Verlässt
man die unterirdische Station „Universitet“, hat man gleich einen
freien Blick auf das imposante Gebäude. Die Architektur ist markant und
wirkt auch nach über 45 Jahren noch modern.
Außenansicht
Das
setzt sich im Inneren fort. Natürlich dürfen alle Gäste auf
Einzelsitzen Platz nehmen. Das Orchester thront seitlich im
Zuschauerraum. Licht-, Ton- und die weitere Technik befinden sich auf
dem neuesten Stand. Die Manege kann abgesenkt und in verschiedenen
Varianten genutzt werden. So erleben wir etwa eine Spielfläche voll mit
feinem Sand. LED-Wände sind an verschiedenen Stellen im Auditorium
angebracht. Etwa als Bande vor den ersten Sitzreihen oder rundherum
unter dem Hallendach.
Szene
aus der Rahmenhandlung
Ein
derart großer Raum verlangt nach großen Inszenierungen. Eine solche ist
„Sand Fairytail“. Gespielt wird sie seit Mitte Dezember 2018 bis Ende
August 2019. Während der Bolshoi Circus insgesamt unter der Direktion
der Brüder Edgar und Askold Zapashny steht, wurde die aktuelle Show von
Evgeny Shetvsov, Andrei Sharnin und Olga Poltarak geschrieben.
Natürlich geht es bei diesem „Sandmärchen“ in die Wüste. Die Handlung
lässt sich in groben Zügen wie folgt zusammenfassen: Ein einsamer
Reisender (Konstantin Astashov) irrt seit einer Woche durch die Wüste
und hat jede Hoffnung auf Rettung verloren. Auf einmal findet er eine
Hälfte von Aladins Wunderlampe und gerät in ein Märchen aus vergangener
Zeit. Mit einer großen Sanduhr wird die Zeit zurückgedreht. Der smarte
Reisende erlebt spannende Abenteuer. Dabei wird er vom guten Genie
(Artem Bobtsov) begleitet. Doch das Duo hat Gegenspieler. Dabei handelt
es sich um den bösen Zauberer (Evgeny Minin) und den bösen Genie
(Dmitry Sorokin). Zu den weiteren Protagonisten gehören Prinzessin
sowie Prinz des Ostens. Wie in allen Märchen siegt am Ende das Gute.
Doch ganz am Schluss fällt unser Reisender zurück in die Gegenwart,
zurück in seine aussichtslose Situation. Eingebunden in diese Handlung
sind die einzelnen Nummern sowie die Auftritte des Balletts. Ein nicht
unerheblicher Teil der Darbietungen stammt von Gia Eradzes „Royal
Circus“. Bis auf die Gruppenjonglagen sind die Aufmachungen dem
übergeordneten Thema angepasst.
Vladimir und Natalia Isaichev
Nachdem
das Publikum den Reisenden und seine Situation kennen gelernt hat,
erleben wir eine Inszenierung des Balletts in Gold. In der Manege
spielen die Tänzerinnen mit feinem Sand, in der Mitte steht die große
Sanduhr. Vier Artistinnen zeigen Luftakrobatik an kunstvoll gestalteten
Ringen. Während die nächste Sequenz im Zuschauerraum spielt, wird die
Sandmanege nach unten gefahren und gegen eine Spielfläche mit Teppich
getauscht. Darauf wird ein Umzug mit Prinzessin und Prinz sowie
dem Ballett veranstaltet. Prächtige Kostüme mit Federn beherrschen nun
das ausschweifende Bild. Eingebunden sind sechs stattliche Kamele, die
im Verlauf dieser Szene unter Anleitung von Konstantin Rastegaev eine
Freiheit arbeiten. Skorpione bevölkern das Rund. Sie erscheinen auf den
LED-Wänden und werden von Figuranten verkörpert. Im Mittelpunkt aber
steht die Akrobatik auf federnden Stelzen der Truppe von Alexander
Yatsenko. In goldenen Outfits vollführen die Akrobaten variantenreiche
Sprünge. Ebenfalls in Gold überraschen Vladimir und Natalia Isaichev
mit einer Rarität. Sie führen Raubkatzen an der Longe vor. Konkret geht
es hier um zwei kanadische Pumas. Die Tiere beherrschen weite Sprünge,
können balancieren und auf den Hinterbeinen laufen. Highlight ist der
Sprung von Kugel zu Kugel durch einen mit Papier bespannten Reifen.
Papageienrevue, Hundedressur,
Ringperche
In
einem goldenen Käfig befinden sich die Vorführer der großen
Papageienrevue. Auf jeden Vogel kommt ein Mensch. Die Damen des
Balletts sind ebenfalls mit von der Partie, womit wieder ein
faszinierendes Schaubild entsteht. Unter den Augen des Prinzenpaares
präsentieren die Tiertrainer um Elena Baranenko ihre Künste sowie die
ihrer Schützlinge. Es ist durchaus Außergewöhnliches dabei. Etwa ein
Papagei, der Antipodenspiele beherrscht. Oder ein anderer, der ein
Doppelrad – ähnlich eines überdimensionalen Diabolos - in
Bewegung hält. Die Darsteller der Rahmenhandlung übernehmen auch den
clownesken Part der Produktion. So erleben wir nach den Aras eine
amüsante Szene mit dem Reisenden und dem guten Genie. Darin
katapultieren sie eine Flasche mittels einer Wippe in die Luft und
fangen sie mit dem Kopf wieder auf. Eine groß angelegte Hundedressur
mit weißen Spitzen und Dalmatinern präsentiert Ekaterina Zapashnaya.
Die Tiere haben ihre Plätze auf illuminierten Podesten, die im Kreis um
die Manegenmitte angeordnet sind. Von dort starten sie, um Tricks aus
ihrem breiten Repertoire zu zeigen. So das Laufen in und auf einem
Rad und das Seilspringen mit ihrer Trainerin. In einer
weiteren großen Szene wird die Handlung vorangetrieben, bevor
dann Reifen aller Art als Requisiten für Artistik dienen.
Zunächst erleben wir eine
Ringperche, die nur mit den Armen gehalten wird, dann
Rhönräder und zum Abschluss Cyr Wheels. Beherrschende
Figur dieser Aufführung in Rot und Gold ist der böse Genie Dmitry
Sorokin, der auch Untermann der Perchedarbietung ist.
"Closing
the Eyes", Chinese Pole, Jongleur aus der Truppe von Alexander Chugunov
Mit
„Schließen der Augen“ ist die traumhafte Kür an Strapaten von Ekaterina
Zapashnaya und Konstantin Rastegaev überschrieben. Zwischen ihren
spektakulären Flugsequenzen kehren sie immer wieder auf ein Bett
zurück. Es ist eine wirklich traumhafte Inszenierung mit starken,
oftmals riskanten Tricks. Auf jeden Fall bildet das Duo vollkommen zu
recht die Pausennummer. Eine Konstruktion, die eine überdimensionale Spinne
symbolisiert, steht zu Beginn des zweiten Teils im Mittelpunkt.
Artisten und das Ballett bewegen sich darauf. Menschliche Spinnen
klettern an Netzen, die von der Decke des Baus herunterhängen. Darin
eingebunden ist Akrobatik am Mast mit mehreren Akteuren, allen voran
Boris Kim. Auf der Plattform am oberen Ende des Chinese Pole findet
sich letztendlich auch die Wunderlampe in Gänze. Kaum hält sie der
Reisende in den Händen, beginnt auch schon eine wilde Verfolgungsjagd
mit ihm und seinen Gegenspielern. Höchst witzig jagen sie sich rund um
die Manege. Dabei sorgen für zwischen Piste und Logen aufgestellte
Türen für zusätzlichen Spaß. In der Zwischenzeit wird die Spielfläche
für die nächste Darbietung vorbereitet. Überhaupt gehen die einzelnen
Programmpunkte fließend ineinander über. Richtige Umbaupausen gibt es
nicht. Mit Keulen jonglieren die Mitglieder der Formation um Alexander Chugunov. Das Design ihrer Kostüme orientiert sich an Spielkarten und
bricht somit aus dem Gesamtkonzept aus. Das Quintett wirft sich die
Keulen nicht nur im Stehen oder im Zwei-Personen-Hoch zu, sondern auch
während der Fahrt auf dem Einrad. Es entstehen dynamische, temporeiche
Bilder, bei der die Akteure ihre Geschicklichkeit auf vortreffliche
Weise demonstrieren.
Liudmila Akhundova
Eine Meisterin ihres Fachs
ist Equilibristin Tatiana Belova. Ohne abzusetzen hält sie
ihren grazilen Körper minutenlang auf den Händen im
Gleichgewicht. Ihre Handstandvariationen sind phänomenal. Das
Ballett und künstliche Kerzen sorgen für eine intime
Atmosphäre. Anschließend geht es weiter nach Afrika. Die
Tänzer entführen uns dahin. Angekommen auf diesem Kontinent,
empfangen uns Tufik und Liudmila Akhundov. Sie führen drei
Nilpferde und einige kleine Affen vor. Insbesondere die
Flusspferde beherrschen ein ungewöhnliches Repertoire. Sie
zeigen Roll over, den Big Mount zu dritt oder spielen mit
ihren Trainern Ball. Die Affen beweisen sich auf Stangen als
Seiltänzer. Mit Hilfe eines Schleuderbretts katapultieren sie
sich gegenseitig auf den Rücken eines Nilpferds. Es ist
wirklich einzigartig, was hier präsentiert wird. Aus hiesigen
Manegen bekannt sind die Tricks der Dshigitenreiter, die im
Outfit des guten Genie auftreten. Die rasante Reiterei
verliert insbesondere durch die blau angemalten Gesichter für
meinen Geschmack an Wirkung. Weniger Maskerade hätte dem
Auftritt besser getan. Die Truppe von Aleksei Pronin war schon
beim Weltweihnachtscircus und bei Salto Natale zu Gast. In
Monte Carlo gewann sie 2015 einen Silbernen Clown. Ihre
Akrobatik an zwei Russischen Schaukeln sorgt im Bolshoi Circus
für den furiosen Schlusspunkt. Selbstverständlich haben sie
auch den gleichzeitige Sprung zweier Akteure übereinander in
petto.
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