodenakrobatik und ein Drei-Mann-Hoch, den sie auf-, ab- und wieder aufbauen. Priscilla Errani und Marco Moressa haben den nächsten Auftritt, welcher wieder für ordentlich Spannung sorgt. Gegenseitig schießen sie mit der Armbrust auf Gegenstände, die der jeweils andere festhält. Auch den Tellschuss hat das Duo Double Risk im Repertoire. Marco versteht sich ebenfalls auf die Kunst des Messerwerfens. Priscilla steht mutig am Brett, auch wenn dieses rotiert. Zwei Vertreter der achten Generation der Direktionsfamilie erfreuen uns mit Pferdenummern. Chanel Marie hat ein weißes Pony als Manegenpartner gewählt. Dieses lässt sie durch große Reifen laufen, welche von den Bingo-Artistinnen gehalten werden. Weiße Tauben runden das Bild stimmungsvoll ab. Während Chanel sich die „Eiskönigin“ als musikalische Begleitung ausgesucht hat, reitet ihr Bruder Ivan Frederic die Hohe Schule zu Musik von Michael Jackson. Selbstbewusst und mit viel Ausstrahlung zeigt der 20-Jährige sein reiterisches Können. Mit Steigern ihrer Pferde verabschieden sich die Geschwister.


Katerina Abakarova und Bastian Baker, Gerlings, Maycol Errani

Dank seines US-amerikanischen MP3-Players der ersten Generation kann Henry Camus die Gedanken anderer Menschen hörbar machen. Seine Gattin, die inzwischen das Hochzeitskleid gegen Schweizer Tracht eingetauscht hat, hat nur alpenländische Musik im Kopf. Nachdem sie fast von der aus der Kuppel kommenden Bühne erdrückt worden wäre, treibt das Duo Full House seine Späße im Zuschauerraum weiter. Die Pausennummer gehört jetzt Katerina Abakarova. Im vergangenen Jahr gab es ihre Kür an den Strapaten in einer großen Inszenierung mit dem Bingo-Ensemble. Jetzt ist Bastian Baker ihr Partner. Er singt, sie zeigt ihr akrobatisches Können in der Luft. Für eine Sequenz fliegen die beiden zusammen über der Bühne. Dank der zugehörigen Wasserfontänen, einige sogar mit Feuer an der Spitze, wird daraus ein traumhaftes Gesamtbild. Ein optischer und akustischer Genuss. Auf den Boden der Tatsachen zurück holt uns das Duo Full House. Auf witzige Weise kündigen sie die Pause an. Henry Camus der „Witterung“ entsprechend in Friesennerz und Gummistiefeln. Der zweite Teil beginnt mit acht Mitgliedern aus dem Team von Douglas Gerling. Auf dem Hochseil sorgen sie für Nervenkitzel pur. Nach verschiedenen riskanten Tricks wagen sieben von ihnen die Überquerung des Seils in der Formation einer Pyramide. Den Abbau der in der Manege stehenden Masten für das Hochseil überbrücken tänzerisch die Bingo-Akteure. Dank einer eindrucksvollen Peitsche schafft Gaby Schmutz es, ihren Gatten in den Griff zu bekommen. Dass er unter ihrer Führung zu einem perfekten Hausmann geworden ist, beweist Henry Camus in diesem Auftritt. Das Balancieren eines Staubsaugers und das Jonglieren eines Besens mit Devilsticks, die hier Staubwedel sind, klappen tadellos. Weitaus harmonischer gestaltet sich die Vorführung von sechs prächtigen Friesen durch Maycol Errani. Effektvoll ist der Auftakt mit einem Pferd auf einer verspiegelten Plattform, partnerschaftlich und anspruchsvoll die anschließende Freiheitsdressur. Errani pflegt dabei den vertrauten Austausch mit den Pferden, findet aber genauso den Kontakt zum Publikum. Vier weiße Araber runden dieses Bild als Springer über Stangen und als Steiger ab.


Flash of Splash, Duo Flame, Globe of Speed

Dann hat Bastian Baker sein großes Solo. Das erste Lied singt er, während er auf einem Pferd seine Runden in der Manege dreht. Zurück mit den Füßen auf dem Sägemehl, überreicht ihm Chanel Marie Knie seine Gitarre. Weiter geht es in der Manege, in den Aufgängen des Gradins und auf den Sitzen direkt im Publikum. Die Popsongs von Bastian Baker machen einfach gute Laune und werden begeistert aufgenommen. Starke Tricks kennzeichnen die Strapatenkür des Duo Flash of Splash. Riskant sind sie obendrein. Auf der letztjährigen Tour gab es einen Unfall. Aber jetzt sind Amalia Avanesian und Yevgen Abakumov wieder topfit. Ihre erotisch angehauchten Höhenflüge werden von Wasserfontänen begleitet. Von oben kommt das Wasser beim Duo Flame. Sprich, Aiusha Khadzh und Vladyslav Khamed arbeiten ihre sinnliche Hand-auf-Hand-Nummer im Regen. Die Wirkung wird dadurch enorm gesteigert. Da ihre Akrobatik an sich schon höchst anspruchsvoll ist, erleben wir einen wahren Rausch. Das i-Tüpfelchen ist die musikalische Begleitung durch Bastian Baker. Unter dem Instrument liegend und über ihm schwebend, legt das Duo Full House ein fulminantes Klavierkonzert hin. Einige Pannen inklusive. Präzision ist gefragt, wenn bis zu zehn Hasardeure gleichzeitig auf ihren Motorrädern durch den Globe of Speed jagen. Damit die Kugel ins Scheinwerferlicht gelangen kann, wird das Orchesterpodium hydraulisch um bis zu drei Meter angehoben. Groß ist die Überraschung, wenn die Biker ihre Helme abnehmen und dabei auch eine Frau zum Vorschein kommt. Mit dieser Sensationsnummer wird der Schlusspunkt, vielmehr das Ausrufezeichen, hinter dieses so außergewöhnliche Programm gesetzt. Wunderschön gestaltet ist das Finale. Bastian Baker startet mit einem seiner Songs, Chanel Marie Knie kommt mit einem Smartphone hinzu, dessen Taschenlampen-Funktion angeschaltet ist. Dann stehen auch die Artisten mit beleuchteten Smartphones in den Aufgängen des Gradins und bewegen sich Richtung Manege. Das Publikum holt ebenfalls seine Telefone heraus und vervielfacht den Lichteffekt. Wenn Geraldine Knie die Abschiedsworte spricht, wird einem nochmal eindrücklich vor Augen geführt, welch großes Ensemble Knie 2021 aufbietet.

Es gehört viel Mut dazu, in solch einer schwierigen Zeit mit einem derart starken Programm auf Tournee zu gehen. Mit dieser Produktion setzt Knie neue Maßstäbe. Für die ganze Branche, aber auch für sich selbst. Nach der Jubiläumsshow 2019 hat der Schweizer National-Circus einen riesigen Schritt Richtung Zukunft gemacht. Was die Zuschauer jetzt unter dem weißen Chapiteau erleben ist spektakulärer, aufwendiger, rockiger und moderner als je zuvor. Einfach faszinierend! Einzig würde man sich wünschen, dass all das prominenter in der Werbung herausgestellt werden würde. Die gesamte Show ist es, die die Knie-Produktion 2020/21 zu einer besonderen werden lässt. Die Headliner sind dann noch das „icing on the cake“, das Sahnehäubchen!

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Text und Fotos: Stefan Gierisch