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Circus Knie - Tour 2013
www.knie.ch ; 140 Showfotos

Rapperswil, 21. März 2013: „Die stärkste, mitreißendste und begeisterndste Show der jüngeren Knie-Vergangenheit“, so lautete unser Fazit zur letztjährigen Show. Diese Bewertung kann man getrost auf die Produktion 2013 des Schweizer Nationalcircus übertragen. Mit „Émotions“ hat sich Knie nochmals deutlich gesteigert. Endlich wieder gibt es eine große Luftnummer. Auch eine engagierte Tierdressur (leider keine Raubtiere) ist nun wieder mit von der Partie. Die Fratelli Errani begeisterten im letzten Jahr noch mit einer famosen Doppelpost.

Nun zeigen sie eine spektakuläre Artistiknummer mit Schleuderbrett-Elefanten. Geblieben sind die Konstanten: Wunderschöne Tierdressuren der Familie Knie, tolle, mitreißende Bilder, bei denen ein Bingo-Ensemble im Mittelpunkt steht, und eine asiatische Truppe. Geblieben ist allerdings ebenfalls das Setzen auf Vertreter der Schweizer Comedy, welche schon länger keine Garanten auf Lachsalven unter dem weißen Chapiteau mehr sind. Im aktuellen Programm wird einem dies ganz besonders bewusst.


Finale

Mit dem Titel „Émotions“ wird das aufgegriffen, was jedes gute Circusprogramm ausmacht. Es soll die verschiedensten Gefühle wecken. Und das schafft Knie vortrefflich. Bei der neuen Show kann der Besucher zweieinhalb Stunden lang träumen, mit waghalsigen Artisten fiebern, sich an wunderschönen Bildern erfreuen, lachen, staunen und am Ende beim großen Finale enthusiastisch jubeln. Die Intensität wird gesteigert durch eine hochkarätige Besetzung, ein traumhaftes Licht und einen wunderbar flotten Ablauf. Einzig bei der Musik droht Knie langsam in mir einen Fan selbiger zu verlieren. Es gibt wiederum eine Mischung aus vorproduzierten Sounds und Livemusik. So richtig auseinander halten kann man die Komponenten nicht mehr, hat aber das Gefühl, dass die Konserve die Oberhand gewonnen hat. Wenngleich die Auswahl sehr gelungen ist, würde ich inzwischen gerne wieder 100 Prozent Livemusik hören.


Ivan Frederic Knie, Maycol Errani, Truppe Bingo

Beginnen wir mit den großen Bildern. Gleich nach der Ouvertüre gibt es ein solches. Wenn sich der Vorhang öffnet, erscheinen Fredy Knie, Maycol Errani sowie Ivan Frederic Knie zu Pferd. Nacheinander begrüßen sie das Publikum in verschiedenen Sprachen. Ein bislang in dieser Formation bei Knie noch nicht zu sehendes Bingo-Ensemble stürmt die Manege und heizt mit Bola-Spielen die Stimmung an. Zunächst reitet Fredy Knie elegant Elemente der Hohen Schule, sein Schwiegersohn übernimmt. Nach einer weiteren Bola-Einlage bringen die Fratelli Errani eine kurze Jockey-Reiterei, Salto auf dem Pferderücken inklusive. Als besonderes Bonbon zeigt auch Ivan-Frederic Sprünge auf dem Pferderücken. Es ergibt sich damit ein imposantes, vielfältiges Tableau, welches Artistik und Reiterei ungeheuer mitreißend vereint. Ein perfekter Start in diese Circusshow. Nach der Pause haben die Bingo-Mitglieder ihren zweiten Auftritt. Dann stehen zwei Artisten mit Leiterakrobatik im Vordergrund, die restlichen Akteure unterstützen tänzerisch. Der zweite Programmteil findet übrigens wiederum komplett auf einem Holzboden statt.


Mary-Jose Knie, Linna und Chris Rui Knie, Franco Knie junior und Guido Errani

Große angelegt sind natürlich ebenfalls die Tierdressuren der Familien Knie. Die Pferdeshow folgt dabei dem bekannten Ablauf. Zunächst „spielt“ Mary-José Knie effektvoll mit einem einzelnen Pferd, um dann kurz einen Dreierzug zu dirigieren. Sodann haben Maycol Errani und seine neue Dressurschöpfung ihren Auftritt. Er bringt vier wunderschöne Kamele mit ebenso vielen herrlichen Friesen in die Manege. Zusammen zeigen sie eine sehr schöne Laufarbeit. Als Zugabe springen Guanakos über an der Piste abliegende Kamele. Zehn weiße Vollblutaraber dürfen sich zunächst frei in der Manege austoben. Nach dieser harmonischen Frequenz – quasi Nebelpferde ohne Nebel – übernimmt Géraldine Katharina Knie das Kommando und formt diese Gruppe ausgesuchter Araber zu eindrucksvollen Bildern. Eben ganz so, wie es das Markenzeichen der Knies ist. Als Zugaben gibt es zunächst drei Pferde, die wie Korbpferde zwischen vier Cavalettis zum Halten kommen und verschiedenen Steiger. Bei der Elefantendressur agieren anfangs in gewohnter Weise Franco Knie junior, Ehefrau Linna und beider Sohn Chris Rui mit den drei indischen Elefantendamen. Die Bilder verbinden die Tricks der Tiere mit der eleganten Ausstrahlung ihrer Vorführer. Das unbefangene Agieren vom kleinen Chris Rui zwischen den mächtigen Tieren sorgt natürlich immer für einen besonderen Effekt. Richtig spannend wird es aber, wenn Maycol, Wioris und Guido Errani hinzukommen. Natürlich denkt bei Schleuderbrett-Elefanten jeder an die Familie Casselly. Sie sind aktuell der Maßstab, wenngleich nicht die Erfinder dieser Disziplin. Die Erranis nehmen die Herausforderung an. Auch sie zeigen den Sprung zum Zwei-Mann-Hoch und den bereits zur Premiere sicher gestandenen Dreifachen auf den Elefantenrücken. Dazu gibt es unter anderem einen von zwei Erranis parallel gesprungenen Salto auf zwei Elefanten und den Sprung auf den Kopf eines hochsitzenden Tieres. Alles gewohnt elegant dargeboten zur Trampolin-Musik aus dem Vorjahr. Durch die Größe der vierbeinigen Partner und das daraus resultierende kraftvolle Bedienen des Schleuderbretts ergibt sich nochmal ein ganz besonderer Kick. Die Schlusspointe mit Chris Rui beendet humorvoll diese großartige Darbietung. Hochachtung vor den Erranis. Ihre jährlichen Auftritte sind nicht nur neu einstudiert, sondern bewegen sich ebenfalls auf höchstem Niveau, Chapeau! Schade, dass sie immer nur eine Saison lang zu sehen sind.


Alessio Fochesato, Super Silva, Flying Girls

Die Dressur der (farben-)prächtigen Papageien von Alessio Fochesato ist ebenfalls keine Saison gleich. Immer wieder integriert der sympathische Italiener neue Tricks. Durch den nahezu vollständigen Verzicht auf Requisiten kommt die Schönheit der Vögel vollends zur Geltung. Diese zeigt sich insbesondere bei den herrlichen Flugsequenzen. Schön zu sehen ist immer wieder der unkomplizierte Umgang mit Gästen aus dem Publikum. Etwa wenn ein fliegender Bote eine Rose überbringt oder Kinder die Reifen halten dürfen, durch die ein kleiner Ara präzise hindurch fliegt. Die beiden anderen Luftnummern der Show sind weitaus weniger entspannt anzusehen, sorgen sie doch für wahren Nervenkitzel. Dies gilt ganz besonders für den schon verrückt zu nennenden Super Silva. Der geschmeidige Brasilianer klettert in Windeseile an einem Seil bis direkt unter die Kuppel. Dort zeigt er einen flotten Deckenlauf und zwei Sprünge von Trapez zu Trapez. Das alles ungesichert. Die Spannung im Publikum ist deutlich spürbar. Hier und dort sind Schreie zu hören. Einen solchen Thriller sieht man heutzutage selten in einem Circus. Da ist es schon deutlich beruhigender, dass die große Luftnummer aus Nordkorea mit einem Netz abgesichert wird. Fünf Fliegerinnen, die Flying Girls aus Pyöngyang, werden von insgesamt vier männlichen Partnern sowohl in die Luft katapultiert als auch wieder aufgefangen. Ein Trapez gibt es nämlich nicht. So entstehen wunderbar fließende Flugbahnen über mehrere Stationen hinweg. Höhepunkt ist der Vierfache, der in beiden Vorstellungen präzise gelingt.


Wuqiao Acrobatic Troupe, You & Me, Nina Burri

Die zweite asiatische Truppe kommt aus China und nennt sich Hebei Wuqiao Acrobatic Troupe. Sie waren, wie die meisten anderen artistischen Darbietungen dieses Programms, bei uns bereits im Stuttgarter Weltweihnachtscircus zu erleben. Die unzähligen (teilweise noch sehr) jungen Chinesen fahren auf verschiedenen Varianten des Einrades und zeigen von dort innovative Partnerjonglagen. Dies zumeist auf mehreren Ebenen. So entstehen große, bewegte Bilder, bei denen die Requisiten – Holzstäbe, an denen das einen Ende mit einem roten Tuch eingewickelt ist – nur so durch die Luft fliegen. Allerdings werden die einzelnen Tricks nicht sehr lange gehalten. Zum Träumen laden die weiteren Vertreter der Sparte Artistik ein. Jugendlich-sinnlich ist die Liebesgeschichte von Igor Gavva und Iuliia Palii, alias Duo You & Me. Sie brauchen als Requisit für ihre Hand-auf-Hand-Artistik nicht mehr als eine karierte Picknickdecke. Bei ihrem mit anspruchsvollen Tricks gespickten Pas de deux übernimmt zumeist Iuliia den tragenden Part. Das Zusammenspiel der beiden Ukrainer ist zudem fabelhaft. Auf sich alleine gestellt ist Nina Burri, die durch ihren zweiten Platz in der Show „Die größten Schweizer Talente“ zu nationaler Popularität gelangte. Zudem ist sie Modell und Tänzerin. Letzteres merkt man ihrer ästhetischen Kontorsions-Kür deutlich an. Die unglaublichen Verrenkungen, die sie zu einem Popsong zeigt, wirken äußerst elegant. Zum Schluss hin lässt sie sogar Elemente des Klischnigg einfließen, verbiegt ihren Körper also nicht nur nach hinten, sondern zudem nach vorne. Ihre Ausstrahlung tut ein Übriges. Auch ohne den Star-Status würde sie in diesem Programm bestens ankommen.

Claudio Zuccolini, Steve Eleky

Das sieht bei Claudio Zuccolini anders aus. Hätte er keinen Promistatus, wäre er wohl nicht bei Knie zu sehen. Er setzt die Reihe der Schweizer Comedians in der Manege des Nationalcircus fort. Schon in den letzten Jahren hatten diese mich nicht komplett überzeugt. Zuccolini hat an der Premiere sichtlich Probleme. Die Presse reagierte ebenfalls nicht eben positiv. „Starke Männer, starke Frauen und ein Bündner auf verlorenem Posten“, überschrieb etwa der Tages-Anzeiger seinen Premierenbericht. Zu seinen mit „Let me entertain you“ eingeleiteten Auftritten erscheint er als großer Magier mit rotem Umhang. Neben den üblichen Scherzen über verschiedene Schweizer Bevölkerungsgruppen soll mit einer großen Kanone zunächst sein vierbeiniger Partner „Hundini“ in die Umlaufbahn geschossen werden. Als das in zwei Versuchen nicht funktioniert, muss Zuccolini selbst in die Kanone und hängt zum Schluss am Seil über der Manege. Es erinnert an den ersten Auftritt des Duo Fischbach bei Knie im Jahr 1998. Mit dem Unterschied, dass die Kanonenschuss-Szene bei den Fischbachs richtig komisch war. Zuccolini ist durchaus sympathisch, aber eben nur sehr bedingt witzig. Gut, dass es da noch Steve Eleky gibt. Mal wieder wurde er in letzter Minute über den „Künstlernotdienst“ rekrutiert. Im Schottenrock produziert er sich zunächst als Jongleur, später als Zauberer. Dabei plaudert er offen aus seinem Vertrag, zeigt seine vermeintliche Unlust an einzelnen Tricks und freut sich, wenn ein Kunststück zu seiner eigenen Verblüffung dann doch funktioniert. Selbst wenn man seine Auftritte schon zig mal gesehen hat, sorgen sie immer wieder für allergrößte Heiterkeit. Auch das Neu-Publikum in der Schweiz erobert er im Sturm und sorgt so dafür, dass es bei „Émotions“ richtig was zu Lachen gibt.

Zum großartig inszenierten Finale gibt es minutenlange Standing Ovations, die nicht enden wollen. Selbst dann, wenn der Vorhang bereits wieder geschlossen ist. Mit der Show 2013 hat Knie ein Meisterwerk geschaffen, welches einen komplett gefangen nimmt, fasziniert. Die Magie der Manege und eben die Emotionen werden hier in unnachahmlicher Weise transportiert. Circensischer Genuss pur.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch