Er
dirigiert diese große Zahl mit solch einer Übersicht und Sicherheit,
als habe er nie etwas anderes gemacht. Höhepunkt ist das Karussell auf
drei Bahnen. Wie er diese Königsdisziplin der Freiheitsdressur aufbaut
und wieder auflöst, ist schlichtweg sensationell. Ein circensischer
Hochgenuss, der nie vorbeigehen dürfte. Spätestens jetzt sollten wir
uns vor Maycol Errani verneigen. Was er zeigt, ist wirklich phänomenal.
Und damit sind wir schon beim Titel der diesjährigen Produktion dieses
europäischen Vorzeigeunternehmens. „Phénoménal“ lautet er
korrekterweise. Damit folgt Knie der Reihe von französischsprachigen
Überschriften für seine Programme. Auch sonst ist bei Knie alles „wie
immer“. Artisten des Circustheaters Bingo sorgen für große Bilder, die
Musik wurde von Germain Bourque komponiert oder zumindest arrangiert,
die Artisten gehören zur Creme de la Creme, und die Familien Knie
glänzen mit wunderbaren Tierdressuren. Natürlich entwickelt sich das
Programm in diesem Rahmen stets weiter. Die Einlagen von Bingo sind ein
ganzes Stück moderner als noch in den Vorjahren, die Artisten sind –
bis auf zwei Ausnahmen – erstmalig bei Knie zu sehen und
selbstverständlich wurden neue Dressuren einstudiert.
Rob Torres, Willer Nicolodi
Eine
prominente Position nehmen bei Knie meist die Komiker ein. Ganz egal,
ob Vertreter der Schweizer Comedyszene oder Starclown David Larible im
vergangenen Jahr – zumeist bilden sie die Reklamenummer. 2015 ist dies
nicht der Fall. Dennoch wurde das komische Fach glänzend besetzt. Rob
Torres ist endlich einmal in einem europäischen Tourneeprogramm zu
erleben. Der US-Amerikaner mit dem verschmitzten Blick hat stets den
Schalk im Nacken. Er ist ein äußerst liebenswürdiger Begleiter durch
die Show, der das Publikum immer auf seiner Seite hat. Dessen Applaus
bewahrt er sorgsam in einer kleinen Holzkiste auf. So ist er jederzeit
abrufbar. Torres hat ein großes Repertoire, wie er nicht zuletzt bei
seinen Engagements im Pariser Cirque d'Hiver bewiesen hat. Für Knie hat
er daraus bewusst einige Nummern ausgesucht, die harmonieren und eine
kleine Geschichte erzählen. Den breitesten Raum nehmen die Auftritte
ein, bei denen jongliert wird. Herrlich ist das Tellerdrehen mit einem
Jungen aus dem Publikum. Dank Torres' Anleitung und Kreativität wird der
Mitspieler zum Manegenstar. Bei den Becherjonglagen muss sich Rob
Torres dann alleine beweisen. Auch das ist für ihn ein Kinderspiel.
Kommt es zu einer Verletzung, lässt er sich in der Loge verarzten. Ein
Kuss auf das betroffene Körperteil genügt, um den Clown wieder
arbeitsfähig zu machen. Nicht zuletzt dank seiner umwerfenden Mimik und
der Tollpatschigkeit gewinnt er die Herzen der Zuschauer. Ebenfalls ein
Vertreter des komischen Fachs ist Willer Nicolodi. Im Alter von zehn
Jahren gab er als Artist sein Manegendebüt bei Knie. Inzwischen ist er
ein international gefragter Ventriloquist. Auch als solcher trat er
bereits im Schweizer Nationalcircus auf. Zuletzt 2007. Waren damals
noch Hund Buddha und ein verrückter Vogel seine Partner, ist jetzt der
vorlaute Mäuserich Joselito mit von der Partie. Die beiden schenken
sich nichts und sorgen somit für Lachsalven unter dem Chapiteau.
Perfektioniert hat Nicolodi das Zusammenspiel mit drei Zuschauern,
denen er neue Stimmen gibt. Er sucht sich stets die richtigen
Mitspieler aus. Dank seiner Professionalität sorgt er dafür, dass sich
keiner davon blamiert.
Sheila
Nicolodi und Bingo
Als
Willer Nicolodi 2007 bei Knie war, konnten wir dort auch Sohn Dustin
mit Handstandakrobatik erleben. Nun begleitet ihn Tochter Sheila. Ihre
Disziplin ist der Pole Dance. Damit ist sie die Hauptfigur im großen
Bild zu Beginn des zweiten Teils. Die Bingo-Mitglieder tanzen gewohnt
ausdrucksstark und zeigen Akrobatik an zwei weiteren Masten. Natürlich
ist auch ein guter Schuss Erotik dabei, den ganz besonders Sheila
Nicolodi verkörpert. Sicher werden wir ihre artistisch versierte
Darbietung zukünftig auch wieder im Solo erleben dürfen. Wahrlich
futuristisch ist das große Opening mit Bingo. Bis auf eine Artistin
sind alle Mitglieder dieses Ensembles aus der Ukraine erstmals bei
Knie. Es wird jongliert, es werden Handstände gezeigt, es wird
Akrobatik an Tüchern gearbeitet. Auf einem Podest im Vordergrund
verbiegt eine Kontorsionisten ihren Körper. Der Clou aber ist, dass die
mitwirkenden Artisten fluoriszierende Kostüme tragen. Zudem wird auf
Lasereffekte gesetzt. Einzelne Artisten spielen mit den grünen
Strahlen. Anderswo eine eigenständige Nummer, bei Knie Bestandteil des
Openings. Wie gewohnt, leitet Bingo mit treibenden Beats das Finale
ein. Die Musik ist bekannt, Kostüme und Choreographie sind neu.
Mario Berousek, Trio Bellissimo,
Anastasia Makeeva
Artistisch
wird das Programm von einem guten Bekannten eröffnet. Mario Berousek
ist einmal mehr in der Schweiz zu Gast. Als „schnellster Jongleur der
Welt“ konzentriert er sich ganz auf silberne Keulen als Requisiten.
Natürlich kann er eine Vielzahl davon in der Luft halten. Ihren ganz
besonderen Reiz erhält seine Nummer aber, wenn er nur mit drei Keulen
jongliert. Diese wirbelt er so schnell durch die Luft, dass das
menschliche Auge nicht mehr folgen kann. Faszinierende Bilder
entstehen. Ebenfalls schon bei Knie zu sehen war das Trio Bellissimo.
Kurzfristig sprangen die drei Ukrainerinnen für den verletzten Cai Yong
ein. So dürfen wir beim Gastspiel in Rapperswil ein weiteres Mal die wunderbare Partnerakrobatik der
drei äußerst gelenkigen blonden Schönheiten erleben. Zur italienischen
Version von „All by myself“ verbinden sie Kontorsion und
Handstandakrobatik. Im April und Mai soll dann Andrey Kolotenko mit
Equilibristik die Vertretung von Cai Yong übernehmen. Ebenfalls
kurzfristig eingesprungen ist Anastasia Makeeva. Nachdem beim Duo
Desire of Flight bereits Malvina Abakarova verletzt war, fiel kurz vor
der Premiere auch noch Valeriy Sychev aus. Mit Anastasia Makeeva wurde
ein wunderbarer Ersatz gefunden. Scheinbar ohne jegliche Anstrengung
arbeitet sie an geflochtenen Tüchern hoch unter der Kuppel. Ihre Kür
ist sinnlich und riskant zugleich. Eine Kombination wie geschaffen für
den Circus. Völlig zu Recht erhielt sie 2014 einen Bronzenen Clown in
Monte Carlo.
Trio Stoian, Truppe Sokolov, Fratelli
Errani
Beim
Festival in Budapest machte das Trio Stoian von sich reden. Dort wurde
auch Fredy Knie jun. auf sie aufmerksam. Zwischenzeitlich waren sie
unter anderem bei Flic Flac sowie im Amsterdamer Carré-Bau. Die drei
Rumänen kommen vom Sport, haben aber schon in vielen Circusmanegen
gearbeitet. Fliegerin Corina springt mit traumhafter Sicherheit vom
Russischen Barren ab, um nach ihren Sprüngen wieder dort zu landen.
Höhepunkt ist der dreifache Salto. Da die Stoians zu dritt arbeiten,
gibt es keine Helfer, die rechts und links der Stange absichern. Die
beiden Porteure und Corina müssen selbständig für eine erfolgreiche
Landung sorgen. Somit wirkt die Darbietung besonders elegant.
Unterstützt wird die Wirkung zusätzlich durch neue Kostüme und neue
Musik. Artistik am Russischen Barren gab es bei Knie zuletzt 2007.
Damals waren The White Crow zu sehen. Noch länger ist es her, dass wir
im Schweizer Nationalcircus eine große Schleuderbrett-Truppe erleben
konnten (Truppe Kovgar in der Saison 2003). Mit den Sokolov haben wir
in dieser Saison wieder das „große“ Vergnügen. Derartige Truppen sind
leider selten geworden. Die Sokolov haben ein großes Repertoire. Sie
landen ihre gewagten Sprünge auf der Matte, auf Menschentürmen oder auf
wackeligen Konstruktionen mit Perchestangen und Sessel auf Stelzen,
welche wiederum auf einem horizontalen Balken stehen. Des weiteren
springen sie mit Stelzen an den Beinen. Der Clou ist aber ihre
Aufmachung. Wolfgang Amadeus Mozart und Zeitgenossen sind es, die hier
eine Schleuderbrett-Nummer zeigen. Perücken, Schminke und Kleidung
setzen dieses Thema um, ebenso wie Musik und Gestik. In der Tat sehr
ungewöhnlich, aber durchaus wirkungsvoll. Einem Schleuderbrett ähnlich
ist das diesjährige Requisit der Fratelli Errani. Ihre Artistik auf der
Koreanischen Wippe wollten sie eigentlich bereits im letzten Programm
zeigen. Durch eine Verletzung von Wioris wurde aber eine Verschiebung
notwendig. So sehen wir ihre dynamische Choreographie in Rot und Weiß
eben in diesem Jahr. Es geht Schlag auf Schlag. Oder besser: Sprung auf
Sprung. Maycol, Wioris und Guido katapultieren sich gegenseitig in die
Luft und drehen dabei ihre Salti sowie weiteren Figuren. Es ist eine
ungeheuer mitreißende Nummer.
Mary-José Knie,
Ivan Frédéric Knie, Linna Knie-Sun
Die
Tiernummern der Familien Knie sind in drei Blöcke aufgeteilt. Es
beginnen Fredy Knie jun., Mary-José Knie und ihr Enkel Ivan Frédéric.
Mary-José Knie präsentiert zu einem französischen Chanson zwei Palominos und ein Miniature Horse. Dieser stilvolle Auftakt ist vor
allen Dingen schön anzusehen und sehr stimmungsvoll. Erstmalig in der Show
zu erleben sind vier Andalusier, die unter Anleitung von Fredy Knie
jun. zeigen, was sie bereits gelernt haben. Die Pferde im Alter von
drei und vier Jahren laufen ruhig zu gedämpfter Musik. Ihr Ausbilder
erklärt ruhig über Mikrofon, wie seine Schützlinge auf die bereits
gelernten Kommandos reagieren. Volle Lautstärke dann wieder bei der
Hohen Schule von Ivan Frédéric. Mitreißende spanische Rhythmen
begleiten seine ausgefeilte und selbstbewusst vorgetragene Reiterei.
Einen besonderen Akzent setzt eine Senorita im roten Kleid, die
gemeinsam mit Pferd und Reiter einen feurigen Tanz auf dem Sägemehl
zelebriert. Es ist eine ausgefeilte Choreographie, die die
bemerkenswerte Entwicklung von Ivan Frédéric dokumentiert. Der zweite
Block besteht im Kern aus dem großen Karussell. Es geht los mit einem
Zwölferzug von Friesen und weißen Arabern. Immer mehr Tiere gesellen
sich dazu, bis sich 28 Pferde auf drei Bahnen im Gegenlauf durch die
Manege bewegen. Damit nicht genug. Auf der Piste laufen dazu vier
Ponys. In Kürze sollen es gar acht werden. Gar nicht mehr unbedingt
gebraucht hätte ich den zusätzlichen Effekt: Alle Pferde tragen
leuchtende Geschirre, die während des Karussells angehen. Viel
spektakulärer finde ich den Aufbau des große Tableaus und seine
Auflösung. Schon hier zeigt Maycol Errani herrliche Abläufe. Seine
Ehefrau Géraldine Katharina Knie dirigiert drei lebhafte Korbpferde und
verschiedene Steiger. Eine schöne Ergänzung dieser Show in der Show,
die von beider Tochter Chanel Marie abgerundet wird. Sie hat sich in
diesem Jahr zwei Ponys als Manegenpartner ausgesucht. Diese leitet sie
zu Steigern an oder sitzt auf dem Rücken eines Tieres, während es auf
den Hinterbeinen läuft. Im Vergleich zum Vorjahr neue Tricks in neuer
Zusammenstellung kennzeichnen die Vorführung der drei indischen
Elefanten durch Franco Knie jun., seine Frau Linna und beider Sohn
Chris Rui. Letzterer ist natürlich Publikumsliebling. Er genießt seinen
Auftritt sichtlich. Etwa wenn er von Zuschauern eine Zahl erfragt, die
einer der Dickhäuter dann auf einer Trommel klopft. Schöne Bilder
ergeben sich bei der von zwei Elefanten gehaltenen Schaukel für Linna
Knie oder der Laufarbeit. Dort beweisen die drei schwergewichtigen
Damen, dass auch Elefanten flechten können.
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