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Cirque Moustache - Tour 2018
www.cirquemoustache.com ; 47 Showfotos

Haarzuilens, 14. Juli 2018: Eine der großen Herausforderungen des heutigen Circus ist es, eine weitaus bessere Verbindung zwischen dem boomenden Sektor der Schul- und Jugendcircusse und dem professionellen Bereich zu schaffen. Wie dies gelingen kann, zeigt ein Blick in die Niederlande. Bereits als Kind besuchte dort Jasper Riedeman Akrobatik-Kurse und gründete später zunächst eine Circusschule in seiner Heimatstadt Utrecht. Die Ferien nutzt der heute 34-Jährige seit 2013 jeden Juli und August für kurze Tourneen mit seinem eigenen Circus, dem Cirque Moustache (deutsch: Schnurrbart).

Aus sechs Gastspielen im ersten Sommer sind inzwischen über dreißig Termine geworden. Eine weitere Aufstockung schließt Riedeman nicht aus. Meist spielt man auf Parkplätzen von Spielbauernhöfen, Pfannkuchenhäusern und anderer Erlebnisgastronomie. Hinzu kommen einige wenige Campingplätze. Von diesen Partnerschaften profitieren beide Seiten, indem man sich gegenseitig Gäste beschert. Dies sind zumeist Familien mit kleinen Kindern. Daran angepasst ist das Konzept: die Vorstellungen finden meist bereits am Vormittag statt, vorher lädt ein kleiner Jahrmarkt ein.


Außenansicht 

So tummeln sich bereits weit vor Programmbeginn viele kleine und große Zuschauer auf dem von einem nostalgischen Zaun umgebenen Gelände, das man durch ein Eingangsportal betritt. Hier und an vielen weiteren Stellen findet man das Logo mit dem namensgebenden Schnurrbart. In kleinen Zelten und unter freiem Himmel werden die Jahrmarktspiele angeboten: Enten angeln, Büchsenwerfen, Zerrspiegel, heißer Draht… Fünfzig Cent kosten die Spiele, zehn Euro der Eintritt zur Vorstellung. Karten für beides gibt es an einem Oberlichtwagen, an dem auch Getränke verkauft werden. In einem weiteren Anhänger werden Popcorn und Zuckerwatte angeboten. Ein alter Feuerwehrwagen dient als Werbefahrzeug. Cirque Moustache spielt bewusst mit dem Bild des romantischen Circus-Abenteuers; aber man lebt es hier auch. Die Helfer, die allesamt aus Riedemans Circusschule stammen, schlafen wie auch einige der Artisten in Zelten. Der Küchenwagen dient vielmehr als gemütlicher Gemeinschaftsort; in Zukunft soll hier auch eine Dusche eingebaut werden.


Ambiente,  Dame mit vier Beinen 

Pünktlich zur Vorstellung rekommandiert der Direktor selbst im roten Frack und lässt die Blicke der Zuschauer zunächst auf eine Dame mit vier Beinen wandern. Nach kurzer Zeit ist dieses „Spektakel“ bereits wieder vorüber, und es geht vorbei an der Fassade mit alten Circus-Motiven ins kleine Spielzelt. Das rote Chapiteau misst sechszehn Meter im Durchmesser. Die vier Masten ragen nicht heraus, sondern tragen die Kuppelkonstruktion von innen. Beim Besuch sind die Besucherreihen rund um die Sechs-Meter-Manege bestens gefüllt; heißt. Freie Plätze sucht man auf zwei ebenerdigen, speziell für die Kinder gedachten Bänken sowie dahinter auf der dreistufigen Tribüne vergebens. Insgesamt stehen rund 250 Sitzmöglichkeiten zur Verfügung. Das Gradin ist nagelneu und die diesjährige Hauptinvestition in den Circus. In den nächsten Jahren sollen weitere Neuanschaffungen, etwa bei Licht und Ton, folgen.


Jasper Riedeman, Coco Peraglie, Berl Both 

Während das Ambiente bewusst als aus der Zeit gefallen anmutet, ist die Vorstellung hingegen modern gestaltet. Das liegt nicht zuletzt an den Artisten selbst, die allesamt eine artistische Ausbildung an entsprechenden Hochschulen anstreben oder sie auch schon abgeschlossen haben. Einige der Künstler waren bereits in den vergangenen Jahren dabei, andere sind neu. Heuer kommen sie aus den Niederlanden selbst sowie aus Deutschland. „Bravoure“ ist der Titel der diesjährigen Produktion, die etwas unvermittelt beginnt. Der Requisiteur, der beim Einlass noch die Manege fegt, entpuppt sich als komisches Vertreter seiner Gattung – allerdings in heutiger Mode mit kurze Hose und Basecap. In diese Rolle schlüpft Berl Both, der sich an der Circusschule in Leeuwarden eigentlich auf Seiltanz spezialisiert hat. Damit war er bereits beim Cirque Moustache. In diesem Jahr zeigt er hingegen mehr sein komisches Talent. So entsteht aus der Szene zunehmend eine witzige Kaskadeur-Arbeit, zusammen mit Jasper Riedeman. Nach einem musikalischen Intermezzo und der eigentlichen Begrüßung des Publikums übernimmt Coco Peraglie. Die Deutsche im auffälligen Rockabilly-Kostüm mit Kirschen-Bluse lässt bis zu vier Hula Hoop-Reifen um Arme, Beine, Hüfte und sogar ihren Haarschweif kreisen.


Maskottchen Brutus, Ida Cramer, Sabine Lustig 

Wie ein modernes Clown-Trio muten Jasper Riedeman, Berl Both sowie Daniel Simu an. Letzterer hat bei Codarts gelernt und gehört zur Stammbesetzung des Cirque Moustache. Meist schlüpft auch er in die Rolle eines Komikers. Wie hier, wenn er sich mit Both um die Aufgabe des Stuntman streitet, der am Schluss der Vorstellung seinen großen Auftritt haben soll. Riedeman gibt den seriösen Part. Eine moderne Variante der Arbeit am Vertikalseil präsentiert Sabine Lustig. Dazu gehören zumeist verschiedene Figuren am Requisit, aber auch Abfaller. Besondere Betonung bekommt die Darbietung durch die musikalische Live-Begleitung. Lebende Tiere gibt es keine, dennoch bildet der Stofflöwe Brutus das Maskottchen des Circus. Wenn im Kostüm allerdings die beiden Komiker Berl Both und Daniel Simu stecken, können Kopf und Hinterteil schon mal ein jeweiliges Eigenleben entwickeln. Davon ablenkend, beweist Simu sein Talent als Jongleur, hier veritabel mit drei Bällen. Wenngleich Berl Both im Wettstreit um den finalen Auftritt unterlegen war, spielt auch er sich bewusst ironisch als Stuntman auf und zelebriert seine nun folgende Nummer. So lässt er Laserstrahlen im abgedunkelten Zelt wandern, Feuereffekte entstehen und Blitze durch seine Körper leiten. Durchaus spektakulär im kleinen Zelt. Wenn dabei nicht scheinbar auch die Stromversorgung leidet. Abhilfe schafft da Ida Cramer als toughe Feuerwehrfrau. In diese eigenwillige, aber passende Inszenierung hat die Tilburg-Absolventin ihre Darbietung am chinesischen Mast verpackt. Denn mittels ihres Requisits schafft sie es, die Mängel zu beheben. Ihre eigentlichen Tricks zeigt sie dabei quasi en passant. Der Mast ist, wenn möglich, vor dem Zelt errichtet. Das ermöglicht einen schnelleren Ablauf ohne Auf- und Abbauten; zudem befinden sich die Zuschauer damit bereits wieder auf dem Jahrmarktgelände für die folgende Pause.


Sequoia van Ekeren, Ensemble, Daniel Simu 

Tolle Bilder entstehen zu Beginn des zweiten Teils, wenn Daniel Simu mittelgroße LED-Reifen jongliert und manipuliert. Assistenz bekommt er auch hier von Berl Both. Höhepunkt des Programms ist Sequoia van Ekeren, die sich am Tanztrapez zunächst selbst mit toller Stimme musikalisch begleitet. Auch ihre kontorsionistischen Figuren am Luftrequisit sind so gut, dass man ihr neben ihrer aktuellen Gesangsausbildung in Den Haag unbedingt auch einen akrobatischen Werdegang nahelegen möchte. Verblüffend ist die gemeinsame Illusion von Sabine Lustig und Daniel Simu. Während sie in einem einfachen Umzugskarten entschwindet, durchbohrt ihr Partner das Pappstück mit unzähligen Stäben. Schlussendlich folgt der finale Auftritt von Daniel Simu als Stuntman, der sich als lebende Kanonenkugel durchs Zelt schießen lässt. Wie genau, das sei an dieser Stelle mal verschwiegen… Im Finale jedenfalls wirkt er putzmunter mit und baut mit seinen Mitstreitern sogar einige menschliche Pyramiden.

Mit dem Cirque Moustache hat Jasper Riedeman ein Kleinod geschaffen. Dafür sorgt insbesondere das gelungene Konzept mit nostalgischem Jahrmarkt vorm und einer modernen Vorstellung im Zelt. Letztere wird getragen von einer Handvoll junger und talentierter Artisten, die mit sichtlich Herz und Charisma diesen besonderen Circus mit viel Leben füllen.

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Text und Fotos: Benedikt Ricken