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Circus Monti - Tour 2015
www.circus-monti.ch ; 86 Showfotos

Wohlen, 9. August 2015: Der Circus Monti übernimmt die Zeltvermietung Alfred Nock und verkürzt seine Tournee auf drei Monate je Saison: Wir fanden es doch schade, als das Unternehmen im Juni 2014 diese Entscheidung bekannt gab. Schließlich hatten wir hier immer wieder wunderbare Programme in ganz eigenem Stil erlebt, oftmals vor ausverkauftem Haus. Ohne Not also wurde das Erfolgsmodell Monti komplett durcheinander gewirbelt. Nicht ganz einleuchtend erschien dabei die Ankündigung, für die kürzere Tournee werde man künftig einen noch größeren künstlerischen Aufwand betreiben können.

Umso gespannter waren wir auf das neue Programm „tourbillon“. Es feierte nun in Montis Heimatstadt Wohlen im Aargau Premiere, erstmals im August anstatt schon im März. Tatsächlich waren am dritten Gastspieltag der Saison keinerlei Abstriche an der gewohnten Qualität zu erkennen. Wiederum war rund sieben Wochen lang mit allen Artisten geprobt worden, wurden wieder hochwertige Fotos fürs edle Programmheft aufgenommen, wurde eigene Musik und ein tatsächlich noch aufwendigeres Bühnenbild geschaffen. Die runde Manege wurde erstmals als leicht erhöhte Bühne ausgestaltet und bietet so noch bessere Sicht. Für Konzept, Regie und Choreographie wurden die Kanadier Marie-Josée Gauthier und Sylvain Lafortune verpflichtet.

 
Charlie Mach, María José Cázares Goody, Julie Dionne 

„Tourbillon“ spielt zunächst in einem Wartezimmer mit großem Schreibtisch. In dieser Szenerie überrascht zunächst Charlie Mach (Frankreich) mit seiner außergewöhnlichen, an der Circusschule Montréal entwickelten Stuhlakrobatik. Da zeigt er eine Art Flugrolle über einen Stuhl. Steht auf einem Stuhl und schlägt einen Rückwärtssalto, den er dann im Sitzen beendet. Oder schlägt mitsamt Stuhl einen Salto – und sitzt am Ende wieder darauf. In diesem rätselhaften Wartezimmer tippt die Empfangsdame (alias Julie Dionne, Kanada) eifrig auf der Schreibmaschine und lässt immer wieder Wartende eine imposante Tür passieren. Was sich dahinter verbirgt, erfahren wir nicht. Doch Oscar, Hauptfigur in dieser Geschichte, will es genauer wissen. Aus dem Schreibtisch erscheint eine geheimnisvolle Frau (María José Cázares Goody, Mexiko). Mit ihrer Mischung aus Kontorsion, Handständen und Tanz entfacht sie Oscars Neugier immer mehr – und somit gerät er in einen Wirbelwind („Tourbillon“). Bildlich dargestellt wird dieser durch bunte Vertikaltücher, die vom Ensemble herumgewirbelt werden. Wie „Alice im Wunderland“ findet Oscar sich nun in einer schrägen Parallelwelt wieder. Dabei wird einer seiner beiden roten Schuhe gestohlen. Wie er diesen zurückerobert und auch andere Figuren nach ihren richtigen Schuhen jagen, das ist der rote Faden der Inszenierung. In dieser trifft Oscar auf eine ganze Reihe außergewöhnlicher Gestalten. Die erste von ihnen ist die Empfangsdame aus dem Wartezimmer, die sich in eine Badenixe verwandelt hat. Hoch unter der Monti-Kuppel „schwimmt“ und „taucht“ sie am Vertikaltuch. Oscar verliebt sich in sie, doch aus einem Kuss wird zunächst einmal nichts. Vielmehr entspinnt sich eine wilde und rasante Verfolgungsjagd, in der das ganze Ensemble den vertauschten Schuhen hinterherhetzt.


Baptiste Clerc, Mario Muntwyler, Emma Stones

Gleich noch einmal geht es in die Luft. Am weit ausschwingenden Trapez zeigt Emma Stones (Kanada) Drehsprünge, Pirouetten und Abfaller. Viele „Aaahs“ und „Oohs“ sowie der bis dahin stärkste Applaus sind der verdiente Lohn. Der Großteil der Familie Muntwyler verzichtet dagegen heuer auf direkten Beifall: Vater Johannes kümmert sich um die Umstrukturierung des Unternehmens, seine Lebensgefährtin Armelle Fouqueray betreut das Artistenteam, und der ältere Muntwyler-Sohn Tobias hat den Logistik-Bereich in der Zeltvermietung übernommen. Und so ist heuer nur Mario Muntwyler in der Manege zu erleben. Über die Jahre hat der junge Mann sich zum versierten Jongleur entwickelt und dabei von wechselnden Partnern profitiert. Heuer jongliert er solo – drei Keulen und einen Schuh, dann auch vier, fünf und sieben Keulen. Starker Applaus ist der Lohn. Außergewöhnlich in Szene gesetzt ist die Mastakrobatik des Schweizers Baptist Clerc. Die Hauptrollen, neben kraftvoller Artistik natürlich, spielen hier eine Glühbirne und ein Sessel, welche am Requisit hinauf- und hinanwandern und in die Darbietung einbezogen werden.

 
Aaron Marquise und Olivia Weinstein 

Zwei wundervolle Clownsfiguren geben die beiden US-Amerikaner Aaron Marquise und Olivia Weinstein. Ihre hinreißend komischen Szenen lassen Kinder vor Begeisterung kreischen und bei Erwachsenen die Augen leuchten. Am stärksten in Erinnerung bleibt ihre Parodie auf eine Raubtierdressur mit strenger Dompteuse und einem Raubtier, das zunächst nicht so recht fauchen mag. Also werden die Rollen getauscht. Witzig ist vorher auch die Szene, in der die klein gewachsene Olivia quasi in einen großen Lkw-Reifen „taucht“, wie ein Klappmesser gefaltet darin steckt oder auf dem aufrecht stehenden Reifen balanciert.

 
Jason Bruegger, Ensemble, Emilie Mathieu 

Der Kanadiers Emilie Mathieu wagt bei seiner Einrad-Artistik hohe Sprünge sowie die Fahrt über einen Balken. In „tourbillon“ spielt er so etwas wie den Schurken bei der Schuhjagd. Folgerichtig wird er am Ende aufgehängt wie ein Sack Süßigkeiten im Kinder-Partyspiel „Pinata“, der lateinamerikanischen Variante des Topfschlagens. Die übrigen Ensemblemitglieder hauen mit Schaumstoffstangen auf der menschlichen „Pinata“ herum. Zuvor darf der junge Schweizer Jason Bruegger noch die dritte Luftnummer dieses Programms zeigen, eine kraftvolle und leistungsstarke Arbeit an den Strapaten. Nachdem der Bösewicht gefangen ist und alle Schuhe wieder an den richtigen Füßen stecken, setzt ein zweiter Wirbelwind ein und versetzt alle wieder zurück ins Wartezimmer. Als Schlussnummer lassen sich Oscar alias Jérémie Robert und Stuhlakrobat Charlie Mach mit dem Schleuderbrett in die Luft katapultieren und landen auf einer großen Matte. Nun könnte Oscar eigentlich die geheimnisvolle Tür durchschreiten. Doch diese befindet sich plötzlich eine Etage höher! Auch dieses Hindernis wird schließlich überwunden, und dem ersten Kuss mit der Empfangsdame steht nichts mehr im Wege. So rasant und überraschend, wie der „Monti“ seine Unternehmensstruktur verändert hat, so rasant und überraschend ist auch dieses Programm. Noch dazu sprüht es vor Witz und kreativen Einfällen. Und all dies wird vom sechsköpfigen Orchester unter der Leitung von Piotr Gunia und mit den schwungvollen Originalkompositionen von Lukas Stäger noch unterstrichen.

Tatsächlich hat die Familie Muntwyler ihr Versprechen eingelöst, trotz stark verkürzter Tournee eher noch kunstvoller gestaltete Shows zu präsentieren. Das stimmt schon wieder versöhnlicher mit der Entscheidung, den Tourneebetrieb derart zu reduzieren. Ein völlig hingerissenes Wohlener Publikum, Riesenstimmung unterm fast ausverkauften Chapiteau und Standing Ovations in der Nachmittagsvorstellung seien dafür Beweis genug.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber