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Circus Knie - Tour 2011
www.knie.ch ; 100 Showfotos

Rapperswil, 24. März 2011: „Knie bleibt Knie“ war das Programm 1993 überschrieben, mit dem sich der Schweizer Nationalcircus nach dem Soleil-Jahr wieder mit klassischem Circus zurückmeldete. Und Knie bleibt auch 2011 seinem Stil der letzten Jahre treu: Die Truppe Bingo übernimmt mit großen Bildern den Auftakt der beiden Programmteile, der moderne Sound kommt sowohl vom Orchester als auch aus der Konserve, bei der Artistik setzt man den Schwerpunkt auf eher kleine, aber ausgesuchte Darbietungen, die Komik gibt man in die Hände von Schweizer Comedy-Größen sowie einem Circus-erfahrenen Clown.

Für die großen Tierdressuren ist die Direktion verantwortlich. Überhaupt sind die Familien Knie sehr präsent im Programm. Und das Publikum will sie natürlich sehen. Insbesondere die Auftritte von Ivan-Frédéric und Chris Rui als Vertreter der jüngsten Generation sorgen für Begeisterung. Während unter den Tierdressuren (Elefanten und Lamas bzw. Guanakos) Variationen bereits gezeigter Nummern zu finden sind, gibt es nahezu alle artistischen Darbietungen erstmalig (Ausnahme: Zhang Fan 2004) bei Knie zu sehen. Die Regie ist gewohnt geschickt, das Lichtdesign von Tino Caroli fantastisch und die Nummernabfolge stimmig, sodass es zum Finale der Saisonpremiere Standing Ovations gibt, die deutlich spontaner sind als noch in den Vorjahren. Insbesondere die artistischen Nummern im zweiten Teil kommen bestens an. Somit entlädt sich die Begeisterung für den lebendigen, schwungvollen, über weite Strecken auch mitreißenden Circus - „Vive le Cirque!“ heißt es vollkommen passend 2011 bei Knie.


Bingo, Wioris Errani und Maryna

Zur Ouvertüre spielt das große Orchester unter der Leitung von Ruslan Fil. Die modernen Stücke sind geprägt durch den Klang von Streichern sowie Synthesizern und lassen klar die Handschrift des von Soleil kommenden Arrangeurs Germain Bourque erkennen. Der Auftakt bewegt sich musikalisch irgendwo zwischen „Traumschiff“ und „Dallas“. Wenngleich die Mischung aus Livemusik und Konserve höchst professionell umgesetzt wird fragt man sich, ob dafür wirklich ein so großer Klangkörper aus zehn Musikern notwendig ist. Mir persönlich gefällt der aktuelle Knie-Sound, einen deutlich höheren Live-Anteil würde ich allerdings präferieren. Der Klangteppich passt natürlich zum Auftakt in der Manege mit einer der Bingo-Truppen (sechs Artisten), unterstützt von den Damen des Trio Bellissimo. Einige dieser Bingo-Mitglieder waren bereits im vorletzten Jahr bei Knie. Entsprechend lehnt sich das Opening ein wenig an das aus 2009 an, wenngleich die Aufmachung eine komplett neue ist. Es wird viel getanzt und es gibt Handstände in verschiedenen Variationen. Die Fratelli Errani zeigen Ausschnitte aus ihrer Ikarier-Nummer. Insgesamt entsteht ein großes, dynamisches Bild, das direkt übergeht in das Pas de deux von Wioris Errani und Maryna, welches somit ebenfalls Bingo-Style ausfällt. In der Mitte der Manege bilden die Bingo-Mitglieder verschiedene Posen, während die Reiter auf den beiden schweren Kaltblütern ihre artistischen Figuren zeigen. Diese leben von der Gelenkigkeit der Artistin aus dem Bingo-Ensemble und gipfeln im auf der Schulter gestandenen Spagat.


