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Bolshoi Circus 2019 - Sand Fairytale
www.greatcircus.ru ; 129 Showfotos

Moskau, 24. April 2019: Bolshoi Theater, Bolshoi Ballett, Bolshoi Circus – eine Reihe bekannter, großer Namen, die man mit großer Kunst verbindet. In der Tat geht es hier um das Adjektiv „groß“. Denn das ist die wörtliche Übersetzung des russischen Wortes „bolshoi“. Eindrucksvoll ist der Bolshoi Circus in jeder Hinsicht. Der am 30. April 1971 eröffnete Vorzeige-Bau des Russischen Staatscircus bietet Platz für 3.350 Zuschauer. Er befindet sich nicht direkt im Zentrum von Moskau, hat aber eine gute Metro-Anbindung.

Verlässt man die unterirdische Station „Universitet“, hat man gleich einen freien Blick auf das imposante Gebäude. Die Architektur ist markant und wirkt auch nach über 45 Jahren noch modern.


Außenansicht

Das setzt sich im Inneren fort. Natürlich dürfen alle Gäste auf Einzelsitzen Platz nehmen. Das Orchester thront seitlich im Zuschauerraum. Licht-, Ton- und die weitere Technik befinden sich auf dem neuesten Stand. Die Manege kann abgesenkt und in verschiedenen Varianten genutzt werden. So erleben wir etwa eine Spielfläche voll mit feinem Sand. LED-Wände sind an verschiedenen Stellen im Auditorium angebracht. Etwa als Bande vor den ersten Sitzreihen oder rundherum unter dem Hallendach.


Szene aus der Rahmenhandlung

Ein derart großer Raum verlangt nach großen Inszenierungen. Eine solche ist „Sand Fairytail“. Gespielt wird sie seit Mitte Dezember 2018 bis Ende August 2019. Während der Bolshoi Circus insgesamt unter der Direktion der Brüder Edgar und Askold Zapashny steht, wurde die aktuelle Show von Evgeny Shetvsov, Andrei Sharnin und Olga Poltarak geschrieben. Natürlich geht es bei diesem „Sandmärchen“ in die Wüste. Die Handlung lässt sich in groben Zügen wie folgt zusammenfassen: Ein einsamer Reisender (Konstantin Astashov) irrt seit einer Woche durch die Wüste und hat jede Hoffnung auf Rettung verloren. Auf einmal findet er eine Hälfte von Aladins Wunderlampe und gerät in ein Märchen aus vergangener Zeit. Mit einer großen Sanduhr wird die Zeit zurückgedreht. Der smarte Reisende erlebt spannende Abenteuer. Dabei wird er vom guten Genie (Artem Bobtsov) begleitet. Doch das Duo hat Gegenspieler. Dabei handelt es sich um den bösen Zauberer (Evgeny Minin) und den bösen Genie (Dmitry Sorokin). Zu den weiteren Protagonisten gehören Prinzessin sowie Prinz des Ostens. Wie in allen Märchen siegt am Ende das Gute. Doch ganz am Schluss fällt unser Reisender zurück in die Gegenwart, zurück in seine aussichtslose Situation. Eingebunden in diese Handlung sind die einzelnen Nummern sowie die Auftritte des Balletts. Ein nicht unerheblicher Teil der Darbietungen stammt von Gia Eradzes „Royal Circus“. Bis auf die Gruppenjonglagen sind die Aufmachungen dem übergeordneten Thema angepasst.


Vladimir und Natalia Isaichev

Nachdem das Publikum den Reisenden und seine Situation kennen gelernt hat, erleben wir eine Inszenierung des Balletts in Gold. In der Manege spielen die Tänzerinnen mit feinem Sand, in der Mitte steht die große Sanduhr. Vier Artistinnen zeigen Luftakrobatik an kunstvoll gestalteten Ringen. Während die nächste Sequenz im Zuschauerraum spielt, wird die Sandmanege nach unten gefahren und gegen eine Spielfläche mit Teppich getauscht. Darauf wird ein Umzug mit Prinzessin und Prinz sowie dem Ballett veranstaltet. Prächtige Kostüme mit Federn beherrschen nun das ausschweifende Bild. Eingebunden sind sechs stattliche Kamele, die im Verlauf dieser Szene unter Anleitung von Konstantin Rastegaev eine Freiheit arbeiten. Skorpione bevölkern das Rund. Sie erscheinen auf den LED-Wänden und werden von Figuranten verkörpert. Im Mittelpunkt aber steht die Akrobatik auf federnden Stelzen der Truppe von Alexander Yatsenko. In goldenen Outfits vollführen die Akrobaten variantenreiche Sprünge. Ebenfalls in Gold überraschen Vladimir und Natalia Isaichev mit einer Rarität. Sie führen Raubkatzen an der Longe vor. Konkret geht es hier um zwei kanadische Pumas. Die Tiere beherrschen weite Sprünge, können balancieren und auf den Hinterbeinen laufen. Highlight ist der Sprung von Kugel zu Kugel durch einen mit Papier bespannten Reifen.


Papageienrevue, Hundedressur, Ringperche

In einem goldenen Käfig befinden sich die Vorführer der großen Papageienrevue. Auf jeden Vogel kommt ein Mensch. Die Damen des Balletts sind ebenfalls mit von der Partie, womit wieder ein faszinierendes Schaubild entsteht. Unter den Augen des Prinzenpaares präsentieren die Tiertrainer um Elena Baranenko ihre Künste sowie die ihrer Schützlinge. Es ist durchaus Außergewöhnliches dabei. Etwa ein Papagei, der Antipodenspiele beherrscht. Oder ein anderer, der ein Doppelrad – ähnlich eines überdimensionalen Diabolos - in Bewegung hält. Die Darsteller der Rahmenhandlung übernehmen auch den clownesken Part der Produktion. So erleben wir nach den Aras eine amüsante Szene mit dem Reisenden und dem guten Genie. Darin katapultieren sie eine Flasche mittels einer Wippe in die Luft und fangen sie mit dem Kopf wieder auf. Eine groß angelegte Hundedressur mit weißen Spitzen und Dalmatinern präsentiert Ekaterina Zapashnaya. Die Tiere haben ihre Plätze auf illuminierten Podesten, die im Kreis um die Manegenmitte angeordnet sind. Von dort starten sie, um Tricks aus ihrem breiten Repertoire zu zeigen. So das Laufen in und auf einem Rad und das Seilspringen mit ihrer Trainerin. In einer weiteren großen Szene wird die Handlung vorangetrieben, bevor dann Reifen aller Art als Requisiten für Artistik dienen. Zunächst erleben wir eine Ringperche, die nur mit den Armen gehalten wird, dann Rhönräder und zum Abschluss Cyr Wheels. Beherrschende Figur dieser Aufführung in Rot und Gold ist der böse Genie Dmitry Sorokin, der auch Untermann der Perchedarbietung ist.


"Closing the Eyes", Chinese Pole, Jongleur aus der Truppe von Alexander Chugunov

Mit „Schließen der Augen“ ist die traumhafte Kür an Strapaten von Ekaterina Zapashnaya und Konstantin Rastegaev überschrieben. Zwischen ihren spektakulären Flugsequenzen kehren sie immer wieder auf ein Bett zurück. Es ist eine wirklich traumhafte Inszenierung mit starken, oftmals riskanten Tricks. Auf jeden Fall bildet das Duo vollkommen zu recht die Pausennummer. Eine Konstruktion, die eine überdimensionale Spinne symbolisiert, steht zu Beginn des zweiten Teils im Mittelpunkt. Artisten und das Ballett bewegen sich darauf. Menschliche Spinnen klettern an Netzen, die von der Decke des Baus herunterhängen. Darin eingebunden ist Akrobatik am Mast mit mehreren Akteuren, allen voran Boris Kim. Auf der Plattform am oberen Ende des Chinese Pole findet sich letztendlich auch die Wunderlampe in Gänze. Kaum hält sie der Reisende in den Händen, beginnt auch schon eine wilde Verfolgungsjagd mit ihm und seinen Gegenspielern. Höchst witzig jagen sie sich rund um die Manege. Dabei sorgen für zwischen Piste und Logen aufgestellte Türen für zusätzlichen Spaß. In der Zwischenzeit wird die Spielfläche für die nächste Darbietung vorbereitet. Überhaupt gehen die einzelnen Programmpunkte fließend ineinander über. Richtige Umbaupausen gibt es nicht. Mit Keulen jonglieren die Mitglieder der Formation um Alexander Chugunov. Das Design ihrer Kostüme orientiert sich an Spielkarten und bricht somit aus dem Gesamtkonzept aus. Das Quintett wirft sich die Keulen nicht nur im Stehen oder im Zwei-Personen-Hoch zu, sondern auch während der Fahrt auf dem Einrad. Es entstehen dynamische, temporeiche Bilder, bei der die Akteure ihre Geschicklichkeit auf vortreffliche Weise demonstrieren.


Liudmila Akhundova

Eine Meisterin ihres Fachs ist Equilibristin Tatiana Belova. Ohne abzusetzen hält sie ihren grazilen Körper minutenlang auf den Händen im Gleichgewicht. Ihre Handstandvariationen sind phänomenal. Das Ballett und künstliche Kerzen sorgen für eine intime Atmosphäre. Anschließend geht es weiter nach Afrika. Die Tänzer entführen uns dahin. Angekommen auf diesem Kontinent, empfangen uns Tufik und Liudmila Akhundov. Sie führen drei Nilpferde und einige kleine Affen vor. Insbesondere die Flusspferde beherrschen ein ungewöhnliches Repertoire. Sie zeigen Roll over, den Big Mount zu dritt oder spielen mit ihren Trainern Ball. Die Affen beweisen sich auf Stangen als Seiltänzer. Mit Hilfe eines Schleuderbretts katapultieren sie sich gegenseitig auf den Rücken eines Nilpferds. Es ist wirklich einzigartig, was hier präsentiert wird. Aus hiesigen Manegen bekannt sind die Tricks der Dshigitenreiter, die im Outfit des guten Genie auftreten. Die rasante Reiterei verliert insbesondere durch die blau angemalten Gesichter für meinen Geschmack an Wirkung. Weniger Maskerade hätte dem Auftritt besser getan. Die Truppe von Aleksei Pronin war schon beim Weltweihnachtscircus und bei Salto Natale zu Gast. In Monte Carlo gewann sie 2015 einen Silbernen Clown. Ihre Akrobatik an zwei Russischen Schaukeln sorgt im Bolshoi Circus für den furiosen Schlusspunkt. Selbstverständlich haben sie auch den gleichzeitige Sprung zweier Akteure übereinander in petto.

Beim ausschweifenden, farbenfrohen Finale wird uns nochmals vor Augen geführt, welch großes Ensemble uns gerade für rund zweieinhalb Stunden bestens unterhalten hat. Es ist schon ein einmaliges, absolut beeindruckendes Erlebnis, welches uns der Russische Staatscircus hier beschert. Eben in jeder Hinsicht „groß“, „großartig“.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch