Zum ersten Mal führte in diesem
Jahr Christopher D. Gasser, der zweitälteste Sohn der
Circusdirektion Jocelyne und Heinrich Gasser, Regie. Schon seit
fünf Jahren hat der Absolvent der renommierten Ecole
International de Théâtre de Jacques Lecoq in Paris die Idee im
Kopf, eine Circusshow nicht nur aus der Sichtweise der Besucher
zu präsentieren, sondern auch hinter die Kulissen zu blicken.
Das Publikum soll die Perspektive der Darsteller einnehmen. Wie
etwa bereiten sie sich auf den Auftritt vor? Und was läuft
hinter dem Vorhang ab? Darüber hinaus möchte Christopher D.
Gasser die Grenzen zwischen Theater und Circus verwischen. Die
Artistinnen und Artisten sollten erstmals auch mit Worten
jonglieren und kurze Dialoge zum Besten geben. Denn dem
Regisseur ist es wichtig, die Persönlichkeiten der Artisten in
den Vordergrund zu stellen und nicht einfach deren artistische
Darbietung. Seit letztem Sommer hat Christopher D. Gasser
zusammen mit einem Kreativteam deshalb eine Storyline
zusammengestellt, ein wirkungsvolles Bühnendekor erstellt und
Artisten ausgesucht, die besondere Persönlichkeiten haben und
nicht davor zurückschrecken, auch theatralisch aktiv zu werden.
Während einer intensiven, sechswöchigen Probenzeit im
Winterquartier wurde dann die Show zusammengestellt.
Kunstvolle
Programmheft-Fotos von Barbara Bamberger
Doch nicht nur in der Show
spielen die Macher mit den unterschiedlichen Perspektiven. Im
Vorzelt, das der Besucher nun durch eine Türe betritt, steht
der Büffetwagen scheinbar verkehrt herum aufgebaut, so dass
dessen Räder nach oben zeigen. Auch die Fotografin Barbara
Bamberger hat für ihre Fotos im Programmheft das Motto „Perspective“
genutzt und die Artisten in Porrentruy, der Heimatstadt des
Circus, aus unterschiedlichsten Perspektiven fotografiert. Der
Grafiker Cyril Schneider wiederum hat ein Dekor
geschaffen, bei welchem unterschiedliche Perspektiven ineinanderfließen. Und dank modernster VR-Technik können die
Besucher die Fotos im Programmheft zum Leben erwecken und kurze
Videos ansehen, welche die Artisten hinter der Kulisse zeigen.
Auch hier geht Starlight innovative Wege.
Eli Huber
Doch zurück zur Show: Während die
Zuschauer ihre Sitzplätze im Chapiteau einnehmen, treffen
zeitgleich auch die diesjährigen Artisten ein. Sie begrüßen sich
auf der neuen, erhöhten und runden Bühne, machen Scherze und
bereiten sich auf die große Aufführung vor. Ohne klaren
Startpunkt ist man plötzlich mitten in der Show. Da ist etwa
Patrick Wood, der seine Kopfhörer montiert und sich an den
Strapaten aufwärmt. Die Trainingssession entpuppt sich als erste
Darbietung für uns Zuschauer, die wir aktuell den Blick hinter die
Kulissen einnehmen. So erleben wir immer wieder, wie sich die
Artisten für ihren Auftritt bereit machen, durch die Türe in
Richtung Sattelgang – oder eben Bühne – begeben, Requisiten
reichen oder erschöpft vom Auftritt zurückkommen. All diese
Szenen werden detailliert und einfallsreich inszeniert und
dargeboten. Wir dürfen bei einer entspannten Partie Schach
zusehen, während der immer mal wieder artistische Darbietungen
zu sehen sind. Auch die Musik spielt in diesem Jahr eine große
Rolle. Jakob Sambeth erleben wir etwa nicht nur als versierten
Jongleur, sondern auch als Gitarristen. Hier kommt ihm
sicherlich seine Ausbildung an der Accademia Teatro Dimitri
zugute, die ja bekannt ist für ihre spartenübergreifende
Ausbildung. Auch die vom Young Stage Festival mit ihren
Jonglagen bekannten Deutschen Marvin Kuster und Mitja Ley
beweisen ihr musikalisches Talent. Sie interpretieren Pianosongs
nicht mehr nur mit ihren Jonglierbällen, sondern auch wirklich
am Klavier. Marvin sehen wir zudem kurz an den Strapaten. Die
Australierin Elli Huber wiederum verbindet starken Gesang mit
ihrer Darbietung am Schwungtrapez. Elli Huber wurde an der Ecole
Léotard, der Talentschmiede in Sachen Trapez schlechthin,
unterrichtet. Ihre Darbietung besticht durch lange
Schwungphasen, Abfaller und gewagte Trickfolgen.
Tom Birringer,
Ensemble
Nach der Pause dann kehrt sich
die Szenerie. Wir erleben eins zu eins dieselbe Show wie vor der
Pause, nun aber aus der Perspektive der eigentlichen Zuschauer.
Plötzlich machen die Gesten und Szenen Sinn, die wir in der
ersten Programmhälfte noch als kurios und unverständlich gesehen
haben. Es ist eben alles eine Frage der Perspektive! Mit dieser
wird auch bei den Kostümen gespielt, die von Lorène Martin
kreiert und erschaffen wurden. So haben etwa Mitja und Marvin
ein gepunktetes Dress an, welches vom ebenso gestalteten
Hintergrund kaum zu unterscheiden ist. Auch der Deutsche Tom
Birringer verwirrt die Zuschauer auf dem Cyr Wheel mit mehreren
Perspektivenwechseln und seinem Rock, der durch die Drehungen
umherweht. In seiner zweiten Darbietung nimmt uns Tom mit auf
das statische Trapez, woran er viele komische und doch
anspruchsvolle Figuren zeigt und uns zum Lachen bringt.
Sylphie, Jakob
Sambeth, Jean-David L'Hoste
Poetisch wird es bei der
Darbietung von Patrick Wood und Sylphie Currin, die an einem in
der Luft schwebenden Würfel verschiedene Figuren der
Luftakrobatik zeigen. Sylphie wiederum lässt in ihrem
Soloact die Hula-Hoop-Reifen um ihre Hüften kreisen. Mit
Jean-David L’Hoste ist ein Schweizer im Programm, der mit einer
ausgefallenen Einrad-Nummer zu überzeugen weiß. Als
Höhepunkt springt er mit seinem Einrad auf ein Mini-Trampolin
und setzt von dort zum Salto an, den er perfekt steht.
Lukas Besuch
Für die Lacher im Programm sind
zwei alte Bekannte zuständig. Zum einen der Russe Iurii
Mikhailik, der einst Regisseur Christopher D. Gasser die Kunst
der Clownerie näher brachte und heuer als etwas überdrehter
Showmaster durch die Vorstellung führt. Zum anderen ist es Lukas
Besuch, der als liebenswerter Spaßmacher mit Zahnlücke
verschiedene Reprisen zum Besten gibt. Er war zusammen mit
Ferkel Johanson als Duo Desolato bereits in mehreren Shows des
Cirque Starlight zu sehen. |