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Cirque Arlette Gruss - Tour 2019
www.cirque-gruss.com ; 98 Showfotos

Straßburg, 25. Mai 2019: In diesem Jahr ist (fast) alles anders. Das Straßburg-Gastspiel, wie immer im Mai, markiert nicht den Anfang der Sommerpause, sondern das Ende der aktuellen Tournee des Cirque Arlette Gruss. Gereist wird erst wieder Ende September, dann mit einer neuen Show. Bei Erscheinen dieses Berichts ist die Produktion „L’étoile en héritage“ („Der Stern im Erbe“) bereits Geschichte. Doch nicht nur der Tourneerhythmus hat sich geändert: Im Programm fehlen auch einige Konstanten, die die letzten Programme ausmachten. Weder Motorräder, noch Elefanten oder Großkatzen sind zu sehen.

Die ganze Programmgestaltung wirkt zusätzlich „aufgeräumter“ und puristischer, raumfüllende Erzählungen von Mr. Loyal Kevin Sagau sowie Figuranten in fantasievollen Kostümkreationen fehlen weitgehend. Dazu passt auch die Atmosphäre in „Le Privilège“. Diese mit dem Beginn der zweiten Tourneehälfte 2018 eingesetzte Pyramidenzeltkonstruktion wurde das erste Mal am Stade de la Meinau errichtet.


Le Privilege

Der neue, recht flache Artisteneingang wirkt sehr klein im Vergleich zum bombastischen Vorgängermodell der „Cathédrale“. Dadurch und ohne die Masten im Innenraum ergibt sich ein doch recht leerer, großer Raum. In der Show wird dieses Manko durch das gewohnt starke Lichtdesign weitgehend ausgeglichen, bei dem in diesem Jahr hauptsächlich auf Laserelemente gesetzt wird.


Glenn Folco, Laura-Maria Gruss und Arthur Huard Vereano mit Ensemble, Alexis Gruss

Während man vor einigen Jahren noch stark auf Programmtitel mit thematischem Background gesetzt hatte (zum Beispiel „Mirages“ 2008), sind die Produktionsnamen in den letzten Jahren eher allgemein gehalten. So ist es auch in dieser Produktion. Wie Kevin Sagau eingangs erläutert, ist „L’étoile en héritage“ („Der Stern im Erbe“) die Passion der Familie Gruss, über Generationen hinweg Circus zu machen. Als jüngste Vertreterin der Dynastie darf dann noch vor dem eigentlichen Opening Alexis Gruss eine Netzakrobatik zeigen. Zur Einleitung zeigt sie auch einige Tricks der Handstandequilibristik im Stil einer Marionette, die von einer maskierten Figur auf Stelzen an Fäden gezogen wird. Die Achtjährige beherrscht dabei bereits ein breites Repertoire. Dem schließt sich, wie schon in den Vorjahren, ein recht ausführliches Opening an. Alle Artisten tragen dabei einheitliche Kostüme und tanzen, Christina Hurtado gibt die Sängerin. Laura-Maria Gruss und Arthur Huard Vereano umreiten die Ensemblemitglieder auf zwei Pferden. Aus der Masse löst sich Jongleur Glenn Folco. Bis zu fünf Tennisschläger hält der junge Italiener in der Luft. Begleitet wird er dabei vom achtköpfigen Orchester, das durch eingespielte Sounds unterstützt wird. Dabei wird in diesem Jahr besonders auf Gesangsplaybacks gesetzt, die eigens komponiert wurden. Nach Glenn Folcos Schlusstrick kommen alle Artisten noch einmal zusammen.


William Tournoud und Laura Pedersen

Kevin Sagau begrüßt die Besucher. In dieser (halben) Saison 2019 ist der langjährige Moderator vorerst das letzte Mal bei Arlette Gruss zu erleben. Bei seiner nächsten Ansage wird er von Clown Matute (Alvarez) gestört, der als zu spät kommender Zuschauer auf Hilfe angewiesen ist. Dabei verirrt er sich sogleich in die Manege und darf die Rolle des Clowns übernehmen. Diese füllt er während der gesamten Show in angenehmer Dosierung mit kreativen Einfällen aus. Anschließend erleben wir die einzigen Wildtiere in „L’étoile en héritage“. Zwei patagonische Seelöwen, darunter auch einen großen Bullen, hat die Familie Pedersen mit zu Arlette Gruss gebracht. Laura Pedersen und ihr Mann William werden dabei von ihrer Schwester Sarah unterstützt. Wenn der große Seelöwe die Vorführerin auf der Schnauze trägt, sind wir am Höhepunkt der sympathisch verkauften Trickfolge angelangt. Gegen Ende der Darbietung watschelt dann noch eine ganze Herde Pinguine in die Manege und darf sich an einer Rutsche vergnügen. Leider fällt der Auftritt der groß angekündigten Seevögel sehr kurz aus. Typisch Arlette Gruss ist jedoch der Verkauf mit tanzenden Pinguinen aus Laserstrahlen an den Zeltwänden – eine gut umgesetzte, kreative Idee.


Extreme Light, Laura-Maria Gruss

Komplett im Mittelpunkt stehen die vielen Laser dann bei der folgenden Darbietung. Zuerst alleine, dann mit der Truppe „Extreme Light“ zeigt Laserman Alexandro Hurtardo verschiedenste Abläufe. Die aus dem Vorjahr bekannte Truppe mit den illuminierten Anzügen unterstützt ihn dabei tänzerisch. In ihren Anzügen wirken die Ukrainer dabei wie Cyborgs. Ganz klassisch wird es dann im Anschluss, wenn Laura-Maria und Linda Gruss die Pferde des Hauses vorstellen. Sechs dunkle Friesen und drei weiße Portugiesen zeigen unter der Anleitung der artistischen Direktorin Linda nur wenige Tricks. Im Anschluss lässt Laura-Maria die drei Schimmel steigen, ehe sich weitere Da Capi, auch mit Ponys, anschließen.


Sarah Togni, Matute, Flying Matos

Große Anstrengungen verlangt Matute einigen Zuschauern ab, wenn sie ein Papiertuch fangen sollen, das er ihnen zuwirft. Das klappt mehr schlecht denn recht. Besser gelingt es, wenn er abgerolltes Klopapier mit einem großen Gebläse in der Luft hält. Damit sorgt er für viele Lacher im Publikum. Sinnlich und mystisch zugleich wird es dann mit Sarah Togni am Cyr. Immer wieder dreht sie sich mit ihrem Rad im Kreis und wagt dabei unterschiedlichste Griffe und Varianten. Cristina Hurtado mimt dazu die stimmgewaltige Sängerin. Mit einer überdimensionalen Trommel auf dem Rücken darf dann Matute reichlich Radau veranstalten. Den Netzaufbau für das Flugtrapez überbrücken die Truppe „Extreme Light“ mit einem Tanz in den Aufgängen und Kevin Sagau. Unter der weiten Kuppel erleben wir vor der Pause den artistischen Höhepunkt der Show. Die vierköpfigen Flying Matos sind außergewöhnlich starke Vertreter ihres Genres. Vor allem die Fliegerinnen stechen mit Pirouetten, gestreckten Doppelsalti (mit verbundenen Augen) und einer Passage hervor. Der Flieger zeigt unter anderem einen Rückwärtssalto mit Schraube und den dreifachen Salto. Ein abschließender Sturz aus der Kuppel darf nicht fehlen.


Duo Lyd, Wolfgang Lauenburger, Kevin Gruss

Nach der Pause gehört die Manege dann dem bestens bekannten Wolfgang Lauenburger und seiner quicklebendigen Hundemeute. Die lebensfreudigen Tiere springen, tanzen und spielen ihrem Herrchen den ein oder anderen Streich. Wie schon vor einigen Jahren tritt Kevin Gruss in diesem Jahr an Vertikalketten auf. Von ihnen lässt er sich immer wieder auf eine große Matte fallen. Kreativ umgesetzt hat Matute seinen Boxkampf. Dabei bezieht er „nur“ einen Zuschauer ein, dem er trotz bedrohlicher Gestik eindeutig unterlegen ist. Angenehm ist hierbei die positive Abweichung vom üblichen Ablauf des Box-Entrees, denn Matutes Version ist kurzweilig und hält sich nicht mit einer ewigen Mitspieler-Suche auf. Besonders gelungen ist auch die Einleitung zur folgenden Nummer: Ein BMX-Fahrer mit illuminiertem Anzug und Rad zeigt einige Sprünge in der dunklen Manege. Währenddessen kündigt Kevin Sagau vom Orchesterpodium die nächste Darbietung an. Das kubanische Duo Lyd hat eine wirklich spektakuläre Fahrradartistik im Gepäck. So steht die weibliche Partnerin des Duos beispielsweise auf den Schultern ihres Mannes, wenn dieser das Vorderrad des Gefährts in der Luft hält und nur auf dem hinteren fährt. Die starken Tricks werden sympathisch verkauft. Damit bilden die beiden die eigentliche Schlussnummer der Produktion.


Extreme Light

„C’est fini!“ („Es ist vorbei!“) verkündet deshalb auch Matute. Kevin Sagau stoppt ihn jedoch. Denn vor dem eigentlichen Finale folgt noch ein echtes Hightlight. Alexis Gruss tanzt als kleiner Michael Jackson, ehe die gesamte achtköpfige Truppe „Extreme Light“ in entsprechenden Kostümen zu „Thriller“ und „Billy Jean“ an den „King of Pop“ erinnert. Dabei kommen die genialen Lichtillusionen besonders gut zur Geltung. Im folgenden Finale stellt Sagau noch einmal alle Mitwirkenden vor.

Auch in diesem Jahr erheben sich die Zuschauer in Straßburg zu Standing Ovations. Es ist klar, dass schon deutlich stärkere Shows als „L’étoile en héritage“ bei Arlette Gruss gezeigt wurden. Doch auch ohne Wildtiere, ohne fantastische Kostümkreationen und ohne eine große artistische Sensation gelingt es Gilbert Gruss und seinem Team, eine mitreißende Show zu gestalten. Damit zeigt sich einmal mehr die besondere Klasse dieses Unternehmens. Man darf gespannt sein, wie es nach der Sommerpause am 26. September mit „Bêtes de Cirque“ weitergeht.

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Text: Jonas Haaß; Fotos: Tobias Moll