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Circus Flic Flac - Tour 2020
www.flicflac.de ; 132 Showfotos

Frankfurt am Main, 13. Februar 2020: PUNXXX ist spektakulär, PUNXXX ist rasant, PUNXXX ist schrill, PUNXXX ist skurril, PUNXXX provoziert. PUNXXX ist einfach Flic Flac. Mit seiner 2019 gestarteten Kreation feiert der Circus der Familie Kastein seinen 30. Geburtstag. Dafür stehen die XXX, die römische Zahl für 30. In diesen drei Jahrzehnten hat sich Flic Flac spürbar verändert. Denken wir nur an die Vorführungen von Hunden und Gänsen ganz zu Beginn. Seit vielen Produktionen hat das Unternehmen seinen Stil gefunden. Dazu gehören die schwarz-gelb gestreiften Zelte.

Dazu gehört ebenfalls das Setzen auf spektakuläre Artistik in spektakulärer Aufmachung. PUNXXX folgt diesem Stil, gibt sich aber bunter und eben punkiger als die bisherigen Shows. Wie immer geht es Schlag auf Schlag, Zeit für ein Schlusskompliment nach der Nummer gibt es nicht. Auf den letzten Trick folgt schon der nächste Act. Erst im Finale bekommt jeder Mitwirkende die Gelegenheit, sich kurz vom Publikum feiern zu lassen. So entsteht ein immenses Tempo. Der erste Teil ist bei der Premiere in Frankfurt am Main bereits nach 50 Minuten zu Ende. Anderswo hätte man mit den gezeigten Darbietungen vermutlich 90 Minuten Programm gemacht. Doch Längen gibt es hier nicht, es bleibt kaum Zeit zum Luftholen. Im Kern ist das Ensemble von PUNXXX fest. Doch aufgrund anderweitiger Verträge, Festivalteilnahmen oder Verletzungen kommt es immer wieder zu Veränderungen. So auch während des Frankfurt-Gastspiels. Diese Wechsel sind aber nicht spürbar. Die Show kommt aus einem Guss daher, wirkt eingespielt.


Opening, Zdenek Polach, David Eriksson

Grandios gemacht ist das Opening. Die Artisten laufen mit Schildern über die Bühne, auf denen die Titel bisheriger Flic Flac-Produktionen stehen. Im Hintergrund ist das Logo von PUNXXX groß auf der Landeplattform für die Motocross-Freestyler zu sehen. Darauf sitzt zunächst Romain Vincente und trommelt. Mit seinem Schlagzeug begleitet der Drummer die weitere Show, unterstreicht die Flic Flac-eigenen Kompositionen perfekt. Nachdem Vincente diesen Platz verlassen hat, gehört auch die erhöhte Plattform den Artisten des Openings. Kurz darauf landen hier die Mad Flying Bikes. Spektakulärer kann der Auftakt kaum sein. Die beiden Motocross Biker starten vom mittleren Zuschauereingang aus zu ihren gewagten Sprüngen. Gerade vom Festival Next Generation in Monte Carlo zurückgekehrt ist Zdenek Polach. Der junge Tscheche überzeugt mit seinen Jonglagen von weißen Bällen am Mittelmeer genauso wie am Main. Das Publikum geht hörbar begeistert mit, wenn er in rasantem Tempo bis zu sieben Bälle gleichzeitig in der Luft hält. Dann begegnen wir erstmals David Eriksson. Als Bühnenoutfit reichen dem Schweden mit der Glatze enge pinke Shorts und eine Weste. Eriksson kommt uns schrill, gleichzeitig aber ungeheuer liebenswürdig. Das Beste aber ist, dass er wirklich witzig ist und uns mit vielen neuen Ideen zum Lachen bringt. So jongliert er etwa Tischtennisbälle mit dem Mund. Da er dies auch im Handstand tut, werden daraus quasi „orale Bouncing Jonglagen“. Oder er saugt einen Pümpel auf seinem Kopf fest und lässt einen Reifen an dessen Griff rotieren. Ein Zuschauer darf sein skurriles Spiel mit Äpfeln begleiten. Den Plan, jenem Herrn einen Apfel mit einem Beil vom Kopf zu schießen, verwirft Eriksson zum Glück schnell. Stattdessen fliegt das Obst vom Zuschauerraum Richtung Bühne. Der Gast wirft, der Künstler fängt. Zum Fangen hat er zwei halbe Metallkugeln, die mit spitzen Stiften versehen sind. Eine trägt der Comedian auf dem Kopf, die andere schnallt er sich vor den Intimbereich. Es folgen weitere Auftritte dieser Art, die bestens ankommen.


