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Circus Knie - Tour 2016
www.knie.ch ; 230 Showfotos

Rapperswil, 17. März 2016: Eigentlich ist alles wie gewohnt. Der Circus Knie begeistert auch 2016 wieder mit großartigen Pferdedressuren, ausgewählten Artisten, einem grandiosen Clown, manegenfüllenden Bildern eines Bingo-Ensembles, modernem Sound, traumhaftem Licht und einer anspruchsvollen Präsentation. Das bekannte Glücksgefühl beim Finale stellt sich ein. Aber: Es ist eben nur eigentlich alles so wie immer. Die aktuelle Tournee ist mit einer einschneidenden Zäsur verbunden. Elefanten sind nun nicht mehr mit dabei. Wie das Programm-Magazin mitteilt, endet damit eine 95 Jahre währende Tradition.

Ganz ehrlich, ich habe sie vermisst. Genauso wie ich die schon seit vielen Jahren nicht mehr gezeigte Raubtiernummer vermisse. Nunmehr gibt es in der Show nur noch Pferde, Kamele, Zebras und Lamas zu sehen. Es fehlt die Vielfalt, die ich von einem, wenn nicht gar von dem, europäischen Spitzencircus erwarte. Damit verbunden ist, dass seitens der Direktion aktuell nur noch die Familie von Fredy Knie junior mit eigenständigen Darbietungen zu erleben ist. Franco Knie junior übernimmt Begrüßung und Verabschiedung, sein Sohn Chris Rui ist Teil des Openings mit David Larible und Bingo.


David Larible

Noch etwas hat sich geändert. Statt Französisch spricht Knie jetzt Englisch. Aus "Phénoménal", "Émotions" oder "Passion Cirque" wurde "Smile", so der Titel der diesjährigen Produktion. Damit sind wir beim Star der Show, der auch als Plakatmotiv dient. Nach einem Jahr Pause kehrt David Larible zum Schweizer National-Circus zurück. Als Clown ist er natürlich die bestmögliche Wahl, das Publikum feiert ihn. Dank seines großen Repertoires gibt es keine Wiederholungen zum letzten Engagement. Als nach seinem Platz suchender Gast gerät er unvermittelt in die bunte Welt des Circus. Die Bingo-Artisten helfen ihm in einem großen, farbenfrohen Bild bei der Verwandlung vom Zuschauer in einen Clown. Es ist eine moderne Variante des bekannten "Larible-Openings", bei der die explizite Suche nach einem Ersatz für den ausgefallenen Spaßmacher entfällt. Groß inszeniert ist das fröhliche Jonglieren und Werfen von Tellern, bei dem es ordentlich Scherben gibt. Ebenso das ungewöhnlich besetzte Orchester. Bei beiden Nummern bezieht Larible Zuschauer ein, die mindestens genauso viel Spaß haben wie die Gäste auf dem Gradin. In einem weiteren Auftritt versucht er, einem Lichtpunkt mit Wasser beizukommen. Später verbietet ihm Sprechstallmeister Enrico Caroli das Benutzen seiner Spieluhr und zerstört sie gar. Natürlich gewinnt Larible am Ende und lässt mit kindlicher Freude die Melodie doch wieder erklingen. Hinreißend ist Laribles Version von Frank Sinatras „My Way“, welches er in unterschiedlichen Sprachen singt. Sogar als ihm das Mikrofon weggenommen wird, kann er das Lied fortsetzen. Nach dem Finale verwandelt er sich wieder in den Zuschauer, als der er gekommen ist. Chanel Marie Knie holt ihn ab. David Larible darf die Manege durch den Artisteneingang verlassen. Er gehört nun zu den Circusleuten.


David Larible junior, Shcherbak & Popov, Duo TwinSpin

Ebenfalls dabei sind Laribles Kinder. David junior jongliert nach dem Opening mit Keulen, Reifen und Hüten. Er versteht sein Handwerk, hinsichtlich Manegenpräsenz ist aber noch Luft nach oben. Shirley hat eine neue Luftnummer am Netz einstudiert. Allerdings kommt diese nicht an ihre wirklich grandiose Kür an den Strapaten heran. Immer wieder faszinierend zu sehen, wie Shcherbak & Popov ganz locker und leicht schwierigste Figuren der Partner-Equilibristik zeigen. Zu „Singing in the rain“ balanciert Sergii Popov seinen Partner Nikolay Shcherbak auf den Händen. Oder aber wirft ihn in die Luft, um ihn sicher wieder aufzufangen. Variantenreich und leistungsstark ebenfalls ihre gemeinsamen Handstände. Während die Ukrainer eher leger in Latzhosen auftreten, präsentieren sich Benno Jacob und Lukas Stelter ganz Business-like. Ihre Beraterkoffer haben sie gleich mitgebracht. Darin befinden sicher aber weder Hochglanz-Präsentationen noch iPads, sondern Diabolos. Mit ihnen wirbeln die Absolventen der Staatlichen Artistenschule in Berlin virtuos durch die Manege. Das Duo TwinSpin präsentiert eine ungeheuer dynamische, mitreißende Choreographie. Mal werfen sie sich die Diabolos gegenseitig zu, mal jonglieren sie synchron oder zeigen andere aufeinander abgestimmte Abläufe. Das alles natürlich auf hohem artistischen Niveau. Wie Shcherbak & Popov verstehen sie es zudem meisterlich, mit dem Publikum zu spielen.


Pas de deux und Spiegel-Trapez aus Nordkorea, Black & White Fantasy

Bei den weiteren Darbietungen aus der Sparte Akrobatik entführt uns Knie nach Asien. Zunächst erleben wir ein höchst ungewöhnliches Pas de deux aus Pyongyang. Mit einem Mundstab balanciert die Dame während der gesamten Darbietung ein Tablett mit Champagnergläsern, welches auf einem Säbel ruht. Zunächst tanzt sie auf dem Boden, dann auf den Schultern und den Oberarmen ihres Partners. Letzteres sogar auf Spitzen und auf einem Bein. Damit nicht genug. Weiter es geht am Trapez. Er hängt kopfüber und hält sie an einem Fuß. Mit dem anderen jongliert sie einen Reifen, mit den Händen vier Bälle. Phänomenal. Ungewöhnlich platziert, genießen wir die große Luftnummer aus Nordkorea direkt nach der Pause. Das Spiegel-Trapez erlaubt elegante Sprungkombinationen mit höchsten Schwierigkeitsgraden. Fast ohne Pause erleben wir fließende Flugsequenzen, die schier unglaublich scheinen. Höhepunkt ist der vierfache Salto auf einer Entfernung von vierzehn Metern. Die Handstand- und Equilibristik-Performance „Black & White Fantasy“ der China National Acrobatic Troupe trat schon in verschiedenen Besetzungen auf. Etwa bei den Weihnachtscircussen in Stuttgart und Heilbronn. In Schwarz und Weiß zaubert das Quintett eindrucksvolle Bilder mit anspruchsvollster Akrobatik. Allerdings bekommt man hier offensichtlich nicht die Optimalbesetzung zu sehen. Wurde nachmittags in der Hauptprobe noch (vergebens) versucht, den Spagat auf zwei Untermännern mittels Longe zu retten, behielt bei der Saisonpremiere der Untermann gleich die Beine am Boden. So bleibt insbesondere der letzte Trick in Erinnerung, bei dem das Requisit ausgefahren wird, während sich ein Artist an der Spitze immer schneller im Kopfstand dreht. Drei weitere zeigen an tieferliegenden Plattformen ihre Tricks. Inzwischen wurden die Chinesen als Schlussnummer des Programms durch David Laribles Orchester abgelöst.


Maycol Errani

Das erste Pferde-Tableau gehört Mary-José und Fredy Knie junior. Es beginnt Fredy Knie junior mit einer Hohen Schule. Seine Gattin präsentiert einen Sechserzug weißer Araber. Gewohnt elegant dirigiert sie diese Freiheit. Dabei agiert sie aber immer, so scheint es, mit einem leichten Augenzwinkern. Äußerst charmant und ungemein sympathisch. Verstärkt wird diese Vorführung durch den Gesang von David Larible. Es folgt noch einmal Fredy Knie junior, der Ende September seinen 70. Geburtstag feiern darf. In seine Dressur mit fünf Pferden integriert er ein Kind aus dem Publikum. Damit sorgt er nicht nur für wunderbare Momente, die das Vertrauen der Tiere zum Menschen demonstrieren, sondern auch für herzlichen Humor. Nach dem großen Karussell im vergangenen Jahr erleben wir Maycol Errani nun mit einem Sechserzug Friesen. Eindrucksvoll beginnt dieser Block mit Errani auf dem Rücken eines Friesen. Beide stehen auf einer sich drehenden Spiegelplattform, die opulent angestrahlt wird. Es folgt eine fast spielerisch wirkende Freiheit, die ebenfalls das enge Miteinander von Mensch und Tier spüren lässt. Herauszuheben sind an dieser Stelle zwei Tricks. Bei dem einen lässt der in der Manegenmitte stehende Maycol Errani die Pferde einzeln auf sich zukommen, bis alle zusammen einen Stern bilden. Allerdings nicht wie gewohnt mit dem Kopf zur Mitte, sondern rückwärts mit dem Hinterteil. Diese Figur bilden die Friesen kurz danach erneut, dann allerdings mit dem Kopf zum Dresseur. Alle sechs Tiere zeigen dabei ein Kompliment. Seine Gattin Géraldine Knie überzeugt mit einer Freiheitsdressur, in welcher sich temperamentvolle Zebras, prachtvolle Kamele und grazile Lamas zu anspruchsvollen Abläufen formieren. Im Wechsel zeigt das Paar Steiger mit verschiedenen Pferden.


Fratelli Errani und Chanel Marie Knie, Ivan Frédéric Knie, Charles und Alexandre Gruss

Maycol Errani ist zudem Teil der Pausennummer. Diese verwöhnt das Auge dank mitreißender Reiterspiele. Zunächst präsentieren Maycol, Wioris und Guido Errani Pyramiden auf drei Kaltblütern. Auf der Spitze thront wagemutig Chanel Marie Knie. Die noch sehr junge Dame beweist damit, dass sie ein Circuskind mit Leib und Seele ist. Gleiches gilt für ihren älteren Bruder Ivan Frédéric, der schon seit vielen Jahren in verschiedenen Disziplinen im Rampenlicht steht. 2016 nun ist er in der Akrobatik zu Pferd zu sehen. Den tragenden Part dabei haben die Fratelli Errani. Sprünge auf dem Pferd sowie der Salto von Pferd zu Pferd sind zu sehen. Den vielzitierten Glücksgriff hat die Familie Knie mit dem Engagement von Charles und Alexandre Gruss gemacht. Die Enkel des französischen Circusdirektors Alexis Gruss ergänzen die Arbeit der Fratelli Errani und übernehmen dann mit furiosen Jonglagen zu Pferd. Geschwindigkeit, perfekte Ausstrahlung und nicht zuletzt artistisches Können lassen ihre Touren mit Keulen zu einem circensischen Hochgenuss werden. Wie der Teufel jagen sie auf ihren Pferden durch das Sägemehl, halten das Gleichgewicht und werfen sich gegenseitig in vielen Varianten ihre Requisiten zu. Die letzten Runden bestreitet Charles Gruss als Stehendreiter mit einer imposanten Fahne. Ganz großer Circus! Für die manegenfüllenden Bilder sorgt einmal mehr ein Ensemble des Circustheaters Bingo aus Kiew. Beim Opening bilden sie eine bunte Choreographie rund um die Verwandlung von David Larible zum Clown. Eine besondere Funktion hat eine Violinistin, die im Laufe des Abends mehrfach in Erscheinung tritt. Nach dem Flugtrapez steht Seilspringen im Mittelpunkt, ein Artist zeigt Kunststücke auf der Rola Rola. Natürlich eröffnen die Ukariner wieder sehr dynamisch das Finale. Die druckvolle Musik kommt vom Orchester unter der Leitung von Ruslan Fil. Er und seine Musiker begleiten selbstverständlich nicht nur das Finale. Für das brillante Lichtdesign ist Frederico Castagnolo verantwortlich. Stets die Übersicht behält Patrick Rosseel. Er und seine Requisiteure sorgen für flotte Umbauten.

Knie verwöhnt uns 2016 mit nicht weniger als 45 Artisten, darunter acht mit einem Goldenen Clown ausgezeichneten Acts, wie das Programmheft stolz berichtet. Quantität und Qualität stimmen also. Damit verbunden aber auch die Herausforderung, daraus einen stimmigen Programmablauf zu kreieren. Bei der Premiere sah die Abfolge der Nummern schon anders aus als sie im Knie-Magazin abgedruckt ist. Inzwischen wurde weiter optimiert. Das ist natürlich legitim, zeigt aber andererseits auch, dass es in diesem Jahr Besonderheiten gibt. Wie etwa ein koreanisches Ensemble mit gleich zwei Darbietungen. Der Schweizer National-Circus macht wie gewohnt das Beste draus. Ein begeistertes Premierenpublikum beweist es. Zumindest in diesem Moment scheint kaum ein Zuschauer die Elefanten zu vermissen.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch