Ideen für einen Neubau gab und
gibt es in Budapest schon lange. Allein, es fehlte wie immer die
nötige finanzielle Basis. Nun aber scheint auch das
Kulturministerum hinter den Plänen zu stehen. Und: ein neuer Bau
ist auch dringend notwendig. Foyer und Auditorium wurden in den
vergangenen Jahren zwar renoviert und vermitteln eine charmante
Atmosphäre. Bequeme Sitze, Klimaanlage und eine moderne
Lichtanlage überzeugen auf der Besucher-Seite. Doch wer etwa mit
engagierten Artisten spricht, der erfährt die große Diskrepanz
zu den Verhältnissen hinter den Kulissen. Gerade im technischen
Bereich nagt der Zahn der Zeit am 1970 errrichteten jetztigen
Bau. Das bekundet auch Peter Fekete in seinem aktuellen Vorwort.
Fontänenspiele
So sei es aktuell eben nicht
möglich, die Manege beispielsweise in Sekundenschnelle zu
fluten. Um den Zuschauern in diesem Sommerprogramm dennoch eine
Wassershow präsentieren zu können, habe man entsprechendes
Equipment aus Russland und der Ukraine angemietet. Mit vier Lkw
ist die 80 Tonnen schwere Anlage von ihrem letzten Einsatz im
Circusbau von Riga nach Budapest gebracht worden. Dort haben
die Techniker dann rund 300 Meter Rohre verlegt, wie das
Programmheft verrät. Noch weitere technische Daten werden
angeführt. Rund 11.000 Liter Wasser fasst das Bassin. Im
Verhältnis zu anderen Shows dieser Art ist das eher wenig; dies
ist der besonderen Konstruktion geschuldet. Hierbei handelt es
sich um eine hydraulische Bühne, die rund um die „Insel“ in der
Manegenmitte in verschiedenen Variationen abgesenkt werden kann.
Im abgesenkten Zustand lassen sich Düsen ausrichten, die
Fontänen erzeugen. Rund 700 dieser Düsen sind in der kompletten
Anlage verbaut. Es geht also weniger um das Wasserbassin an
sich, als vielmehr um die unterschiedlichsten Fontänen, die bei
den meisten Darbietungen für zusätzliche Effekte sorgen.
„Fontänencircus“ ist denn auch die wörtliche Übersetzung des
Programmnamens. Die Wasserspiele sind bestens an die Nummern
angepasst – was nicht verwundert, denn schließlich handelt es
sich um ein nahezu festes Ensemble an Artisten, welches mit der
Ausstattung zusammen unterwegs ist. Der oftmals bei diesen
Produktionen auftretende Eindruck einer fehlenden Verbindung
zwischen Darbietung und dem nassen Element kommt so
glücklicherweise kaum auf. Schon gar nicht, wenn vor dem Finale
die großen, illuminierten Fontänenspiele mit Wassersäulen bis
unter die Kuppel für Begeisterung sorgen.
Lilia
Maximenko, Krisztina Tarsoly mit Kinder-Akteuren, Carla De Moura Lima Diogena
Die einzelnen Darbietungen des
festen Ensembles werden vor Ort mit weiteren Nummern ergänzt und
in diesem Fall zusätzlich in eine lose Rahmenhandlung gefasst.
Erzählt wird die Geschichte zweier Kinder, die ganz in der
virtuellen Welt von Handy und Internet aufgehen. Als sie auf
einen Koffer mit allerlei Utensilien stoßen, gelangen sie ins
magische Reich Atlantis. Dort lernen sie Tugenden wie Fürsorge,
Vertrauen und menschliche Kraft kennen. Gespielt werden diese
beiden Kinder von Mädchen und Jungen in wechselnder Besetzung,
welche im Vorfeld der Spielzeit in Budapest gecastet wurden. Im
Programm zeigen sie immer wieder Grundkenntnisse der Artistik
von Einradfahren über Jonglage bis Partnerakrobatik. Begleitet
werden die Kinder von der Schauspielerin Krisztina Tarsoly, die
in der Rolle eines weiblichen Pierrots durch die Vorstellungen
führt. Diese Vermischung mit – hier noch sehr dosiert
eingesetzten – theatralen Elementen mag einer jener Wege sein,
die Peter Fekete in der von ihm ausgerufenen Experimentierphase
anstrebt. Er kommt selbst aus dem Theaterwesen. Es spricht für
sich, dass manche circensischen Elemente dabei zumindest in
dieser Produktion auf der Strecke bleiben. Clownerie oder Komik
gibt es keine. Auch die Tier-Darbietungen sind rar. Lilia
Maximenko animiert ihre Hunde beispielsweise zu Sprüngen,
Tonnenlauf und Polonaise. Sie zeigt somit ein klassisches, aber
dennoch zeitgemäßes Repertoire. Ebenso traditionell ist der
Auftritt von Carla De Moura Lima Diogena mit Papageien. Die
Tiere fahren Auto und hissen eine Fahne; die mittlerweile
obligatorischen Rundflüge durch den Kuppelbau fehlen auch hier
nicht. Weitere Tierarten fehlen dagegen schon; zumindest die
noch auf dem Plakat abgebildeten Seelöwen hätte man dann doch
noch gerne gesehen.
Levgeniia Goncharova, Anastasia Polutinnykh, Roman Kronzhko
Stattdessen gibt es ein wirklich
sehenswertes Aufgebot an artistischen Darbietungen, welche
zuweilen sehr stimmungsvoll von einem sechsköpfigen Ballett
eingeführt werden. Mit einem Tanz mit bunten Regencapes und
Schirmen leiten die Tänzerinnen zur Antipodenarbeit von
Levgeniia Goncharova. Sie bewegt keine Walzen oder Bälle,
sondern eben auch Regenschirme mit ihren Füßen. Selbst wenn sie
dabei im Kopfstand steht. Für weitere Effekte sorgen die sich
drehende Trinka und ein Vorhang aus Wasser aus der Kuppeldecke.
Orientalisch gewandet begleiten die Tänzerinen Roman Kronzhko zu
seiner Polestange, an der er seine kraftvollen Posen
demonstriert. Umgeben von Wasserfontänen, Feuerelementen und
Laserlicht ergibt sich ein tolles Gesamtbild. Das trifft auch
für die Handstandequilibristik von Anastasia Polutinnykh zu.
Während das Ballett in weißen Ballkleidern tanzt, arbeitet sie
ihre Tricks zu Kerzenlicht auf einem weißen Piano. An diesem hat
zwar ihr Partner Vladimir Antonyuk Platz genommen – für die
Musik aber sorgt auch in dieser Produktion in den meisten Fällen
das hauseigene Live-Orchester, wenngleich in neuer Besetzung.
Vladimir Antonyuk und Maria Koch-Kukes,
Angelina Prokhorova, Maria Syulgina und
Evgeny Pisarev
Vladimir Antonyuk selbst steht
zusammen mit Maria Koch-Kukes im Mittelpunkt einer
Illussionsschau. Diese enthält zwar nur wenige Tricks, ist aber
– gerade im Vergleich mit ähnlichen im Zirkus präsentierten
Nummern – sehr ansprechend. Besonders verblüffend, wenn immer
mehr Assistentinnen aus einer doch eher kleinen Box erscheinen.
Auch hier mischt das Ballett nochmals mit. Ebenfalls zum Metier
der Zauberei gehört das Genre Quick Change. Maria Syulgina und
Evgeny Pisarev haben eine entsprechende, allerdings recht
gewöhnliche Darbietung im Angebot. Spektaklärer ist da schon
das, was die beiden gemeinsam am Schwungtrapez zeigen.
Beispielsweise ihr Nackenwirbel, während er nur mit dem Fußhang
gesichert ist. Damit gebührt ihnen der Platz vor der Pause. Die
Ehre der Schlussnummer hat Angelina Prokhorova. Im Grunde
präsentiert sie an den Strapaten auch nur eine Vielzahl
bekannter Tricks. Nur tut sie dies inmitten der Fontänen. Aus
den höher steigenden Wassersäulen fliegt sie ein ums andere Mal
zurück in die Luft, um am Ende völlig durchnässt mit einem
Wirbel abzuschließen. Die oben angeführte, oft fehlende Symbiose
von Artistik und Wasser – hier wird sie real.
Vasily Peshkov, Irina Moiseeva
und Anastasiia
Polupoltinnykh
Höhepunkt des Programms ist
dennoch eine andere Darbietung. Denn was Vasily Peshkov mit
seinen beiden Partnerinnen Irina Moiseeva und Anastasiia
Polupoltinnykh auf dem Hochseil vollbringt, ist schlicht eine
Sensation. Unglaubliche Schwierigkeitsgrade werden aneinander
gereiht, obwohl gerade einmal fünf Tricks geboten werden.
Zunächst überquert Peshkov das Seil, während seine Partnerin im
Spitzenstand auf seinem Kopf die Balance hält. Auf dem Rückweg
trägt er eine Stirnperche mit der Partnerin obenauf über das
Seil, um dann beide Partnerinnen auf den Schultern stehend ans
andere Seilende zu bringen. Das Schrägseil wird im
Zwei-Personen-Hoch erklommen. Abschließend rutscht Peshkov das
Schrägseil rückwärts herab. Dabei lösen sich aus der
Balancierstange große, wehende Fahnen. Hinzu kommt der herrlich
pathetische Verkauf der Akteure, der den Auftritt rundum zum
Erlebnis werden lässt.
Krisztian Kristóf, Truppe Teibler,
Natália Demjén
Neben diesem festem Stamm sind
auch in Budapest einige Darbietungen ergänzend engagiert.
Beinahe schon Haustruppe sind die Teiblers. Die achtköpfige
Schleuderbrett-Formationen tritt immer mal wieder in
Produktionen und bei Veranstaltungen des Budapester Circusbaus
auf. Jetzt haben sie ihre folkloristschen Kostüme gegen
Straßenkleidung getauscht. Die Sprünge bis zum
Fünf-Personen-Hoch überzeugen unabhängig davon. Natália Demjén
verbindet ihre Tuchakrobatik mit Geigenspiel kopfüber und setzt
so abseits von ebenfalls beherrschten Abfallern ganz eigene
Akzente. Gentlemen-Jongleur Krisztian Kristóf beweist den
Zuschauern einmal mehr sein Gespür im perfekten Spiel mit seinen
Requisiten. Ein wenig überraschend ist dieser Auftritt schon,
schließlich waren Kristóf und sein Vater viele Jahre für die
Leitung des Baus verantwortlich, bis es zu nicht reibungsfreien
Veränderungen innerhalb der Strukturen kam. |