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Roncalli's Drive-in-Liveshow 2020
www.roncalli.de ; www.carstival.de ; 121 Showfotos

Mannheim, 28. Juni 2020: Eigentlich sollte das Circus Theater Roncalli an diesem Abend seine Derniere in Düsseldorf spielen. Als letzte Vorstellung vor der Sommerpause. Doch die diesjährige Pause startete bereits vor der Premiere. Eine Zwangspause. Aufgrund der Ausbreitung des Corona-Virus machten umfangreiche behördliche Maßnahmen zu dessen Eindämmung einen Spielbetrieb unmöglich. Die gesamte Branche ist nach wie vor mit voller Härte betroffen. Da heißt es, abzuwarten und die Zeit so sinnvoll wie eben möglich zu nutzen.

Einige Unternehmen haben sich entschieden, an ihrem Stammsitz Tier- und Freizeitparks zu eröffnen. Eine andere Variante, Circus zu spielen, besteht darin, das Publikum vom Auto aus zuschauen zu lassen. Sicherlich keine Möglichkeit, dauerhaft Geld zu verdienen. Aber immerhin eine Chance, wenigstens für einen Abend wieder vor Publikum aufzutreten.


Blick in den "Zuschauerraum"

Nach einer Show auf dem Schützenplatz in Hannover bestreitet Roncalli Ende Juni eine Vorstellung beim CARStival auf dem Maimarktgelände in Mannheim. Das Areal bietet Platz für bis zu 850 Fahrzeuge. Seit es die Bestimmungen zulassen, gibt es zusätzlich 25 sogenannte "Open Air Lounge Boxen" für jeweils vier Personen ohne Auto. Auf einer 300 Quadratmeter großen LED-Wand werden ansonsten Filme gezeigt. Der Ton kommt über das Autoradio. Zudem gibt es Auftritte von Live-Acts. Max Giesinger und Revolverheld stehen unter anderem auf dem Programm. Und eben „Roncalli's Drive-in-Liveshow“, so der offizielle Titel.


Die Bello Sisters vor der LED-Wand

Gespielt wird diese auf einer Rundbühne, welche auf dem Boden aufgebaut ist. Das Geschehen wird live auf die gigantische LED-Wand übertragen. Daneben sitzt das Roncalli Orchester unter einem historisch gestalteten Pavillon. Für Livemusik ist somit gesorgt. Hinter der Spielfläche werden ein Artisteneingang sowie das Roncalli-Logo auf Transparenten gezeigt. Ein Kran ermöglicht den Einsatz von Luftnummern. Walking Acts sorgen schon vor der Vorstellung für Circusatmosphäre. Die kulinarischen Genüsse werden mittels App geordert und per E-Scooter ausgeliefert. Natürlich kann so in keinster Weise die Atmosphäre des exquisiten Roncalli-Chapiteaus erzeugt werden. Aber man hätte das Ambiente auch deutlich liebloser gestalten können. Das Drumherum ist also im Rahmen des Machbaren durchaus ansprechend. Was außerdem fehlt, ist die unmittelbare Publikumsreaktion. Die Ahs und Ohs von den Rängen, der Applaus, das Lachen. Einzig das Hupen bleibt als Ausdruck des Gefallens. Kann hier so etwas wie Stimmung aufkommen?


Vorbereitungen für eine außergewöhnliche Show

Doch die Herausforderung des Abends ist dann eine ganz andere. Es regnet über dem Maimarktgelände. Es regnet und ein Ende ist nicht absehbar. Die Zuschauer sitzen geschützt im Auto. Aber die Bühne ist nicht überdacht. Es wird hin und her überlegt. Die eine App verspricht das baldige Ende des Regens, die andere prophezeit einen durchgehend feuchten Abend. Gegen 20:20 Uhr wir die Plane von der Bühne entfernt, die Spielfläche vorbereitet. Währenddessen machen Monsieur Momo und Markus Strobl das Warm up vor der erhöhten Leinwand. Was dann folgt ist eine Show, die in die Roncalli-Geschichte eingehen wird. Es wird ein „Circus unter Wasser“. Der Regen macht nahezu keine Pause, variiert nur in seiner Intensität. Als kurz die Sonne kommt, gibt es gar eine „Reise zum Regenbogen“. Höchsten Respekt an das Ensemble, Requisiteure einbezogen. Die Vorstellung wird mit großer Disziplin – und ebensolcher Spielfreude – durchgezogen. Einzig auf die Luftnummer am Kronleuchter wird verzichtet. Und auf einzelne Tricks, deren Präsentation einfach zu riskant wäre.


Cedenos, Jemile Martinez, Duo Minasov

Wir erleben ein starkes Programm, mit vielen Roncalli-erprobten Darbietungen und ein paar Premieren. Angekündigt werden die Auftritte von hübschen Nummerngirls in fantasievollen Outfits. Die wunderbare musikalische Begleitung übernimmt das Orchester unter der Leitung von Georg Pommer. Die Requisiteure, die eben noch in T-Shirts und kurzen Hosen alles vorbereitet haben, tragen jetzt edle Livrees. Es geht los mit einem Charivari in bunten Kostümen. Da wird jongliert, es gibt Artistik an Reifen auf dem Boden und in der Luft, und wir erleben Handstandakrobatik. Dann übernehmen die Cedenos mit ihrem Schleuderbrett-Act. Mutig katapultiert sich das Quartett gegenseitig zu variantenreichen Sprüngen in die Luft. Zwei Requisiteure mit Handtüchern sorgen dafür, dass Jemile Martinez zumindest kurzzeitig halbwegs trockene Requisiten hat. Routiniert lässt er Fußbälle auf seinen Fingern rotieren und wirft sie in die Luft. Bis zu fünf davon jongliert er gleichzeitig. In strömendem Regen hat er die vielleicht größte Herausforderung des Abend zu meistern. Ein Glitzerregen setzt den Schlussakkord bei den Quick Change-Illusionen des Duo Minasov. Schon davor hat das russische Ehepaar in zig Varianten auf magische Weise seine Kostüme in Windeseile gewechselt. Dabei erleben wir die beiden tänzerisch in vollem Einsatz.


Monsieur Momo, Jason Ioannidis, Geraldine Philadelphia

Im Naturregen sind dann wieder die Bello Sisters zu erleben. Die Artistinnen aus Italien waren in den vergangenen Jahren mit Roncalli auf Tournee. 2020 sollten sie das Programm des Zirkus Charles Knie bereichern. An diesem Abend zeigt das Trio seine anmutige und starke Partner-Equilibristik nun eben beim CARStival in Mannheim. Zaubereien mit Kaninchen, Tuch und Ballon-Hund hat Monsieur Momo im Repertoire. Auf höchst amüsante und sympathische Weise sehen wir Illusionen, die nicht immer reibungslos verlaufen. Das ist natürlich gewollt, denn in erster Linie ist Momo Clown. Ein äußerst liebenswürdiger, der mit eigenen Ideen überzeugt. Als Gast vom Kinder- und Jugendzirkus Paletti ist Jason Ioannidis dabei. Auch seine Disziplin ist nicht gerade auf eine hohe Feuchtigkeit ausgelegt. Umso bemerkenswerter, wie der junge Artist immer wieder den Mast hinaufklettert und in den verschiedensten Varianten den Weg nach unten nimmt. Seine vielfältigen Tricks sind so oder so beeindruckend. Große Ringe lässt Geraldine Philadelphia kreisen und fliegen. Mit ihrer Melange aus Hula Hoop und Reifenjonglage hat sie sich eine einzigartige Darbietung aufgebaut, die sie gewohnt charmant präsentiert.


Lili Paul Roncalli, Kristalleon, Cedenos

Noch einmal verzaubert uns Monsieur Momo. Diesmal lässt er etwa eine Barbiepuppe schweben oder erweckt seinen an einem Garderobenständer aufgehängten Mantel zum Leben. Dank ihres Sieges bei der aktuellen Staffel der RTL-Sendung „Let's Dance“ hat sich Lili Paul (Roncalli) eine Prominenz über die Circusszene hinaus aufgebaut. Nicht verwunderlich also, dass sie mit einem großen Hupkonzert empfangen wird. In ihrer sinnlichen Kontorsionsdarbietung verbiegt sie ihren Körper auf extreme, aber sehr ästhetische Weise. Dazu lässt sie Tücher auf Fuß- und Fingerspitzen rotieren. Im Harlekinkostüm spielt Kristalleon zunächst auf zwei gläsernen Flöten, um dann Gläser zum Klingen zu bringen. Aufgrund unterschiedlicher Gefäßformen und Füllstände erzeugt jedes Glas einen anderen Ton. Virtuos lässt er so seine Glasorgel erklingen. Als Schlussnummer erleben wir noch einmal die Cedenos. Diesmal in ihrer Paradedisziplin, den Ikarischen Spielen. Auf zwei Trinkas entfachen die Südamerikaner einen wahren Wirbel. Das sowohl artistisch als auch mit ihrer ansteckenden Lebensfreude. Spektakulär ist wie immer der parallele Wechsel der Obermänner „über Kreuz“. In einem Regen aus bunten Papierschnipseln endet das anschließende Finale, welches frenetisch gefeiert wird. Poetisch wird der Epilog, wenn Monsieur Momo Kristalleon nacheifern und ebenfalls ein gefülltes Glas zum Klingen bringen will. Nur dass jenes von Momo viel größer ist als das seines Bühnenpartners. Nach den Abschiedsworten von Momo setzen sich die Autos in Bewegung Richtung Ausfahrt. Die Servicekräfte sind bestens eingespielt. Alles läuft wie am Schnürchen.

Keine Frage, die Stimmung im Roncalli-Chapiteau ist durch nichts zu ersetzen. Schon gar nicht durch Menschen, die die Show vom Auto aus erleben. Allerdings hätte ich vorab nicht gedacht, dass durch das Hupen doch so etwas wie Stimmung aufkommen kann. Sogar die „leisen Töne“ werden entsprechend gewürdigt. Letztendlich heißt es also „besser als erwartet“. Doch das ist an diesem Abend dann halt doch nur Nebensache. Denn der Regen sorgt dafür, dass wir alle Zeugen einer der ausgefallensten Vorstellungen der Roncalli-Geschichte werden.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch