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Zirkus Nemo - Tour 2014
www.zirkusnemo.dk ; 75 Showfotos

Odense, 6. September 2014: Dieser Mann ist einfach einfach ein Phänomen. Er ist Circusdirektor, Comedian, Schauspieler, Autor, Regisseur und vor der Vorstellung verkauft er auch noch höchstselbst Programmhefte. Vermutlich ist die Aufstellung so nicht vollständig. Søren Østergaard ist in den verschiedensten Rollen zu erleben. Am meisten liebt das Publikum aber die, die er auf der Bühne seines Zirkus Nemo ausfüllt. Und schon das ist mehr als eine. Agierte er eben noch als verschrobener Bauchredner, brutzelt er im nächsten Augenblick als Frühstücksspeck in einer überdimensionalen Pfanne.

Im Grunde könnte Østergaard viele seiner Comedy-Nummern auf der Bühne zeigen, also eine Theater-Tournee machen. Doch der Tausendsassa ist vor allen Dingen eins - ein großer Circusliebhaber. Die meisten seiner Sketche sind feine Parodien auf Darbietungen aus dem klassischen Circus. Er hat hier genau beobachtet und subtil umgesetzt. Die Auswahl der engagierten Artisten beweist einmal mehr, dass er sich auskennt in der Szene und weiß, welche Acts in seine Show passen. Sogar Wildtiere sind in diesem Jahr dabei. Last not least legt er Wert auf ein circensisches Ambiente. Hier herrschen die Farben Rot und Schwarz vor. Die Kasse ist in einem winzigen Anhänger untergebracht, die Schrift darauf erscheint im Verhältnis dazu überdimensioniert. Die gemütlichen Szenen vor den wunderbaren Wohnwagen mit Blumentöpfen und Sitzgelegenheiten zeichnen ein Idyll. Das in den letzten Jahren eingesetzte Zwei-Mast Chapiteau war gemietet. Ab der Saison 2015 wir dann ein eigener Viermaster eingesetzt, wie Østergaard nach der Vorstellung mit sichtlich Freude erzählt.


Søren Østergaard

Natürlich steht Søren Østergaard auch im Mittelpunkt des Geschehens auf der einer Manege nachempfundenen Rundbühne. Die meisten der Figuren, die er personifiziert, sind bekannt. Wobei Bager Jørgen einen schlimmen Unfall gehabt haben muss, wie wir nur erahnen können. Denn natürlich läuft die Vorstellung auf Dänisch. Und Østergaard redet viel. Die Gagdichte ist nahezu schwindelerregend, die Stimmung unter dem Chapiteau entsprechend ausgelassen. Wenn sich eine der Figuren aber so richtig in Rage redet, wird die Sprache zur Nebensache. Auch als des Dänischen Unkundiger kann man gar nicht anders, als aus vollem Halse mitzulachen. Zudem sind Mimik, Gestik, Kostüme und die vielen non-verbalen Einfälle ebenso genial. Im Fall des übel zugerichteten Bäckers übernehmen letztendlich die Artisten in entsprechendem Outfit beim Finale die Rolle als Bäcker. Østergaard nutzt die Zeit, um in die nächste Verkleidung zu springen und als Reiter samt Pferd aufzutreten. Ins Opening integriert er gleich mal eine Dressur von zwei Kugelgrills. Einen Augenblick später mischt er sich in komplett neuer Aufmachung unter die restlichen Mitwirkenden. Als Bauchredner ramponiert er seine Puppe mit wenigen Handgriffen, nur das Mundwerk arbeitet noch. "Zufällig" rutscht der plappernde Mund unter die Gürtellinie. Wobei diese für Østergaards Humor ohnehin keine Grenze darstellt. Wo der Human Slinky - ebenfalls Teil des Openings - seine Hände hat, kann man sich denken.


Captain Frodo

Traditionell stellt sich der Direktor einen Sketchpartner zur Seite. In diesem Jahr ist es Captain Frodo. Den Norweger qualifiziert schon sein Äußeres für den Part. Aber darauf darf man ihn nicht reduzieren, ist er doch auch ein genialer Komiker und Artist. Letzteres beweist er bei seinen Original-Acts. Zum Einen stapelt er einen Turm aus immer kleiner werdenden Eimern und Dosen. Am Ende setzt er sich auf die Spitze und klemmt die Beine hinter den Kopf. Zum Anderen zwängt er sich durch die Rahmen zweier Tennisschläger. Die zum Brüllen komischen Erläuterungen dazu gibt er auf Englisch. Somit ist auch für uns der Spaß perfekt. Das Genre der Illusionen ist ein bei Nemo des Öfteren persifliertes. Captain Frodo gibt im Solo den orientalischen Magier. Gemeinsam erleben wir ihn und Søren Østergaard als typische Zauberer mit Taube und Zauberstab. Herrlich ihre Westernshow vor der Pause und der Auftritt als Seelöwen direkt danach. Gekonnt witzig imitieren sie eine "echte" Seelöwennummer.


Ingo Stiebner, Claudius Specht, Azzario Sisters

Eine solche folgt dank Ingo Stiebner und seinen beiden Tieren auf den Fuß. Diese Darbietung passt natürlich perfekt ins Programm, sind die Seelöwen doch selbst geborene Komiker. Lola und Lappy zeigen ihre Kunststücke nämlich am liebsten genau dann, wenn Ingo Stiebner gerade nicht hinsieht. Auch der dicke Schmatzer, den sie ihm im Doppelpack verpassen, scheint so gar nicht im Sinne ihres Trainers zu sein. Nichtsdestotrotz sind die gezeigten Tricks vom Feinsten. Kein Wunder also, dass wir Stiebner und seine Tiere nicht zum ersten Mal bei Nemo sehen. Die Karriere vom Jugendcircus zu Engagements in den großen Häusern hat Claudius Specht sehr erfolgreich absolviert. Flic Flac, Knie, Conelli und der Tigerpalast sind nur einige der Stationen. In diesem Jahr nun also Nemo. Der hochgewachsene Schweizer jongliert sehr versiert mit Keulen, welche effektvoll von einer über die Bühne fahrenden Kiste ausgespuckt werden. Eine Rarität ist das Spiel mit silbernen Bechern. Zur artistischen Leistung kommt die äußerst sympathische Art der Präsentation. Es passt einfach alles. "Respecht!", wie das Programmheft kommentiert. Ihre Europa-Derniere geben die Azzario-Sisters, werden sie doch nach den folgenden Engagements in den USA ihre gemeinsame Karriere beenden. So genießen wir ihre außergewöhnlich starke Hand-auf-Hand- sowie Hand-auf-Kopf-Artistik noch einmal ganz besonders. Und ein Genuss ist die Nummer im spanischen Stil von Katie und Quincy immer wieder aufs Neue.


Entree

Begleitet werden die Azzarios von der fünfköpfigen Band, die hier traditionell in kurzen Hosen spielt. Die Musiker tragen ebenfalls zur fantastischen Stimmung unter der Kuppel bei. So tobt das Publikum zum Finale und feiert die Mitwirkenden mit tosendem Applaus. Wir teilen diesen uneingeschränkt, haben wir doch von Anfang bis Ende eine außerordentlich begeisternde, mitreißende Show erlebt. Hier sind Könner mit größtem Enthusiasmus am Werk. Allen voran natürlich Søren Østergaard. Respekt vor seiner enormen Energie, seiner bewundernswerten Kreativität und seiner unendlichen Leidenschaft für den Circus.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch