Die
Artistinnen der Truppe Skokov lassen sich von zwei Russischen Schaukeln
„über die Wolken“ katapultieren. Komikerin Helga Schneider hängt nach
einem gewagten Kamelritt an der Longe im „Flugmodus“ über dem
„größten Katzenklo der Schweiz“. Und natürlich spielt sich auch die im
Vorfeld des Tourstarts in der Öffentlichkeit am stärksten diskutierte
Darbietung in der Luft ab.

Familie Franco Knie junior
Die
Familie von Franco Knie junior präsentiert eine Show mit 32 autonom
fliegenden Mikrodrohnen. Die kleinen Flugobjekte sind mit LEDs
ausgestattet, die die Farbe wechseln. Die Entwickler der Technik
stammen ursprünglich von der Eidgenössischen Technischen Hochschule
(ETH) in Zürich. Was sie gemeinsam mit den Knies ausgetüftelt und im
Chapiteau umgesetzt haben, ist wirklich faszinierend. Es ist quasi eine
High-Tech-Freiheitsdressur. Für einen traditionellen Circus wie Knie
sicherlich sehr untypisch, aber nicht unpassend. Der visuelle Genuss
ist in jedem Fall gegeben. Eine ungewöhnliche Leistung steckt auch
dahinter. Allerdings erfolgt diese zum größten Teil vor der Vorführung
in und über der Manege. Denn das Spektakel läuft komplett autonom ab.
Während der Nummer zeigen Franco Knie junior und seine Gattin Linna Knie-Sun
artistische Posen in der Mitte. Sie an Bändern, er auf dem
Boden. Die
beiden wirken etwas verloren. Ihr Auftritt mag sich nicht
so recht in den Gesamtrahmen fügen. Beider Sohn Chris Rui
spielt dazu auf dem E-Piano. Zu Beginn erinnert er verbal an
die Elefanten. Auf der Verkleidung seines Instruments sind
drei gezeichnete Dickhäuter abgebildet. Auf derartige
Anspielungen an die von vielen Zuschauern vermisste
Elefantendressur sollte verzichtet werden. Seit Saisonbeginn
2016 gibt es diese Nummer im Schweizer National-Circus nicht
mehr. Das Kapitel ist beendet.

Spicy Circus und Fratelli Errani
In diesem Jahr sind wieder acht Mitglieder
des Circustheaters Bingo aus Kiew bei Knie zu erleben. Sie zeigen sich
akrobatischer als im vergangenen Jahr. Ihre größten Auftritte haben sie
zu Beginn der beiden Programmteile. Als Opening gibt es eine
energiegeladene Melange aus Equilibristik und Akrobatik an sich
drehenden Metallreifen. Kostüme, Musik, Licht und die große Präsenz der
Mitwirkenden reißen das Publikum von Beginn an mit. Nach der Pause
steht eine blonde Bingo-Artistin mit Akrobatik an Tüchern im
Mittelpunkt der Performance. Ihre Mitstreiter in der Manege
unterstützen vor allen Dingen tänzerisch. Ebenfalls wieder dabei ist
eine Formation von Spicy Circus. Drei neue Artisten und eine Artistin
aus der kanadischen Kompagnie treten erneut gemeinsam mit den Fratelli
Errani auf. Diesmal sind nicht zwei große Trampoline mit einem Haus aus
Plexiglas dazwischen ihre Requisiten. Nun begeistern sie mit Akrobatik
auf einer langen Trampolin-Bahn. In weiß-goldenen Kostümen entfachen
sie einen wahren Wirbel. Die Körper springen fast schneller über den
federnden Untergrund als das menschliche Auge folgen kann. Sprünge im
Solo und zu mehreren sorgen für mitreißende Bilder. Dazu erklingt eine Variante
der
Musik, die wir schon seit vielen Jahren auch vom Finale kennen.
  
Maycol Errani, Chanel Marie Knie, Ivan Frédéric Knie
Maycol
Errani erleben wir natürlich auch wieder mit einer Tierdarbietung.
Jeweils sechs Andalusier und Friesen leitet er zu schwierigsten Figuren
der Freiheitsdressur an. Wir erleben anspruchsvolle Abläufe, wie sie
derzeit äußerst selten gezeigt werden. In den beiden ersten
Vorstellungen der neuen Saison läuft nicht alles perfekt. Dadurch
entfaltet diese Nummer noch nicht ihre komplette Wirkung. Bevor die
Manege ihrem Schwiegersohn gehört, führt Mary-José Knie drei Pferde in
unterschiedlichen Größen zu einem französischen Chanson vor. Den
Tierblock im ersten Programmteil bestreiten ihre Enkelkinder Chanel
Marie und Ivan Frédéric. Die siebenjährige Chanel Marie präsentiert
sich sehr selbstbewusst mit zwei Lamas. Das Kostüm entspricht dem, mit
dem ihre Mutter Géraldine in ihrer Kindheit mit einer ähnlichen
Darbietung das Publikum erfreut hat. Man merkt dem jungen Mädchen schon
jetzt an, dass es den Circus und die Tiere liebt. Die Chancen stehen
also gut, dass Chanel Marie die Familientradition fortführen wird.
Nicht anders ist dies bei Ivan Frédéric. Nachdem er die Schule beendet
hat, ist er nun „hauptberuflich“ im Circus tätig. Seine Freiheit mit
acht wunderschönen Arabern ist für mich der Höhepunkt im Dressurbereich
des diesjährigen Programms. Es beginnt mit den Pferden, die sich im
Morgennebel frei in der Manege bewegen. Dann kommt der hochgewachsene,
blendend aussehende Ivan Frédéric auf einem Friesen
hereingeritten. Vom Pferderücken aus dirigiert er die einwandfrei
laufende Freiheit. Die großartigen Bilder, die im vertrauten
Zusammenspiel von Mensch und Tier entstehen, sind ungeheuer
mitreißend. Einen sich in der Manegenmitte um die eigene Achse
drehenden Steiger leitet er vom Pferd aus an, den vierfachen Vorwärtssteiger vom Boden. Hinzu kommen Sprünge mit dem
Friesen über weiße Hindernisse. Ebenso die Arbeit von vier Arabern mit dem
plötzlichen Stopp vor niedrigen Barrieren auf Kommando. Diese traumhafte Vorführung macht dem Namen Knie alle Ehre. An
dieser Stelle sei das fantastische Lichtdesign ebenso gewürdigt wie das
wunderbar musizierende Orchester unter der Leitung von Ruslan Fil. Sie
unterstützen diese, aber auch alle anderen Darbietungen, enorm.
  
Aleksandr Batuev, Laura Miller, 2-zen-O
Im
artistischen Bereich verlässt sich Knie einmal mehr auf in Monte Carlo
ausgezeichnete Nummern. Wir konnten sie in Deutschland bereits alle
erleben. Etwa beim Weltweihnachtscircus, bei Flic Flac oder Krone. Für
die Schweiz aber sind sie neu. Aleksandr Batuev ist ohne Zweifel ein
Extremtalent im Genre des Klischnigg. Er hebt sich mit seiner
eigenständigen Darbietung deutlich von seinen Kollegen ab. Das macht
sich auch bei seinem Outfit bemerkbar. Schwarzer Anzug, weißes Hemd und
Sonnenbrille sind für einen Schlangenmenschen nicht alltäglich. Die
faszinierende Trickfolge endet damit, dass Batuev seinen Körper in eine
eigentlich viel zu kleine Metallkiste zwängt. Ein ausgelassenes Spiel
mit den Elementen Luft, Wasser und Feuer bringt Laura Miller mit in die
Schweiz. Im Mittelpunkt steht Akrobatik am Luftring. Zwischen ihren
traumhaften Flügen unter der Kuppel taucht sie immer wieder in ein
großes Wasserbassin. So entstehen einzigartige Effekte. Dies, wenn sie
im Wasser schwimmt, aber auch, wenn sie sich nass aus dem Becken ziehen
lässt. Beim letztmaligen Sprung in das Becken lodern an der Oberfläche
Flammen. Gleich zwei ineinander gelegte Ringe bilden das Requisit des
Duo 2-zen-O. Marie-Eve Bisson und Jonathan Morin zelebrieren daran eine
durchaus heiße Liebesgeschichte. Die Begleitmusik „I don't wanna miss a
thing“ von Aerosmith lässt schon erahnen, dass es hier beherzt zur
Sache geht. Ihr intensives Spiel täuscht aber nicht über die Stärke der
artistischen Leistung hinweg. Denn diese ist ebenso phänomenal wie
innovativ. Den Kanadiern gehört die Schlussnummer des Programms.
Traumhafte Flugsequenzen schenken uns die acht Damen der Truppe Skokov.
Sie springen von zwei Russischen Schaukeln auf eine Matte oder aber von
Schaukel zu Schaukel. Da sie dabei lange blaue Kleider tragen, malen
sie fast schon poetische lebende Bilder. Alles sieht so leicht, so
schwerelos aus. Doch es ist letztendlich harte körperliche Arbeit. Das
aber lassen sich die Russinnen nicht anmerken. Der Sprung von zwei
Artistinnen über Kreuz bildet hier den Höhepunkt.
 
Helga Schneider und Bingo, "Coperlin" Dustin Nicolodi
Das
Engagement eines Schweizer Comedians ist nicht immer risikolos. Nach
der zumindest zu Beginn nicht so erfolgreichen Zusammenarbeit mit
Claudio Zuccolini 2013 setzte die Familie Knie in den Folgejahren auf
gestandene Manegenkomiker. In diesem Jahr nun wird mit Helga Schneider
wieder eine Komikerin ohne Circuserfahrung wirksam in den Mittelpunkt
der Werbung gestellt. Und das Konzept geht voll und ganz auf. Regula
Esposito, so heißt die Schauspielerin hinter der Kunstfigur, macht ihre
Sache hinreißend. Als VIP-Gast betritt sie verspätet das Chapiteau und
platzt mitten in die Begrüßung durch Franco Knie junior. Aus dem
Circusbesuch in der Ehrenloge wird aber nichts. Frau Schneider wird von
Herrn Direktor und Enrico Caroli zum Arbeiten verdonnert. Ihren
ersten Auftritt hat sie mit Bingo. Sie muss aber schnell einsehen, dass
der Körper nicht mehr ganz so will. Anschließend erleben wir sie beim
Ausführen des Hunds der Familie Knie. Als sie nach längerer Zeit
endlich an das andere Ende der Leine schaut, muss sie feststellen, dass
dort ein Kamel festgemacht ist. Es trägt sogar eine ähnliche Frisur wie
Helga Schneider. Der Dialog zwischen den beiden dreht sich unter
anderem um die stattlichen Höcker des Tiers. Schneider ist überzeugt,
dass diese „gemacht“ sind und bitte um die Adresse des
Schönheitschirurgen. Der Ritt auf dem Kamel endet dann eben an der
Longe schwebend über der Manege. Als sie im zweiten Teil putzen muss,
reicht es ihr. Sie zeigt, was wirklich in ihr steckt. Auf einem Podest
stehend und von den Bingo-Akteuren umrahmt, zelebriert sie eine
grandiose Tanz- und Gesangseinlage. Diese Frau hat echtes Showtalent.
Höchst originell ist ein Zaubertrick, bei dem sich Helga Schneider
zurück in ein junges Mädchen verwandelt – dargestellt von Chanel Marie
Knie. Dieser größte ihrer Auftritte endet mit einer schneidigen
Reiterei, bei der sie von Wioris Errani und Ivan Frédéric Knie
unterstützt wird. Somit ist für königliches Amüsement gesorgt. Dank
Coperlin bekommen wir noch mehr zu Lachen. Dustin Nicolodi war 2007
schon einmal bei Knie engagiert. Damals mit Handstandakrobatik. Sein
Wechsel ins komische Fach fand bereits vor vielen Jahren statt. So
konnten wir ihn als Coperlin etwa schon bei Benneweis, Salto Natale und
im Kronebau erleben. Er jongliert mit japanischen Schwertern und
Äpfeln, lässt eine Kerzenorgel erklingen und erweckt ein Plüschtier
zum Leben. Immer mit einer urkomischen Mimik und wirklich witzigen
Kommentaren. Sich selbst nimmt er dabei nie sonderlich ernst. In einem
weiteren Auftritt verwirrt er einen Herrn aus dem Publikum beim Spiel
mit Papierkugeln. Auf dem Gradin zaubert er schließlich immer mehr
Aquarien aus einer Papiertüte. Dank der noch nicht allzu gründlich
eingearbeiteten Assistentin wird des Rätsels Lösung schnell klar.
|