In Sachen
Licht setzt Gilbert Gruss mit Lichtdesigner Julien Lhomme in
dieser Saison neue Maßstäbe. Über der Manege schwebt eine
sechsarmige Spinne, die sich heben und senken kann und mit
zahlreichen Scheinwerfern bestückt ist. Eine überwältigende
Fülle von zumeist beweglichen Scheinwerfern an den Masten, am
Artisteneingang und rundherum um das Gradin, hier zwischendurch
mit einem Stroboskop-Gewitter, ermöglicht fantastische Bilder
aus Licht. Neues Prunkstück ist ein raumhoher LED-Vorhang, der
zeitweise vor den Artisteneingang gezogen wird und jede Art von
Farbenspielen und Bildern präsentieren kann. Auch musikalisch
kann diese Produktion mit den wundervollen, schwungvollen
Kompositionen und Arrangements von Antony Sauge voll überzeugen,
wobei auch hier mit einer Mischung aus den Einspielungen von CD,
dem Spiel des zehnköpfigen Orchesters unter Serghei Lurco und
Live-Gesang alle Register gezogen werden. Prägend für den Stil
des Hauses Gruss und oft eine wahre Augenweide sind zudem die in
jedem Jahr neu entworfenen, farbenfrohen Kostüme von Roberto
Rosello. Diese kommen gerade in den Auftritten der Haustruppe
zum Einsatz, mit denen viele Nummern eingeleitet und alle
Umbaupausen perfekt überbrückt werden (Choreographie: Bruno
Agati, assistiert von Linda Gruss und ihrer Schwester Marisa
Biasini). Abgerundet werden die exzellenten Rahmenbedingungen
bei Licht, Musik, Kostümen und Choreographie vom wunderbaren
Ambiente der Zelt-Kathedrale, das einem Theater gleichkommt. Vor
dem großen Orchesterpodium, das sich heben und senken kann, ist
ein raumhoher, samtroter Theatervorhang platziert, der sich nach
links und rechts öffnet. Das Erlebnis Arlette Gruss beginnt
spätestens, wenn man durch die Holzschwingtüren den edel
gestalteten Foyerbereich betritt.
"La Cathedrale"
Mehr denn je
bietet Arlette Gruss nicht nur eine großartige Verpackung seines
Produkts. 2012 wird zudem im artistischen Bereich das stärkste
Programm präsentiert, das wir hier in den vergangenen Jahren
gesehen haben. Der Anspruch der Erneuerung, der stetigen
Weiterentwicklung und Innovation richtet sich dabei – zum Glück!
– nur auf die Art der Präsentation. In seiner Zusammenstellung
umfasst „L’autre Monde“ absolut klassischen Circus mit fünf
Tiernummern, darunter natürlich Pferde, Elefanten und Raubtiere,
mit traditionellen Clowns und eben einem besonders starken
artistischen Teil.
Tatjana Kastein, Rosi
Hochegger, Roby Berousek
Nach der
Ouvertüre präsentiert zunächst Hans-Ludwig Suppmeier eine der
Tigerdressuren von Flavio Togni, deren „Markenzeichen“ ja der
weitgehende Verzicht auf Requisiten ist. Vier Podeste für die
Tiere mit unterschiedlichen Fellfärbungen und eine Schaukel, auf
die sich der Vorführer mit einer Raubkatze wagt, sind bereits
die komplette Ausstattung innerhalb des Zentralkäfigs. Ein
Fächer mit drei Tieren, der Sprung eines Tigers über drei
Artgenossen, Hochsitzer und ein Rückwärtssteiger gehören zu der
Trickfolge. „Halb Mensch, halb Tiger“ sind dann die Figuranten
in ihrer Kostümierung, die während des Käfigabbaus die Manege
bevölkern. Mit einem umfangreichen Wortschwall, die Redelust
französischer Sprechstallmeister persiflierend, kündigt Mr.
Loyal Kevin Sagau die erste Nummer an, bis er jäh unterbrochen
wird – Roby Berousek verliert die Geduld und reißt das Mikrofon
für eine knappe Anmoderation an sich, um dann sofort seine
gekonnten Balancen auf er freistehenden Leiter zu zeigen. Das
nächste Problem ereilt den Mr. Loyal in Form einer Zuschauerin,
die unbedingt selbst in der Manege ihr Können zeigen will – sie
entpuppt sich als Rosi Hochegger, die dann mit ihren großen und
kleinen, quirligen und springenden Hunden für Begeisterung
sorgt. Im zweiten Programmteil kehrt sie mit ihrem Bettpferd
„Scout“ wieder. Den Auftakt
der „Flic Flac-Nummern“ macht Nicolai Kuntz, eingeleitet von
vier Tänzerinnen in mystischen Kostümen, mit seiner attraktiven
Arbeit am Schwungtrapez. Mit einer Pirouette vom Fershang in den
Kniehang am still hängenden Trapez geht es los, ehe in rasanter
Abfolge Salti, Pirouetten und Abfaller am weit ausschwingenden
Trapez geboten werden. Tatjana Kastein demonstriert bei ihrer
Handstand-Equilibristik in bekannter Manier ihr wunderbares
Können und ihre Beweglichkeit auf dem schräg gestellten Spiegel.
Mit deutlich hellerem Licht und im farbenfrohen Kostüm kommt die
Darbietung noch besser zur Geltung. Direktionsgattin Linda Gruss
präsentiert einen Achterzug Freiheitspferde in drei Farben, die
von ihrem Schwager Lucien Gruss dressiert wurden, um bald ihrer
Tochter Laura die Manege zu überlassen – mit Können und großer
Ernsthaftigkeit dirigiert die Zwölfjährige dann noch fünf der
großen Pferde. Das amerikanisch-spanische Clownsduo Tom und Pepe
hat nun seinen ersten Auftritt, bei dem sich ein Logenbesucher
beim Hutwerfen beweisen muss. Im zweiten Programmteil kehren die
sympathischen und witzigen Spaßmacher als Musiker im Kampf gegen
die Tücke des Objekts zurück.
Kevin Gruss, Nathalie und Zdenek Supka, Hans-Ludwig Suppmeier
Direktionssohn Kevin Gruss,
bislang in verschiedensten Luftnummern zu sehen, stellt heuer
als Pausennummer eine Magic-Show vor. Im großen Stil mit Assistentinnen und
Figuranten werden die – zum Teil leider recht durchschaubaren –
Großillusionen präsentiert. Auch die
Elefantendressur aus dem Hause Togni, gemeinsam vorgeführt von
Hans-Ludwig Suppmeier und John Vernuccio, ist zur Eröffnung des
zweiten Programmteils eine große
Shownummer mit vier berittenen Tieren und Ballett in prächtigen
Kostümen. Bigmount, der Spagat zwischen Elefantenköpfen (mit
Handschlaufe) und der Vorderhandstand gehören unter anderem zum
Repertoire. Jongleur Zdenek Supka ist nun in der vierten Saison
mit Arlette Gruss auf Tour und erarbeitet sich Jahr für Jahr
neue Variationen seiner Jonglierkünste – heuer wagt er einen
koketten Flirt mit seiner Frau Nathalie, die immer wieder Bälle
aus seinen vielfältigen Jongliermustern herausgreift und
hinzufügt. Bis zu sieben Bälle werden ausdauernd jongliert.
Duo Varnas, Alejandro Vanegas,
Larissa Kastein
Die
letzten vier Nummern des Programms stammen wiederum von Flic
Flac. Den Auftakt macht hier das Duo Varnas, Miroslav Toskov und
Nicolay Dobrovolov, mit seiner ungemein kraftvollen Kombination
von Hand-auf-Hand-Akrobatik und Strapaten. Ihnen folgen die acht
Hasardeure in der Motorradkugel, die nach dem großen Erfolg des
Vorjahres prolongiert wurden. Zu dritt und zu fünft, auf
einander kreuzenden Bahnen, geht es durch die Kugel, dann
schließlich zu acht: sieben Fahrer auf zwei Bahnen, die vom
achten Fahrer noch gekreuzt werden, während die Maschinen in
fast völliger Dunkelheit rot und blau leuchten. Sensationell.
Aus dem Publikumsraum taucht nun Larissa Kastein auf – ein
„Supermodel“ in extravaganter Robe, bestürmt von Fans und
Fotografen, beschützt von Bodyguards. Eingeleitet von dieser
Szene, präsentiert Larissa Kastein ihren bekannten,
erotisch-lasziven Pole-Dance. Dieser ist hier noch einmal ein
ruhigerer Moment, ehe mit dem Todesrad des Duo Vanegas die
zweite Sensation folgt – Seilspringen, Blindlauf, meterhohe
Sprünge und schließlich der Salto auf dem Außenrad sind die
riskanten Highlights dieser erstklassigen Nummer. Im kurz
gehaltenen Finale, das Ensemble erscheint komplett in
aufeinander abgestimmten Kostümen in Blautönen, animiert Kevin Sagau das Publikum zu einer Art Fangesang. Es folgen Standing
Ovations. |