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Budapest - Fontänencircus 2016
www.fnc.hu ; 125 Showfotos

Budapest, 15. März 2016: Neue Zeiten in Budapest? Ein wenig klingt es so. Zumindest wenn man die Worte von Peter Fekete, dem neuen Leiter des hauptstädtischen Circusgebäudes, im aktuellen Programmheft liest. Man stehe vor einer dreijährigen Experimentierphase. In dieser Zeit sollen – aufbauend auf den Traditionen – Möglichkeiten gefunden werden, das Genre zu erneuern. Ambitionierte Aussagen, die zu den ebenfalls ambitionierten Plänen eines neuen Circusgebäudes passen. Denn in drei Jahren soll auch das neue „Centre of Circus Art“ fertiggestellt sein.

Ideen für einen Neubau gab und gibt es in Budapest schon lange. Allein, es fehlte wie immer die nötige finanzielle Basis. Nun aber scheint auch das Kulturministerum hinter den Plänen zu stehen. Und: ein neuer Bau ist auch dringend notwendig. Foyer und Auditorium wurden in den vergangenen Jahren zwar renoviert und vermitteln eine charmante Atmosphäre. Bequeme Sitze, Klimaanlage und eine moderne Lichtanlage überzeugen auf der Besucher-Seite. Doch wer etwa mit engagierten Artisten spricht, der erfährt die große Diskrepanz zu den Verhältnissen hinter den Kulissen. Gerade im technischen Bereich nagt der Zahn der Zeit am 1970 errrichteten jetztigen Bau. Das bekundet auch Peter Fekete in seinem aktuellen Vorwort.


Fontänenspiele

So sei es aktuell eben nicht möglich, die Manege beispielsweise in Sekundenschnelle zu fluten. Um den Zuschauern in diesem Sommerprogramm dennoch eine Wassershow präsentieren zu können, habe man entsprechendes Equipment aus Russland und der Ukraine angemietet. Mit vier Lkw ist die 80 Tonnen schwere Anlage von ihrem letzten Einsatz im Circusbau von Riga nach Budapest gebracht worden. Dort haben die Techniker dann rund 300 Meter Rohre verlegt, wie das Programmheft verrät. Noch weitere technische Daten werden angeführt. Rund 11.000 Liter Wasser fasst das Bassin. Im Verhältnis zu anderen Shows dieser Art ist das eher wenig; dies ist der besonderen Konstruktion geschuldet. Hierbei handelt es sich um eine hydraulische Bühne, die rund um die „Insel“ in der Manegenmitte in verschiedenen Variationen abgesenkt werden kann. Im abgesenkten Zustand lassen sich Düsen ausrichten, die Fontänen erzeugen. Rund 700 dieser Düsen sind in der kompletten Anlage verbaut. Es geht also weniger um das Wasserbassin an sich, als vielmehr um die unterschiedlichsten Fontänen, die bei den meisten Darbietungen für zusätzliche Effekte sorgen. „Fontänencircus“ ist denn auch die wörtliche Übersetzung des Programmnamens. Die Wasserspiele sind bestens an die Nummern angepasst – was nicht verwundert, denn schließlich handelt es sich um ein nahezu festes Ensemble an Artisten, welches mit der Ausstattung zusammen unterwegs ist. Der oftmals bei diesen Produktionen auftretende Eindruck einer fehlenden Verbindung zwischen Darbietung und dem nassen Element kommt so glücklicherweise kaum auf. Schon gar nicht, wenn vor dem Finale die großen, illuminierten Fontänenspiele mit Wassersäulen bis unter die Kuppel für Begeisterung sorgen.

 
Lilia Maximenko, Krisztina Tarsoly mit Kinder-Akteuren, Carla De Moura Lima Diogena 

Die einzelnen Darbietungen des festen Ensembles werden vor Ort mit weiteren Nummern ergänzt und in diesem Fall zusätzlich in eine lose Rahmenhandlung gefasst. Erzählt wird die Geschichte zweier Kinder, die ganz in der virtuellen Welt von Handy und Internet aufgehen. Als sie auf einen Koffer mit allerlei Utensilien stoßen, gelangen sie ins magische Reich Atlantis. Dort lernen sie Tugenden wie Fürsorge, Vertrauen und menschliche Kraft kennen. Gespielt werden diese beiden Kinder von Mädchen und Jungen in wechselnder Besetzung, welche im Vorfeld der Spielzeit in Budapest gecastet wurden. Im Programm zeigen sie immer wieder Grundkenntnisse der Artistik von Einradfahren über Jonglage bis Partnerakrobatik. Begleitet werden die Kinder von der Schauspielerin Krisztina Tarsoly, die in der Rolle eines weiblichen Pierrots durch die Vorstellungen führt. Diese Vermischung mit – hier noch sehr dosiert eingesetzten – theatralen Elementen mag einer jener Wege sein, die Peter Fekete in der von ihm ausgerufenen Experimentierphase anstrebt. Er kommt selbst aus dem Theaterwesen. Es spricht für sich, dass manche circensischen Elemente dabei zumindest in dieser Produktion auf der Strecke bleiben. Clownerie oder Komik gibt es keine. Auch die Tier-Darbietungen sind rar. Lilia Maximenko animiert ihre Hunde beispielsweise zu Sprüngen, Tonnenlauf und Polonaise. Sie zeigt somit ein klassisches, aber dennoch zeitgemäßes Repertoire. Ebenso traditionell ist der Auftritt von Carla De Moura Lima Diogena mit Papageien. Die Tiere fahren Auto und hissen eine Fahne; die mittlerweile obligatorischen Rundflüge durch den Kuppelbau fehlen auch hier nicht. Weitere Tierarten fehlen dagegen schon; zumindest die noch auf dem Plakat abgebildeten Seelöwen hätte man dann doch noch gerne gesehen.


Levgeniia Goncharova, Anastasia Polutinnykh, Roman Kronzhko

Stattdessen gibt es ein wirklich sehenswertes Aufgebot an artistischen Darbietungen, welche zuweilen sehr stimmungsvoll von einem sechsköpfigen Ballett eingeführt werden. Mit einem Tanz mit bunten Regencapes und Schirmen leiten die Tänzerinnen zur Antipodenarbeit von Levgeniia Goncharova. Sie bewegt keine Walzen oder Bälle, sondern eben auch Regenschirme mit ihren Füßen. Selbst wenn sie dabei im Kopfstand steht. Für weitere Effekte sorgen die sich drehende Trinka und ein Vorhang aus Wasser aus der Kuppeldecke. Orientalisch gewandet begleiten die Tänzerinen Roman Kronzhko zu seiner Polestange, an der er seine kraftvollen Posen demonstriert. Umgeben von Wasserfontänen, Feuerelementen und Laserlicht ergibt sich ein tolles Gesamtbild. Das trifft auch für die Handstandequilibristik von Anastasia Polutinnykh zu. Während das Ballett in weißen Ballkleidern tanzt, arbeitet sie ihre Tricks zu Kerzenlicht auf einem weißen Piano. An diesem hat zwar ihr Partner Vladimir Antonyuk Platz genommen – für die Musik aber sorgt auch in dieser Produktion in den meisten Fällen das hauseigene Live-Orchester, wenngleich in neuer Besetzung.


Vladimir Antonyuk und Maria Koch-Kukes, Angelina Prokhorova, Maria Syulgina und Evgeny Pisarev 

Vladimir Antonyuk selbst steht zusammen mit Maria Koch-Kukes im Mittelpunkt einer Illussionsschau. Diese enthält zwar nur wenige Tricks, ist aber – gerade im Vergleich mit ähnlichen im Zirkus präsentierten Nummern – sehr ansprechend. Besonders verblüffend, wenn immer mehr Assistentinnen aus einer doch eher kleinen Box erscheinen. Auch hier mischt das Ballett nochmals mit. Ebenfalls zum Metier der Zauberei gehört das Genre Quick Change. Maria Syulgina und Evgeny Pisarev haben eine entsprechende, allerdings recht gewöhnliche Darbietung im Angebot. Spektaklärer ist da schon das, was die beiden gemeinsam am Schwungtrapez zeigen. Beispielsweise ihr Nackenwirbel, während er nur mit dem Fußhang gesichert ist. Damit gebührt ihnen der Platz vor der Pause. Die Ehre der Schlussnummer hat Angelina Prokhorova. Im Grunde präsentiert sie an den Strapaten auch nur eine Vielzahl bekannter Tricks. Nur tut sie dies inmitten der Fontänen. Aus den höher steigenden Wassersäulen fliegt sie ein ums andere Mal zurück in die Luft, um am Ende völlig durchnässt mit einem Wirbel abzuschließen. Die oben angeführte, oft fehlende Symbiose von Artistik und Wasser – hier wird sie real.


Vasily Peshkov, Irina Moiseeva und Anastasiia Polupoltinnykh 

Höhepunkt des Programms ist dennoch eine andere Darbietung. Denn was Vasily Peshkov mit seinen beiden Partnerinnen Irina Moiseeva und Anastasiia Polupoltinnykh auf dem Hochseil vollbringt, ist schlicht eine Sensation. Unglaubliche Schwierigkeitsgrade werden aneinander gereiht, obwohl gerade einmal fünf Tricks geboten werden. Zunächst überquert Peshkov das Seil, während seine Partnerin im Spitzenstand auf seinem Kopf die Balance hält. Auf dem Rückweg trägt er eine Stirnperche mit der Partnerin obenauf über das Seil, um dann beide Partnerinnen auf den Schultern stehend ans andere Seilende zu bringen. Das Schrägseil wird im Zwei-Personen-Hoch erklommen. Abschließend rutscht Peshkov das Schrägseil rückwärts herab. Dabei lösen sich aus der Balancierstange große, wehende Fahnen. Hinzu kommt der herrlich pathetische Verkauf der Akteure, der den Auftritt rundum zum Erlebnis werden lässt.


Krisztian Kristóf, Truppe Teibler, Natália Demjén

Neben diesem festem Stamm sind auch in Budapest einige Darbietungen ergänzend engagiert. Beinahe schon Haustruppe sind die Teiblers. Die achtköpfige Schleuderbrett-Formationen tritt immer mal wieder in Produktionen und bei Veranstaltungen des Budapester Circusbaus auf. Jetzt haben sie ihre folkloristschen Kostüme gegen Straßenkleidung getauscht. Die Sprünge bis zum Fünf-Personen-Hoch überzeugen unabhängig davon. Natália Demjén verbindet ihre Tuchakrobatik mit Geigenspiel kopfüber und setzt so abseits von ebenfalls beherrschten Abfallern ganz eigene Akzente. Gentlemen-Jongleur Krisztian Kristóf beweist den Zuschauern einmal mehr sein Gespür im perfekten Spiel mit seinen Requisiten. Ein wenig überraschend ist dieser Auftritt schon, schließlich waren Kristóf und sein Vater viele Jahre für die Leitung des Baus verantwortlich, bis es zu nicht reibungsfreien Veränderungen innerhalb der Strukturen kam.

Vielleicht aber ist dieses Engagement eben auch das Zeichen, dass trotz aller angestrebten Experimente die Vergangenheit nicht vergessen wird. Das aktuelle Programm zumindest erinnert zuweilen an die Zeiten der Kristófs, als immer wieder spannende Produktionen zu Gast in Budapest waren: russische Wasser- und Eisshows, chinesische Artistikprogramme ebenso wie der traditionelle Tiercicus aus Italien. Wenn „das Genre erneuern“ bedeutet, sich dieser ungeheuren Bandbreite der vielfältigsten lebendigen Formen von Circus auch in Zukunft anzunehmen, ohne auszuschließen und ihnen eine Plattform zu geben, ja dann möge die Experimentierphase gelingen!

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Text und Fotos: Benedikt Ricken