Es
gab und gibt die Weihnachtsproduktionen. Es gab die Show „Exxtrem“,
welche allerdings gemeinsam mit einem Partner realisiert wurde. Nun
also wieder Flic Flac pur. 25 Jahre nach der Gründung durch Benno und Lothar Kastein.
Entree
Wie
kam es dazu? Nicht nur Benno Kastein hatte Lust, weiterzumachen. Auch
seinen Töchtern liegt der Fortbestand von Flic Flac am Herzen. So
interessiert sich Tatjana vor allem für den kaufmännischen Bereich und
ist deswegen für die Kasse verantwortlich. Ihre Schwester Larissa reizt
besonders die künstlerische Seite. Sie hat somit verstärkt an der
Entstehung der neuen Show mitgewirkt, wie Pressesprecherin Barbara Rott
und Geschäftsführer Frank Keller berichten. Ein Zeichen für das
langfristige Engagement sind zudem zahlreiche Investitionen. Für das
nächste Festival in Kassel wird ein neues Chapiteau angeschafft,
welches dann mit auf Tournee geht. Flic Flac verfügt so über die
Infrastruktur für fünf Circusse. Hinzu kommt der große Achtmaster.
Ferner werden sukzessive insgesamt 50 Wohncontainer für Artisten und
Mitarbeiter in Betrieb genommen, Flachbildschirm zur medialen
Unterhaltung inklusive.
Opening
Die
Hardware beeindruckt, das eigentliche Produkt, sprich die Show, steht
dem in nichts nach. Der Titel „Höchststrafe“ gibt den Rahmen vor. Flic
Flac lädt zu einem Abend im Knast. Der mächtige Artisteneingang wird
aus Gefängniszellen gebildet. In der oberen Etage hat die Band ihren
Aufenthaltsort. Die Musiker mit Sängerin Caro Kunde begleiten die
meisten Nummern live. Bandleader Samuel Beck hat die Formation
zusammengestellt und auch einen guten Teil der Titel geschrieben.
Harte, rockige Sounds herrschen vor. Es gibt aber auch die ruhigeren
Momente. Diese werden dann aber zumeist aus der Konserve begleitet. Zum
Opening ist der Hintergrund der drehbaren Rundbühne noch von
Stoffbahnen verhüllt. Auf dem Gefängnishof ist offensichtlich gerade
Freizeit. Die Insassen der Anstalt sitzen in Gruppen beieinander
oder trainieren ihren Körper. Aufseher überwachen die Szene. Als sich
der Platz leert, bleiben vier junge Männer zurück. Zu entspannter Musik
zeigen die Expendables Figuren der Equilibristik und Handvoltigen. Ihr
Outfit entspricht dem der meisten Artisten, die wir im Verlauf der Show
sehen werden: khakifarbene Hosen und weiße Muscle Shirts. Nach diesem
vergleichsweise entspannten Auftakt fällt der Vorhang. Spätestens jetzt
sind wir im rauen Knastalltag angekommen. Zu harten Beats wirbeln
gestählte Körper über eine Luftkissenbahn. Die abgefahrenen Sprünge
werden von fünf Männern und zwei Frauen um den polnischen Truppenchef
Pawel Horbacz absolviert. Anna Rudenko zeigt ihre Kontorsionen an einem
Luftring. Das heißt bei Flic Flac in großer Höhe. Allerdings steht der
Nervenkitzel nicht im Vordergrund. Zu charmant und gekonnt arbeitet die
junge Russin ihre Kür.
Denis Ignatov, Larissa Kastein, Vladik
Miagkostoupov
Nicht
allzu oft in einem Circus zu sehende Effekte zaubert Denis Ignatov auf
die Bühne. In einer ausgefeilten Choreographie wirbelt er einen Kubus
sowie eine Pyramide aus Metallstangen in atemberaubender
Geschwindigkeit umher. Die Konturen der Objekte verschwinden, es
ergeben sich fabelhafte Bilder. Es folgt die erste große Überraschung
des Abends. Gerade noch beim Festival in Latina ausgezeichnet (Bronze),
ist das Trio Stoian mit seinem Russischen Barren zu Flic Flac gereist.
Sie werden bis zum Ende des Gastspiels in Marburg dort zu sehen sein.
Die Rumänen kommen vom Sport, haben sich aber bestens in der
Showbranche etabliert. Die eleganten Sprünge von Corina fangen ihre
Partner sicher mit dem auf den Schultern ruhenden Barren. Erotik und
Akrobatik verbindet Larissa Kastein, wenn sie zum Song „Malade“ ihre
Kür am Pole, sprich an einem vertikalen Mast, präsentiert. Es ist somit
einer jener Momente des Abends, die zur Entspannung einladen. Traumhaft
sind auch die äußerst ungewöhnlichen und anspruchsvollen Jonglagen von
Vladik Miagkostoupov. Er ist für mich die nächste Überraschung,
jongliert er seine Bälle und Keulen doch nicht nur am Boden. Zusätzlich
tut er dies an zwei Seilen hängend in der Luft. Zusammen mit
Miagkostoupovs elegantem, tänzerischen Auftreten ergibt sich eine mehr
als sehenswerte Performance. Das Publikum feiert ihn.
Russische Schaukel, Willer Nicolodi,
Markus Krebs
Zurück
in Flic Flacs Gefängnisszenerie holen uns dann die Artisten an der
Russischen Schaukel. Sie springen zunächst in ein großes, von der Decke
hängendes Netz. Danach landen sie auf einer dicken Matte. Deren
Unterseite verkündet den nun folgenden 15-minütigen Freigang, sprich
die Pause. Der zweite Teil beginnt mit Evgeny Nikolaev am Cyr
Wheel.
Sein akrobatischer Tanz mit dem großen Rad wirkt nicht zuletzt aufgrund
seiner Neuartigkeit für hiesige Circusmanegen. Als Gefängniswärter
unter all den Sträflingen kennzeichnet Willer Nicolodi sein Outfit. Es
ist sicherlich ungewöhnlich, in einer solchen Produktion einen
Bauchredner zu präsentieren. Mag dies auch einen gewissen Bruch
bedeuten, sorgt Nicolodi für ordentlich Spaß unter dem gelb-schwarzen
Chapiteau. An der Premiere in Frankfurt sogar mit seiner Puppe, der
Maus Joselito, noch mehr als mit den Mitspielern aus dem Publikum.
Ebenfalls in die Kategorie Humor gehört Markus Krebs. Er ist einer von
mehreren Komikern, die laut Homepage im Wechsel eingesetzt werden
sollen. Der leicht prollig anmutende Duisburger erzählt vor allen
Dingen Witze. Diese sind trotz seines „bodenständigen“ Auftretens in
T-Shirt und Strickmütze zumeist recht hintergründig. Meinen Geschmack
hat er damit durchaus getroffen. Ab 15. Januar 2015 wird dann Steve
Eleky wieder mit von der Partie sein.
Anastasia
Makeeva, Nikolai Kuntz, Tatjana Kastein
Ebenfalls
von begrenzter Dauer ist das Gastspiel von Anastasia Makeeva. Nach den
ersten Vorstellungen in Frankfurt schied sie aus der Show aus, um
bereits seit längerer Zeit geplante Gastspiele anzutreten. Wer also
rechtzeitig kam, hatte das große Glück, diese aktuell mit einem
Bronzenen Clown ausgezeichnete Artistin zu erleben. Ihr Luftnummer an
zwei Strapatentüchern beinhaltet nicht nur phänomenale Tricks, sondern
wird auch unwahrscheinlich elegant dargeboten. Anstelle von Anastasia
Makeeva wurde inzwischen Julia Galenchyk am Luftnetz ins Programm
genommen. Nach einer Verletzungspause ist Nicolai Kuntz wieder mit
dabei. Aktuell nur mit seinen Diabolos, in Kürze zusätzlich mit dem
Schwungtrapez. Jugendlich-dynamisch lässt er bis zu drei Diabolos durch
die Luft tanzen. Ausgefeilt sind seine Tricks mit nur einem dieser
Requisiten. Wie Kuntz gehört Tatjana Kastein zu den Flic Flac-Junioren.
Sie zeigt mit Unterstützung von vier trainierten Männern eine
durchdachte, kraftvolle Handstandkür, bei der sie den gesamten
Durchmesser der Rundbühne nutzt. Immer wieder wechselt sie den
Standort, um am Ende einen Handstand auf den Händen ihrer Partner zu
drücken.
Helldriver, Mad
Flying Bikes, Finale
Was
dann, quasi als Auftakt zum Grande Finale, kommt, ist spektakulär und
höchst risikoreich. „Das muss doch nicht sein“, sagt der Herr links
von mir zu seiner Begleitung. Mein rechter Nachbar meint nach der Show:
„Von der letzten Nummer habe ich nur die Musik gehört. Zuschauen kann
ich bei so etwas nicht.“ Was gibt es also zu sehen? Zunächst einen
echten Flic Flac-Klassiker – die Motorradkugel. Immer mehr Fahrer um
Truppenchef Jose Antonio Pinillo jagen durch die Stahlkugel mit einem
Durchmesser von 6,5 Metern. Und das in aberwitzigen Formationen. Zum
Schluss sind es gar zehn Artisten gleichzeitig. Damit nicht genug.
Sensation Nummer zwei folgt auf den Fuß. Nun springen Biker auf
Motocross-Maschinen über die Kugel. Sie schießen direkt aus dem
Mittelaufgang und landen auf einer Rampe vor dem Artisteneingang. Der
Absprung mitten aus dem Zuschauerraum bringt natürlich einen
zusätzlichen Effekt. Dabei sind die Sprünge der Mad Flying Bikes schon
so absolut spektakulär. Mal wird der Lenker nur mit den Füßen gehalten,
mal trennen sich Fahrer und Bike für den Bruchteil einer Sekunde.
Wahnsinn! Für diese Leistung dürfen die Artisten sogar explizit den
Applaus des Publikums entgegennehmen. Ein Privileg. Denn ansonsten geht
es in dieser Show Schlag auf Schlag. Für Komplimente bleibt da kein
Platz. Zum Finale steht die Kugel noch einmal im Mittelpunkt. Die
Artisten – alle sind jetzt
offensichtlich
aus der Haft entlassen – gruppieren sich um sie und genießen
ausgelassen die neue Freiheit. Lichttechnisch wird auch diese
letzte Szene ganz hervorragend in ihrer Wirkung verstärkt.
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