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Circus Herman Renz - Tour 2013
www.renz.nl ; 100 Showfotos

Den Haag, 19. Oktober 2013: Die „Kinder“, die im zweiten Teil ausgelassen mit Luftballons zu Robbie Williams „Candy“ tanzen und Milko, der im Torerokostüm „Eviva Espana“ zu seinem Song macht, sie versinnbildlichen – zumindest für mich – den Titel des diesjährigen Programms vom Niederländischen Nationalcircus Herman Renz. „Viva Niño“ lautet dieser. Beide Elemente des Mottos werden umgesetzt: Es gibt spanische sowie lateinamerikanische Szenen und viel kindliche Freude. Und eigentlich sollte es doch jeder Circus seinen Besuchern ermöglichen, noch einmal Kind zu werden.

Zumindest für zweieinhalb Stunden. Dem Direktionsteam des Circus Herman Renz gelingt dies im 102. Jahr seit Gründung ganz fabelhaft. Schon das Betreten des Spielzelts ist ein kleines Erlebnis. Der Besucher läuft durch ein Spalier von Requisiteuren und wird nach Vorzeigen der Eintrittskarte zu seinem Platz geleitet. Kronleuchter sorgen für eine schöne Atmosphäre schon bevor die Vorstellung startet. Das Orchester begrüßt musikalisch und wird gleich die gesamte Show hindurch wunderbar begleiten. Den sieben Musikern um Kapellmeister Robert Rzeznik sei einmal mehr ein großes Lob ausgesprochen. Ebenso Lichtdesigner Gilbert Weiser, der der bestens ausgestatteten Lichtanlage bunte Meisterwerke entlockt hat. Die Regie von „Viva Niño“ hat Marc Boon übernommen.


Milko, Opening, Germaine Delbosq

Beim Opening, einer weitgehend eigenständigen Interpretation des Larible-Roncalli-Auftakts, entdeckt Milko einen beleuchteten Schminkspiegel. Mittels eines Leierkastens lockt er den Sprechstallmeister herbei. Und den gibt es in diesem Jahr wieder standesgemäß im roten Frack und mit schwarzem Zylinder. Verkörpert wird er von Frenky, der schlechte Nachrichten hat, denn der Clown ist nicht aufzutreiben. Nachdem die Suche im Publikum erfolglos endet, springt Milko ein. Nach und nach kommen immer mehr Artisten herein, bringen Requisiten und helfen beim Schminken. Es entsteht ein buntes Opening, bei dem sich alle Mitwirkenden schon einmal vorstellen. Nachdem diese durch den Vorhang des prunkvollen Artisteneingangs verschwunden sind, gehört die Szene Michel Jarz und seiner Vorführung von sechs Andalusiern. Es ist eine sehr ansprechende Freiheitsdressur, die bereits mit dem Flechten von jeweils drei Tieren beginnt. Als da capi zur umfangreichen Laufarbeit werden nicht nur Steiger sondern zudem die Kapriole gezeigt. Im Anschluss an Frenkys Spiel mit einem Lichtpunkt fegt eine flotte Motorradfahrerin auf ihrer Maschine herein. Begleitet wird sie von einem vierköpfigen weiblichen Ballett in schwarzen Lederjacken. Die Lady auf dem heißen Ofen ist Germaine Delbosq. Im Folgenden nutzt sie das Motorrad als Trinka für ihre Antipodenspiele mit Walze, Bällen und einem Würfel. Den effektvollen Schlusspunkt setzt sie mit einem Feuerkreuz.


Francisco Arano Aleman, Frenky, Indian Spirit

Nun wechselt das Outfit der Akteure von schwarz zu weiß. Zaida tanzt dabei ausgelassen-fröhlich mit ihrem Partner Francisco Arano Aleman. Der Kubaner versprüht zusammen mit Zaida nicht nur viel lateinamerikanische Lebensfreude, sondern beweist sich zudem als eleganter und kraftvoller Artist am Masten. Seine starken Tricks präsentiert er immer mit einem Lächeln, wenn nicht gar einem Lachen. Das Ballett trägt kurz darauf Torero-Kostüme und nimmt es mittels Tüchern mit imaginären Stieren auf. Diese stürmen gleich darauf die Manege, zumindest fast. Vielmehr sind es drei temperamentvolle Kühe, deren Aufsicht Milko und Frenky übernehmen. Sie haben sich ebenfalls als Toreros gewandet. Ziegen, Schweine und Gänse komplettieren diesen spanischen Bauernhof. Während die Requisiten abgebaut werden, starten das Trio Indian Spirit seine argentinische Folkloreshow im Zuschauereingang. Das ist nur einer von vielen sinnvollen Kniffen der Regie, die dem Programm zu einem fließenden Ablauf verhelfen. In der Manege setzen Gabriel, Germaine Delbosq und eine Partnerin ihr Trommeln fort. Es folgen variantenreiche Bolaspiele. Dies sogar mit brennenden Schnüren. Das Feuer Argentiniens wird somit gleich im doppelten Sinne in die Niederlande transportiert. Bei seinem Solo kämpft sich Milko im Torero-Kostüm mit einer erstaunlich selbständigen Gitarre ab. Das Publikum darf sich ebenfalls hörbar beteiligen, die Musik greift die spanische Grundstimmung auf. Interessante Geräusche kann man auch mit einem Klebeband machen. Die können musikalisch sein oder aber so klingen, als seien sie mit dem Verdauungsapparat erzeugt. Milko führt uns (leider) beide Varianten vor.


Duo Stauberti, Pause, Elizabeth Axt

Das Duo Stauberti wurde noch kurzfristig zu Saisonbeginn ins Programm genommen und hat es gleich zur Pausennummer gebracht. Dimitri und Enrica zeigen eine wirklich ausgefallene Perche-Artistik. Dimitri balanciert die Stirnperche auf einem Einrad fahrend, während seine Schwester oben einen Einarmer zeigt. Bein einem anderen Trick steht er auf einer freistehenden Leiter, während er die Stange mit seiner Schwester am anderen Ende balanciert. Zur Pause wird ein Zuschauer auf eine Schaukel gesetzt, vom Ballett mit Popcorn beschenkt und dann unter die Kuppel gezogen. Dank eines ausgerollten Transparents kann jeder im Chapiteau lesen, was nun folgt. Im geräumigen Vorzelt locken nicht nur Speisen und Souvenirs zum Konsum, sondern ebenfalls ein großes Karussell. Wurde der erste Teil quasi mit einer Luftnummer beendet, beginnt der zweite ebenfalls mit einer solchen. Jetzt allerdings höchst professionell, denn die Akteurin heißt Elizabeth Axt. Am Washington-Trapez lässt sie sich auf und ab ziehen. Dabei zeigt sie variantenreich Kopf- und Handstände, bei denen sie teilweise zusätzlich Reifen kreisen lässt. Zum Abschluss schwingt sie weit im Kopfstand. Das alles wohlgemerkt ungesichert. In ihrem nächsten Auftritt versuchen sich Milko und Frenky als weiße „Engel der Liebe“. Milko mit Harfe, Frenky mit Pfeil und Bogen. Für zwei Herren aus dem Publikum schießen sie Amors Pfeile auf hübsche junge Damen. Im ersten Fall gelingt dies, im zweiten weniger.

Yasmine Smart, Francois Borie, Milko und Frenky
 
Das nach den Bolaspielen zweite südamerikanische Schaubild vereint Tango mit Hoher Schule. Gabriel und Germaine Delbosq heißen unter anderem die Tänzer, Michel Jarz und Yasmine Smart die Reiter. Es ist eine besondere Freude, die englische Circusprinzessin wieder einmal auf dem europäischen Festland erleben zu dürfen. Wenngleich sie in diesem Tableau nicht besonders herausgestellt wird, ist sie es doch, die die Blicke auf sich zieht. Sie vereint nach wie vor ganz exzellent Sachverstand im Umgang mit Tieren und Showmanship. Insgesamt wird so das vielleicht schönste Bild dieser Produktion geschaffen. Nach einer Einlage von Frenky, bei der er einem Mädchen zum Auftritt als Jongleuse verhilft, entert ein wahrer Profi dieses Genres die Manege. Francois Borie beschränkt sich bei seinem Auftritt auf ein Requisit, nämlich Keulen. Das kann er auch guten Gewissens machen, denn damit zeigt er solch vielfältige Touren wie andere mit verschiedenen Gegenständen nicht. Der junge Franzose verkauft sich zudem gut, wenngleich vergleichsweise zurückhaltend. Borie ist halt einfach sympathisch. Und seine Jonglagen sind großartig. Ganz gleich ob er sieben Keulen jongliert oder in rasantem Tempo drei. Natürlich bringen Milko und Frenky wieder ein großes Entree. Erst zersticht Frenky den Ballettmädchen ihre Luftballons, dann werden beide als Sprayer auffällig. Das ruft eine Polizistin auf den Plan, die verlangt, dass die Hauswand unverzüglich gereinigt wird. Als das auch mit Unmengen von Wasser nicht gelingt, gehen die beiden dazu über, die Schmierereien einfach zu überkleben. Will heißen, es wird tapeziert. Die riesengroße Sauerei, die Milko und Frenky produzieren, ist somit programmiert.

Enrica Stauberti
 
Ein weiteres Mal sehen wir Enrica Stauberti. Nun fliegt sie an ihren Haaren aufgehängt durch die Luft. Zunächst wechselt sie sehr effektvoll die Kostüme, um schließlich als Schmetterling zu schweben. Dann jongliert sie mit Reifen sowie beleuchteten Stäben und lässt Bänder kreisen. Durchgestylt ist die Handstandakrobatik des Trio Liazeed. Omar Liazeed, Tochter Zaida und ihr Partner Francisco bieten eine abgerundete Vorstellung. Spezialität ist der Handstand mit mehreren Personen, der von einem Artisten getragen wird. So ist es zum Abschluss Francesco, der im Handstand seine beiden Partner trägt, die jeweils den Körper eines anderen umschlingen. Soweit die Programmfolge, in der in diesem Jahr Wildtiere fehlen. Pressesprecher Mathijs te Kiefte begründet dies damit, dass die Stadt Amsterdam Auftritte mit Wildtieren verbiete, ohne bislang eine Begründung geliefert zu haben. Da diese Stadt für das Unternehmen von besonderer Bedeutung sei, habe man auf der gesamten Tournee auf eine derartige Nummer verzichtet.

Das Finale ist dann wieder an Roncalli angelehnt. Zu von Roncalli bekannter Musik erscheinen alle Mitwirkenden mit Luftballons, die an das Publikum verschenkt werden. So wird passenderweise nochmals das Kinderthema Ballons aufgegriffen und damit der Programmtitel. Ein bunter Abschied einer ebensolchen Show. Vorbei sind zweieinhalb Stunden wunderschöner Circus mit einem passenden Titel: Viva Niño – Viva Circus Herman Renz!

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Text und Fotos: Stefan Gierisch