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Zirkus Nemo - Tour 2018
www.zirkus-nemo.dk ; 100 Showfotos

Charlottenlund, 18. August 2018: Schon die Eröffnungsszene ist ganz wunderbar gelungen. Auf der Rundbühne steht ein Tisch mit einem Blechspielzeug darauf, das ganz offensichtlich von der daneben stehenden Dampfmaschine angetrieben werden soll. Nach und nach kommen die Artisten herein. Sie begutachten die Gegenstände kritisch, tauschen sich aus, kommen aber zu keiner Lösung. Diese naht in Person von Soren Ostergaard. Der Direktor kennt die richtigen Griffe und bringt die historischen Stücke zum Laufen. Vor Freude tanzt das Ensemble. Es folgt die Begrüßungsansage nach Ostergaard-Art.

Während er seine Lippen bewegt, kommt die Stimme vom Band. Das Ganze ist gewollt asynchron und wirkt somit herrlich dilettantisch. Die Artisten erscheinen erneut und begrüßen im Opening das Publikum.


Eröffnungsszene

Schon steht Ostergaard wieder im Scheinwerferlicht. Jetzt mit grauer Lockenperücke, Kissen unter dem Hemd und quietschgelbem Frack. In einer fahrbaren Badewanne befindet sich sein „Sketchpartner“: ein dressierter Fisch namens Carl Gustaf. Mit Hingabe führt der ältere Herr das Tier vor und kommentiert die Tricks wortreich. Zum Schluss springt der Fisch in die Hose seines Dompteurs. Gags unter der Gürtellinie gehören beim Zirkus Nemo einfach dazu.


Chapiteau

Die Produktion 2018 dieses „Zirkus für Erwachsene“ ist wiederum ausgezeichnet gelungen. Hochkarätig besetzt, perfekt in Szene gesetzt und natürlich ungeheuer witzig. Das kompakte Chapiteau sorgt für eine einzigartige Atmosphäre. Die hervorragende vierköpfige Band unter der Leitung von Oyvind Ougaard ist vermutlich das einzige Circusorchester, das in kurzen Hosen spielen darf. Anders als in den letzten Jahren hat Soren Ostergaard aktuell keinen (menschlichen) Sketchpartner. Das schadet dem Programm gar nicht. Vielmehr wirkt es klarer strukturiert, aufgeräumter. Hinzu kommt, dass wir dadurch einigen bislang bei Nemo nicht gezeigten Figuren begegnen dürfen. Und letztendlich verdanken wir dieser Reduzierung im Bereich Comedy eine zusätzliche artistische Nummer.


Konstantin Mouraviev, Duo Solys, Hector Yzquierdo

Und auf die Artistik legt Soren Ostergaard immer wieder großen Wert. Man merkt, dass er den Circus liebt, dass er auf Qualität setzt. Viele Nummern werden wiederholt engagiert. So waren Rhönrad-Artist Konstantin Mouraviev und das Equilibristik Duo Solys bereits zuvor bei Nemo zu erleben. Doch natürlich ist es immer wieder ein großes Vergnügen zu sehen, wie sich Mouraviev seine Pfunde am Rhönrad kunstvoll abtrainiert und die geleistete Arbeit mit dem Genuss einer Flasche Bier wieder zunichte macht. Die Partnerakrobatik des kubanisch-französischen Paars lässt immer wieder staunen. Sei es aufgrund der erstaunlichen Kräfte von Tatania Colaqu oder des effektvollen Schlusstricks unter Einbeziehung einer Eiffelturm-Statue. Den männlichen Part des Duo Solys, Hector Yzquierdo, erleben wir zudem im Solo mit einer äußerst starken Handstandakrobatik. Im Kopfstand lässt er Ringe um Hände und Füße rotieren. Den Klötzchentrick zeigt er über fünf Etagen. Hinzu kommt, dass der Kubaner blendend aussieht und sich sehr sympathisch verkauft.


Geraldine Philadelphia, Mario Berousek, Cabaret Décadanse

Zum ersten Mal beim Zirkus Nemo engagiert sind Geraldine Philadelphia und Mario Berousek. Philadelphia ist sozusagen ein Kind des Circus Roncalli, das inzwischen erfolgreich auf eigenen Füßen steht. Vergangene Saison war sie beim Circus Nock in der Schweiz. Im kommenden Winter gehört sie zum Ensemble des Heilbronner Weihnachtscircus, um nur zwei Stationen zu nennen. Auch das dänische Publikum nimmt sie mit ihrer Melange aus Hula Hoop-Artistik und Reifenjonglagen im Handumdrehen für sich ein. Mario Berousek ist einfach eine sichere Bank. Der Tscheche jongliert seine silbernen Keulen in einem atemberaubenden Tempo. Dazu ist er ein Showman durch und durch, der es perfekt versteht, sein Können wirkungsvoll zu verkaufen. Immer wieder ein Genuss. Eine außergewöhnliche Form der Circuskunst bringen Cabaret Décadanse in das Nemo-Chapiteau. Das kanadische Duo lässt seine Puppen bekannte Songs performen. Zur Musik bewegen sie die Körper ihrer Schützlinge. Am besten gefallen hat mir ihre erste Nummer, bei der sie eine überlebensgroße Figur steuern. Auch die Lippen werden synchron zum Playback bewegt. André-Anne Leblanc und Colin Cyr Duhamel sind dabei immer zu sehen. Im letzten von insgesamt drei Auftritten bildet Duhamel selbst den Körper der weiblichen Figur.


Soren Ostergaard

Die bei Nemo immer wieder zum Programm gehörenden Tierdressuren werden 2018 von Soren Ostergaard selbst vorgeführt. In der Figur der Marianne „dirigiert“ er eine Gruppe Ratten von Gunter Sacckman. Da die ältere Dame offensichtlich etwas Angst vor den Nagern hat, unterstützt Ingo Stiebner bei der Präsentation. Diese lehnt sich stark an das Original von Sacckman an. Fallschirmsprung aus dem Flugzeug inklusive. Dank Mariannes Mitwirkung wird die Dressurnummer zu einem wunderbar witzigen Vergnügen. Eine berittene Ratte kündigt direkt danach die Pause an. Komplettiert wird das Tierprogramm durch zwei Gänse, die Ostergaard in einer anderen Rolle in einer kleinen „Freiheit“ laufen lässt. Wortgewaltige Auftritte haben wieder seine Paradefiguren Bager Jorgen und Erik Bo Nielsen. In der Szene des Bäckers führt er einen intensiven Dialog zwischen einem Franzbrot und einem deutschen Vollkornbrot auf. Der ungehobelte Bauer, der gerne den ausgestreckten Mittelfinger zeigt, redet sich in Rage, während er mit der Hand Schaumküsse zerstört. Selbst wenn man wie ich kein Wort Dänisch beherrscht, sind diese Auftritte ein Riesenspaß. Die Kostüme, die Mimik, die Gestik, die Art, wie Ostergaard sich in Rage redet – das reicht schon, um Lachkrämpfe zu bekommen. Zudem geht die Zuschauer enorm mit. Deren Reaktionen stecken einfach an. In diesem Jahr neu dabei ist etwa eine Figur in Jogginganzug und viel zu kurzer Krawatte. Vor dem Finale gibt es eine Prise Poesie mit roter Nase, Koffer und Luftballon in Herzform. Kurz darauf ist wieder Party angesagt. Nämlich dann, wenn sich alle Mitwirkenden im goldenen Glitterregen vom Publikum verabschieden.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch