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Circus Knie - Tour 2015
www.knie.ch ; 190 Showfotos

Rapperwswil, 26. März 2015: Dieser Mann ist einfach ein Phänomen. 2004 gewann er gemeinsam mit Bruder Guido einen Goldenen Clown in Monte Carlo. Danach sorgten die Fratelli Errani mit ihren Ikarischen Spielen international für Furore. Weltklasse-Akrobaten also. Doch damit nicht genug. Seit einiger Zeit begeistert Maycol Errani im Schweizer Nationalcircus Knie mit großartigen Tierdressuren. Letztes Jahr präsentierte er unter anderem eine einmalige Nummer mit sechs Friesenhengsten. Im neuen Programm nun übertrifft er diese Leistung noch einmal. Insgesamt 28 Pferde vereint er in der Manege.

Er dirigiert diese große Zahl mit solch einer Übersicht und Sicherheit, als habe er nie etwas anderes gemacht. Höhepunkt ist das Karussell auf drei Bahnen. Wie er diese Königsdisziplin der Freiheitsdressur aufbaut und wieder auflöst, ist schlichtweg sensationell. Ein circensischer Hochgenuss, der nie vorbeigehen dürfte. Spätestens jetzt sollten wir uns vor Maycol Errani verneigen. Was er zeigt, ist wirklich phänomenal. Und damit sind wir schon beim Titel der diesjährigen Produktion dieses europäischen Vorzeigeunternehmens. „Phénoménal“ lautet er korrekterweise. Damit folgt Knie der Reihe von französischsprachigen Überschriften für seine Programme. Auch sonst ist bei Knie alles „wie immer“. Artisten des Circustheaters Bingo sorgen für große Bilder, die Musik wurde von Germain Bourque komponiert oder zumindest arrangiert, die Artisten gehören zur Creme de la Creme, und die Familien Knie glänzen mit wunderbaren Tierdressuren. Natürlich entwickelt sich das Programm in diesem Rahmen stets weiter. Die Einlagen von Bingo sind ein ganzes Stück moderner als noch in den Vorjahren, die Artisten sind – bis auf zwei Ausnahmen – erstmalig bei Knie zu sehen und selbstverständlich wurden neue Dressuren einstudiert.


Rob Torres, Willer Nicolodi

Eine prominente Position nehmen bei Knie meist die Komiker ein. Ganz egal, ob Vertreter der Schweizer Comedyszene oder Starclown David Larible im vergangenen Jahr – zumeist bilden sie die Reklamenummer. 2015 ist dies nicht der Fall. Dennoch wurde das komische Fach glänzend besetzt. Rob Torres ist endlich einmal in einem europäischen Tourneeprogramm zu erleben. Der US-Amerikaner mit dem verschmitzten Blick hat stets den Schalk im Nacken. Er ist ein äußerst liebenswürdiger Begleiter durch die Show, der das Publikum immer auf seiner Seite hat. Dessen Applaus bewahrt er sorgsam in einer kleinen Holzkiste auf. So ist er jederzeit abrufbar. Torres hat ein großes Repertoire, wie er nicht zuletzt bei seinen Engagements im Pariser Cirque d'Hiver bewiesen hat. Für Knie hat er daraus bewusst einige Nummern ausgesucht, die harmonieren und eine kleine Geschichte erzählen. Den breitesten Raum nehmen die Auftritte ein, bei denen jongliert wird. Herrlich ist das Tellerdrehen mit einem Jungen aus dem Publikum. Dank Torres' Anleitung und Kreativität wird der Mitspieler zum Manegenstar. Bei den Becherjonglagen muss sich Rob Torres dann alleine beweisen. Auch das ist für ihn ein Kinderspiel. Kommt es zu einer Verletzung, lässt er sich in der Loge verarzten. Ein Kuss auf das betroffene Körperteil genügt, um den Clown wieder arbeitsfähig zu machen. Nicht zuletzt dank seiner umwerfenden Mimik und der Tollpatschigkeit gewinnt er die Herzen der Zuschauer. Ebenfalls ein Vertreter des komischen Fachs ist Willer Nicolodi. Im Alter von zehn Jahren gab er als Artist sein Manegendebüt bei Knie. Inzwischen ist er ein international gefragter Ventriloquist. Auch als solcher trat er bereits im Schweizer Nationalcircus auf. Zuletzt 2007. Waren damals noch Hund Buddha und ein verrückter Vogel seine Partner, ist jetzt der vorlaute Mäuserich Joselito mit von der Partie. Die beiden schenken sich nichts und sorgen somit für Lachsalven unter dem Chapiteau. Perfektioniert hat Nicolodi das Zusammenspiel mit drei Zuschauern, denen er neue Stimmen gibt. Er sucht sich stets die richtigen Mitspieler aus. Dank seiner Professionalität sorgt er dafür, dass sich keiner davon blamiert.


Sheila Nicolodi und Bingo

Als Willer Nicolodi 2007 bei Knie war, konnten wir dort auch Sohn Dustin mit Handstandakrobatik erleben. Nun begleitet ihn Tochter Sheila. Ihre Disziplin ist der Pole Dance. Damit ist sie die Hauptfigur im großen Bild zu Beginn des zweiten Teils. Die Bingo-Mitglieder tanzen gewohnt ausdrucksstark und zeigen Akrobatik an zwei weiteren Masten. Natürlich ist auch ein guter Schuss Erotik dabei, den ganz besonders Sheila Nicolodi verkörpert. Sicher werden wir ihre artistisch versierte Darbietung zukünftig auch wieder im Solo erleben dürfen. Wahrlich futuristisch ist das große Opening mit Bingo. Bis auf eine Artistin sind alle Mitglieder dieses Ensembles aus der Ukraine erstmals bei Knie. Es wird jongliert, es werden Handstände gezeigt, es wird Akrobatik an Tüchern gearbeitet. Auf einem Podest im Vordergrund verbiegt eine Kontorsionisten ihren Körper. Der Clou aber ist, dass die mitwirkenden Artisten fluoriszierende Kostüme tragen. Zudem wird auf Lasereffekte gesetzt. Einzelne Artisten spielen mit den grünen Strahlen. Anderswo eine eigenständige Nummer, bei Knie Bestandteil des Openings. Wie gewohnt, leitet Bingo mit treibenden Beats das Finale ein. Die Musik ist bekannt, Kostüme und Choreographie sind neu.


Mario Berousek, Trio Bellissimo, Anastasia Makeeva

Artistisch wird das Programm von einem guten Bekannten eröffnet. Mario Berousek ist einmal mehr in der Schweiz zu Gast. Als „schnellster Jongleur der Welt“ konzentriert er sich ganz auf silberne Keulen als Requisiten. Natürlich kann er eine Vielzahl davon in der Luft halten. Ihren ganz besonderen Reiz erhält seine Nummer aber, wenn er nur mit drei Keulen jongliert. Diese wirbelt er so schnell durch die Luft, dass das menschliche Auge nicht mehr folgen kann. Faszinierende Bilder entstehen. Ebenfalls schon bei Knie zu sehen war das Trio Bellissimo. Kurzfristig sprangen die drei Ukrainerinnen für den verletzten Cai Yong ein. So dürfen wir beim Gastspiel in Rapperswil ein weiteres Mal die wunderbare Partnerakrobatik der drei äußerst gelenkigen blonden Schönheiten erleben. Zur italienischen Version von „All by myself“ verbinden sie Kontorsion und Handstandakrobatik. Im April und Mai soll dann Andrey Kolotenko mit Equilibristik die Vertretung von Cai Yong übernehmen. Ebenfalls kurzfristig eingesprungen ist Anastasia Makeeva. Nachdem beim Duo Desire of Flight bereits Malvina Abakarova verletzt war, fiel kurz vor der Premiere auch noch Valeriy Sychev aus. Mit Anastasia Makeeva wurde ein wunderbarer Ersatz gefunden. Scheinbar ohne jegliche Anstrengung arbeitet sie an geflochtenen Tüchern hoch unter der Kuppel. Ihre Kür ist sinnlich und riskant zugleich. Eine Kombination wie geschaffen für den Circus. Völlig zu Recht erhielt sie 2014 einen Bronzenen Clown in Monte Carlo.


Trio Stoian, Truppe Sokolov, Fratelli Errani

Beim Festival in Budapest machte das Trio Stoian von sich reden. Dort wurde auch Fredy Knie jun. auf sie aufmerksam. Zwischenzeitlich waren sie unter anderem bei Flic Flac sowie im Amsterdamer Carré-Bau. Die drei Rumänen kommen vom Sport, haben aber schon in vielen Circusmanegen gearbeitet. Fliegerin Corina springt mit traumhafter Sicherheit vom Russischen Barren ab, um nach ihren Sprüngen wieder dort zu landen. Höhepunkt ist der dreifache Salto. Da die Stoians zu dritt arbeiten, gibt es keine Helfer, die rechts und links der Stange absichern. Die beiden Porteure und Corina müssen selbständig für eine erfolgreiche Landung sorgen. Somit wirkt die Darbietung besonders elegant. Unterstützt wird die Wirkung zusätzlich durch neue Kostüme und neue Musik. Artistik am Russischen Barren gab es bei Knie zuletzt 2007. Damals waren The White Crow zu sehen. Noch länger ist es her, dass wir im Schweizer Nationalcircus eine große Schleuderbrett-Truppe erleben konnten (Truppe Kovgar in der Saison 2003). Mit den Sokolov haben wir in dieser Saison wieder das „große“ Vergnügen. Derartige Truppen sind leider selten geworden. Die Sokolov haben ein großes Repertoire. Sie landen ihre gewagten Sprünge auf der Matte, auf Menschentürmen oder auf wackeligen Konstruktionen mit Perchestangen und Sessel auf Stelzen, welche wiederum auf einem horizontalen Balken stehen. Des weiteren springen sie mit Stelzen an den Beinen. Der Clou ist aber ihre Aufmachung. Wolfgang Amadeus Mozart und Zeitgenossen sind es, die hier eine Schleuderbrett-Nummer zeigen. Perücken, Schminke und Kleidung setzen dieses Thema um, ebenso wie Musik und Gestik. In der Tat sehr ungewöhnlich, aber durchaus wirkungsvoll. Einem Schleuderbrett ähnlich ist das diesjährige Requisit der Fratelli Errani. Ihre Artistik auf der Koreanischen Wippe wollten sie eigentlich bereits im letzten Programm zeigen. Durch eine Verletzung von Wioris wurde aber eine Verschiebung notwendig. So sehen wir ihre dynamische Choreographie in Rot und Weiß eben in diesem Jahr. Es geht Schlag auf Schlag. Oder besser: Sprung auf Sprung. Maycol, Wioris und Guido katapultieren sich gegenseitig in die Luft und drehen dabei ihre Salti sowie weiteren Figuren. Es ist eine ungeheuer mitreißende Nummer.


Mary-José Knie, Ivan Frédéric Knie, Linna Knie-Sun

Die Tiernummern der Familien Knie sind in drei Blöcke aufgeteilt. Es beginnen Fredy Knie jun., Mary-José Knie und ihr Enkel Ivan Frédéric. Mary-José Knie präsentiert zu einem französischen Chanson zwei Palominos und ein Miniature Horse. Dieser stilvolle Auftakt ist vor allen Dingen schön anzusehen und sehr stimmungsvoll. Erstmalig in der Show zu erleben sind vier Andalusier, die unter Anleitung von Fredy Knie jun. zeigen, was sie bereits gelernt haben. Die Pferde im Alter von drei und vier Jahren laufen ruhig zu gedämpfter Musik. Ihr Ausbilder erklärt ruhig über Mikrofon, wie seine Schützlinge auf die bereits gelernten Kommandos reagieren. Volle Lautstärke dann wieder bei der Hohen Schule von Ivan Frédéric. Mitreißende spanische Rhythmen begleiten seine ausgefeilte und selbstbewusst vorgetragene Reiterei. Einen besonderen Akzent setzt eine Senorita im roten Kleid, die gemeinsam mit Pferd und Reiter einen feurigen Tanz auf dem Sägemehl zelebriert. Es ist eine ausgefeilte Choreographie, die die bemerkenswerte Entwicklung von Ivan Frédéric dokumentiert. Der zweite Block besteht im Kern aus dem großen Karussell. Es geht los mit einem Zwölferzug von Friesen und weißen Arabern. Immer mehr Tiere gesellen sich dazu, bis sich 28 Pferde auf drei Bahnen im Gegenlauf durch die Manege bewegen. Damit nicht genug. Auf der Piste laufen dazu vier Ponys. In Kürze sollen es gar acht werden. Gar nicht mehr unbedingt gebraucht hätte ich den zusätzlichen Effekt: Alle Pferde tragen leuchtende Geschirre, die während des Karussells angehen. Viel spektakulärer finde ich den Aufbau des große Tableaus und seine Auflösung. Schon hier zeigt Maycol Errani herrliche Abläufe. Seine Ehefrau Géraldine Katharina Knie dirigiert drei lebhafte Korbpferde und verschiedene Steiger. Eine schöne Ergänzung dieser Show in der Show, die von beider Tochter Chanel Marie abgerundet wird. Sie hat sich in diesem Jahr zwei Ponys als Manegenpartner ausgesucht. Diese leitet sie zu Steigern an oder sitzt auf dem Rücken eines Tieres, während es auf den Hinterbeinen läuft. Im Vergleich zum Vorjahr neue Tricks in neuer Zusammenstellung kennzeichnen die Vorführung der drei indischen Elefanten durch Franco Knie jun., seine Frau Linna und beider Sohn Chris Rui. Letzterer ist natürlich Publikumsliebling. Er genießt seinen Auftritt sichtlich. Etwa wenn er von Zuschauern eine Zahl erfragt, die einer der Dickhäuter dann auf einer Trommel klopft. Schöne Bilder ergeben sich bei der von zwei Elefanten gehaltenen Schaukel für Linna Knie oder der Laufarbeit. Dort beweisen die drei schwergewichtigen Damen, dass auch Elefanten flechten können.

Wie gewohnt wird das Finale wieder zu einem großen Fest. Natürlich sind alle Mitwirkenden dabei, um sich im bunten Regen aus farbigen Papierschnipseln zu verabschieden. Im Mittelpunkt stehen strahlend die Mitglieder der Familie Knie. Die Schlussworte übernimmt Géraldine Katharina Knie. Sie hat zudem gemeinsam mit ihrem Ehemann die Artisten ausgewählt und Regie geführt. Abschließend sei noch das gewohnt großartige Lichtdesign gewürdigt. Dieses trägt, genauso wie das Orchester unter der Leitung von Ruslan Fil, enorm zum großartigen Gesamterlebnis bei. Minutenlange Standing Ovations bei der Premiere in Rapperswil sprechen für sich.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch