In
jedem Fall gibt der Circus nach wie vor ein herrliches Bild ab. Mitten
in Hannover ist das Zelt aufgeschlagen, umringt vom nostalgischen
Wagenpark. Man würde sich wünschen, dass das vegetarisch-vegane Angebot
konsequenter ausgebaut wird und sich nicht vorwiegend auf
Fruchtsmoothies beschränkt. Einigermaßen „plastikfrei“ ist die
Restauration tatsächlich, mit Popcorn in Papiertüten und Getränken in
Glasflaschen. Die „Tierfreiheit“ bezieht sich nur auf das Geschehen in
der Manege. Auf leckere Bratwurst vom Grill oder gar ein saftiges
Rumpsteak im Café des Artistes muss niemand verzichten. Wohl aber auf
die Wildtierdressuren früherer Jahrzehnte sowie auf die Pferde- und
Ponynummern der vergangenen Saisons – obwohl sie so herrlich ins Bild
eines nostalgischen Circus passen würden.
Hologramm-Elefant,
Adèle Fame
Als
Ersatz hat Roncalli-Direktor Bernhard Paul seine „Hologramme“ ersonnen.
Zu Beginn der Vorstellung ist rund um die Manege ein Vorhang aus
halbtransparentem Gazestoff gespannt, auf den mit vielen Projektoren
dreidimensionale Bilder von Pferden, Elefant und Goldfisch geworfen
werden. Zudem erscheinen Bernhard Paul im Heißluftballon und Weißclown
Gensi als Lichtbilder. Eine Pferdepuppe gibt es noch dazu. „Hologramme
statt Tiere“, mit dieser einfachen Formel haben der Circusdirektor und
sein Medienchef Markus Strobl einen weltweiten PR-Erfolg gelandet. In
141 Ländern sei in den Abendnachrichten darüber berichtet worden. Dies
mag dazu beitragen, dass die besuchte Vorstellung nahezu ausverkauft
ist. Die Faszination der echten Begegnung von Mensch und Tier ist aber
nicht zu ersetzen. Ganz real sind die Hologramme nicht mehr als ein
Prolog zur Show, ehe die emotionale Reise in die Roncalli-Welt richtig
beginnt. Das eigentliche Opening vereint acht hübsche Mädchen in
Livrees, Weißclown Gensi mit einer Glockenschelle sowie den poetischen
Clown Paolo Carillon im Schottenrock und mit Dudelsack in der Manege.
Spektakulär wird es gleich bei Adèle Fames starker Luftakrobatik an den
Strapaten. Anspruchsvolle Tricks wie kraftvolle Überschläge oder das
Aufstehen aus dem Spagat werden geradezu ekstatisch zelebriert und vom
Publikum mit kräftigem Applaus gefeiert.
Kai
Eikermann, Quincy Azzario, Chistirrin
Viele
Jahre lang prägten Fumagalli und später David Larible als große
Starclowns die Roncalli-Programme. In den letzten Jahren hingegen hat
Bernhard Paul eine ganze Komiker-Riege geschaffen, die so wohl
einzigartig ist. Sie ist mehr gemeinsam stark als einen eindeutigen
Superstar zu haben. Zu den Mitgliedern gehört Kai Eikermann, der
Glatzkopf mit der markanten Kopfform. Er gibt zunächst den menschlichen
Cola-Automaten. Gleich darauf übernehmen Eddy Neumann und Anatoli
Akermann, richtige Clowns in farbenfrohen Kostümen, mit ihrer
Zauber-Persiflage. Zum geheimnisvollen Platzwechsel wird da schon mal
gut sichtbar unter dem Manegenteppich durchgekrabbelt. Quincy Azzario
hat sich dem Handstand verschrieben. Sie beeindruckt mit Ausstrahlung
und Können, beispielsweise bei ihren Drehungen auf Händen und dem
Klötzchen-Abfaller. Immer wieder hat Bernhard Paul herausragende
Clownstalente aufgespürt und geformt. Die neueste Entdeckung ist
Chistirrin. Der Mexikaner ist geradezu unverschämt sympathisch, äußerst
extrovertiert und hat den Schalk im Nacken. Während der sanfte
Weißclown Gensi als Magier in der Manege arbeiten will, wird er von
Chistirrin immer wieder gestört. Mit Michael-Jackson-Tanz, mit
artistischen Kabinettstückchen und mit musikalischen Einlagen.
Schlussendlich gibt Chistirrin eine ganze Kapelle, spielt gleichzeitig
Trompete, Posaune, Trommel und Becken.
Cedenos,
Robert Wicke und "Dietmar",
Hamza Benini
Begleitet
von den vier hübschen Ballettgirls und im Sambarhythmus entern die vier
Cedenos die Manege. Sie begeistern bei ihren doppelten ikarischen
Spielen – mit zwei Trinkas sowie je zwei Untermännern und Fliegern –
mit südländischem Temperament und akrobatischem Können. Die
siebenköpfige Komiker-Crew wird komplettiert durch Beatboxer Robert
Wicke. In der herrlichen Pausennummer wirkt das gesamte Septett mit,
Wicke findet dabei im Publikum einen talentierten Mitspieler. Das Ganze
endet mit einer handfesten Überraschung. Heiter geht es auch im zweiten
Programmteil weiter, wenn die vier Cedenos und Chistirrin mit
haarsträubenden Aktionen ein Mini-Flugtrapez erobern. Als zweite
„Tiernummer“ reiten Moustapha Niasse und Hamza Benini auf zwei
Plüsch-Elefanten um die Manege – eine kurze Hommage an Chocolat, einen
der ersten erfolgreichen schwarzen Entertainer im modernen Frankreich,
und seinen Bühnenpartner Footit.
Bello
Sisters, Paolo Carillon, Vivian Paul und Natalia Rossi
Nun
rückt zunehmend die Artistik in den Mittelpunkt, zunächst mit den drei
hübschen Bello Sisters und ihrer Partnerakrobatik. Für Poesie und leise
Töne sorgt Paolo Carillon. Mit seinen wundersamen Maschinen – wie die
Eisenbahn auf seinem Hut – und der viktorianisch inspirierten Kleidung
wird das Steampunk-Thema vortrefflich umgesetzt. Später folgen noch
zwei kurze clowneske Reprisen, unter anderem die „Reparatur“ eines
Scheinwerfers durch Anatoli Akermann und Eddy Neumann. In die Zeit des
Barock entführen Vivian Paul, die ältere Tochter des Direktors, und
Natalia Rossi bei ihrer starken Luftakrobatik am Kronleuchter. Die
Kostüme der Artistinnen und des begleitenden Balletts sind perfekt dem
Thema angepasst.
Paul
Herzfeld, Zhenyu Li, Chistirrin und Gensi
Bei
allem nostalgischen Ambiente überrascht Roncalli immer wieder auch mit
innovativen Elementen. Und so ist die faszinierendste Nummer des
Programms ein Duett von Mensch und Maschine. Dabei steht in der Mitte
der Manege ein Industrieroboter mit einem in alle Richtungen
beweglichen Arm. Daran angebracht ist ein Mast. Während der Roboter
unaufhörlich in Bewegung ist, zeigt Artist Paul Herzfeld daran seine
Kunst. Er balanciert auf der Stange, er hängt kopfüber daran, er
klettert am Requisit, saust den Pole hinunter, schlägt einen
Vorwärtssalto. So ergibt sich ein variantenreiches Zusammenspiel. Wie
im Vorjahr sorgt ein chinesischer Artist für die Schlussnummer, Genre
und Besetzung wurden jedoch geändert. Nun präsentiert Zhenyu Li seine
Equilibristik-Nummer auf flexiblen Stäben. Diese verlängert er durch
zusätzliche Teile in immer neue Höhen. An der Spitze balanciert er auf
Händen oder im Spagat zwischen den auseinander strebenden Stangen.
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