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Circus Knie - Tour 2017
www.knie.ch ; 265 Showfotos

Rapperswil, 23. März 2017: Es passt einfach alles: die Zusammenstellung des Programms, die Musik, das Lichtdesign, die gesamte Inszenierung. Das Premierenpublikum in Rapperswil kann gar nicht anders, als beim Finale spontan von seinen Sitzen aufzuspringen. Was folgt, sind minutenlange Standing Ovations. Völlig zu recht, denn mit seiner Produktion 2017 bietet Knie eine Show, die auf beste Weise „perfekt“ ist. Nicht im Sinne von steriler Perfektion. Vielmehr wird hier Circus auf höchstem Niveau zelebriert, der alle Sinne anspricht, verzaubert, fasziniert.

Die Familie Knie hat einfach alles richtig gemacht. Gab es oftmals in den ersten Wochen noch größere Umstellungen, so erscheint dies heuer nicht notwendig. Eben weil alles schon jetzt perfekt harmoniert.


Blick ins Chapiteau beim Finale

"Wooow!“ lautet der Titel der Show 2017. Der bezieht sich natürlich auf Housh-ma-Housh, der in kräftigen Farben gezeichnet von den Plakaten lacht. Aber schon bevor der Clown das erste Mal zu sehen ist, gibt es Grund zum Staunen. Dafür sorgt der neue Artisteneingang. Stilistisch lehnt er sich an den alten an. Allerdings ist er breiter. Als Clou lässt sich ein Seitenteil hochklappen. Somit können auch große Requisiten herein- und herausgebracht werden. Auf der Orchesterbühne sitzen die Musiker um Ruslan Fil. Wie gewohnt, spielen sie Kompositionen sowie Arrangements von Germain Bourque. Der Sound erinnert somit zumeist an Soleil. Die neue Tonanlage soll auf allen Plätzen den gleichen Hörgenuss garantieren. Dass Knie für diese Saison massiv in die ohnehin schon eindrucksvolle Lichttechnik investiert hat, ist jederzeit sichtbar. Die Show erstrahlt noch heller, noch fantasievoller als bisher. Es entstehen grandiose Bilder, wahre Kunstwerke.


Xinjiang Troupe, Fratelli Errani und Spicy Circus, Jason Brügger

Besonders deutlich wird das bei den großen Darbietungen mit vielen Artisten. Gleich 19 davon gehören zum Ensemble der Xinjiang Troupe. In rote und orangene Töne gehalten ist ihre Lassonummer „To the sun“. Ständig bilden sie neue Formationen, zeigen Sprünge mit und durch Lassos, bilden Türme. Eine einmalige Choreographie sorgt für eine perfekte Optik. Noch deutlicher wird das bei ihrem anderen Auftritt. Tschaikowskys Schwanensee steht Pate bei ihren schier unglaublichen Balancen. Die meisten davon im Handstand. Es entstehen Gesamtkunstwerke, wie sie in dieser Form noch nie zu sehen waren. Die Leistung überzeugt genauso wie die ausgefeilte Choreographie. Einfach traumhaft. Mit turbulenten Eskapaden auf zwei Trampolinen sorgen die Fratelli Errani sowie drei männliche Mitglieder von Spicy Circus für einen schwungvollen Auftakt des zweiten Teils. Die Formation Spicy Circus zeichnet zudem für die Inszenierung verantwortlich. Und so steht natürlich ein großes „Haus“ aus Plexiglas zwischen den beiden Trampolinen. Die Artisten agieren ausdrucks- und leistungsstark. Das Publikum geht unwahrscheinlich mit. Zum Träumen animiert wiederum der Auftritt von „Engel“ Jason Brügger. Der Gewinner der letztjährigen Schweizer “Superstar“-Variante beginnt und beendet seinen ganz in weiß gehaltenen Auftritt mit weiten Flügeln. Das Fliegen gelingt ihm aber auch ohne sie. Die Strapaten sind das Requisit, an dem er unter der Kuppel agiert. Souverän meistert er die bekannten Tricks dieses Genres. Spannende neue kommen hinzu. Insbesondere seine phänomenale Körperbeherrschung fasziniert. Abgerundet wird seine Performance durch die Einbeziehung der Bingo-Akteure, die ihn am Boden tänzerisch begleiten. Die sieben Mitglieder des ukrainischen Circus-Theaters sind in diesem Jahr ohnehin eher tänzerisch unterwegs. Beim Opening zeigt ein Trio Akrobatik im Stil des Trio Bellissimo. Die anderen Akteure tanzen. Ebenfalls wird das Finale von ihnen mit langen weißen Tüchern eingeleitet. In einem weiteren Intermezzo erzeugen sie das Knie-Logo und weitere Bilder mit leuchtenden Stäben.


Michael Ferreri, Duo Skating Flash, Desire of Flight

Das Engagement bei Knie ist der (vorläufige) Höhepunkt der kometenhaften Karriere von Michael Ferreri. Maximal neun Bälle hält der 20-Jährige gleichzeitig in der Luft. Bis er zu diesem Spitzentrick kommt, arbeitet er voller Energie die unterschiedlichsten Touren. Und das, trotz seines jugendlichen Alters, mit einer bemerkenswerten Präsenz. Die Publikumsreaktionen sind enorm. Auf einer ungewöhnlich hohen Plattform zeigt das Duo Skating Flash seine Rollschuh-Artistik. Drei Meter über dem Boden wirbelt Leandro Zeferino seine Partnerin Ursula Rossi umher. Dabei erleben wir eine abwechslungsreiche Auswahl von Tricks des Genres. Durch die große Höhe steigt der Nervenkitzel. Die attraktiven Spanier wissen mit diesem erhöhten Risiko gekonnt umzugehen. Charmant spielen sie mit der Spannung im Zuschauerraum. Nochmals deutlich gesteigert wird diese bei der Schlussnummer. Valeriy Sychev und Malvina Abakarova packen in ihre Kür an den Strapaten alles, was zu einer Spitzennummer gehört: höchstes artistisches Können, eine auf den Punkt sitzende Choreographie und eine fantastische Ausstrahlung. Lara Fabian gibt mit ihrem zunächst elegischen, dann dramatischen „Malade“ die Stimmung vor. Desire of Flight machen daraus eine intensive Beziehungsgeschichte. Was die beiden akrobatisch zeigen, ist großartig und geht an die Grenzen des Möglichen. Nicht umsonst wurden sie in Monte Carlo mit einem Goldenen Clown ausgezeichnet.


Chanel Marie Knie, Maycol Errani, Ivan Frédéric Knie

Drei Generationen der Familie Knie stehen bei der ersten Tierdarbietung in der Manege. Mary-José, ihre Tochter Géraldine und deren Tochter Chanel Marie präsentieren in einem abwechslungsreichen Tableau prächtige Pferde aus dem eigenen Marstall. Die Jüngste stiehlt dabei natürlich allen die Schau. Selbstbewusst führt Chanel Marie ein weißes Pony vor. Die Präsentation wird auch dank der Begleitung durch das Bingo-Ensemble zu einem runden Bild. Insbesondere die Sprünge des Ponys durch und über große leuchtende Reifen sehen effektvoll aus. Am Schluss dieser Nummer reitet Chanel auf einem anderen Pony. Auch, wenn dieses auf den Hinterbeinen läuft. Géraldine Knie orchestriert einen Sechserzug Falben, zu dem sich ein Pony gesellt. Wir konnten diese ausgefeilte Dressur bereits beim letzten Weltweihnachtscircus in Stuttgart erleben. Zudem dirigiert sie verschiedene Steiger. Insbesondere das „Spiel“ mit einem impulsiven schneeweißen Araber fasziniert. Mary-José Knie zeigt stilvoll ein Solopferd. Ihren Schwiegersohn Maycol Errani erleben wir wenig später mit sechs weißen Kamelen. Er führt diese Freiheit vom Rücken eines Friesen aus vor. Besonders intensiv sind die Sequenzen, in denen nur ein Kamel in der Manege ist. Dann wird die Interaktion des Tierlehrers mit seinen Vierbeinern, das gegenseitige Vertrauen besonders deutlich. Mit der gesamten Gruppe kreiert er eindrucksvolle Abläufe. Das Abliegen der Tiere „von den Hinterbeinen bis zum Kopf“ ist ebenfalls zu sehen. Fredy Knie jun. behält den Überblick, wenn sein Enkel Ivan Frédéric die Ungarische Post reitet. Auf zwei Friesen stehend springt Ivan zunächst über ein Hindernis und lässt einen dritten Friesen unter sich hindurch laufen. Das ist nur der Auftakt zur eigentlichen Post, bei der am Ende neun weiße Araber in hohem Tempo vor der imaginären Kutsche laufen. Der hochgewachsene Teenager macht dabei eine glänzende Figur, auch wenn er in den ersten Vorstellungen noch nicht alle Zügel erwischte. Aber das schmälerte das eindrucksvolle Gesamterlebnis in keinster Weise.


Chris Rui und Franco Knie jun., Housh-Ma-Housh, Cesar Dias

Wieder mit einer eigenen Darbietungen im Programm vertreten ist die Familie von Franco Knie jun. Ein auf eine Leinwand am Artisteneingang projizierter Elefant lässt Erinnerungen wach werden. Mit Dickhäutern war dieser Zweig der Knies bis 2015 in den jährlichen Produktionen des Schweizer National-Circus zu sehen. Diese Zeiten sind leider vorbei. Stattdessen führen Franco, seine Ehefrau Linna und beider Sohn Chris Rui jetzt eine große Ziegenherde vor. Es sind ausgewählt schöne Tiere verschiedener Rassen. Insbesondere Chris Rui hat sichtlich Freude daran, wieder mit Tieren in der Manege stehen zu können. Das Trickrepertoire ist sehr umfangreich, die Abfolge geschickt zusammengestellt. Die Ziegen springen, balancieren und sind auch für einen Spaß zu haben. Während der großen Pyramide zeigt Linna Knie zudem Antipodenspiele mit Tüchern. Größere Bedenken hatte ich hinsichtlich des Engagements von gleich zwei Clowns. In den letzten Jahren gab es jeweils einen, der den roten Faden bildet. Jetzt also gleich ein Doppelpack. Doch dieser funktioniert erstaunlich gut. Beide Spaßmacher kommen sich nicht ins Gehege, bekommen ihren eigenen Raum. Und: jeder hat seine eigenen Fans. Aus den Publikumsreaktionen während der Show und den Gesprächen danach wird klar, dass der eine Housh-Ma-Housh, der andere Cesar Dias favorisiert. Groß herausgestellt wird Housh-Ma-Housh. Sein Konterfei ist das Plakatmotiv, sein „Wooow!" das Motto der diesjährigen Tour. Der in Berlin lebende Ukrainer bestreitet den Einstieg in die Show und verabschiedet uns gemeinsam mit Chanel Marie nach dem Finale. Ferner gibt er sich als Musiker, der statt auf einer Gitarre auf Klebeband spielt, als Bändiger eines verdächtig lebendigen Plüschtiers und als Animateur für zwei Gastmusiker aus dem Publikum. Insbesondere der letzte Auftritt offenbart das große Improvisationstalent des Clowns mit der markanten Frisur. Mit dem Publikum spielt auch der vom Zirkus Charles Knie zum Schweizer Knie gewechselte Portugiese Cesar Dias. Er liefert sich ein tödlich endendes Duell und spielt ein kurzes Intermezzo auf dem Gradin. Dabei setzt er sein Talent, mit dem Mund die verschiedensten Geräusche zu erzeugen, ein. Sein Paradeauftritt ist aber das mit allerlei Tücken verlaufende „My way“. Slapstick vom Feinsten, eine hervorragende Gestik und Mimik sowie eine tolle Stimme machen den Genuss perfekt. Und so gehöre ich letztendlich zu den Zuschauern, die in beiden Fanlagern zu Hause sind. Housh-Ma-Housh und Cesar Dias, ich habe mich bei beiden herrlich amüsiert.

Auch dieses dann letztendlich glückliche Nebeneinander zweier Clowns zeigt, dass dieses Knie-Programm 2017 – unter der Prämisse des Verzichts auf Raubtiere und Elefanten - perfekt zusammengestellt und in Szene gesetzt wurde. Im Schweizer National-Circus können die Besucher noch Abende großer Manegenunterhaltung erleben, lachen, träumen, staunen und sich wie ein Kleinkind freuen. Gehobenes Entertainment für die ganze Familie. Wer Glück hat, nimmt den Rausch der Show, des Finales mit in den Alltag. Das Leben wird ein gutes Stück fröhlicher sein.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch