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Cirkus Jo-Joo - Tour 2012
www.narodnicirkus.cz

Bratislava, 9. Juni 2012: Beim Besuch des tschechischen Cirkus Jo-Joo war es mal wieder da – dieses Gefühl, etwas Besonderes gesehen zu haben. Das liegt nicht etwa daran, dass das Programm skurrilerweise gleich zwei Pausen aufweist. Vielmehr ist es der Tatsache geschuldet, dass das, was die Familie Joo mit viel Kreativität und Leidenschaft auf die Beine stellt, schlicht grandios ist. Standing Ovations zum Finale sind nur die logische Konsequenz. Irgendwo zwischen romantischer Nostalgie und modernem Drive, zwischen großen Schaubildern und kleinen Details, zwischen handgemachtem Circus und Hochglanz-Produktion entsteht nämlich ein so außergewöhnliches Flair, dass man das Zelt nur begeistert verlassen kann. Die romantische Nostalgie verbreitet vor allem das Ambiente.

Der auffällige Eingangs- und Kassenwagen mit der Form eines Tigerkopfes empfängt die Gäste bereits von Weitem genauso einladend wie Oberlichtwagen in Miniaturformat und Tigerfiguren vor dem Zelteingang. Im Vorzelt sorgen gepolsterte Sitzgelegenheiten wie auch Kerzenlicht und Blumen auf den Tischen für eine heimelige Atmosphäre. Neben Snacks und Souvenirs werden Kinderschminken und eine Hüpfburg angeboten. Im Zelt gibt es schließlich einen rot-goldenen Samtvorhang und eine illuminierte Piste, die so den charmanten Eindruck abrunden. Das Programm selbst setzt dann auf einen modernen Drive. Oberhalb des Artisteneingangs ist eine Leinwand angebracht. Vor der Vorstellung werden hier TV-Reportagen und Ausschnitte aus dem tschechischen „Supertalent“, an dem die Familie rege teilgenommen hat, gezeigt. Im Programm wird mit Impressionen auf die folgenden Darbietungen eingestimmt, während im Finale auf der Leinwand die Namen der Akteure wie im Film-Abspann zu lesen sind. Mit einer Vielzahl klassischer Scheinwerfer wird das Geschehen wunderbar akzentuiert in Szene gesetzt. In den modernen Passagen kommen zudem zwei Scanner und zwei Laser zum Einsatz. Die gute Musik kommt vom Band. Nur wenige Ansagen unterbrechen den flotten Ablauf.

 
Jaromir Joo, Afrika-Schaubild

Getragen wird das Programm von vielen großen Schaubildern, in denen sich stets meist alle Mitwirkenden in der Manege wiederfinden. So beginnt etwa der Western-Block mit der „Vier Stühle“-Reprise zweier Clowns, die in eine Salon-Szene der ganzen Mannschaft mündet. Die Damen tanzen, die Herren spielen Karten und feiern ausgelassen – bevor sich eine wilde Prügelei entwickelt. Daraus geht die Präsentation von einigen Lamas (inklusive Steiger) und vier Longen-geführten Pumas hervor. Die geschmeidigen Tiere lassen sich durch den Ring tragen und stellen ihre enorme Sprungkraft unter Beweis. Zu guter Letzt überspringt eines der Tiere gleich sieben Figuranten auf einmal. Unter dem Motto „Afrika“ führt Direktor Jaromir Joo einen einzelnen Leoparden – ebenfalls an der Longe – vor. Dieser erscheint zunächst in einer Kistenillusion anstatt einer der Ballettdamen und zeigt anschließend Balkenlauf, Hochsitzer, Sprünge und das Spiel mit einem Luftballon.


Serpentinentanz, Piraten-Szene

Im Orientschaubild stehen dagegen die artistischen Leistungen im Mittelpunkt, wenngleich auch einige Schlangen und ein Krokodil die Szenerie bevölkern. Der Serpentinentanz von vier Haremsdamen und ein Feuerspucker bereiten die Manege für die Kontorsionistin Hadi Zena. Die Asiatin gehörte zu einer in Monte Carlo prämierten Gruppe und ist nun solo unterwegs. In ihre hervorragenden Verbiegungskünste fließen auch einige Handstände ein. Diese erste Pausennummer gipfelt im Mundstand. Vor der zweiten Pause agiert das komplette Ensemble an drei Chinesischen Masten. Diese im Piraten-Look verkaufte Darbietung enthält alle relevanten Tricks dieses Genres. Besonders stechen hier Jaromirek und Ba Joo hervor. Die beiden Zwölfjährigen werden als „Supertalent“-Finalisten groß in der Werbung herausgestellt. Während einer der beiden den Mast herunterrutscht, springt der andere – der sich zuvor in der Mitte des Mastes festgehalten hat – ab, lässt den anderen vorbeirutschen und klammert sich dann wieder an den Mast. Ein Trick, der selten zu sehen ist, gerade von Aristen in diesem jungen Alter. Diese Mast-Arbeit gehört auch leistungstechnisch zu den Höhepunkten der Show. Die übrigen Darbietungen sind zwar nicht in große Schaubilder verpackt, aber jeweils einzeln bis ins kleinste Detail einer Thematik angebunden. Gleich im Opening erweckt eine Fee die einzelnen Akteure, die sich mit kurzem Kostproben vorstellen, bevor Natali Joo an der sich öffnenden Gitterkugel durch die Luft fliegt und in ihr unter anderem den Kopfstand zeigt. Die beiden Clowns zeigen neben den „Vier Stühlen“ und weiteren Reprisen im eigenen Auftritt eine Version des fliegenden Kinderwagens. Im „Las Vegas“-Stil stellt Jaromir Joo den Tigernachwuchs des Hauses vor. Drei erwachsene Tiere präsentiert er später als Gladiator, der einem Tier sogar die Flasche gibt. Daneben gibt es eine Pyramide und das Überspringen sehr hoher Hürden zu sehen.


Dalmatiner, Kelly und Jindrich Joo, Jaromir Joo

Die Vorführung der Dalmatiner samt Rutschpartie erfolgt folgerichtig durch die Figur der „Cruela de Vill“ aus dem Disney-Film. Neben der Arbeit am Mast sind Jaromirek und Ba Joo zudem klassisch als Kaskadeure und modern als Rocker an den Strapaten (u.a. mit Fußhang im Spagat) in der Manege vertreten. Kelly Joo war mit ihrer quirligen Hula-Hoop-Jonglage als Barbie vor Jahren beim Festival in Wiesbaden. Mittlerweile hält sie zuletzt acht Reifen in der Luft. Zusammen mit ihrem Vater Jindrich, der auch als Human Slinky auftritt, sorgt sie auch für den Schluss. Beide schweben in einer traumhaften Kür an weißen Tüchern über der Manege und erhalten dabei Unterstützung von drei Aras. Mal gemeinsam, mal schon fast im Wettkampf zueinander verzaubern Mensch und Tier hier zu „Time to say Goodbye“ noch einmal, bevor auch die übrigen Mitglieder ganz in Weiß gekleidet samt Longen-Tiger das Rund betreten und es zum (zu) kurzen Finale Seifenblasen und weiße Ballons regnet. Vieles hier erinnert an bekannte Hochglanz-Produktionen andernorts. Die einzelnen Darbietungen und Schaubilder sind perfekt durchgestylt und abwechslungsreich zusammengestellt. Die Akteure tragen prächtige Kostüme, die Requisiten sind abgestimmt. Ton und Licht werden perfekt eingesetzt. Sogar ein edles Programmheft ist erhältlich. Doch stets merkt man dem Programm auch an, dass hier handgemachte Kunst präsentiert wird. Direktor Jaromir Joo zum Beispiel steht mit einer geradezu abenteuerlichen Aura in der Manege; Jaromirek und Ba Joo haben das Rund schon jetzt so fest im Griff, das man gespannt auf die Zukunft sein kann. Und Kelly Joo etwa agiert in ihrer Jonglage so mitreißend, dass das komplette Zelt tobt.

Es sind halt die Akteure, von denen dieses wunderbare Programm lebt und die mit sichtlichem Herzblut etwas Besonderes schaffen.

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Text: Benedikt Ricken; Fotos: Christoph Enzinger (7), Cirkus Jo-Joo (1)