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Giffords Circus - Tour 2018
www.giffordscircus.com ; 195 Showfotos

Winchcombe, 20. Mai 2018: „My beautiful Circus“ - Mit diesen drei Worten ist eigentlich alles gesagt. Das Motto der Produktion 2018 von Giffords Circus charakterisiert diese fahrende Künstlertruppe und das traumhafte Material auf den Punkt. Soll die Beschreibung ausführlicher ausfallen, so benötigt man mehr Worte. Sehr viel mehr Worte. Es gibt so viele liebevolle Details, dass man immer etliche davon vergessen wird. Wagen wir also das nahezu Unmögliche. Machen wir uns auf die Reise zu diesem magischen Ort. Versuchen wir, zumindest ein Stück weit, die einmalige Atmosphäre einzufangen.  Allein schon der Weg zum Spielort „Sudeley Castle“ ist ohne eigens Auto kein einfacher.

Von der nächstgrößeren Stadt Cheltenham fährt der Bus eher sporadisch nach Winchcombe, dem zum Schloss gehörenden Ort. Dort angekommen, ist man mitten in der beliebten Ferienregion Cotswolds. Kleine Steinhäuser, wunderschön gepflegte Gärten, Pubs. England aus dem Bilderbuch eben. Dann geht es vorbei an Wiesen hinaus in die Natur. Und auf einmal stehen da auf einer Wiese Wagen und Zelte. Alles ist liebevoll gepflegt und wie aus einer anderen Zeit. Dabei haben Nell Gifford und ihr damaliger Verlobter Toti den Circus erst 2000 gegründet. Der Circus Roncalli war die Inspirationsquelle, wie das Programmheft schreibt. Als Teil des Teams von Pferdetrainerin Yasmine Smart war Nell Gifford dort engagiert. Jetzt ist sie selbst Direktorin.


Chapiteau und Kassenwagen

Mittelpunkt des Platzes ist das Chapiteau. Der Zweimaster wurde zu Beginn der Saison in Betrieb genommen und bietet Platz für rund 600 Zuschauer. Diese dürfen allesamt auf den Bankreihen sitzen. Unterschiedliche Kategorien gibt es nicht. Die Tickets dafür sind am kleinen Kassenwagen direkt davor erhältlich. Er ist wie der gesamte Fuhrpark in einem dunklen Rot lackiert. Die Schriften und Ornamente darauf sind in Creme sowie Hellblau gehalten. Ein Teil der Wagen ist wirklich historisch, der andere wurde im alten Stil nachgebaut, wie Nell Gifford erzählt. Einer beheimatet eine Pizzabäckerei, an einem anderen werden Souvenirs verkauft, und ein dritter dient als Barwagen, der allerlei Leckereien bereithält. Noch mehr kulinarische Genüsse werden in zwei weißen Zelten angeboten, auch diese historisch gestaltet. Das eine ist permanent geöffnet. Hier locken Zuckerwatte und weitere Süßigkeiten. Das andere öffnet nur zur Pause. Dann gibt es dort Tee aus Porzellankannen und hausgemachten Kuchen. In einem weiteren Zelt wird nach Voranmeldung ein mehrgängiges Menü serviert, das in einer rollenden Küche frisch zubereitet wird. An langen Holztischen sitzen die Gäste und speisen gemeinsam. Die Mannschaftswagen und einige der Wohnwagen komplettieren die Szenerie. Die Caravans der Artisten wurden quasi in zweiter Reihe aufgestellt. Überall auf dem Platz sind - zumeist junge - Menschen unterwegs, um das Publikum zu betreuen. Sie tragen liebevoll geschneiderte historische Uniformen. So herrscht eine wunderbare Stimmung auf dem Circusplatz. Eben ganz so, als sei eine fahrende Künstlertruppe im Ort zu Gast. Letztendlich ist es ja auch so. Allerdings beinhaltet die bunte Gruppe hochkarätige Artisten, die schon in vielen renommierten Manegen gearbeitet haben.


Orchester und Nancy Trotter Landry

Kommen wir also zur Vorstellung. Drei Stück davon gibt es an diese Sonntag. Alle sind sie seit Wochen ausverkauft. Das Publikum weiß ganz offensichtlich, was es an diesem Circus hat und sorgt auch in einer Stadt wie Winchombe mit weniger als 5.000 Einwohnern mehrfach für ein vollbesetztes Chapiteau. Die diesjährige Produktion nimmt uns mit in die 1930er Jahre. Melodien von George Gershwin, Cole Porter und anderen bilden die musikalische Begleitung. Die Kostüme sind allesamt speziell für „My beautiful Circus“ entworfen und geschneidert worden. Sie passen ebenfalls in diese Zeit. Das Licht ist stark, aber nicht verspielt. Das Geschehen in der Manege wird gut in Szene gesetzt. Eben den 1930ern entsprechend. Für die Regie konnte zum siebten Mal Cal McCrystal gewonnen werden. Er hat ein ungeheuer dichtes Spektakel inszeniert. Immer passiert irgend etwas. Oft sind Teile des Ensembles präsent. Viele der Einlagen werden von verschiedenen Artisten gezeigt. Die Künstler sagen sich gegenseitig an. Hier ist also wirklich eine Künstlergemeinschaft zu erleben. Zu Beginn der Show wird ein Campingwagen in den Farben des Circus in die Manege gerollt. Bewohnt wird er offensichtlich von Alfredo und Pozo. Die beiden Herren mit den trainierten Körpern waren 2017 mit einer kubanischen Truppe bei Giffords Circus engagiert. Immer wieder sind sie im Laufe des Nachmittags präsent. Davor trainiert Tweedy Abschläge mit Golfball und Golfschläger. Tweedy ist hier seit über zehn Jahren als Clown engagiert, hat aber auch schon in den USA bei Ringling gearbeitet. Er ist ein etwas verschrobener, durchaus grober Typ. Aber mit dem Herz auf dem rechten Fleck und auf seine ganz eigene Weise sympathisch. Für seine Golfübungen holt er sich einen Jungen aus dem Publikum. Zur weiteren Unterstützung leiht er sich einen Föhn aus dem Wohnwagen. Die Begrüßung übernimmt Dany Reyes im edlen, aber recht farbenfrohen Zwirn. Daraufhin erscheint das Orchester unter der Leitung von James Keay durch den Artisteneingang mit dem großen Union Jack. Die vier Herren tragen Frack und Zylinder, die beiden Damen elegante Abendkleider. Im Zentrum ihres Podiums steht ein großer Flügel, was für ein reisendes Circusunternehmen ungewöhnlich ist. Ihre musikalische Begleitung ist vom Feinsten, ein Genuss. Komplettiert wird das Ensemble durch Nancy Trotter Landry. Im silbernen Glitzerkleid und mit Federschmuck am Kopf erleben wir sie singend, tanzend und in verschiedenen anderen Rollen. Dazu später mehr.


Nell Gifford, Curatola Brothers, Dany Reyes

Die erste eigenständige Nummer gehört Frau Direktor. Nell Gifford führt liebevoll sechs gescheckte pocket ponies, übersetzt also Ponys im Westentaschenformat, vor. Die kleinen Pferde fegen in verschiedenen Formationen durch die Manege und springen über eine Hürde. Die Curatola Brothers kennen wir von Engagements bei verschiedenen Unternehmen. Die kraftvolle Hand-auf-Hand-Akrobatik wirkt durch die neu gestaltete Aufmachung natürlich ganz anders als gewohnt. Ihre Tricks überzeugen aber wie immer. Nachdem Tweedy mit seinem Dudelsack zunächst gesaugt und dann musiziert hat, gehört das Scheinwerferlicht Angela und Evelin aus der Dias Family. Eine der beiden liegt auf der Trinka und balanciert mit den Füßen eine Leiter. Ihre Schwester zeigt am oberen Ende unter anderem das Drehen einer Walze mit den Füßen im Handstand sowie einen Einarmer. Nach dieser eher ruhigen Nummer sorgt Jongleur Dany Reyes wieder für Tempo. In flotter Folge schickt er Keulen und Bälle auf variantenreiche Touren. Kleine Tanzeinlagen geben seinem Auftritt einen zusätzlichen Pfiff. Neu ist das Spiel mit drei Strohhüten. Dieses hat er zu Beginn der Saison neu in sein Repertoire aufgenommen und will es weiter ausbauen. Dann wird wieder der Camper hereingebracht. Er bildet die Kulisse für die abgefahrene Illusions-Show von Tweedy, Nancy Trotter Landry und Company. Das Hervorzaubern einer Banane und das Zerschießen eines Luftballons mit einer Armbrust gehört da noch zu den harmloseren Tricks. Herrlich komisch wird es, wenn Tweedy seine Partnerin mit einer Stichsäge zerteilen will. Vorab möchte er sie hypnotisieren, versetzt dabei allerdings das gesamte Ensemble in Trance. Einen lebensgroßen Plüschbären inklusive.


Diana Vediashkina, Pausen-Tee, Truppe Cretu

Nell Gifford und Dany Reyes kündigen gemeinsam die Pausennummer an. Darin präsentiert Diana Vediashkina ihre Dackel. Die Dressur dieser Hunderasse ist sicherlich eine Rarität in der Circuswelt. Es ist auch zu drollig, wenn die Vierbeiner unter der Anleitung ihrer hübschen Trainerin Slalom laufen, Hindernisse überspringen oder sich auf eine Wippe legen. Zur Ankündigung der Pause stehen Nell Gifford und Dany Reyes wieder auf der kleinen Bühne neben dem Artisteneingang, der inzwischen von der britischen Nationalflagge befreit wurde. Alfredo und Pozo machen akrobatische Posen, ein Nummerngirl annonciert auf Schildern das Angebot für die folgende Viertelstunde. Der Wagen für Candyfloss ist passenderweise Teil der Kulisse im Chapiteau. Ihm entsteigt ein zur Zuckerwatte gewordenes Männchen, welches aufgebracht durch die Manege springt. Nach diesem turbulenten Spaß ist eine Erfrischung höchst willkommen, zumal die Temperaturen drinnen wie draußen recht hoch sind. Während die Zuschauer nach und nach wieder auf dem Gradin Platz nehmen, bieten Alfredo und Ponzo vier Kindern aus dem Publikum einen besonderen Service. Sie dürfen sich auf kleine Korbstühle setzen, die wiederum mit Seilen an einer Stange befestigt sind. Diese ruht auf den Schultern einer der beiden starken Männer. Durch das Drehen um die eigene Achse kommen die jungen Besucher in den Genuss einer Karussellfahrt. „Offiziell“ eröffnet wird der zweite Teil mit der Truppe Cretu. Die Formation besteht derzeit noch aus sechs Artisten. Hinzu kommen drei Mitglieder des Ensembles. Sie beginnen mit Handvoltigen. Der Kern ihres Auftritts besteht aber aus Akrobatik am Schleuderbrett. Immer höher hinaus geht es. Furioser Schlusspunkt ist der Sprung zum Vier-Personen-Hoch, der mittels Perchestange gehalten wird. Folkloristische Tanzeinlagen der rumänischen Artisten runden die energiegeladene Darbietung gekonnt ab.


Dany Cesar, Lisandra Austin, Dias Brothers

„Noblesse obliege“ heißt es, wenn Dany Cesar die Hohe Schule reitet. Wir konnten ihn vor vielen Jahren gemeinsam mit Yasmine Smart bei Busch-Roland erleben und später als Tierlehrer bei Fliegenpilz. Hier nun reitet er souverän und mit großer Leichtigkeit auf „Diamond“. Besonders publikumswirksam ist der Steiger, bei dem Cesar im Sattel sitzt. Noch einmal Dany Reyes. Diesmal jongliert er mit Zigarrenkistchen und erklärt dabei Tweedy leicht überheblich, dass eine solche Leistung nur mit sehr viel Übung möglich ist. Zu Reyes Verblüffung beherrscht der Clown das Spiel mit den Kistchen perfekt. Die Rache wird kurz vor dem Finale folgen. Danach erleben wir eine circensische Sensation nach Gifford-Art: Nancy Trotter Landry präsentiert ihren „sprechenden Truthahn“. Während der Vogel über das Sägemehl läuft, wird er durch das Orchester begleitet. Und tatsächlich gibt der Truthahn auf Kommando Laute von sich, die man mit etwas gutem Willen als Sprechen oder Singen bezeichnen kann. Action ist angesagt, wenn Tweedy sich als Trapezkünstler versucht. Mehrere Artisten sind im Einsatz, um ihn an das Requisit zu bringen. Auch das ein oder andere Kleidungsstück muss dran glauben. Wie eine formvollendete Luftnummer aussieht, zeigt uns darauf Lisandra Austin. Die Kubanerin erfreut uns mit einer schönen Kür an den Tüchern. Der Auftritt vor dem Finale gehört den Dias Brothers. Das Duo ist noch recht jung, begeistert aber schon jetzt mit Ikarischen Spielen. 2014 gewann es beim Festival „New Generation“ in Monte Carlo Gold. Die Portugiesen haben starke Sprungkombinationen im Gepäck, die sie mit jugendlichem Charme verkaufen. Sehenswert sind der auf den Füßen gestartete und gelandete Salto sowie zig Doppelsalti. Vor dem Finale revanchiert sich Dany Reyes bei Tweedy. Zumindest versucht er es. Der Clown muss drei Nummern aus der Show aufführen. Beim Schleuderbrett-Sprung mit der Truppe Cretu bricht das Brett. Bei den Leiterbalancen bildet Dany Reyes den Untermann. Die größte Herausforderung aber stellen die Ikarischen Spiele dar. Hier kapituliert Tweedy und holt sich zwei der Jungs aus dem Publikum, die ihn schon bei anderen Einlagen unterstützt haben. Die beiden wehren sich mit Händen und Füßen. Doch dann machen sie auf der Trinka eine glänzende Figur. Kein Wunder, gehören die beiden doch ebenfalls zur Familie Dias. Das Finale ist sehr geschickt gestaltet. Fröhlich tanzt das gesamte Ensemble in wunderbaren Choreographien, kleine Zugaben kommen hinzu. Das Publikum wird eingeladen, mit den Artisten zu tanzen. Schnell füllt sich die Manege. Während immer mehr Zuschauer hinzukommen, verschwinden die Künstler. So feiern die Gäste ausgelassen das Ende der Show.

Eine Show, die einzigartig ist, ja magisch. Hier wird unwahrscheinlich viel Liebe zum Detail an den Tag gelegt. Jeder ist mit großer Leidenschaft dabei. Ganz egal, ob er zum Produzententeam gehört, hinter den Kulissen arbeitet oder aber im Rampenlicht steht. Und das spürt man in jeder Sekunde. Es gibt vermutlich aktuell in Europa wenig Circusshows, die vergleichbar aufwendig gestaltet sind. Die Macher von Giffords Circus haben so unwahrscheinlich viele kreative Ideen. Und sie schaffen aus ihnen ein faszinierendes Gesamtkunstwerk. Nach dem Besuch von „My beautiful Circus“ wundert man sich nicht mehr über den enormen Publikumszuspruch an diesem abgelegenen Ort. Man kann es nur zu gut verstehen, dass die Menschen diesen wunderschönen Circus lieben und Jahr für Jahr wiederkommen. Chapeau!!!

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Text und Fotos: Stefan Gierisch