CHPITEAU.DE

Circus Berolina - Tour 2018
www.circusberolina.de ; 86 Showfotos

Waltersdorf/Dresden, 30. April und 1. Mai 2018: Der Besuch des Tourneeprogramms des Circus Berolina war eine Premiere für mich. Dennoch war mir das Unternehmen nicht unbekannt, denn vor zehn Jahren besuchten wir das Weihnachtsgastspiel in Berlin. Dies lief unter dem klangvollen Namen „Menschen, Tiere, Sensationen“, in Erinnerung an die legendären Weihnachtshows in der nicht mehr existierenden Deutschlandhalle. Gespielt wurde Ende 2007 im riesigen Chapiteau auf dem Zentralen Festplatz. Ihr Drei-Manegen-Konzept hatte die Familie Spindler zu dieser Zeit bereits aufgegeben.

Und doch beeindruckte die Weihnachtsvorstellung mit großen Tierdressuren: mit sieben Elefanten, Nashorn und Tigerritt zu Elefant, mit einem 16er-Zug Friesen und Araber, mit zehn Kamelen und einem Dutzend Lamas. Seitdem hat sich vieles verändert.


Besuch im Tier-Erlebnispark Waltersdorf

Sämtliche Wildtiere hat der Circus Berolina jedenfalls in dieser Saison in seinem Winterquartier vor den Toren Berlins untergebracht. Dieses ist als „Tier-Erlebnispark Waltersdorf“ für das Publikum geöffnet. Giraffe und Zebra, Elefanten und Nashorn, Tiger und Bären sowie zahlreiche andere Tiere lassen sich aus nächster Nähe bewundern. Hüpfburgen für die Jüngeren, eine circustypische Restauration und ein 45-minütiges Circusprogramm mit Pferde- und Ponydressuren, Akrobatik am Luftring und Balancen auf der Leiter sowie Clownerie der jüngsten Spindler-Sprösslinge sind weitere Bestandteile des Angebots. Quasi als „Vorprogramm“ zum Besuch des Tourneegeschäftes verbringen wir einige interessante Stunden auf dem Gelände.


Besucherschlangen an Kasse und Einlass

Tags darauf geht es dann zum Reisecircus nach Dresden. Gespielt wird nicht im bekannten roten Riesenzelt, sondern in einem älteren Viermaster von 36 Metern Durchmesser. Aufgrund der intimeren Atmosphäre sicher eine gute Entscheidung. Einen imposanten Anblick bieten die langen Schlangen vor Kasse und Einlass, die letztlich für eine hervorragend besuchte Vorstellung sorgen. Keine Wildtiere, ein kleineres Chapiteau und seit kurzer Zeit auch kein Orchester mehr, da die bisherigen Musiker sich zur Ruhe gesetzt hätten – die  Umbrüche seit dem „M-T-S“-Besuch sind beachtlich. Auch wenn laut der Familie Spindler gerade ein neues Orchester gesucht wird. Nun stehen vermehrt Pferdedressuren in allen Varianten im Mittelpunkt. „Equestrian Art – die Kunst des Reitens“ ist der treffende Titel des Programms. In dessen Verlauf zeigt sich, dass bei Berolina ein wahrer Generationswechsel stattgefunden hat. Die Spindler-Juniorinnen und -Junioren, letztere mit ihren Partnerinnen aus verschiedenen Circusfamilien, prägen das Geschehen. Alle sind sie junge Erwachsene  um die 20, gut aussehend, talentiert. Die Idee fürs Opening haben sie vom Krefelder Weihnachtscircus mitgebracht, wo die Berlina-Jugend im vergangenen Winter engagiert war. Es dreht sich darum, seine Träume und Fantasien zu leben – und beinhaltet kleine Kostproben des artistischen Könnens, die rund um die Manege im Zuschauerraum dargeboten werden. Die Begrüßung und Moderation übernimmt in charmanter Weise Melanie Spindler.


Ken-Haki-Truppe, Mario Spindler 

Dann geht es richtig los, die junge Generation Spindler begeistert auf dem Fast-Track-Trampolin als „Ken Haki-Truppe“ mit vielfältigen Sprüngen, Flic Flac und Salti. Diese werden in schönen Kostümen und zu wechselnder, aber immer flotter, mitreißender Musik dargeboten. Mario Spindler – Vertreter der Eltern-Generation – präsentiert eine herrliche Freiheitsdressur mit sieben Araberhengsten. Elegant im schwarzen Anzug und mit leichter Hand lässt er die Tiere ihre vielfältigen Lauffiguren absolvieren. Wahre Raritäten sind einige seiner Da Capi. Zwei Rundsteiger gleichzeitig und ein Vorwärts- und ein Rückwärtssteiger zur gleichen Zeit gehören dazu. Talent beweist direkt im Anschluss James Spindler mit einem Sechserzug Ponys, den er ruhig und sicher vorführt.


Jastin Renz, James Spindler, Mario Spindler jun. und Marlen Weisheit

Jastin Renz, die Lebensgefährtin von Marcello Spindler, zeigt eine klassische Vertikalseilnummer zur bestechend schönen Musik „Je suis malade“. Mit zwei Klassikern der Reitkunst geht es in Richtung Pause. Mario Spindler jun. und seine Freundin Marlen Weisheit zelebrieren ein Pas de Deux zu Pferd. Es beginnt mit Marlens Auftritt in einem wunderschönen Federboa-Kostüm und gipfelt in ihrem freien Stand auf dem Kopf des Partners. Für Tempo sorgt die ungarische Post mit sechs Vorauspferden. Souverän geritten wird sie von James Spindler.


Marlen Weisheit, Marlon Spindler alias Jiacomo, Chiara Spindler 

Hälfte zwei eröffnet Marlen Weisheit in eleganter Weise auf dem Drahtseil. Sie läuft auf Spitzen darüber, jongliert mit drei Keulen und lässt drei Hula-Hoop-Reifen um ein Bein und die Arme kreisen. Den Part des Clowns übernimmt Marlon Spindler alias Jiacomo. Im ersten Programmteil spielt er mit einer Dame aus dem Publikum ein Pfeil- und Bogen-Entree à la Bello Nock, im zweiten vereint er einige Zuschauer zur Rockband. Das kommt gut an, zumal die „Freiwilligen“ gut mitmachen. Das Kostüm des Clowns ist ansprechend, sein Lächeln freundlich, doch die Mimik ließe sich noch verfeinern. Nochmal hoch hinaus geht es mit Chiara Spindlers charmantem Auftritt am Luftring.


Sarah Sperlich, Marlon Spindler, Berliner Jockeyreiter 

Eine wirklich exquisite Dressurkombination mit jeweils drei Friesenhengsten und Kamelen wird von Marlon Spindler vorgestellt. Das Trickrepertoire ist äußerst anspruchsvoll, ob beim Gegenlauf der beiden Tiergruppen mitten durch die Manege oder wenn Kamele und Friesen gleichzeitig in zwei Dreiergruppen Volten zeigen. Bei einigen Passagen wird noch mit Longen geführt, doch dies wird sich sicher geben. Die Qualität der Nummer ist klar erkennbar. Eingeleitet wird sie von vier Tänzerinnen – alle aus dem Familienverbund – in orientalischen Kostümen. Eine von ihnen ist Marlon Spindlers Lebensgefährtin Sarah Sperlich. Sie nimmt das Orient-Thema gleich im Anschluss in Kostüm, Musik und Gestaltung ihrer schwierigen Kautschukakrobatik auf. Zu den verblüffendsten Beobachtungen dieses Circusbesuchs gehört der Gegensatz zwischen zumeist jungen, attraktiven Akteuren mit enormem Können und dem doch angejährten Ambiente. Dass das Material durchweg älteren Datums ist, mag noch gar nicht stören. Aber gepflegter, sauberer könnte es sein, wenigstens Licht und Ton sollten sich auf der Höhe der Zeit befinden. Sei’s drum. Spindlers überzeugen mit Können. Und so ist alleine schon die Schlussnummer den Besuch wert. Mit ihrer hochklassigen Jockey-Reiterei reißen Chiara, Marcello, Mario jun., Marlon, James und Alessandro Spindler sowie Jastin Renz und Marlen Weisheit fast von den Sitzen. Flic Flac und Salti auf dem Pferderücken sowie von Pferd zu Pferd werden in verschiedenen Varianten präsentiert. Vier Mann auf einem Ross und ein Zwei-Mann-Hoch dürfen nicht fehlen, zwischendrin wird temperamentvoll im ungarischen Stil getanzt. Geradezu sensationell der Schlusstrick, bei dem Alessandro Spindler nach einem Flic Flac zu Pferd den Rückwärtssalto zum nächsten Ross direkt anschließt. 2014 wurden die „Berliner Jockeyreiter“ mit Silber beim Festival Young Generation in Monte Carlo ausgezeichnet, im vergangenen Winter waren sie die Schlussnummer im Krefelder Weihnachtscircus. Man kann ihnen nur weitere hochwertige Winter-Engagements und Festival-Auszeichnungen wünschen.

Schließlich applaudieren wir im Stehen für ein Programm, das seinem Titel „Equestrian Art“ alle Ehre macht. Dieser Erstbesuch des Tourneebetriebs hat sich mehr als gelohnt. Bleibt zu hoffen, dass die junge Generation dieser traditionsreichen Circusfamilie weiter zusammen und den Namen „Berolina“ hoch hält. Am besten in einem schöneren, moderneren Ambiente, das dem hohen Niveau ihrer Nummern besser gerecht wird.

________________________________________________________________________
Text: Markus Moll; Fotos: Markus Moll (15), Simon Preißing (1)