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Circus Roncalli - Tour 2013
www.roncalli.de ; 100 Showfotos

Recklinghausen, 6. April 2013: Sieben Jahre lang war David Larible der unumstrittene Star und Publikumsliebling des Circus Roncalli. Mit seinen grandios komischen Auftritten, bei denen sich das Publikum regelmäßig vor Lachen nicht mehr halten konnte, prägte der Italiener den nostalgischen Hochglanz-Circus seines Schwagers Bernhard Paul wie kein Zweiter in den vergangenen Jahren. Mit seinem Ausscheiden aus dem Unternehmen hat er also große Fußspuren hinterlassen, die es ab dieser Saison möglichst eigenständig neu zu füllen gilt. Bernhard Paul setzt dafür auf geballte Clown-Power.

Er versammelt gleich fünf Vertreter des lustigen Faches in seiner Manege. 2013 sollen also die KGB-Clowns (Edouard Neumann und Sergey Maslennikov) zusammen mit dem bekannten Weißclown Gensi (Fulgensi Mestres), dem zurückgekehrten Theaterclown Oriolo (Oriol Boixader, war bereits 2005 bei Roncalli) sowie Nachwuchstalent Devlin Bogino für die Lacher sorgen. Paul räumt den Spaßmachern dafür viel Platz im Programm ein, welches auch heuer unter dem Titel „Time is Honey“ firmiert. Insgesamt zehn Auftritte, in immer anderen Personenkonstellationen, sind über die Vorstellung verteilt – sicherlich auch eine Reminiszenz an die viel beschworene Roncalli-Poesie. Anders als Larible verzichten alle aktuellen Clowns auf das Mitwirken von Zuschauern.


KGB-Clowns, Gensi, Oriol

Im Mittelpunkt der Show stehen freilich die beiden KGB-Clowns, die bisher vorwiegend auf Varieté-Bühnen gearbeitet haben. Zuweilen merkt man es ihnen an, dann ist ihr Spiel zu frontal. Dennoch machen sie vor allem mit ihren Klassikern ungemein Spaß. Besonders amüsant sind der Versuch von Edouard Neumann, die „lebende Statue“ Sergey Maslennikov vor dem Umkippen zu bewahren, sowie der gemeinsame Auftritt als „Music Box“. Mit moderner Musik und Michael-Jackson-Posen ist dieser zwar wenig poetisch, aber sehr unterhaltsam. Gensi und Oriolo haben dagegen u.a. mit einem sich verselbstständigenden Auto zu kämpfen, während Devlin Bogino zumeist nur als Unterstützung in Erscheinung tritt. Zusammen sind alle fünf Clowns in drei Nummern zu sehen: Sie unterstützen bei den Sicherheitshinweisen auf vielfältige Weise den eloquenten Sprechstallmeister Patrick Philadelphia, sie bringen Oriolo zu einem Vivaldi-Glockenspiel und verbinden die „Reise nach Jerusalem“ auf interessante Weise mit einer Stuhlbalance. Sechste komische Kraft ist, wenn man so will, die junge Pantomimin Sarah Melbinger, die hier vor der Vorstellung eine die Piste säubernde Putzfrau gibt, ehe sie von zwei Requisiteuren herausgetragen wird. Insgesamt merkt man den neuen Clowns allesamt noch, dass sie sich erst noch aneinander und auch an das Publikum gewöhnen müssen. So manche Länge und einige ausbleibende Lacher zeigen auf, dass hier noch etwas zusammenwachsen muss. Daran wird in den Proben gearbeitet, und im Laufe der Saison wird dies sicherlich auch gelingen. Denn das man auf dem richtigen Weg, das zeigen die Reaktionen im Finale schon jetzt. – Beim Gastspiel in Düsseldorf gibt es dann nochmal clowneske Verstärkung: Bernhard Paul gibt als Zippo mit Jan van Dyke erneut das „Bienchen“.


Circus-Theater Bingo

Was den artistischen Anteil im Programm angeht, kommt „Time is Honey“ 2013 wieder runder und wesentlich mitreißender daher. Das liegt in der Hauptsache daran, dass das grandiose Roncalli-Orchester in diesem Jahr bei einer Vielzahl von Darbietungen wieder mehr Gas geben kann und dies auch tut. Schon beim eigentlichen Opening des Circus-Theaters Bingo geht das Publikum begeistert mit. Fünf Personen, darunter nur eine aus dem letztjährigen Team, sind heuer mit Roncalli auf Tournee und heizen mit dem bekannt mitreißenden Stil ein. Die beiden Herren und drei Damen zeigen Verwicklungen und Abfaller an Tüchern sowie Strapaten, balancieren auf der Rola Rola und enden mit Schlaufen-Wirbeln. Dieser Block soll sogar noch ausgebaut werden. Die Bingo-Mitglieder Maryna und Katheryna arbeiten im zweiten Teil am Doppeltrapez. Neben synchronen Passagen werden auch einige Tricks zusammen gezeigt. Den Abschluss bilden zwei Nackenwirbel unter den Trapezen. Das komplette Ensemble leitet – wie schon im letzten Jahr – mit einem Tanz die Pause ein. Unterstützt werden sie dabei von den beiden Ballett-Damen Anastasiya Nazarenko und Liudmila Voroniuk sowie von Géraldine Philadelphia.


Les Paul, Encho Keryazov, Geraldine Philadelphia

Letztere wurde mit ihrer eleganten Hula Hoop-Darbietung, bei der sie überwiegend mit den Reifen jongliert, ins Programm übernommen. Sie profitiert außer von der eigenen Leistung ebenso von der gelungenen Musik-Begleitung wie der zweite „Neuerwerb“ aus den eigenen Reihen. Als Pausennummer bringen Vivian, Adrian und Lilian Paul zusammen mit Partner Jemile Martinez, der auch wieder mit seiner leistungsstarken Fußball-Jonglage zu sehen ist, eine temporeiche Darbietung auf Rollschuhen in die Manege. Die Roncalli-Junioren beherrschen dabei bereits das vollständige Repertoire dieses Genres, samt doppeltem Nackenwirbel als Schluss. Interessant: Durch den Holzboden lässt sich das ganze Rund befahren, die Tricks werden aber natürlich traditionell auf einer Plattform gearbeitet. Die perfekte, epochale Musik erklingt auch bei Encho Keryazov. Vielmehr aber noch sind seine akrobatischen Leistungen unschlagbar – und so schafft es das bulgarische Handstand-Wunder auch in seiner siebten Roncalli-Saison spielend, das Publikum zu stehenden Ovationen hinzureißen.

Karl Trunk, Duo Viro, Andrey Romanovsky

Allerdings gibt es in diesem Jahr einige Momente im Programm, die durchaus mehr Potenzial bieten würden. Dies betrifft inbesondere die beiden weiteren neuen Darbietungen, die noch (?) unter Wert verkauft werden. Die kräftezehrende Adagio-Akrobatik der Goldmenschen des Trio Laruss (Norbert Russnák, Ildikó Russnákné Bátori und Edit Kósi) hat man andernorts schon wesentlich stimmiger in Szene gesetzt gesehen. Auch das Duo Viro (Vivien Galovicz und Robert Szabo) kann mit seiner sinnlichen wie leistungsstarken Kür an den Tüchern nicht die gewohnte Wirkung erzielen. Doch auch hier gilt: Am Programm wird weiter gefeilt. Schade ist zudem, dass man die Anzahl der Tierdarbietungen wieder reduziert hat. Übrig geblieben ist die hochwertige Präsentation von acht Ponys in unterschiedlichen Größen durch Karl Trunk, der anschließend auch ein Groß & Klein mit gewaltigem Shire Horse dirigiert. Er war ebenso im vergangenen Jahr schon mit dabei wie der auch heuer den Ablauf eröffnende Flaschenläufer Michael Ortmeier und Fabricio Nogueira, der mit seiner Fahrrad-Fahrt in der offenen Steilwand wieder an den Beginn des zweiten Teils gerückt ist. Auch Schornstein-Klischnigger Andrey Romanovsky ist ein bereits bekanntes Gesicht in der Roncalli-Manege.

Mit dem ausgiebig zelebrierten Finale endet auch 2013 das Roncalli-Erlebnis. Wieder einmal feiern die Zuschauer das Ensemble mit stehenden Ovationen und lang anhaltenden Applaus. Kleine Längen und schwächere Momente sind da längst vergessen, denn Roncalli bietet insgesamt abermals beste circensische Unterhaltung.

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Text: Benedikt Ricken; Fotos: Stefan Gierisch