Einige
Unternehmen haben sich entschieden, an ihrem Stammsitz Tier- und
Freizeitparks zu eröffnen. Eine andere Variante, Circus zu spielen,
besteht darin, das Publikum vom Auto aus zuschauen zu lassen.
Sicherlich keine Möglichkeit, dauerhaft Geld zu verdienen. Aber
immerhin eine Chance, wenigstens für einen Abend wieder vor Publikum aufzutreten.

Blick in den "Zuschauerraum"
Nach
einer Show auf dem Schützenplatz in Hannover bestreitet Roncalli Ende
Juni eine Vorstellung beim CARStival auf dem Maimarktgelände in
Mannheim. Das Areal bietet Platz für bis zu 850 Fahrzeuge. Seit es die
Bestimmungen zulassen, gibt es zusätzlich 25 sogenannte "Open Air
Lounge Boxen" für jeweils vier Personen ohne Auto. Auf einer 300 Quadratmeter
großen LED-Wand werden ansonsten Filme gezeigt. Der Ton kommt über das
Autoradio. Zudem gibt es Auftritte von Live-Acts. Max Giesinger und
Revolverheld stehen unter anderem auf dem Programm. Und eben
„Roncalli's Drive-in-Liveshow“, so der offizielle Titel.

Die Bello Sisters vor der LED-Wand
Gespielt
wird diese auf einer Rundbühne, welche auf dem Boden aufgebaut ist. Das
Geschehen wird live auf die gigantische LED-Wand übertragen. Daneben
sitzt das Roncalli Orchester unter einem historisch gestalteten
Pavillon. Für Livemusik ist somit gesorgt. Hinter der Spielfläche
werden ein Artisteneingang sowie das Roncalli-Logo auf Transparenten
gezeigt. Ein Kran ermöglicht den Einsatz von Luftnummern. Walking Acts
sorgen schon vor der Vorstellung für Circusatmosphäre. Die
kulinarischen Genüsse werden mittels App geordert und per E-Scooter
ausgeliefert. Natürlich kann so in keinster Weise die Atmosphäre des
exquisiten Roncalli-Chapiteaus erzeugt werden. Aber man hätte das
Ambiente auch deutlich liebloser gestalten können. Das Drumherum ist
also im Rahmen des Machbaren durchaus ansprechend. Was außerdem fehlt,
ist die unmittelbare Publikumsreaktion. Die Ahs und Ohs von den Rängen,
der Applaus, das Lachen. Einzig das Hupen bleibt als Ausdruck des
Gefallens. Kann hier so etwas wie Stimmung aufkommen?

Vorbereitungen für eine außergewöhnliche Show
Doch
die Herausforderung des Abends ist dann eine ganz andere. Es regnet
über dem Maimarktgelände. Es regnet und ein Ende ist nicht absehbar.
Die Zuschauer sitzen geschützt im Auto. Aber die Bühne ist nicht
überdacht. Es wird hin und her überlegt. Die eine App verspricht das
baldige Ende des Regens, die andere prophezeit einen durchgehend
feuchten Abend. Gegen 20:20 Uhr wir die Plane von der Bühne entfernt,
die Spielfläche vorbereitet. Währenddessen machen Monsieur Momo und
Markus Strobl das Warm up vor der erhöhten Leinwand. Was dann folgt ist
eine Show, die in die Roncalli-Geschichte eingehen wird. Es wird ein
„Circus unter Wasser“. Der Regen macht nahezu keine Pause,
variiert nur in seiner Intensität. Als kurz die Sonne kommt, gibt es
gar eine „Reise zum Regenbogen“. Höchsten Respekt an das
Ensemble, Requisiteure einbezogen. Die Vorstellung wird mit großer
Disziplin – und ebensolcher Spielfreude – durchgezogen. Einzig auf die
Luftnummer am Kronleuchter wird verzichtet. Und auf einzelne Tricks,
deren Präsentation einfach zu riskant wäre.
  
Cedenos, Jemile Martinez, Duo Minasov
Wir
erleben ein starkes Programm, mit vielen Roncalli-erprobten
Darbietungen und ein paar Premieren. Angekündigt werden die Auftritte
von hübschen Nummerngirls in fantasievollen Outfits. Die wunderbare
musikalische Begleitung übernimmt das Orchester unter der Leitung von
Georg Pommer. Die Requisiteure, die eben noch in T-Shirts und kurzen
Hosen alles vorbereitet haben, tragen jetzt edle Livrees. Es geht los
mit einem Charivari in bunten Kostümen. Da wird jongliert, es gibt
Artistik an Reifen auf dem Boden und in der Luft, und wir erleben
Handstandakrobatik. Dann übernehmen die Cedenos mit ihrem
Schleuderbrett-Act. Mutig katapultiert sich das Quartett gegenseitig zu
variantenreichen Sprüngen in die Luft. Zwei Requisiteure mit
Handtüchern sorgen dafür, dass Jemile Martinez zumindest kurzzeitig
halbwegs trockene Requisiten hat. Routiniert lässt er Fußbälle auf
seinen Fingern rotieren und wirft sie in die Luft. Bis zu fünf davon
jongliert er gleichzeitig. In strömendem Regen hat er die vielleicht
größte Herausforderung des Abend zu meistern. Ein Glitzerregen setzt
den Schlussakkord bei den Quick Change-Illusionen des Duo Minasov.
Schon davor hat das russische Ehepaar in zig Varianten auf magische
Weise seine Kostüme in Windeseile gewechselt. Dabei erleben wir die
beiden tänzerisch in vollem Einsatz.
  
Monsieur Momo, Jason Ioannidis, Geraldine Philadelphia
Im
Naturregen sind dann wieder die Bello Sisters zu erleben. Die
Artistinnen aus Italien waren in den vergangenen Jahren mit Roncalli auf
Tournee. 2020 sollten sie das Programm des Zirkus Charles Knie
bereichern. An diesem Abend zeigt das Trio seine anmutige und starke
Partner-Equilibristik nun eben beim CARStival in Mannheim. Zaubereien
mit Kaninchen, Tuch und Ballon-Hund hat Monsieur Momo im Repertoire.
Auf höchst amüsante und sympathische Weise sehen wir Illusionen, die
nicht immer reibungslos verlaufen. Das ist natürlich gewollt, denn in
erster Linie ist Momo Clown. Ein äußerst liebenswürdiger, der mit
eigenen Ideen überzeugt. Als Gast vom Kinder- und Jugendzirkus Paletti
ist Jason Ioannidis dabei. Auch seine Disziplin ist nicht gerade auf
eine hohe Feuchtigkeit ausgelegt. Umso bemerkenswerter, wie der junge
Artist immer wieder den Mast hinaufklettert und in den verschiedensten
Varianten den Weg nach unten nimmt. Seine vielfältigen Tricks sind so
oder so beeindruckend. Große Ringe lässt Geraldine Philadelphia kreisen
und fliegen. Mit ihrer Melange aus Hula Hoop und Reifenjonglage hat sie
sich eine einzigartige Darbietung aufgebaut, die sie gewohnt charmant
präsentiert.
  
Lili Paul Roncalli, Kristalleon, Cedenos
Noch
einmal verzaubert uns Monsieur Momo. Diesmal lässt er etwa eine
Barbiepuppe schweben oder erweckt seinen an einem Garderobenständer
aufgehängten Mantel zum Leben. Dank ihres Sieges bei der aktuellen
Staffel der RTL-Sendung „Let's Dance“ hat sich Lili Paul (Roncalli)
eine Prominenz über die Circusszene hinaus aufgebaut. Nicht
verwunderlich also, dass sie mit einem großen Hupkonzert empfangen
wird. In ihrer sinnlichen Kontorsionsdarbietung verbiegt sie ihren
Körper auf extreme, aber sehr ästhetische Weise. Dazu lässt sie Tücher
auf Fuß- und Fingerspitzen rotieren. Im Harlekinkostüm spielt
Kristalleon zunächst auf zwei gläsernen Flöten, um dann Gläser zum
Klingen zu bringen. Aufgrund unterschiedlicher Gefäßformen und
Füllstände erzeugt jedes Glas einen anderen Ton. Virtuos lässt er so
seine Glasorgel erklingen. Als Schlussnummer erleben wir noch einmal
die Cedenos. Diesmal in ihrer Paradedisziplin, den Ikarischen Spielen.
Auf zwei Trinkas entfachen die Südamerikaner einen wahren Wirbel. Das
sowohl artistisch als auch mit ihrer ansteckenden Lebensfreude.
Spektakulär ist wie immer der parallele Wechsel der Obermänner „über
Kreuz“. In einem Regen aus bunten Papierschnipseln endet das
anschließende Finale, welches frenetisch gefeiert wird. Poetisch wird
der Epilog, wenn Monsieur Momo Kristalleon nacheifern und ebenfalls ein
gefülltes Glas zum Klingen bringen will. Nur dass jenes von Momo viel
größer ist als das seines Bühnenpartners. Nach den Abschiedsworten von
Momo setzen sich die Autos in Bewegung Richtung Ausfahrt. Die
Servicekräfte sind bestens eingespielt. Alles läuft wie am Schnürchen.
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