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Circus Roncalli - Tour 2015
www.roncalli.de ; 110 Showfotos

Hannover, 11. Oktober 2015: Wenn der Besucher das Chapiteau betritt, hat er das Gefühl, in ein prunkvolles Opernhaus zu kommen. Dunkle Rottöne mit goldenen Verzierungen dominieren das Bild. Sowohl im Zuschauerraum als auch am Artisteneingang. Die Königslogen verstärken den Eindruck eines historischen Theaters. Das Licht schafft bereits beim Einlass Atmosphäre. Es scheint fast so, als sei jeder Sitzplatz speziell ausgeleuchtet. Das Platzierpersonal in edlen Livrees kümmert sich persönlich um jeden Gast. Wenn der Besucher das Chapiteau betritt, hat er schon eine kleine Reise hinter sich.

Gleich bei der Kartenkontrolle wird er mit einem Konfettiregen begrüßt. Im prunkvollen Restaurationszelt gibt es nicht nur ausgesuchte Leckereien, sondern auch Livemusik, rote Herzen auf die Wangen und Bonbons aus Sektkübeln. Dazu Kostproben der artistischen Art. Wer den Genuss perfekt machen will, besucht vorab noch das Cafe des Artistes. Im nostalgischen Cafewagen und dem zugehörigen Außenbereich lässt sich in einem ganz besonderen Ambiente speisen. Der Zugang zur Circusstadt ist eigens mit Holzbrettern ausgelegt. Es ist also an alles gedacht.


Roncalli Royal Orchester

Ist der Weg ins Chapiteau schon ein Erlebnis, ist es die Show erst recht. „Good Times“ lautet ihr Titel. Und natürlich hat man bei Roncalli eine gute Zeit. Doch die Zeiten für den Circus waren schon besser, wie Bernhard Paul im Programmheft bemerkt. Als sein Unternehmen vor 39 Jahren die erste Saison bestritt, gab es in Deutschland noch viele Großcircusse, die inzwischen nicht mehr auf Tournee gehen. Das Fernsehen zeigte Circus in eigenen Showproduktionen, Reportagen und Spielfilmen. So vollführt Roncalli heute „einen enormen Drahtseilakt, sich ständig zu erneuern und trotzdem das zu bleiben, was er ist“, so der Direktor. Das schafft dieser inzwischen schon legendäre Circus auch 2015. Er bietet eine perfekt inszenierte und ohne Längen ablaufende Show. Das Orchester von „Generalmusikdirektor“ Georg Pommer spielt hervorragend. Das Lichtdesign ist wirklich verschwenderisch und lässt keinerlei Wünsche offen. Peter Weber und die anderen Requisiteure sorgen nicht nur für einen standesgemäßen Empfang, sondern auch für einen reibungslosen Ablauf der Vorstellung.


Gensi, Jemile Martinez, Anatoli Akermann

Dafür ist nicht zuletzt Abendregisseur und Sprechstallmeister Patrick Philadelphia verantwortlich. Nachdem er und die Roncalli Royal Clown Company uns die Sicherheitsregeln sehr originell näher gebracht haben, setzt Sergi Buka das Tourmotto um. Ein Laserstrahl ist der Zeiger, der die Zeit auf einem Ziffernblatt verstreichen lässt. Weitere Spielereien mit grünem Laserlicht folgen. Nach Gensis Flaschenorgel begrüßt Patrick Philadelphia im roten Frack formvollendet das Publikum. Erst jetzt kommt das eigentliche Charivari. Sechs Mitglieder des Circustheater Bingo erfüllen die Manege und den Raum darüber. Es entsteht ein lebendiges, mitreißendes Schaubild, welches viele Disziplinen der Akrobatik vereint. Devlin Bogino, Gensi und Oriol bringen ein wunderbares Kabinettstückchen um einem lebenden Sessel. Fußbälle sind die Requisiten von Jemile Martinez. Der gebürtige Engländer jongliert sie bis weit unter die Kuppel und lässt sie auf seinen Fingern kreisen. Seine Fähigkeiten als Kopfballkünstler sind bundesligareif. Nach diesem Wirbel bringt uns Anatoli Akermann zum Lachen. Er hat sein Megafon dabei, ein Koffer dient ihm als Bühne. Darauf beweist er mit Zigarrenkistchen, dass auch er jonglieren kann. Mut erfordert definitiv die Wahl seines Outfits. Hier kennt er kein Pardon und produziert sich in den unvorteilhaftesten Aufmachungen.


Karl Trunk, Duo Viro, Rokashkovs

Rundherum elegant präsentiert sich Karl Trunk. Im edlen Frack lässt er zunächst drei Ponys flechten und zwischen Säulen hindurchlaufen. Eine ganze Rasselbande folgt ihm wenig später aufs Wort. Seine Ponyfreiheit ist äußerst trickreich und läuft wie am Schnürchen. Wunderschön anzusehen ist zudem das von ihm vorgeführte Groß und Klein. Nachdem Vivi(an Paul) in einem kleinen Intermezzo Schmetterlinge zum Fliegen gebracht hat, geht es mit dem Duo Viro noch weiter nach oben. Das mehrfach ausgezeichnete Duo präsentiert seine Kür an den Tüchern. Der Traum vom Fliegen wird durch die musikalische Begleitung bestens unterstützt. Währen die Ungarn ihre trickstarke Kür arbeiten, singt Georg Pommer dazu „You raise me up“. Eine schöne Frau und drei Männer, die sie begehren – aus diesem Stoff ist die Geschichte, die die Rokashkovs spielen. Das tun sie am Quadratreck. Ihre in Monte Carlo und Paris prämierte Nummer ist artistisch vom Feinsten. Hinzu kommt das intensive Spiel der vier Moskauer. Den Rokashkovs gehört somit der stärkste Auftritt des Abends. Heiter ist die Ankündigung der Pause durch junge Damen im flotten Küchenoutfit sowie die Clowns. Es wird ausgelassen auf gewöhnlichen und ungewöhnlichen Instrumenten musiziert, dass es eine wahre Freude ist.


Bingo, Geraldine Philadelphia, Les Paul

Mit Artistik an drei Luftringen beginnt der zweite Teil. Drei Damen aus dem Bingo-Ensemble mit markanten Frisuren sind die Akteurinnen. Die Reise nach Jerusalem der Clowns ist für mich der stärkste Auftritt von Sarah, Gensi, Oriol, Devlin Bogino und Anatoli Akermann. Ihre Jagd nach dem freien Platz gestaltet sich sehr lebhaft. Die Begleitmusik dazu machen sie natürlich selbst. Oriol beherrscht zudem die Kunst der Stuhlbalance. Mehrere der Klappstühle balanciert er auf dem Kinn. Als der Turm einstürzt, sind seine Partner zur Stelle. Geraldine Philadelphia lässt ihre Ringe nicht nur sehr gekonnt um verschiedene Körperteile kreisen, sondern jongliert auch mit ihnen. In einer zauberhaften Choreographie erobert die sympathische junge Dame die Herzen des Publikums im Handumdrehen. Großartig ist das Requisit für die Schattenspiele von Sergi Buka. Dabei handelt es sich um ein Dreirad aus der Ideenschmiede des Schweizer Künstlers Jean Tinguely. Das herrlich skurrile Gerät hat vor dem Lenker eine große runde Leinwand montiert. Auf diese werden die Figuren projiziert, die der Spanier mit seinen Händen darstellt. Während uns die Clowns mit Musik von Vivaldi unterhalten, wird in der Manege eine runde Plattform aufgebaut. Darauf arbeiten Les Paul ihre Rollschuhnummer. Les Paul, das sind Vivian, Lili und Adrian Paul sowie Jemile Martinez. Damit setzen die Kinder von Eliana Larible-Paul und Bernhard Paul eine Familientradition fort. Bereits Tante und Onkel von Eliana Larible-Paul zeigten eine solche Darbietung. Hierzulande war diese im Circus Krone zu erleben. Mit bekannten Tricks des Genres sorgen die Junioren noch einmal für rasante Action in gekonnter Präsentation.


Marula, Golden Gate Trio, Good bye

Die letzten beiden Darbietungen des Programms sind da deutlich ruhiger. Anstatt des in der Programmillustrierten angekündigten Andreis Jacobs Rigolo, balanciert Marula 13 Palmäste, die sie nach und nach sorgfältig aufeinander legt. Am Ende entsteht ein riesiges fragiles Gebilde. Das Publikum schaut diesem Schauspiel minutenlang gebannt zu. Erst als Marula, sie ist eine Tochter von Rigolo, die Feder auf dem kleinsten der Äste entfernt und das Mobile in sich zusammenfällt, entlädt sich der begeisterte Applaus. Ebenfalls eine hohen Schauwert hat die Akrobatik des Golden Gate Trio. Denn die jungen Ungarn treten als Goldmenschen auf. Sie haben sich an der Artistenschule in Budapest kennengelernt und arbeiten erst seit einiger Zeit in dieser Besetzung. Ihr „Adagio aus Hebe- und Schwebefiguren“ (Zitat Programmheft) enthält aber bereits jetzt sehenswerte Tricks. Noch während das Golden Gate Trio seinen Schlussapplaus entgegennimmt, kommen alle Mitwirkenden mit Luftballons in die Manege. Das ausschweifende Finale beginnt. Wiener Walzer, Zugaben und bunte Papierschnipsel aus der Kuppel – alles ist dabei. Wunderbar auch der Ausklang mit den Clowns. Gensi und Oriol musizieren ein letztes Mal. Die anderen drei erscheinen in Nachthemd und Schlafrock. Mit Teddy, Uhr und Kissen erinnern sie daran, dass es nun Zeit ist, ins Bett zu gehen. So endet ein traumhafter Abend im Circus Roncalli.

Im kommenden Jahr feiert Roncalli seinen 40. Geburtstag. Wir dürfen gespannt sein, wie dieses Jubiläum in Städten wie Köln, Düsseldorf und Wien gefeiert wird. Sicher wird es neue artistische Nummern geben. Ich persönlich würde mir zudem ein klassisches Clownsentree wünschen. Lassen wir uns also überraschen, womit uns Roncalli 2016 begeistert. Ganz bestimmt aber wird sich das Unternehmen von Bernhard Paul treu bleiben und mit einer perfekten Präsentation aufwarten.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch