CHPITEAU.DE

Circus Roncalli - Tour 2011
www.roncalli.de ; 62 Showfotos

Karlsruhe, 1. Juli 2011: Nach dem etwas behäbigen Programm der Saison 2010 kommt Roncalli mit der Jubiläumsshow 2011 wieder schwungvoller daher, ist gerade die musikalische Bandbreite größer geworden. Stimmiges nostalgisches Ambiente bis ins Detail, eine durchgestylte Show mit nahtlosen Übergängen, Spitzenartistik und erstklassige Clownerie sind die Konstanten im zirzensischen Kammerspiel. Die große Überraschung für Circusfreunde war sicher die Verpflichtung von Flórián und Edith Richter, die mit siebzehn Pferden und zwei Ponys zu Roncalli gereist sind.


Flórián Richter, Vivi Paul, Edith Richter

Zum 35-jährigen Bestehen wird eine bewährte Programmeröffnung aus früheren Jubiläumsshows des Circus Roncalli wieder aufgegriffen: eine „Pferdeparade“, bei der acht Pferde um die Manege geführt werden und dabei Prunkdecken der K & K Hofschneiderei Lambert Hofer tragen, auf denen die Programmtitel der vergangenen dreieinhalb Jahrzehnte in Gold eingestickt sind. Schon langjährig zu nennen ist mittlerweile die nun folgende Eröffnungsszene: Der Dumme August fehlt, und so suchen Sprechstallmeister Patrick Philadelphia und Weißclown Gensi einen „Dummen“, den sie in einem Manegenhelfer alias David Larible finden und zum Clown verwandeln. Das zugehörige Charivari wurde nun mit der Eröffnung des zweiten Programmteils aus der Vorsaison zusammengefasst. Sprich: Der Circusnachwuchs zeigt in dieser Sequenz sein Können. Es präsentieren sich Vivi Paul am Luftring, Lili Paul mit Antipoden, Géraldine Philadelphia mit Hula-Hoop/Jonglage, Dede Larible mit Jonglage sowie Clio Togni mit Handstand. Die Italienerin aus der weitverzweigten Circusfamilie Togni ist zudem immer wieder als Figurantin und „Zeremonienmeisterin“ zwischen einzelnen Darbietungen zu sehen. - Der heutige Circus hat sich bekanntermaßen aus dem Pferdetheater entwickelt. So ruft das nostalgische Roncalli-Ambiente geradezu danach, variantenreiche Pferdedressur auf hohem Niveau in den Mittelpunkt des Programms zu stellen. Hierfür wurde heuer mit Flórián Richter und seiner Frau Edith geradezu eine Idealbesetzung gefunden. Als erste Nummer, nach dem Eröffnungsblock mit Pferdeparade und Charivari, präsentieren die Richters ein Potpourri ihrer Kunst. Elegant, schwungvoll, jugendlich und strahlend agiert Flórián Richter in der Manege, stilvoll gekleidet im schwarzen Frack mit Paillettenbesatz. Die Hohe Schule im Tandem, also mit einem Vorauspferd am langen Zügel, und danach als Stehendreiterei auf zwei Friesen präsentiert der 33-jährige Deutsch-Ungar dem Publikum. Es folgen ein schwarz-weißer Achterzug Friesen und Araber und verschiedene Steiger, jeweils im Wechsel mit Auftritten von Richters Ehefrau Edith, die als Schulreiterin im langen schwarzen Kleid und bei der augenzwinkernden Präsentation eines Ponys als wahre Circusprinzessin erscheint. Die equestrische Raritätensammlung wird vom Roncalli-Orchester mit klassischen Melodien weiter veredelt und verströmt so viel nostalgischen, königlich-kaiserlichen Charme, dass sich der Besucher wie direkt nach Wien versetzt fühlen kann, auch wenn wir die Vorstellung noch auf dem nüchternen Karlsruher Messplatz sahen. Den Richters gehört auch der Abschluss des ersten Programmteils mit der ungarischen Post. Beim Weltweihnachtscircus Stuttgart 2009/2010 war die Nummer in der Originalversion zu sehen gewesen, in einer großartigen Inszenierung mit goldener Kutsche und neun Postillionen in stilechten ungarischen Kostümen. Ausgerechnet bei Roncalli fällt der Auftritt weitaus schlichter aus, reitet Edith Richter also gemeinsam mit ihrem Mann auf einem Pferd in die Manege, das kurz einige Schulschritte zeigt, und sogleich präsentiert Edith Richter nun kurz und schnörkellos die Post mit – aufgrund der kleinen Manege – sechs statt normalerweise zehn Vorauspferden. Die goldene Kutsche ist dennoch im Programm vertreten und wird gleich nach dem Pferdepotpourri zu einer neuen, witzigen Reprise genutzt, in der David Larible und zwei Requisiteure mit den Tücken der angeblich klemmenden Tür zu kämpfen haben.


Fabricio Nogoueira, Azzario Sisters, Borys

Die einzigen beiden artistischen Nummern im ersten Programmteil, vom Charivari abgesehen, sind in weiblicher Hand. Zum einen sind die Azzarrio Sisters mit ihrer erstklassigen Kopf-auf-Kopf- und Leiterbalance-Kür nach zwei Saisons Pause zu Roncalli zurückgekehrt und arbeiten hier nun zu der wunderbar dynamischen Musikbegleitung, die für ihr letztjähriges Engagement im Circus Knie erdacht wurde. Im Anschluss zelebriert Shirley Larible mit betörend erotischer Ausstrahlung ihre Strapatennummer, bei der sie am Ende freihändig in den Spagat zwischen zwei Strapatenschlaufen gleitet und von ihrem Vater David und Weißclown Gensi mit Livegesang begleitet wird. In der Pause wird in der Manege ein trichterförmiges Holzgestell aufgestellt, das den unbekannten Nebensitzer in der besuchten Vorstellung gleich zu der Vermutung hinreißt, dies sei nun wohl der Raubtierkäfig. Mit dieser Assoziation wird dann bewusst gespielt, wenn zu „The Lions Sleeps tonight“ das sechsköpfige, rein weibliche Ballett um den vermeintlichen „Käfig“ tanzt und Clio Togni im Streifenoufit darin den Tiger gibt. Das Holzgestell entpuppt sich als eine Art Steilwand, die der Brasilianer Fabricio Nogueira, in Knickerbocker und mit Schiebermütze, mit dem Fahrrad befährt, während das unten offene Holzgestell unter die Kuppel gezogen wird. Letztlich bietet diese Fahrradfahrt aber eben auch nicht mehr als diesen einzigen Trick. Kreiert wurde die Nummer des nun ehemaligen Motorradkugelartisten Nogueira auf persönlichen Wunsch Bernhard Pauls. Als Reminiszenz an frühere Roncalli-Jahre darf die Verpflichtung des Pantomimen Borys mit einer Art Mensch-oder-Puppe-Darbietung gesehen werden, die aus unserer Sicht verzichtbar wäre – so sind die ersten beiden Nummern nach der Pause wohl der Schwachpunkt des Programms.


David Larible, Jemile Martinez, Encho Keryazov

Nach den jeweils einjährigen Gastspielen von Alan Sulc (2008) und Dustin Huesca (2010) wurde das Genre Jonglage erneut neu besetzt, nunmehr mit dem britischen Fußballjongleur Jemile Martinez. Variantenreich und überaus sicher, mit Händen, Kopf, Schultern und Füßen, jongliert er bis zu fünf Bälle, lässt die Fußbälle auf Fingerspitzen und aufeinander kreisen und fängt schließlich einen in die Luft gekickten Ball nach doppelter Pirouette mit dem gleichen Fuß wieder auf. Nach viel weiblichem Charme in diesem Programm ein, passend zum Fußballthema, sehr maskuliner Kontrapunkt, zu dem das Orchester richtig rockt – und gewiss keine typische „Roncalli-Nummer“. Dieses Prädikat trifft viel mehr auf die augenzwinkernde Klischnigg-Kür von Andrey Romanovski zu, der zusammengeklappt durch ein Ofenrohr gleitet, und natürlich auf die Vertikalseilarbeit des Duo Bobrov. Verpackt in eine (auch beim x-ten Betrachten: kryptische) Liebesgeschichte bietet das Duo Höchstleistung und, vor allem für die Partnerin, Höchstrisiko bei der ungesicherten Arbeit. Schlicht unübertrefflich ist nach wie vor Encho Keryazovs kraftstrotzende Handstandarbeit. David Larible ist seit 2006 fester Bestandteil der Roncalli-Shows. Über seine Reprisen und Entrees (aktuell „Teller“ und schon traditionell „Opéra“) lässt sich immer wieder von Herzen lachen.

In der besuchten Vorstellung in Karlsruhe vor gut gefülltem Zelt machte auch die euphorische, fast überschäumende Stimmung im Publikum einen großen Teil der Faszination Roncalli aus, zu der natürlich auch wieder das ausgiebig zelebrierte Finale gehörte.

__________________________________________________________________________
Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber