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Staatscircus St. Petersburg - "Fontänen"
http://circus.spb.ru/en/

St. Petersburg, 1. September 2012: Im Rahmen einer Städtereise besuchte ich den historischen Festbau des Bolschoi-Staatscircus von St. Petersburg, der aufgrund seiner Lage am Ufer des Nebenflusses Fontanka auch „Circus auf Fontanka“ genannt wird. Das Gebäude zählt zu den ältesten noch erhaltenen Zirkusgebäuden weltweit. Es wurde 1877 vom italienischen „Zirkusmagnaten“ Gaetano Ciniselli gegründet, an den eine Gedenktafel im Eingangsbereich erinnert.

Von außen repräsentiert der Circus nach wie vor den Baustil der damaligen Epoche, während der Innenraum mit 18 steil aufsteigenden Sitzreihen schon zu Sowjetzeiten erneuert und seitdem mit zahlreichen technischen Raffinessen ausgestattet wurde. Hauptziel meines Besuchs war anfänglich das Circusmuseum, welches – 1928 eröffnet – als ältestes seiner Art mit angeblich über 80.000 Exponaten bedeutend für die internationale Circuswelt ist. Nachdem mir recht gleichgültige Mitarbeiterinnen an den Circuskassen erklärt hatten, das Museum sei geschlossen, klingelte ich auf der Rückseite des Gebäudes an einer Tür mit der Aufschrift „Direktion“, wo man mich mit einer jungen Museumsführerin ins Gespräch brachte. Aufgrund meiner dürftigen Russisch-Kenntnisse war die Verständigung äußerst schwierig, doch es stellte sich heraus, dass das Museum seit einiger Zeit nur noch für Gruppenführungen nach Voranmeldung geöffnet wird (außer wenn Artisten und Zirkusleute die Ausstellung sehen möchten). Außerdem bekäme man mit einer Eintrittskarte jeweils eine Stunde vor Vorstellungsbeginn Zutritt zur Ausstellungshalle.


Tribüne, Außenansicht, Gedenktafel

Ich habe aufgrund meines Zeitplans den Museumsbesuch jedoch auf ein anderes Mal verschoben. Dafür sah ich am letzten Abend das Programm „Fontänen im Circus auf Fontanka“, das von Juli bis Anfang September gezeigt wurde. Beim Einlass spielte in der Manege ein 16-köpfiges Orchester mit einer Sängerin stimmungsvollen Jazz. Es handelte sich laut Ansage um das „Orchester des Moskauer Circus“, und ich hegte schon vage Hoffnung, dass die außerordentlich qualitätsvollen Musiker auch das Programm begleiten würden. Wie ursprünglich erwartet, gab es in der Show jedoch nur Musik aus der Konserve, und zwar überwiegend im Techno-Sound, teilweise durchmischt mit rockigen oder symphonischen Klängen. Die Nummern waren teilweise passend auf die Musik zugeschnitten, in allen Darbietungen wurde viel Wert auf Inszenierung (Kostüme, Choreografie) gelegt. Schon der Auftakt der Show war mit viel Personal und einer Illusionseinlage samt Kleintieren in Szene gesetzt.


Clownsriege

Der erste Programmteil dauerte fast eineinhalb Stunden und war relativ stark besetzt. Den roten Faden bildeten drei Clowns in Pink, Gelb und Grünblau, die ein reichhaltiges Repertoire an Nummern zeigten, darunter ein pantomimisches Entree mit ähnlicher Rollenverteilung wie in klassischen Sprechclown-Trios. Außerdem ließen sie Teilnehmer aus dem Publikum eine dramatische Filmszene nachspielen, in der den Mitwirkenden beinahe noch mehr abverlangt wurde als in David Laribles bekannter Opernszene – die „Betroffenen“ hatten dabei aber offenbar ihren Spaß. Die dritte größere Nummer der Clowns war eine Dressur einzeln vorgeführter Schweine unterschiedlicher Rassen und Größen, die ihre Wirkung beim Publikum nicht verfehlte. Außerdem begleiteten die Clowns artistische Darbietungen, indem sie etwa mit passenden Requisiten in der ersten Zuschauerreihe saßen und sich somit als Teil des Publikums inszenierten. Ein Live-Schlagzeuger unterstützte Teile der Clownnummern mit den üblichen Effekten.


Ringperche, Affendressur, Equilibristik, Solotrapez

Als einzige weitere Tiernummer traten drei Rhesusaffen in menschenähnlichen Kostümen auf. Die Dressur wirkte etwas „holperig“ und dadurch weniger effektvoll. Stärker hingegen, wenn auch allgemein recht kurz gehalten, waren die artistischen Acts, so gleich zu Beginn eine weibliche Solo-Trapez-Darbietung mit einigen anspruchsvollen Tricks. Ein junger Jongleur mit Bällen und Hüten gewann das Publikum vor allem durch seine starke Ausstrahlung. Mit einem Schuss männlicher Erotik überzeugte ein recht trickstarker Handstandakrobat auf einem Miniatur-Eiffelturm. Ein wenig skurril mutete hingegen die kraftvolle Hand-auf-Hand-Akrobatik eines Artistenpaares (Mann/Frau) an, die zwischen ihren Tricks immer wieder aus einer von der Kuppel herabhängenden Sauerstoffmaske „Luft holten“. Am Ende des ersten Teils war ein Trio (zwei Männer, eine Frau) platziert, das in eleganter Aufmachung eine effektvolle Ringperche-Darbietung zeigte. Die beiden Herren übergaben sich das Requisit gegenseitig als Schulter- oder Stirnperche, ohne abzusetzen, während die Dame im Ring ihre Tricks zeigte. Die Nummer erntete starken Applaus und Bravo-Rufe, ebenso wie zuvor der Auftritt des Handstandartisten.


Wasserspiele

Der zweite Teil stand in starkem Kontrast zur ersten „Hälfte“. Er dauerte nur etwas mehr als eine halbe Stunde und bestand im Wesentlichen aus einer Illusionsnummer und dem Spiel der Wasserfontänen, die dem Programm den Namen gaben. Die Clowns waren nicht mehr präsent, nur direkt nach der Pause verloste der rote Clown mit Hilfe von Kindern aus dem Publikum einen Staubsauger, einen Wasserkocher und ein Handy an die Gewinner. Nach einer Laserschau zu Musik, die wohl die Lichttechnik des Gebäudes demonstrieren sollte, erhob sich die Dame aus dem Ringperche-Trio (1. Teil) in die Luft zu einem sehr kurzen Intermezzo am Ringtrapez. Es folgte die düster inszenierte Illusionsnummer mit schwarzen Kapuzengestalten als Statisten, die zwar aufwendig war, aber nicht mit jedem der manchmal zu lange dauernden Tricks überzeugte. Erstaunlich war das Hervorzaubern eines Falken, der danach seine Kreise durch die Zirkuskuppel drehte. Am Ende schließlich erhoben sich die mächtigen Fontänen aus dem Manegenboden und sprudelten zwischen Laserlichtern und Shownebel bis direkt unter die Kuppel. Dem russischen Publikum gefielen die Wasserspiele außerordentlich gut, es setzte ein begeistertes Johlen und Applaudieren ein. Nach einem moderierten Finale gingen die zufriedenen Zuschauer - fast ausschließlich Familien mit Kindern - nach Hause.

Alles in allem erlebte ich ein in seiner Gesamtwirkung eher kühles und nicht immer mitreißendes, aber streckenweise anspruchsvolles Zirkusprogramm. Was einmal mehr deutlich wurde, war die Begeisterung des russischen Publikums für Circuskunst. Je nachdem, wann man nach St. Petersburg kommt, kann man im Circus auf Fontanka übrigens sehr unterschiedliche Programme erleben. Auf Plakaten wurde die Wiederauflage des Internationalen Festivals für Circusregisseure im September angekündigt, das erstmals 2010 in St. Petersburg stattfand. Und wie man der Website entnehmen kann, läuft seit dem 6. Oktober ein internationales, größer besetztes Programm, in dem u.a. der ukrainische Raubtierdompteur Vladislav Goncharov (Silber in Monte Carlo, Gold in Budapest) mitwirkt. Es lohnt sich also, bei einer Reise nach St. Petersburg im Circus vorbeizuschauen.

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Text: David Schreiber; Fotos: David Schreiber (Gebäude), Bolschoi-Staatscircus St. Petersburg (Programm)