Heuer baut wieder einmal Louis
Raluy seinen „Circo Raluy Legacy“ gut sichtbar im Hafen Port
Vell auf. Ebenfalls prominent, auf einem Platz mitten im
Stadtzentrum, steht Carlos‘ „Circo Historic Raluy“ zeitgleich im
rund 20 Kilometer entfernten und mit der Bahn gut zu
erreichenden Vorort Gava. Das Zuschauerinteresse ist hier
allerdings in der besuchten Sonntagsmatinee eher überschaubar,
während hingegen die Sitzreihen am Vorabend bei „Legacy“ doch
ziemlich gut gefüllt sind.
Front bei „Historic“, Einlass bei
„Legacy“
Beide Unternehmen punkten mit
einem wunderbar nostalgischen Anblick. Beispielsweise sorgen
beiderorts dekorative Holzzäune, Café-Wagen, Orgel sowie einige
alte Fahrzeuge und Oberlichtanhänger für ein stimmungsvolles
Ambiente schon vor dem Betreten der Spielzelte. Diese sind
ebenso schön und elegant eingerichtet, etwa mit einem festen
Manegenboden und Malereien unter der Kuppel. Insgesamt kommt „Historic“
jedoch ein wenig schnörkelloser daher, gibt es bei „Legacy“ noch
mehr Details zu bestaunen. Dies ist wohl auch der deutlichen
längeren Standzeit in Barcelona geschuldet, wo erstmals ein
neues Chapiteau mit historischen Motiven auf der Rundleinwand
errichtet ist.
Balletttänzerin bei „Historic“,
Eröffnung bei „Legacy“
Deutlichere Unterschiede gibt es
in der Gestaltung der Programme. Bei „Historic“ erlebt man im
Grunde ein klassisches Nummernprogramm, welches geradezu
durchgehend von Direktor Carlos Raluy selbst moderiert und
zuweilen durch Auftritte zweier Balletttänzerinnen zusätzlich
aufgefrischt wird. Einzig der Epilog fällt ein wenig aus dieser
Machart. Hier wird die Geschichte einer armen
Schaustellertochter erzählt, die trotz ihrer Situation voller
Gutmütigkeit selbst die liebgewonnene Puppe noch teilen möchte.
Bei „Legacy“ beginnt der Abend hingegen bereits mit einem
inszenierten Einlass, wenn das Ensemble die ankommenden Gäste
begrüßt. Die aufwendige Programmeröffnung setzt dann den Stil
der Präsentation fort. Dank eines Zauberbuches wird ein
Miniaturkarussell zum Leben erweckt. Die Artistinnen umkreisen
auf goldenen Pferdefiguren die Manege, und unter der Kuppel
turnt der Nachwuchs am Trapez. Alle Mitwirkenden tragen Kostüme
zwischen Revue und venezianischem Karneval. Damit ist gleich ein
eindringlicher Start gestaltet. Mitreißend gelingt auch die
Ankündigung der Pause zu Samba-Rhythmen, die den Perkussionisten
in den verdienten Mittelpunkt rückt. Beide Raluy-Unternehmen
setzen übrigens auf das Zusammenspiel eines Trommlers mit
ansonsten eingespielter Musikbegleitung.
Louisa Raluy mit Assistentinnen,
Sandro Roque & Jerzy Swider, Maximilino Stia & Louis Raluy
Dem gewählten Programmnamen „Magic
Formula“ vollends gerecht werdend, nimmt die Magie in seinen
verschiedenen Formen denn auch einen thematischen Schwerpunkt
der Vorstellung bei „Legacy“ ein. Louisa Raluy bringt die großen
Requisiten auf die Bühne. Unter anderem lässt sie sich selbst
und ihre vier Assistentinnen erscheinen, die auch für eine
gelungene Aufmachung der Darbietung sorgen. Kerry Raluy und
Partner Jean Christophe wechseln mit viel Tempo ihre Kleidung,
zuletzt auch im Glitzer-Regen. Ihr Quick Change stellt eine gute
Wahl als Pausennummer dar. Komplettiert wird der magische Reigen
durch Maximilino Stia alias Maxi Mago. Er zeigt seine charmanten
Zaubereien auf humorvolle Weise, insbesondere mit viel
Sprachwitz. Ebenso unterhaltsam sind die Auftritte von Sandro
Roque, der auch ein veritabler Jongleur ist. Besonders sein
ständiger Zwist mit Jerzy Swider als blasiertem Gegen- und
Mitspieler ist herrlich. Aus Zuschauern formt Roque zudem ein
Orchester. Louis Raluy hat weiterhin seine Auftritte als
Weißclown: zunächst mit einem hölzernen Kinderspiel vergangener
Tage und im Epilog melancholisch für seine Enkel musizierend.
Bei „Historic“ ist es Francis Raluy, der zusammen Jose Michel
ein Tuch „wandern“ lässt. Michel beweist zudem im gewohnten
Gespann mit seiner Frau Giulia und Partner Kike, dass ihr
Wasserentree in allen Sprachen funktioniert. Musik sowieso.
William Giribaldi, Rosa Raluy,
Kimberley und Jillian Raluy
Beiderorts
stimmt die Mischung aus engagierten Darbietungen und eigenen
Nummern. Rosa Raluy lässt bei „Historic“ zunächst Reifen um
ihren Körper kreisen. Mit ausladendem Rokoko-Kleid fährt sie
dann Touren auf dem Einrad. Auf dem Hochrad balancierend, wirft
sie sich schließlich kleine Schalen auf den Kopf. Ihr Mann
William Giribaldi mimt nicht nur den stilvollen Ringmaster,
sondern beweist sich auch als Gentleman-Jongleur. Er beschränkt
sich dabei auf Zigarrenkisten. Beider Kinder Kimberley und
Jillian zeigen ebenfalls vielfältige Wurfmuster, haben sich
dafür aber Meteore ausgesucht. Die zumeist aus dem asiatischen
Raum bekannten Requisiten werden von den hübschen Zwillingen
zuweilen synchron in die Luft geworfen und wieder gefangen.
Dazwischen werden etwa parallel Räder und ähnliches geschlagen.
Hinzu kommen alleine gearbeitete Aktionen mit den durch ein Seil
verbundenen kleinen Schalen. Neben dem „Exotik“-Faktor des
Genres kommt zu den sehenswerten Tricks ein ansprechender
Verkauf, unterstützt – wie grundsätzlich bei beiden Unternehmen
– durch schöne, edle Kostüme.
Emily & Niedziela
Raluy
Mein persönlicher Favorit ist die
Einrad-Darbietung von Emily und Niedziela Raluy bei „Legacy“.
Nicht nur die beiden Artistinnen sind echte Hingucker, sondern
auch die schlichte, aber prägnante Aufmachung der Nummer: hinter
der Treppe, die beide mit ihrem Requisit erklimmen, erstrahlt
ein überdimensionales leuchtendes Herz. Auf den Einrädern werden
parallel unterschiedliche Figuren gefahren und wird Seil
gesprungen. Abschließend steigen beide auf immer höher werdende
Räder. Dabei übernimmt Niedziela stets das Rad ihrer Schwester
Emily, während diese dann auf einem neuen, noch höheren die
Balance behält. Die antreibende, fiebernde Musik steigert die
Wirkung dieser herausragenden Darbietung vollends.
Trio Lipstick,
Duo Togni, Pasha Voladas
In der Publikumsgunst ganz vorne
liegt Pasha Voladas. Auch ohne die bisher bekannte Choreografie
mit Tänzerin bekommt er für seine überaus anspruchsvollen
Sprünge am Reck zurecht stehende Ovationen von den Zuschauern.
Mit genretypischer Partner-Equilibristik und einigen
überraschend lang gehaltenen Tricks überzeugt das Trio Lipstick.
Die drei Damen kommen unverkennbar aus der Bingo-Talentschmiede.
Nicht dieses artistische Niveau erreicht eine kubanische Truppe,
die zunächst noch schwungvoll mit Seilspringen das Programm
eröffnet. Wenn später allerdings selbst die einfachsten Tricks
und Sprünge von der russischen Schaukel mit der Longe gesichert
werden müssen, dann ist das kein würdiger artistischer Abschluss
der „Legacy“-Vorstellung. Da wären andere Darbietungen sicher
trefflicher geeignet. Deutlich gelungener fällt die Wahl der
Schlussnummer bei „Historic“ aus, ist doch mit dem Duo Togni der
artistische Höhepunkt an dieser Stelle gesetzt. Das
italienisch-ungarische Paar, welches die Circusschule in Verona
abgeschlossen hat, ist eine echte Neuentdeckung an den Strapaten.
Technisch bieten beide herausragendes, beispielsweise mit
Zahnhang-Variationen oder wenn Daniel Togni seine Partnerin
Loretta Antal nur an den Haaren in die Luft zieht. Einzig an der
Aufmachung konnten beide noch feilen. Antals Solo an Tüchern und
der junge Valentino Serra im Glitzerkostüm am Cyr
vervollständigen hier den sehenswerten Ablauf. |