Three G, Alex Michael, Romy Meggiolaro

Aus einer Straßenszene entwickelt sich die Partnerequilibristik von Three G. Die ohnehin extrem starke Akrobatik des Trios aus der Ukraine wird so optimal in Szene gesetzt. Die jungen Artistinnen beweisen eine perfekte Körperbeherrschung. Zusätzlich ergänzen sie ihre Gleichgewichtskünste um Handvoltigen. Ein roter Irokesenschnitt ziert den Kopf von Alex Michael. Als abgedrehter Punk strapaziert er die Nerven des Publikums. Völlig ungesichert wagt er unter der Kuppel nicht nur den Deckenlauf, sondern auch den Sprung von Trapez zu Trapez. Bei letzterem fängt er sich sogar mit den Füßen. Direkt nach Michael arbeitet seine Partnerin Romy Meggiolaro. Die Bühne wird ihr in Form eines Abenteuerspielplatzes für Antipodistinnen bereitet. Ein Spielplatz freilich, auf dem sich düstere Jungs rumtreiben. Hinterhofatmosphäre inklusive. Die erste Trinka wird aus Paletten gebildet. Darauf jongliert Meggiolaro mit Walzen. Für das Spiel mit Ringen platziert sie ihren Rücken auf einem Stapel aus Autoreifen verschiedener Größen. Auf dem Sattel eines Motorrads lässt sie Tücher auf Händen und Füßen kreisen. Mit diesen Requisiten wird sie zudem an einem Seil hängend Richtung Kuppel gezogen. Der für mich eindrucksvollste Act des Abends gehört Olha Peresada. „Purple Rain“ von Prince bildet die musikalische Begleitung für ihre starke Kür am Chinese Pole. Dazu regnet es aus der Kuppel, violettes Licht macht die Inszenierung perfekt. Es entstehen grandiose Bilder. Die Technik drängt sich nicht in der Vordergrund, sondern geht eine geniale Symbiose mit der eigentlichen Nummer ein. Überhaupt begeistert das Lichtdesign, ergänzt um Feuer- und Nebeleffekte, auf ganzer Linie. Zudem bietet das im Inneren mastenfreie Chapiteau optimale Sicht. Anders als bei der letzten Produktion wird diese nicht durch Aufbauten für ein Hochseil gestört.


Globe of Speed, Alain Alegria, Alina und Alisa

Die perfekte Rundumsicht gibt auch der Motorradkugel eine uneingeschränkte Wirkung. David Eriksson zieht sie am Seil herein, nachdem Drummer Romain Vincente auf einer runden Plattform sein Solo hatte. Am Ende donnern acht Biker gleichzeitig durch den Globe of Speed. Sie tun das im perfekten Zusammenspiel, bei dem sie mit gewagten Formationen begeistern. Groß ist die Überraschung, wenn nach den verrückten Touren die Helme abgenommen werden. Denn unter den Helldrivers befindet sich eine Frau. „Über den Wolken“ zeigt Alain Alegria seine riskanten Balancen auf dem Washington-Trapez. Diese Interpretation lässt jedenfalls das Ballett zu Beginn zu. Sechs Frauen in langen weißen Oberteilen tanzen durch Bühnennebel. Von dort schwebt Alegria Richtung Kuppel, wo er in dunklem T-Shirt und Jeans seine bekannte Darbietung zelebriert. Nonnen haben bei Flic Flac eine längere Geschichte. Auch bei PUNXXX sind zwei Klosterfrauen dabei. Ihre Ordenskleidung legen Alina und Alisa allerdings schnell ab. Bei ihrer Partnerakrobatik tragen die Schönheiten deutlich weniger Stoff. Was Sinn macht, denn immer wieder tauchen sie in eine mit Wasser gefüllte Halbkugel aus Plexiglas ein. So werden ihre Handstände und Figuren der Kontorsion durch wunderschöne, tropfende Effekten aufgewertet. Das Hinschauen lohnt sich also gleich aus mehreren Gründen.


Naked Lunch, Holy Warriors

Zu einem „Naked Lunch“ laden Colm O'Grady und Simon Marc Llewellyn. Damit ist eigentlich fast alles gesagt. Denn die britisch-irische Küchencrew begibt sich nackt in die Küche. Nicht ganz, denn die edelsten Teile ihrer Körper bleiben vor den Augen des Publikums verborgen. Erst trennen sie sich von ihren Kochjacken, dann von den Hosen und zuletzt fallen die schon arg in Mitleidenschaft gezogenen Schürzen. Doch gänzlich nackte Tatsachen gibt es nicht zu sehen. Vier, am Ende gar nur eine Bratpfanne sorgen dafür, dass die britisch-irischen Kronjuwelen stets verdeckt sind. Am Beginn ihrer Darbietung peitschen sie sich mit Lauch aus und lassen auf Töpfen sowie Pfannen Ravels Bolero erklingen. Als Schlägel dienen dabei Karotten. Insgesamt ein herrlich frivoler Spaß, der sich allerdings etwas in die Länge zieht. Das fällt gerade in dieser Show mit hohem Tempo und rasanten Übergängen auf. Auch die Schlussnummer bekommt vergleichsweise viel Raum. Darin faszinieren die Holy Warriors als Reifenspringer. Zehn junge Artisten der China National Akrobatik Truppe hechten mit ihren trainierten Körpern durch Reifen mit einem Durchmesser von 60 Zentimetern. Mal bewegen sich die Requisiten ferngesteuert über die Bühne, mal ruhen sie in großer Höhe. Beim letzten Sprung geht es auf fast vier Meter Höhe. Im anschließenden Finale verabschieden sich alle Mitwirkenden gemeinsam auf der Bühne. Das begeisterte Frankfurter Premierenpublikum applaudiert frenetisch im Stehen. Dann folgen die Gäste dem Ensemble ins Vorzelt. Hier ist dann Gelegenheit, miteinander ins Gespräch zu kommen, Autogramme zu ergattern und gemeinsame Fotos zu machen. Das umfangreiche Angebot in der großzügig aufgebauten Restauration bietet eine weiteren Grund zum Verweilen.

Mit PUNXXX liefert Flic Flac die für mich überzeugendste Inszenierung seit ARTgerecht ab. Jener Produktion, die bis 2010 gespielt wurde. Natürlich waren auch die Shows danach regelmäßig stark besetzt und aufwendig in Szene gesetzt. So rundum gelungen wie jetzt PUNXX habe ich sie aber nicht in Erinnerung behalten. Zumindest mir hat Flic Flac schon lange nicht mehr so viel Spaß gemacht wie aktuell. Vielleicht auch deswegen, weil die Show richtig bunt ist und nicht mehr „farblos“.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch