CHPITEAU.DE

Circo Raluy Legacy &
Circo Historic Raluy - Tour 2019
https://circoraluy.com (Legacy) ; www.raluy.com (Historic) ;
50 Showfotos Raluy Legacy ; 40 Showfotos Historic Raluy

Barcelona/Gava, 16. & 17. Februar 2019: Seit sich vor drei Jahren die Wege der beiden Brüder Louis und Carlos Raluy trennten, präsentieren sich gleich zwei Circusse unter dem klangvollen Namen dem katalanischen Publikum. Auf den ersten Blick wirkt nicht nur das äußere Erscheinungsbild geklont; auch die Programme weisen manche Ähnlichkeit auf. Bei genauerer Betrachtung lassen sich dann aber doch einige Unterschiede festmachen, wie ein Besuch beider Unternehmen zu Beginn des Jahres zeigt. Abwechselnd gastieren sie jeden Winter in der Millionen-Metropole Barcelona.

Heuer baut wieder einmal Louis Raluy seinen „Circo Raluy Legacy“ gut sichtbar im Hafen Port Vell auf. Ebenfalls prominent, auf einem Platz mitten im Stadtzentrum, steht Carlos‘ „Circo Historic Raluy“ zeitgleich im rund 20 Kilometer entfernten und mit der Bahn gut zu erreichenden Vorort Gava. Das Zuschauerinteresse ist hier allerdings in der besuchten Sonntagsmatinee eher überschaubar, während hingegen die Sitzreihen am Vorabend bei „Legacy“ doch ziemlich gut gefüllt sind.


Front bei „Historic“, Einlass bei „Legacy“ 

Beide Unternehmen punkten mit einem wunderbar nostalgischen Anblick. Beispielsweise sorgen beiderorts dekorative Holzzäune, Café-Wagen, Orgel sowie einige alte Fahrzeuge und Oberlichtanhänger für ein stimmungsvolles Ambiente schon vor dem Betreten der Spielzelte. Diese sind ebenso schön und elegant eingerichtet, etwa mit einem festen Manegenboden und Malereien unter der Kuppel. Insgesamt kommt „Historic“ jedoch ein wenig schnörkelloser daher, gibt es bei „Legacy“ noch mehr Details zu bestaunen. Dies ist wohl auch der deutlichen längeren Standzeit in Barcelona geschuldet, wo erstmals ein neues Chapiteau mit historischen Motiven auf der Rundleinwand errichtet ist.


Balletttänzerin bei „Historic“, Eröffnung bei „Legacy“ 

Deutlichere Unterschiede gibt es in der Gestaltung der Programme. Bei „Historic“ erlebt man im Grunde ein klassisches Nummernprogramm, welches geradezu durchgehend von Direktor Carlos Raluy selbst moderiert und zuweilen durch Auftritte zweier Balletttänzerinnen zusätzlich aufgefrischt wird. Einzig der Epilog fällt ein wenig aus dieser Machart. Hier wird die Geschichte einer armen Schaustellertochter erzählt, die trotz ihrer Situation voller Gutmütigkeit selbst die liebgewonnene Puppe noch teilen möchte. Bei „Legacy“ beginnt der Abend hingegen bereits mit einem inszenierten Einlass, wenn das Ensemble die ankommenden Gäste begrüßt. Die aufwendige Programmeröffnung setzt dann den Stil der Präsentation fort. Dank eines Zauberbuches wird ein Miniaturkarussell zum Leben erweckt. Die Artistinnen umkreisen auf goldenen Pferdefiguren die Manege, und unter der Kuppel turnt der Nachwuchs am Trapez. Alle Mitwirkenden tragen Kostüme zwischen Revue und venezianischem Karneval. Damit ist gleich ein eindringlicher Start gestaltet. Mitreißend gelingt auch die Ankündigung der Pause zu Samba-Rhythmen, die den Perkussionisten in den verdienten Mittelpunkt rückt. Beide Raluy-Unternehmen setzen übrigens auf das Zusammenspiel eines Trommlers mit ansonsten eingespielter Musikbegleitung.


Louisa Raluy mit Assistentinnen, Sandro Roque & Jerzy Swider, Maximilino Stia & Louis Raluy 

Dem gewählten Programmnamen „Magic Formula“ vollends gerecht werdend, nimmt die Magie in seinen verschiedenen Formen denn auch einen thematischen Schwerpunkt der Vorstellung bei „Legacy“ ein. Louisa Raluy bringt die großen Requisiten auf die Bühne. Unter anderem lässt sie sich selbst und ihre vier Assistentinnen erscheinen, die auch für eine gelungene Aufmachung der Darbietung sorgen. Kerry Raluy und Partner Jean Christophe wechseln mit viel Tempo ihre Kleidung, zuletzt auch im Glitzer-Regen. Ihr Quick Change stellt eine gute Wahl als Pausennummer dar. Komplettiert wird der magische Reigen durch Maximilino Stia alias Maxi Mago. Er zeigt seine charmanten Zaubereien auf humorvolle Weise, insbesondere mit viel Sprachwitz. Ebenso unterhaltsam sind die Auftritte von Sandro Roque, der auch ein veritabler Jongleur ist. Besonders sein ständiger Zwist mit Jerzy Swider als blasiertem Gegen- und Mitspieler ist herrlich. Aus Zuschauern formt Roque zudem ein Orchester. Louis Raluy hat weiterhin seine Auftritte als Weißclown: zunächst mit einem hölzernen Kinderspiel vergangener Tage und im Epilog melancholisch für seine Enkel musizierend. Bei „Historic“ ist es Francis Raluy, der zusammen Jose Michel ein Tuch „wandern“ lässt. Michel beweist zudem im gewohnten Gespann mit seiner Frau Giulia und Partner Kike, dass ihr Wasserentree in allen Sprachen funktioniert. Musik sowieso.


William Giribaldi, Rosa Raluy, Kimberley und Jillian Raluy

Beiderorts stimmt die Mischung aus engagierten Darbietungen und eigenen Nummern. Rosa Raluy lässt bei „Historic“ zunächst Reifen um ihren Körper kreisen. Mit ausladendem Rokoko-Kleid fährt sie dann Touren auf dem Einrad. Auf dem Hochrad balancierend, wirft sie sich schließlich kleine Schalen auf den Kopf. Ihr Mann William Giribaldi mimt nicht nur den stilvollen Ringmaster, sondern beweist sich auch als Gentleman-Jongleur. Er beschränkt sich dabei auf Zigarrenkisten. Beider Kinder Kimberley und Jillian zeigen ebenfalls vielfältige Wurfmuster, haben sich dafür aber Meteore ausgesucht. Die zumeist aus dem asiatischen Raum bekannten Requisiten werden von den hübschen Zwillingen zuweilen synchron in die Luft geworfen und wieder gefangen. Dazwischen werden etwa parallel Räder und ähnliches geschlagen. Hinzu kommen alleine gearbeitete Aktionen mit den durch ein Seil verbundenen kleinen Schalen. Neben dem „Exotik“-Faktor des Genres kommt zu den sehenswerten Tricks ein ansprechender Verkauf, unterstützt – wie grundsätzlich bei beiden Unternehmen – durch schöne, edle Kostüme.


Emily & Niedziela Raluy 

Mein persönlicher Favorit ist die Einrad-Darbietung von Emily und Niedziela Raluy bei „Legacy“. Nicht nur die beiden Artistinnen sind echte Hingucker, sondern auch die schlichte, aber prägnante Aufmachung der Nummer: hinter der Treppe, die beide mit ihrem Requisit erklimmen, erstrahlt ein überdimensionales leuchtendes Herz. Auf den Einrädern werden parallel unterschiedliche Figuren gefahren und wird Seil gesprungen. Abschließend steigen beide auf immer höher werdende Räder. Dabei übernimmt Niedziela stets das Rad ihrer Schwester Emily, während diese dann auf einem neuen, noch höheren die Balance behält. Die antreibende, fiebernde Musik steigert die Wirkung dieser herausragenden Darbietung vollends.


Trio Lipstick, Duo Togni, Pasha Voladas 

In der Publikumsgunst ganz vorne liegt Pasha Voladas. Auch ohne die bisher bekannte Choreografie mit Tänzerin bekommt er für seine überaus anspruchsvollen Sprünge am Reck zurecht stehende Ovationen von den Zuschauern. Mit genretypischer Partner-Equilibristik und einigen überraschend lang gehaltenen Tricks überzeugt das Trio Lipstick. Die drei Damen kommen unverkennbar aus der Bingo-Talentschmiede. Nicht dieses artistische Niveau erreicht eine kubanische Truppe, die zunächst noch schwungvoll mit Seilspringen das Programm eröffnet. Wenn später allerdings selbst die einfachsten Tricks und Sprünge von der russischen Schaukel mit der Longe gesichert werden müssen, dann ist das kein würdiger artistischer Abschluss der „Legacy“-Vorstellung. Da wären andere Darbietungen sicher trefflicher geeignet. Deutlich gelungener fällt die Wahl der Schlussnummer bei „Historic“ aus, ist doch mit dem Duo Togni der artistische Höhepunkt an dieser Stelle gesetzt. Das italienisch-ungarische Paar, welches die Circusschule in Verona abgeschlossen hat, ist eine echte Neuentdeckung an den Strapaten. Technisch bieten beide herausragendes, beispielsweise mit Zahnhang-Variationen oder wenn Daniel Togni seine Partnerin Loretta Antal nur an den Haaren in die Luft zieht. Einzig an der Aufmachung konnten beide noch feilen. Antals Solo an Tüchern und der junge Valentino Serra im Glitzerkostüm am Cyr vervollständigen hier den sehenswerten Ablauf.

Ginge es abschließend darum, einen Favoriten zu wählen, man würde niemandem gerecht. Und so bleibt die Freude, gleich zwei hochwertige Programme in wunderbaren Ambiente unter dem Namen Raluy genießen zu können. In Zukunft wird es dann sogar noch einer mehr sein, denn Rosa Raluy gründet mit ihrer Familie ab Sommer ein eigenes Unternehmen – sicherlich mit einigen Parallelen und auch so manchen Unterschieden…

________________________________________________________________________
Text und Fotos: Benedikt Ricken