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Blackpool Tower Circus 2018
www.theblackpooltower.com ; 95 Showfotos

Blackpool, 24. Mai 2018: Blackpool ist ein britisches Seebad, wie man es sich idealtypisch vorstellt. Es liegt an der Nordwestküste Englands. Elf Kilometer Sandstrand laden zum Baden in der irischen See. Drei viktorianische Piers sorgen für die passende Optik und beherbergen allerlei Vergnügungsmöglichkeiten. Restaurants, Pubs und Hotels säumen die Küstenstraße mit angrenzender Promenade, auf der eine Straßenbahn die Fahrgäste von Nord nach Süd und in die Gegenrichtung bringt. Alles ist ein wenig in die Jahre gekommen, ohne deswegen gleich ungepflegt zu wirken. „Mondän“ ist ein in diesem Zusammenhang gern verwendetes Adjektiv.

Das Wahrzeichen der Stadt ist der 158 Meter hohe Blackpool Tower. Das im Stil des Pariser Eiffelturms errichtete Bauwerk wurde 1894 eröffnet. Im gleichen Jahr nahm auch der im Sockelgebäude beheimatete Blackpool Tower Circus seinen Betrieb auf. Seitdem wurde ununterbrochen jedes Jahr gespielt.


Blick auf den Blackpool Tower Circus

Die Saison 2018 geht von Ende März bis Anfang November. Das Angebot ist an die zu erwartenden Touristenströme angepasst. An manchen Tagen wird gar nicht geöffnet, an anderen gibt es gleich drei Vorstellungen. Natürlich spielt auch das Wetter eine große Rolle für die Auslastung des Auditoriums mit seinen 1.300 Sitzplätzen. Denn direkt vor dem Circusgebäude laden bei Sonnenschein der Strand und das Meer zum Badevergnügen. Die Innenarchitektur stammt von Frank Matcham. Sie ist im maurischen Stil gehalten. Gold ist die vorherrschende Farbe im reich verzierten Saal. Es gibt zwei Artisteneingänge. Auf einem thront die sechsköpfige Band, die vor und während der Vorstellung hervorragend spielt. Ein echter Gewinn. Die Gäste dürfen das Programm auf plüschigen Klappsesseln genießen.


Mr. Boo und Mooky

Seit 1991 steht der Circus unter der Direktion der ungarischen Familie Endresz. Laci Endresz Sr hat Verantwortung an seine Söhne abgegeben und kümmert sich aktuell vor allen Dingen um die Auswahl der Artisten. Dies tut er gemeinsam mit Gattin Maureen, die zudem als Company Manager fungiert. Sohn Bubu ist für Kostüme und Technik zuständig. Seinem Bruder Laci Jr obliegt die Regie der Shows. Die aktuelle trägt den Titel „Celebration“. Natürlich wird damit der 250. Geburtstag des Circus der Neuzeit gefeiert. Die Junioren der Familie sind so etwas wie das Gesicht des Blackpool Tower Circus. In ihren Rollen als Mooky und Mr. Boo grüßen sie von Plakaten und Flyern. In der Show bilden die Clowns den roten Faden. Mr. Boo (Bubu) übernimmt in edler Uniform in den Farben Blau und Gold den seriösen Part. Mooky (Laci Jr) ist der August. Die beiden liefern sich herrliche Wortgefechte. Dabei beweisen sie einen feinen britischen Humor. Zu Beginn muss Mooky lernen, dass das Jonglieren hier verboten ist. Schließlich möchte Mr. Boo nach der Begrüßung des Publikums ungestört ein Saxophonsolo zu Gehör bringen. Auch die Aufführung von Mozarts Kleiner Nachtmusik wird immer wieder unterbrochen. Kurzerhand wird vom Saxophon an den Flügel gewechselt. Hier spielt Mr. Boo dann Musik aus dem Film Titanic. Wunderbar ergänzt durch eine aus dem Innenraum des Instruments gesteuerte figürlichen Darstellung des Themas. Ihren größten Auftritt haben die Brüder mit einer eigenständigen Version des Spiegel-Entrees. Auch hier beweisen sie ein perfektes Timing. Mich jedenfalls haben haben Mooky und Mr. Boo bestens unterhalten. Zwei ungeheuer sympathische Zeitgenossen, die viel Spielfreude an den Tag legen.


Duo Lyd, Gennady (Duo Veslovski), Tänzer aus Adygeja

Auf ihre Begrüßung folgt das Opening. Ein Circuswagen aus Holz wird von einem Mammut durch die Manege gezogen. Nachdem der Wagen abgestellt ist, entsteigen die Artisten und präsentieren sich dem Publikum. Die sechs Damen des Balletts aus der Ukraine tanzen in Paradeuniformen. Mooky und Mr. Boo zeigen Passings mit Keulen. Die Nebelmaschine sorgt für mystische Stimmung. Auch im weiteren Verlauf wird viel mit Bühnennebel gearbeitet. Für mich eindeutig zu viel. Dadurch wird die Sicht auf das Geschehen im wahrsten Sinne des Wortes getrübt. Das eigentlich gute Lichtdesign wird in seiner Wirkung reduziert. In historischen Kostümen arbeitet das Duo Lyd Akrobatik auf dem Fahrrad. Wir kennen die charmanten Kubaner unter anderem von Engagements bei Nock und Arlette Gruss. Ihr Pas de deux auf dem Zweirad überzeugt mit starken Tricks. Wie etwa dem Handstand von Liss Mery auf den Schultern ihres Partners Darien. Dieser tritt dabei mit dem Rücken zur Fahrtrichtung in die Pedale. Das Duo Veslovski mit seinen Peitschenspielen hatte ich bislang in Western-Outfits erlebt. Hier nun tragen sie folkloristische Kostüme aus ihrer russischen Heimat. Sowohl Angelika als auch ihr Ehemann Gennady erweisen sich als Virtuosen an den Peitschen. Präzise treffen sie ihre Ziele. So etwa Scheiben, die unter einer runden Kerze platziert sind. Scheinbar spielerisch schnalzt Gennady eine nach der anderen weg. Ein gesunder Schuss Humor begleitet ihren Auftritt. Dieser ist in ein großes Schaubild eingebettet, das in Russland und seinen Nachbarländern spielt. So ist das ukrainische Ballett in edlen Kostümen involviert. Zudem erleben wir vier schneidige Tänzer aus der im Nordkaukasus gelegene Republik Adygeja. In Uniformen ihrer Heimat sorgen sie für ordentlich Stimmung. Dies nicht nur mit zackigen Choreographien, sondern auch als Trommler.


Akrobatik am Trampolin

Die Pausennummer gehört dem Trio Bokafi. In Matrosenuniformen katapultieren sich die Ungarn mit Hilfe eines Schleuderbretts gegenseitig in die Luft. Truppenchef Gabor Boros ist bei meinem Besuch verletzungsbedingt nicht dabei. Ein anderer Fänger springt dafür ein. Der letzte Sprung wird effektvoll auf einem Sessel gelandet, der auf einer Perchestange ruht. Der zweite Teil entführt uns ins Weltall. Die Filmreihe „Star Wars“ bildet das Motiv für die sechsköpfige Formation, die Artistik auf zwei Trampolinen zeigt, zwischen denen ein „Haus“ aus Plexiglas und Metall steht. Die Dame und die fünf Herren zeigen abwechslungsreiche Sprungkombinationen in flottem Tempo. Das Ballett umrahmt den Beginn ihres Auftritts. Auch danach geht es mit dem Weltraum-Thema weiter. Ein kleiner Joda schaut herein, der sich als Mooky entpuppt. In seiner eigentlichen Maske zeichnet der Clown dann ein Bild. Als er es nach Fertigstellung um 90 Grad dreht, ist darauf ebenfalls Joda zu sehen.


Duo Veslovski mit Ekaterina und Andrey

In moderner Aufmachung präsentiert eine Kontorsionistin ihre Künste auf einem Tisch. Das Ballett begleitet sie dabei. Nachdem Mooky und Mr. Boo einen imaginären Hund dressiert haben, gehört das Scheinwerferlicht noch einmal dem Duo Lyd. Bei ihrer Akrobatik am Mast beweisen sie uns einmal mehr, dass kraftraubende Tricks ganz entspannt wirken können. Mit lateinamerikanischer Leichtigkeit arbeiten sie anspruchsvolle Figuren an der vertikalen Stange. So steht etwa Liss Mery auf dem Oberkörper von Darien, während dieser sich im 90-Grad-Winkel am Masten festhält. Für die Schlussnummer wird die 500.000 Liter fassende Wassermanege aufgefahren. Auf der einen Seite werden verschiedene Fontänen zu schönen Wasserspielen orchestriert. Auf der anderen bildet eine Bühne den Untergrund für rasante Rollschuhakrobatik. Hier erleben wir noch einmal das Duo Veslovski. Hinzu kommen Ekaterina und Andrey. So jagen in flotter Folge bis zu vier Artisten gemeinsam über die Plattform. Dies im Wechsel mit Tricks der beiden Duos. Der doppelte Nackenwirbel bildet das Grande Finale dieser Darbietung. Das Finale der Show schließt sich nahtlos an. Alle Mitwirkenden verabschieden sich von der Piste aus vom Publikum, während die Springbrunnen schöne Bilder formen.

Eine Reise nach Blackpool, verbunden mit einem Besuch des Tower Circus, ist eine Reise in die Vergangenheit. Eine Reise zurück in die große Zeit der britischen Seebäder. Und eine Reise in den Circus des zu Ende gehenden 19. Jahrhunderts. Der Saal ist wirklich eine Pracht. Die dort präsentierte Show schlägt eine Brücke zwischen dem Gestern und dem Heute. Es wird klassischer Circus mit großen Bildern – und leider ohne Tiere – gespielt. Ganz so, wie er dem Publikum des 21. Jahrhunderts gefallen dürfte.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch