Enorm aufgewertet wird das
Ambiente im Chapiteau während dieser 28. Tournee des Circus
Harlekin durch die neue Klappsitz-Tribüne aus Italien. Aufgrund
der Corona-Pandemie bleibt zwischen jeder Besuchergruppe einer
der Sitze frei. Die hierdurch verringerte Kapazität und der
große Zuspruch führen dazu, dass an vielen Orten nicht alle
Interessenten Einlass gewährt werden kann.
Platzkonzert der
Musikgesellschaft Ringgenberg, Duo Nevarez
In Interlaken freuen sich die
Direktoren Pedro Pichler und Monika Aegerter über den Besuch der
Musikgesellschaft Ringgenberg, die mit einem Platzkonzert das
Gastspiel eröffnet. Inzwischen haben beide sich weitgehend aus
der Manege zurückgezogen. Auf ihre Clownsnummern als „Les Nicas“
müssen wir verzichten, doch immerhin führt Monika Aegerter
charmant durch die Vorstellung. Nach der Ouvertüre des
Harlekin-Orchesters, unterstützt von Clown Hector Rossi am
Saxofon, gehört die Manege dem Duo Nevarez aus Mexiko. Zunächst
beeindruckt Julio Cesar Martinez Hernandez seine Partnerin
Ivette Gloria Maldonado Nevarez mit einem besonderen Kunststück:
Er balanciert eine langstielige Rose auf seiner Stirn, während
er gleichzeitig Trompete und Akkordeon spielt und sich auch noch
in den Spagat gleiten lässt. Danach entschweben beide zu einer
dynamischen, rasanten Kür im Mambo-Rhythmus an den Strapaten
unter die Circuskuppel. Beide suchen offensiv den Kontakt zum
Publikum und begeistern mit ihrer mitreißenden Art. Bei der
mexikanischen Ausgabe des Supertalents sagte die Jury drei Mal
„Si!“ zu diesem Duo, das nun eine originelle Neuentdeckung für
Europa wurde – eben „typisch Harlekin“. Zum Abschluss dreht sich
Ivette im Genickhangwirbel, von ihrem Partner mit den Zähnen
gehalten.
Alina Malko,
Ethio-Brothers, Nicole Pichler
Von Südamerika geht es weiter
nach Afrika: Die beiden „Ethio-Boys“ Ashenafi und Daniel sind
ebenfalls eine Harlekin-Neuentdeckung und erstmals auf unserem
Kontinent zu Gast. Jeweils übers ganze Gesicht strahlend,
jonglieren sie gemeinsam mit Keulen. Dabei umrunden sie sich
gegenseitig und stehen Arm in Arm, einander gegenüber oder
Rücken an Rücken. „Let me entertain you“, spielt die
Harlekin-Band und tatsächlich fühlen wir uns trefflich
unterhalten. Auch in dieser Saison präsentiert Nicole Pichler,
die Tochter des Direktors, eine Tiernummer vom schwedischen
Cirkus Olympia der Familie Bengtsson. Sie dirigiert sechs
prächtige Friesen zunächst durch temporeiche Lauffiguren und
lässt sie dann, während die Geschirre effektvoll im Dunkeln
leuchten, ruhig walzen. Ein Steiger bildet den Abschluss. Ebenso
ein sehr bekanntes Gesicht in diesem Circus ist die vielseitige
Artistin Alina Malko. Inzwischen ist sie mit dem
Harlekin-Allrounder und Oberrequisiteur Robert Rusin
verheiratet. Heuer präsentiert sie sich als energische
Rockerlady in einer Luftnummer an Ketten und heizt dem Publikum
zu AC/DCs „Thunderstruck“ so richtig ein. Spagat, Genickhang und
Abfaller gehören – unter anderem – zu den Bestandteilen des
Repertoires.
Tamara Khurchudova,
Pierrot und Hector Rossi, Rogerio Goncalves alias "Goncalito"
Nach so viel schwungvoller
Unterhaltung wird es Zeit für ein wenig Entspannung. Und so
besuchen wir das Museum des Circus Harlekin, wo eine
Napoleon-Statue, die Mona Lisa und die Bibliothek von Leonardo
da Vinci auf Besucher warten. Nachdem „Museumswärter“ Pierrot
Rossi beim Abstauben doch einige Schäden an den einzigartigen
Kunstschätzen anrichtet, muss er selbst einspringen und den
Besucher Hector von dem Malheur ablenken – eine fraglos
originelle und unterhaltsame, nur in Teilen ein wenig
langwierige Angelegenheit. Ebenso heiter geht es weiter, denn
„typisch Harlekin“ ist auch viel Humor. Rogerio Goncalves wurde
aus dem Vorjahr prolongiert und hat deshalb seine
Jonglage-Nummer mit viel Augenzwinkern abgewandelt. Nun
präsentiert er sich als Mexikaner „Goncalito“ mit Sombrero, der
bei seiner Siesta nicht gestört werden möchte. Dennoch lässt er
sich dann zur „Arbeit“ hinreißen: Goncalves lässt eine kleine
Gitarre auf zwei Devilsticks tanzen, hält einen Stapel von 16
Zigarrenkisten horizontal in der Luft und jongliert abschließend
mit drei kleinen Strohhüten. Seine fröhliche, extrovertierte Art
passt perfekt in dieses Programm. Es weiß nicht nur mit
interessanten Newcomern, sondern auch mit äußerst etablierten
und erfahrenen Künstlern und Künstlerinnen zu überzeugen. Und
eine solche ist Tamara Khurchudova. Fantasievoll und mit
interessanten Leuchteffekten gestaltet sind ihre
Antipodenspiele. Die Artistin trägt zunächst eine Art Baldachin
aus leuchtenden LED-Schnüren über sich. An ihrem Kostüm blinken
Lichter. Mit einem Gurt lässt sie sich von der Trinka in die
Höhe ziehen. Im Dunkeln kreisen vier fluoreszierende Tücher auf
ihren Händen und Füßen. Zum Abschluss ihrer Darbietung geht es
nochmal unter die Zeltkuppel, nun aber nicht mehr an einem
Beckengurt hängend, sondern mit einem Fuß in einer Schlaufe. Auf
diese Weise lässt sie noch drei Teppiche auf den freien
Extremitäten rotieren. Mit einer humorvollen Einlage des
„Hausballetts“ geht es in die Pause.
Ethio Brothers,
Susanne Mani, Pierre und Hector Rossi
Der zweite Programmteil wird
eröffnet mit dem Harlekin-Marsch – natürlich live gespielt vom
Orchester – und anschließend einem Wiedersehen mit den Ethio
Brothers. Die sympathischen Artisten überzeugen mit ihrer gut
gelaunten Art auch und ganz besonders als Kaskadeure. Voller
Action ist die umfassende Abfolge an Tricks auf und über Tisch
und Stuhl. Ihre beiden Nummern sind eindeutig die artistischen
Highlights des Programms, in dem in diesem Jahr leider erneut
auf eine Truppe verzichtet wird. Umso mehr freuen wir uns auf
die Saison 2021, in der die siebenköpfige "Africa Nova Group"
mit Handvoltigen und am Chinesischen Masten begeistern soll. Susanne Mani bildet seit nunmehr 13 Saisons eine
unverzichtbare Stütze des Unternehmens. Sie kümmert sich um die
Vorreise, agiert nun als Platzchefin und ist auch nach der
Vorstellung an der Bar in der berühmten „Kameltränke“ im
Einsatz. Vor allem aber ist sie die „Frau Dr. Doolittle“ bei
Harlekin. In jedem Jahr stellt sie eine neue, selbst dressierte
Tiernummer vor. 2020 nimmt sie uns mit auf einen Bauernhof mit
reitenden Ziegen, Esel, Schwein, Ponys und stattlichen Kühen.
Die Clowns Hector und Pierrot sind im zweiten Programmteil mit
einer kleinen Musik-Einlage und einem großen Entree vertreten –
anders als vor der Pause wird hier aber keine durchgängige
Geschichte erzählt, sondern werden verschiedene musikalische
Kabinettstückchen wie ein „Glöckchen-Boxkampf“ und Schabernack
aller Art eher lose aneinander gereiht.
Ivette Gloria Maldonado Nevarez,
Goncalito, Tamara Khurchudova
In ihrem zweiten Auftritt zeigt
Tamara Khurchudova nicht ihre bekannte Schwungtrapez-Arbeit,
sondern überrascht mit einer ruhigeren Variante einer
Antipoden-Nummer „ganz in Weiß“. Begleitet von Klaviermusik,
lässt sie zunächst zwei beleuchtete Regenschirme, die mit einer
gemeinsamen Stange verbunden sind, auf ihren Füßen tanzen. Dann
bewegt sie mit Händen und Füßen insgesamt fünf Reifen mit
Stoff-Ummantelung. Für den Schlussteil lässt sie nochmal das
Schirm-Requisit und einen einzelnen Ring um ihre Füße kreisen –
nunmehr auf dem Kopf stehend und dabei auch noch ein Buch lesend.
Nach so viel romantischer Stimmung wird’s nochmal herzhaft
lustig. „Goncalito“ hat für sein zweites Harlekin-Engagement
zudem eine Comedy-Nummer zusammengestellt, bei der er sich von
der „musikalischen Kerze“ über amüsante Peitschenspiele und den
Besuch des Stofftiers „Juanito“ bis zu einem Quickchange-Effekt
zum Abschluss blödelt. Und nun das große Finale! Im
Samba-Rhythmus tanzend kommt das Ensemble in die Manege, alle
Artisten werden namentlich vorgestellt – und das war es dann,
auf ein Wiedersehen im nächsten Jahr? Nicht so bei Harlekin
2020, denn die eigentliche Schlussnummer folgt erst jetzt.
Ivette Gloria Maldonado Nevarez erklimmt das Schwungseil und
begeistert mit Abfallern, Sprüngen und Festtagslaune im Gesicht.
Das übrige Ensemble sitzt auf den Logenkästen und schaut zu.
Musikalisch reißen Helene Fischer und Andrea Berg mit „Atemlos“
und „Du hast mich tausend Mal belogen“ mit. Die Textzeile „Ich
bin mit dir so hoch geflogen…“ wirkt wie der Kommentar zu dieser
raumgreifenden Nummer. Natürlich wird das Finale anschließend
noch weiter ausgiebig zelebriert, und zwar mit dem „Vogellisi-Lied“ –
einer musikalischen Liebeserklärung ans Berner Oberland – und mit
dem wunderbaren Schlager „Wir sind eine große Familie“. |