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Circusbau Tver 2019
www.circus-tver.ru ; 95 Showfotos

Tver, 28. April 2019: Tver liegt 170 Kilometer nordwestlich von Moskau. Der Schnellzug nach Sankt Petersburg schafft die Strecke in einer Stunde. Etwas mehr als 400.0000 Menschen leben in der zentralrussischen Stadt. Trotz dieser Nähe zur Metropole, trotz der recht stattlichen Einwohnerzahl bildet Tver einen deutlichen Kontrast zu Moskau, wo wir die Tage zuvor verbracht haben. Viele der Häuser sind einfach gehalten und renovierungsbedürftig. Die Straßenbahnschienen werden offensichtlich schon länger nicht mehr genutzt. Mit Englisch kommen wir nicht weit. Ein paar Brocken Russisch helfen bei der Verständigung.

Am besten gelingt die Kommunikation mit Händen und Füßen. Der Circusbau von Tver ist vor allen Dingen zweckmäßig. Er kann nicht mit dem Bolshoi oder Nikulin Circus in Moskau mithalten. Das hatten wir natürlich auch nicht erwartet. Beim Schlendern durch den Rundgang des Gebäudes fühlen wir uns ein wenig wie bei einem Gemeindefest. An den Ständen kann man etwa mit Pfeilen auf Luftballons werfen und Preise gewinnen. Der Vorraum selbst erinnert an ein hiesiges Gemeindezentrum. Und die Platzanweiserinnen tragen weiße Blusen mit dunklen Westen und hellgrünen Halstüchern. Im Auditorium dürfen wir auf Klappsitzen aus Holz Platz nehmen.


Großmutter und Mädchen aus der Rahmenhandlung

Fotos im Internet zeigen, dass hier schon große Produktionen des Russischen Staatscircus zu erleben waren. Etwa mit Raubtiernummern der Brüder Zapashny oder der Exotenshow, die wir tags zuvor im Nikulin Circus bewundern durften. Die aktuell laufende Show ist nicht übermäßig spektakulär, aber sehr schön gemacht. In der Rahmenhandlung geht es um ein junges Mädchen und ihre beiden Freunde. Das Mädchen bekommt von seiner Großmutter ein Kaleidoskop geschenkt. Dadurch erlebt es die magische Circuswelt. Diese Einblicke teilt es mit den zwei Jungs. Im zweiten Teil geht das optische Gerät dann kaputt. Kurz darauf erleben wir das Trio im Erwachsenenalter. Die Freunde treffen sich nach Jahren wieder und beschließen, gemeinsam eine Circusvorstellung zu besuchen.


Illusionistin, Hohe Schule-Reiterin, Clowns

Nach dem Prolog mit der Protagonistin und ihrer Oma eröffnet ein Ballett in prächtigen venezianischen Kostümen die Vorstellung. Es umrahmt die Großillusionen, welche von einer charmanten Magierin präsentiert werden. Besonders in Erinnerung geblieben ist uns der Trick, bei dem zwei Plexiglaskugeln übereinander angeordnet sind und durch ein Brett zusätzlich abgetrennt werden. Die Illusionistin steigt in die obere, ein Tuch wird über die Konstruktion gelegt und nach einem kurzen Augenblick wieder entfernt. Schon befindet sich die Zauberkünstlerin in der unteren Kugel. Eine klassische Hohe Schule, geritten von einer jungen Dame, schließt sich an. Mit dem Kaleidoskop entdecken die Jungs die beiden Clowns. Sie tragen die gleichen Kostüme wie die Kinder und begleiten uns durch die Show. Dabei verkörpern sie die Rollenverteilung von vermeintlich intelligentem Weißclown und dummem August. In ihrem ersten Auftritt wagen sie einen Striptease.


Rola Rola-Artist, Papageienrevue, Strapaten-Akrobatin

Danach legen die Mitglieder des Balletts eine fetzige Rock'n'Roll-Szene hin. Paarweise tanzen sie in den passenden Kostümen. Eines der Tanzpaare entpuppt sich als Rola Rola-Artist und Assistentin. Eine stilisierte Kommode dient ihm als Podest für seine Balancen auf wackeligen Türmen. Für diese stapelt er mehrere Röhren übereinander. Auf einem darüber gelegten Brett hält er sich im Gleichgewicht. Passings mit Keulen zwischen ihm und der am Boden stehenden Partnerin beschließen diese Darbietung. Jetzt treiben die Clowns mit Wasser ihre Späße. Wenngleich sie den Zuschauern sehr nahe kommen, bleiben diese vom kühlen Nass verschont. Mit einer schönen Idee beginnt die Papageienrevue. Einer der Jungen aus der Rahmenhandlung öffnet die Tür eines Vogelkäfigs und lässt so den darin befindlichen bunten Ara frei fliegen. Die Tiere balancieren, hangeln sich an einer Stange entlang und fliegen durch einen Ring, um nur ein paar ihrer Fähigkeiten zu nennen. Ihre Tierlehrer tragen dazu bunte Fabelkostüme. Ein bunter Wunschbaum bildet die Kulisse. Aus diesem schwebt sogleich eine Artistin Richtung Kuppel, um dort Akrobatik an den Strapaten zu zeigen. In einem ebenfalls farbenprächtigen Outfit zelebriert sie sehr charmant ein umfangreiches Repertoire. Ähnlich den Papageien schwebt sie elegant über der Manege.


Kameldressur

Mit einem ausschweifenden ägyptischen Block geht es in die Pause. Das Ballett beginnt mit einem Tanz. Markant sind die Nachbildungen von Tierköpfen, die die Tänzerinnen und Tänzer dabei auf ihre Köpfen tragen. Eine orientalisch gewandete Dame schwebt auf einem fliegenden Teppich ein. Auf dem Boden angekommen, beginnt sie mit der Vorführung von sechs Kamelen. Die variantenreiche Freiheit läuft flüssig und verwöhnt uns mit schönen Bewegungsabläufen. Am Ende gesellt sich ein Esel hinzu, um unter anderem unter einem Kamel hindurch zu laufen. Bemerkenswert ist die Körperbeherrschung der Artistin, die unzählige goldene Reifen an verschiedenen Körperteilen rotieren lässt. Während sie eine Vielzahl der Ringe um ihren Oberkörper kreisen lässt, wird sie Richtung Kuppel gezogen. Dort findet auch der letzte Teil unserer Ägyptenreise statt. Mit einem Luftballett mit Akrobatinnen an Tüchern sowie an Drahtseilen ist die erste Programmhälfte dann endgültig zu Ende. Nach der Unterbrechung treffen noch einmal das Mädchen aus der übergeordneten Geschichte und ihre Oma aufeinander. Sie haben einen weißen Hund dabei. Dieser gehört zur folgenden Nummer. Darin kombiniert eine Artistin Quick Change-Illusionen mit eben einer Hundedressur. Für die schnellen Kostümwechsel verschwindet sie in einer Litfasssäule, um in Windeseile im neuen Gewand wieder herauszukommen. Daneben steht eine Bank, auf der die Vierbeiner Platz nehmen, wenn sie nicht gerade ihre Tricks zeigen.


Reptilienshow, Ponydressur, Seryoga Gulevich

Nach einem weiteren Auftritt der Clowns öffnen die beiden Jungs, die uns durch den Nachmittag begleiten, eine große Kiste. Als sie darin Schlangen sehen, suchen sie das Weite. Um diese kümmert sich sogleich ein in Schwarz gekleideter Herr. Die Aufmachung seiner Reptilienshow ist an das Bikermilieu angelehnt. Er präsentiert stattliche Exemplare, die er sich um den Körper hängt. Eine kleinere, aber dafür offensichtlich ungleich gefährlichere Schlange holt er aus einer Plastikbox, die einem Werkzeugkasten ähnelt. Sogleich führt er ein Krokodil an der Leine spazieren und nimmt es auf den Arm. Dann wird eine Kiste mit großer Grundfläche in die Manegenmitte gerollt. Als die Seitenteile heruntergeklappt werden, kommt ein gewaltiges Krokodil zum Vorschein. Geschätzt dürfte seine Länge mindestens drei Meter betragen. Es bleibt in seinem Transportvehikel. Der Vorführer steigt hinein, gibt ihm einen Kuss und präsentiert das imposante Gebiss des Krokodils. Die Damen des Balletts in funkelnden Kostümen mit großen Federn sowie ein Conferencier sorgen für Abwechslung. Entspannung ist ebenfalls angesagt, wenn die Hohe Schule-Reiterin aus dem ersten Teil sechs aufgeweckte Ponys in einer Freiheitsdressur präsentiert. Die Ponys haben rosa Federschmuck auf Kopf und Rücken, ihre Tierlehrerin trägt ein dazu korrespondierendes Kleid. Sodann erleben wir noch einmal die beiden Spaßmacher. Nun versucht sich einer von ihnen als „starker Mann“. Der andere darf ihm assistieren. Der Abschluss gehört der großen Reklamenummer des Programms. Fotos von Seryoga Gulevich und seinen Elefanten werben etwa auf Bussen für den Circusbesuch. Zwei asiatische Dickhäuter führt er gemeinsam mit einer Partnerin vor. Das Repertoire der imposanten Tiere ist sehr umfangreich. Wir erleben beispielsweise, wie ein Elefant unter dem anderen hindurch krabbelt, während dieser auf zwei Podesten steht. Die Rüsselschaukel sehen wir ebenso wie das Schießen von großen Fußbällen in den Zuschauerbereich. Als besonderen Vertrauensbeweis steck Seryoga Gulevich seinen Kopf in das Maul eines Elefanten. Nach diesem wahrhaften Höhepunkt der Show verabschieden sich alle Mitwirkenden in einem großen Finale.

Der Ausflug nach Tver hat sich in jedem Fall gelohnt. Stadt und Circusbau bilden einen spannenden Kontrast zur Metropole Moskau. Die gezeigte Produktion kommt von den Vorstellungen, die wir in Russland gesehen haben, am nächsten an die hiesige Art, Circus zu spielen, heran. Die einzelnen Nummern sind gut in einem mitteleuropäischen Circus vorstellbar. Die Rahmenhandlung ebenfalls. Die russische Aufmachung letztendlich macht den besonderen Reiz aus.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch