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Circus Herman Renz - Tour 2014
www.renz.nl ; 90 Showfotos

Arnhem, 1. Mai 2014: Kein Chapiteau, keine Wohnwagenstadt. Dort, wo ich den Circus Herman Renz erwartete, ist nur ein leerer Parkplatz. Dann die Erkenntnis, in der ganzen Stadt bislang noch kein einziges Plakat gesehen zu haben. Habe ich mich etwa im Datum geirrt? Ein Blick auf die Website bringt Gewissheit: Der Zeitpunkt passt, geändert hat sich hingegen der Standort. Statt prominent am Gelredome steht das Unternehmen dieses Jahr etwas versteckter an der Rijnhal. Das liegt schlichtweg daran, dass sämtliche Vorstellungen in Arnhem komplett verkauft sind.

Da braucht es keinen vergleichsweise teuren Standort, der gute Sichtbarkeit garantiert, wie Pressesprecher Mathjis te Kiefte erklärt. Auch auf Werbung kann verzichtet werden. Der Absatz der Tickets liegt in der Verantwortung des Partners. So wird der Circus Herman Renz einen guten Teil seiner Tournee 2014 bestreiten. In einer Stadt wird auf eigene Rechnung gespielt, in der nächsten sind die Shows verkauft. Das unternehmerische Risiko wird somit deutlich gemindert. Nicht die schlechteste Strategie in einer Zeit, in denen das Publikum insgesamt nicht mehr in Massen in die Chapiteaus strömt.


Chapiteau

Der ganze Stolz des Niederländischen Nationalcircus ist das neue Spielzelt, welches zu Beginn der Tournee in Betrieb genommen wurde. Es ist in den Hausfarben Rot-Blau gehalten und hat eine spitze, achteckige Kuppel. Gefertigt wurde es in Italien von Scola Teloni. Der Durchmesser ist geringer als beim Vorgänger, was im Inneren für eine kompaktere Atmosphäre sorgen soll. Das zugehörige Gradin besteht aus sieben Reihen mit blauen Schalensitzen. Rund um die ebenfalls neue, beleuchtete Piste stehen zudem zwei Stuhlreihen in den Logen. Interessant ist der seitlich platzierte, ebenerdige Haupteingang. Diese ungewöhnliche Anordnung hat einen plausiblen Grund: So werden die besten Plätze mit frontalem Blick auf das Geschehen nicht verschenkt, erläutert te Kiefte.


Finale

Und dieses Geschehen, sprich die Produktion 2014, steht unter dem Titel „Miracles“. Es geht darin um die unzähligen Wunder, die der Circus wahr werden lässt. Viel Konfetti ist im Einsatz, um diese Magie zu transportieren. Vom Opening bis zum Finale wird die Rahmenhandlung mitgeführt, ohne dass sie die Aufführung dominiert. So kennen wir das vom Circus Herman Renz. Es macht auch das besondere Flair dieses Unternehmens aus. Für die Entwicklung und die Umsetzung ist ebenfalls Mathijs te Kiefte verantwortlich. Seine „Winterbeschäftigung“, wie er es nennt. Gemeinsam mit seinem Bruder hat er sich um Musik, Kostüme, Licht, Abläufe und die Gesamtidee gekümmert. Für die hervorragende musikalische Begleitung sorgt einmal mehr das Orchester unter der Leitung von Robert Rzeznik. Die umfangreiche Lichtanlage wird wiederum sehr professionell eingesetzt. Auffällig ist zudem die große Anzahl neuer Kostüme. Für die Ballettszenen gibt es neue Kleider, und auch bei Opening sowie Finale tragen alle Mitwirkenden aufeinander abgestimmte Kostüme. Wunderbar! Dankenswerterweise begleitet uns wieder ein Sprechstallmeister durch die Show. Nachdem lange Zeit Robert Ronday den Monsieur Loyal gegeben hat, wird dieser Part jetzt von Mathijs te Kiefte übernommen. Im gelb-lila gehaltenen Frack wirkt der hoch aufgeschossene Mann wie ein Ringmaster bei Ringling. Allerdings sind seine Einsätze deutlich dezenter. Seine Ansagen sind recht knapp, das sympathische Auftreten dürfte für meinen Geschmack noch etwas an Präsenz zulegen.


Gabriella Mihalyi, Pascalino, Michel Jarz

Im Opening geben die Akteure Kostproben ihres Könnens. Dabei wird der gesamte Raum bestens genutzt. Die einzelnen Artisten erscheinen im Sägemehl, in der Luft, auf der Piste und im Zuschauerraum. Immer wenn der Spot sie erfasst, präsentieren sie sich, begleitet von einem Konfettiregen. Während des Auftakts ist das Drahtseil bereits gespannt. Für die erste Nummer wird Gabriella Mihalyi darauf im roten Kleid und mit reicht verziertem Fächer als Hilfe zur Tänzerin. Zum Schluss balanciert sie auf einem massiven Holzstuhl sitzend. Nachdem Frenky (Jan Plug) und Milko jahrelang ein eingeschworenes Team bildeten, hat das Direktionsmitglied jetzt einen neuen Clownspartner gefunden. Jan Plug hat das Unternehmen verlassen, um für den Veranstalter der Weihnachtscircusse in Utrecht und Amsterdam zu arbeiten. Gefolgt ist ihm Pascal de Boer, kurz Pascalino. Diesen konnte man davor unter anderem beim ebenfalls in den Niederlanden reisenden Circus Renz International sehen. Zunächst führt er sechs Laufenten vor. Dann kommt Michel Jarz mit sechs gefleckten Tinkerpferden, nach denen wiederum sechs Ponies in die Manege stürmen. Alle Vierbeiner stammen vom schwedischen Cirkus Olympia. Natürlich bewegen sich die vergleichsweise robusten Pferde nicht so elegant wie etwa Araber, trotzdem beherrschen sie ein interessantes Trickrepertoire. Und sie sind eben mal „was anderes“.


Yuri Caveagna, Lester Sisters, Trio Bokafi

Vier in Schwarz gekleidete Artistinnen bilden den Ballett-Auftakt zu Yuri Caveagnas Rola-Rola-Darbietung. Dabei stapelt er sowohl Bretter als auch Rollen. Auf acht Brettern übereinander, die auf einer Rolle liegen, hält er sich genauso im Gleichgewicht wie auf einem Turm aus acht Rollen. Nachdem Pasacalino mit zwei Zuschauern Motorrad gefahren ist, lassen die Lester Sisters Tücher und Bälle tanzen. Sie nutzen dafür ihre Füße, womit wir bei der Disziplin der Antipodenspiele angekommen sind. Beim originellen Schlusstrick balanciert eine der dunkelhaarigen Schwestern die andere auf den Füßen, während sie auf den noch freien Extremitäten Tücher rotieren lassen. Mathijs te Kiefte hat sodann die undankbare Aufgabe, Milko zu erklären, dass das Musizieren hier verboten ist. Letztendlich zerstört er Milkos Spieluhr und lässt sie in einem Mülleimer verschwinden. Was passiert, als Milko dessen Deckel öffnet, ist bekannt. Mit einem neuen Fänger ist das inzwischen rein männliche Trio Bokafi am Start. Auch ihre Artistik am Schleuderbrett sowie die Handvoltigen haben sich weiterentwickelt. So wird jetzt einer der Sprünge in einem auf einer Perchestange angebrachten Stuhl gelandet. Höhepunkt ist der Dreifache. Traten die Bokafi in Hose und Sakko auf, erscheinen Milko und Pascalino in typisch osteuropäischem Schleuderbrett-Outfit. Wenig Artistik ist bei den beiden im Spiel, dafür umso mehr Folklore und Spaß. Am Ende steht Milko ohne Oberteil da. Die Lage darunter verkündet die nun folgende Pause.


Duo Chanty, Pascalino und Milko, Suellen Sforzi

Riskante Stunts mit Messern und Armbrüsten präsentiert das Duo Chanty. Yuri Caveagna beweist darin, dass er nicht nur einen ausgeprägten Gleichgewichtssinn hat, sondern ebenfalls über eine hohe Zielsicherheit verfügt. Wagemutige Partnerin ist seine Ehefrau Veronica Fusco. Sie hält mit dem Mund einen Luftballon, den Yuri per Pfeil zerschießt. Oder sie steht am sich drehenden Messerbrett, während rechts und links von ihr die Messer einschlagen. Was diese wunderbaren Artisten können, beherrschen Milko und Pascalino natürlich schon längst. Die beiden Cowboys ziehen es allerdings vor, einen Herrn aus dem Publikum ans Messerbrett zu stellen. Da diesem die Augen verbunden werden, landen die Messer sicher im Ziel, auch wenn Milko vielleicht nicht ganz so zielsicher ist. Die Tänzerinnen in bunten Kleidern leiten über zu Suellen Sforzi, die von zwei Artisten auf Händen getragen wird. Die Italienerin ist eine der prominentesten Vertreterinnen der Sparte „Kontorsion“. Mit gewinnendem Lächeln verbiegt sie ihren Körper in die unglaublichsten Richtungen. Das Aufsetzen von Brille und Hut mit den Füßen fehlt dabei ebenso wenig wie der Schuss mit einem Bogen auf einen Luftballon.


Dan Laurentiu, Almost Brothers, Duo Exxtrem

Nachdem Milko und Pascalino einen aufgeblasenen Gummihandschuh „gemolken“ haben, entführt uns das Ballett nach Südamerika. Dort sind die Papageien zu Hause, die Dan Laurentiu mitbringt. Sechs große Aras und viele kleinere gelbe Papageien geben ein herrliches Bild ab. Außerdem beherrschen sie ein exzellentes Trickrepertoire. Auf Requisiten wie Plastikautos oder Roller wird verzichtet. Stattdessen erleben wir die Vögel etwa in wunderschönen Flugsequenzen. Es wird dabei schnell klar, dass Laurentiu offensichtlich ein Schüler von Alessio (Fochesato) ist. Seine Darbietung gleicht jener, die wir 2013 bei Knie sehen konnten. Eingerahmt von clownesken Einlagen wirbeln die Almost Brothers über den Manegenteppich. In Hemd, Weste und Fliege verlegen zwei Mitglieder der Bokafi das Geschehen nach New York. Rasant geht es zu bei dieser Partnerakrobatik, die sie immer mit einem Augenzwinkern sowie tänzerischem Können präsentieren. Sozusagen noch Trockenübungen zeigt derzeit das Duo Exxtrem an den Strapaten. Bei der Saisonpremiere verlor ihr von Flic Flac bekanntes Bassin so viel Wasser, dass es gerade einer umfangreichen Reparatur unterzogen wird. So erleben wir Julia Pleno und Mehmed Mehmedov aktuell in knappen Outifts nur in der Luft, nicht aber im Wasser. Nichtsdestotrotz bilden sie auch so eine sehr attraktive Schlussnummer.

Das Finale ist bewusst knapp und ohne Zugaben gehalten. Dafür ist es dank herrlicher Kostüme, passender Musik und fulminantem Lichtdesign großzügig aufgemacht. Schließlich soll der letzte Eindruck ein bleibender sein. Das gelingt Herman Renz auch 2014 wieder. Mag die Show nicht ganz so prominent besetzt sein, wie das noch vor einigen Jahren der Fall war, bleibt sich der Niederländische Nationalcircus treu. Mit sympathischen Artisten sowie einer geschmackvoll konzipierten und aufwendig umgesetzten Show. Diese Circus Herman Renz bleibt einfach durch und durch liebenswert.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch