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Circus-Theater Roncalli 2018
www.roncalli.de ; 97 Showfotos

Ludwigsburg, 8. August 2018: René Strickler, Yasmine Smart, Fredy Knie jun., Sarah Houcke: In seiner über 40-jährigen Geschichte waren viele große Tierlehrer im Circus Roncalli zu Gast. Auch nachdem sich das Unternehmen ab Anfang der Neunziger Jahre auf Pferde beschränkte, boten die Darbietungen mit diesen Vierbeinern weiterhin ein hohes Niveau. Mit Karl Trunk und seiner trickreichen Ponydressur endete diese Tradition im vergangenen Jahr. Seit Saisonstart 2018 sind in Bernhard Pauls Produktionen keine Tiere mehr zu sehen. Auch der Name hat sich geändert. Aus dem „Circus“ wurde das „Circus-Theater Roncalli“.

Gleichzeitig versucht man, mit weniger Plastik und veganen Speisen auf den „Zeitgeist“ zuzugehen. Letztere waren bei unserem Besuch in Ludwigsburg jedenfalls nicht zu entdecken. Bei allen nachvollziehbaren Gründen, die bei den engen Innenstadt-Plätzen für einen Verzicht auf Tiere sprechen, ist klar: Wer diese Entscheidung trifft, sollte sich damit nicht auf Kosten anderer Unternehmen profilieren. Doch nicht nur der Name des Unternehmens wurde zum Saisonbeginn 2018 verändert. Auch das Programm ist neu. Es trägt den Titel „Storyteller. Gestern - Heute – Morgen“. Es soll eine Brücke zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Circus schlagen. Um es vorneweg zu sagen: Diese neue Inszenierung überzeugt deutlich mehr als die Vorgängerproduktion „40 Jahre Reise zum Regenbogen“.


Adèle Fame, Quincy Azzario, Hologramm-Show

Eröffnet wird die Show durch die als Weltpremiere angekündigte Hologramm-Technik. Eine filigrane Leinwand wird dafür ähnlich einem Netzgitterkäfig aus der Piste gezogen. Leider wirkt die Projektion mit insgesamt elf Beamern aus unserer Perspektive eher wie ein normaler Film. Zu Beginn hören die Besucher die Stimme von Bernhard Paul, der aus dem Off die Entstehungsgeschichte des Circus vor 250 Jahren erzählt. Dazu galoppieren Pferde scheinbar durch die Luft. Dann kommt ein handgefertigtes Pferd in die Manege, das von Figuranten getragen wird. Der Moment, in dem ebenjenes „Tier“ steigt, ist der Tiefpunkt der Inszenierung. Der Auftritt wirkt eher wie eine Persiflage denn eine Hommage an den klassischen Circus. Anschließend schwimmt noch ein Fisch über die Leinwand, ehe ein Elefant darauf einen Kopfstand zeigt. Dann schwebt der vom Plakatmotiv bekannte Heißluftballon mit Bernhard Paul als Zippo ein, und die Besucher werden von Weißclown Gensi als Hologramm begrüßt. Den zweiten Teil seiner Begrüßung übernimmt er dann physisch auf dem Gradin. Ganz klassisch marschieren die vier Ballettdamen und vier Artistinnen im Reiterdress in die Manege. Dabei werden sie von Clown Paolo Carillon auf dem Dudelsack begleitet. Im Hintergrund stellt sich Jemile Martinez mit den Requisiteuren auf. Er begleitet mit toller Gestik als wortloser Ringmaster durch das Programm. Im Kontrast zu diesem Opening steht die modern verpackte Strapatenakrobatik von Adèle Fame. Zu packender Musik zeigt sie zahlreiche Aufschwünge, Abfaller und lässt sich freihändig in den Spagat gleiten. Ihr expressiver Verkauf fördert die Wirkung in idealer Weise. Damit setzt die junge Französin ein erstes artistisches Ausrufezeichen. Und davon folgen gerade im ersten Programmteil noch einige. Roncalli setzt dabei auf geballte Frauenpower. Drei Saisons lang war Quincy Azzario mit ihrer Schwester Katie mit Roncalli auf Tour. Seit 2015 ist sie mit ihrer eigenen Solodarbietung unterwegs. Und diese steht inzwischen der Hand-auf-Hand-Darbietung mit ihrer Schwester in nichts nach. So wie Adèle Fame an den Strapaten präsentiert auch sie ihre Handstandequlibristik packend, modern und flott. Zu „Arena“ von Lindsey Stirling beginnt sie auf dem glatten, sich drehenden Podest, ehe sie auf dem Piedestal weiterarbeitet. Höhepunkt ist der Klötzchenabfaller, der äußert selten von Frauen gezeigt wird. Chapeau!


Bello Sister, Cedenos, Chistirrin

Nicht zu verstecken brauchen sich auch die drei Bello Sisters, deren Partnerakrobatik sich zwar durchaus an das Trio Bellissimo anlehnt, aber auch eigene Akzente setzt. Wenn man bedenkt, dass die Jüngste der Schwestern erst zwölf Jahre alt ist, sind die Leistungen mehr als beachtlich. Die einzige artistische Darbietung ohne weibliche Beteiligung vor der Pause zeigen die Cedenos. In Ludwigsburg erleben wir nur zwei der vier Brüder, denen von einer mexikanisch angehauchten Ballettszene der Weg bereitet wird. Auch so werden alle wesentlichen Tricks einer guten Ikarier-Nummer, inklusive Doppelsalto, gezeigt. Zudem erleben wir drei der Brüder gemeinsam mit Clown Chistirrin nach der Pause mit einem komischen fliegendem Trapez, das sich klar an Tito Medinas Version dieses Genres orientiert. Beispielsweise bei der „Krabbel-Passage“.


Vivian Paul und Natalia Rossi, Kong Haitao, Mike Chao

Gemeinsam mit Natalia Rossi hat Vivian Paul, die ältere Tochter von Bernhard Paul, eine Luftnummer am Kronleuchter einstudiert. Als „Queens of Baroque“ zeigen die beiden Artistinnen unter anderem den Genickhangwirbel. Das Ganze ist mit Requisiten und Ballett stilvoll dem barocken Thema entsprechend inszeniert. Die toll gespielte, mit einem rockigen Einschlag versehene Musik des Orchesters unter Georg Pommer macht diese Szene endgültig zu einem Erlebnis. Eines der Mankos des letzten Programms war das Fehlen einer wirklich herausragenden artistischen Darbietung. Diese gibt es nun. Was Kong Haitao bei seiner Stuhlbalance leistet, ist unglaublich. Nachdem er sieben Stühle unter der Circuskuppel gestapelt hat, zeigt er verschiedene Handstände auf einem Stab. Doch der Gewinner des diesjährigen „Cirque de Demain“ in Paris setzt noch einen drauf: Auf einem achten Stuhl stapelt er Klötzchen, stößt diese auf der einen Seite weg und zeigt einen einarmigen (!) Klötzchenabfaller. Der Jubel im Publikum ist logischerweise riesig. Zum Glück arbeitet er ab der Mitte der Darbietung mit einer Longe. Durch die ganz unterschiedlichen Stile der Darbietungen bestätigen sich glücklicherweise die Befürchtungen nicht, dass das Programm mit Kong Haitao, Quincy Azzario und den Bello Sisters zu „handstandlastig“ wirkt. Zu all den starken artistischen Darbietungen kommt Mike Chao, dessen mit viel Fingerfertigkeit erzeugte Illusionen zwar durchaus poetisch verkauft werden, aber in der von allen Seiten einsehbaren Manege eine besondere Herausforderung für den Künstler sind.


Robert Wicke und Kai Eikermann, Anatoli Akermann und Eddy Neumann, Zuschauer mit Anatoli Akermann

Noch nie zuvor gab es so viele Komiker in einem Roncalli-Programm. Insgesamt harmonieren die verschiedenen Charaktere gut. Der erste Auftritt gehört Kai Eikermann. Der Sinn seiner Reprise mit einer Cola-Dose erschließt sich zumindest mir nicht so ganz. Lustiger ist seine Rolle in der Reprise vor der Pause, bei der neben ihm auch Eddy Neumann, Anatoli Akerman, Paolo Carillon, Chistirrin, Robert Wicke und das Ballett mitwirken. Als vermeintlicher Besucher begeistert er mit Breakdance-Einlagen, ehe er sich am Ende als Kai Eikermann entpuppt. Wie schon erwähnt, sind Anatoli Akerman und Eddy Neumann wieder einmal mit Roncalli auf Tour. Gemeinsam zeigen sie eine komische Zauberei, bei der Anatoli als Assistent dem Zauberer Eddy jeden Trick vermasselt. Damit schließen sie perfekt an den direkt davor arbeitenden Mike Chao an. Gegen Ende des Programms überbrücken sie noch den Aufbau für Kong Haitao mit der „Reparatur“ einer scheinbar lockeren Lampe, in die ein Zuschauer einbezogen wird.


Paolo Carillon, Fabrini, Chistirrin und Gensi

Nicht ganz optimal direkt nach dem ersten Auftritt von Akerman und Neumann platziert ist das kreativ umgesetzte „Das Musizieren ist hier verboten“ von Gensi und Chistirrin. Nichtsdestotrotz ist dieses klassische Motiv hier verspielt und liebevoll umgesetzt. Der junge Mexikaner, der laut Programmheft von Bernhard Paul vom „Rohdiamanten zum Diamanten“ geschliffen wird, ist ein echter Publikumsliebling. So kommt Gensi nie dazu, seine eigene Zauberei zu zeigen. Prolongiert wurde Beatboxer Robert Wicke, der heuer nur einen eigenen Auftritt als Pausennummer hat. Wie schon im Vorgängerprogramm hat er damit das Publikum auf seiner Seite und leitet damit ideal zur schon beschriebenen Pauseneinleitung über. Eine ähnliche Wirkung wie der Auftritt der Pferdefigur entfaltet das Erscheinen zweier Elefantenfiguren mit Hamza Benini und Moustapha Niasse. Diese Hommage an Footit und Chocolat geht zudem als Umbaupausenüberbrückung nach dem Flugtrapez etwas unter. Genauso wie Robert Wicke prolongiert wurde Paolo Carillon, der in seiner wunderbar poetischen Art und Weise mit einem Zug auf seinem Hut spielt. Damit fügt er sich hervorragend in die typische Roncalli-Atmosphäre ein. Schon einmal mit Roncalli auf Tournee waren die Brasilianer Vic & Fabrini. Sie kombinieren „Mensch oder Puppe“ mit komischer Zauberei. Einziges Manko aller humoresken Auftritte insgesamt ist, dass sehr oft Magie persifliert wird und dadurch gewisse thematische Ähnlichkeiten auftreten. Der Epilog nach dem ganz klassisch zelebrierten Finale gehört dann Gensi und dem singenden Chistirrin.

Es ist schade, dass Roncalli nun ohne Tiere auf Tournee geht. Doch anstatt um die Vergangenheit des Unternehmens zu trauern, sollten wir einen Blick auf die Gegenwart werfen. Mit „Storyteller“ ist dem Team das beste Roncalli-Programm der letzten Jahre gelungen. Mit Kong Haitao gibt es endlich wieder eine echte artistische Sensation zu sehen, und auch sonst leistet sich keine der Darbietungen dieser Sparte Schwächen. Die vielen verschiedenen Komiker sorgen für reichlich Lachen unter der Circuskuppel. Damit gelingt Roncalli die Fokussierung auf seine Zielgruppe ausgesprochen gut.

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Text: Jonas Haaß; Fotos: Tobias Moll