Edelmais

Danach erleben wir zum ersten Mal das Komiker-Duo Edelmais. René Rindlisbacher und Sven Furrer sind in der Schweiz durch Bühne sowie Fernsehen bekannte Größen. Während sie in der Hauptprobe am Nachmittag sichtbar Schwierigkeiten haben, beim zu einem Großteil aus Journalisten und Kindern bestehenden Publikum anzukommen, erreichen sie am Abend ihre Zuschauer. Sie setzen vor allen Dingen auf Wortwitz und ziehen dabei vielfach über Eigenarten verschiedener Schweizer Bevölkerungsgruppen her. Wir kennen das u.a. von Marie-Therese Porchet aus dem vergangenen Jahr. Dafür schlüpfen sie in verschiedenen Rollen. Zum Beginn erscheinen sie in Arbeitskitteln des Circus Knie mit einer futuristischen Mülltonne im Schlepptau. Darin haben sie verschiedene Töne gesammelt, mit welchen sie eine Kurzgeschichte vertonen. Diese Einlage ist bereits recht originell, weckt aber die Erwartung auf eine Steigerung.


Maycol Errani

Nach der großen Exotendressur im vergangenen Jahr, entführt Maycol Errani nun mit elf Lamas und Guanakos ins südamerikanische Hochland. Eine ungeheuer stimmungsvolle Beleuchtung und Musikbegleitung macht die Kurzreise in die Anden perfekt. Der Ablauf der Vorführung mit wunderschönen Tieren ist für die ersten beiden Vorstellungen der neuen Saison schon recht rund. Komiker Barto kennen wir u.a. von seinen beiden Flic Flac-Jahren. Der sympathische Belgier, welcher vor seinen Circus-Engagements einige Jahre als Straßenartist in Kanada gearbeitet hat, bringt seine schier unglaubliche Gelenkigkeit auf höchst originelle Weise rüber. Im ersten seiner drei Auftritt zwängt er sich durch einen Metall-Kleiderbügel und leert in einer ziemlich ungemütlichen Position einen Bierkrug. Seine hilflos-tolpatschige Mimik dabei ist herrlich anzusehen. Barto ist einfach ein Sympathieträger. Als sich der Vorhang danach wieder öffnet, ist der Blick frei auf zwei elegant gekleidete Herren zu Pferd. Dabei handelt es sich um Fredy Knie jun. und seinen Enkel Ivan-Frédéric, die eine in allen Punkten „klassisch“ zu nennende Hohe Schule reiten. Ivan-Frédéric hat sich damit endgültig von den Auftritten verabschiedet, die in die Kategorie „niedlich“ fallen. Er macht eine rundum professionelle Figur. Den Hauptteil der Darbietung bestreiten allerdings Fredy Knie jun. und sein Pferd. Es ist eine wunderschön anzusehende Nummer, wie es sie eben nur im Circus gibt.

Das Duo Edelmais versucht sich anschließend mit flacher Schlusspointe im Requisiteursfach, bevor Barto für Heiterkeit sorgt, indem er mit Hilfe eines Gummihandschuhs auf skurrile Weise verschiedene Tiere darstellt. Neu einstudiert wurde die Akrobatiknummer von Maycol, Wioris und Guido, kurz den Fratelli Errani. Im Mittelpunkt stehen Handvoltigen, die von Flic Flacs und Menschentürmen ergänzt werden. Dabei muss man vor allen Dingen die Vielseitigkeit der Italiener hervorheben, haben sie doch im Laufe der letzten Jahre immer wieder mit Darbietungen verschiedener Genres überrascht. Echte Hingucker sind die drei Brüder noch dazu.


Chris, Linna, Freddy und Ivan-Frédéric Knie

Aus dem Repertoire der Knie-Dickhäuter dürfen wir in diesem Jahr wieder einmal die Arbeitselefanten erleben. Das heißt es werden, nachdem sich die „schlafenden“ Tiere erhoben haben, verschieden große Baumstämme durch die Manege bewegt. Hinzu kommen weitere Tricks. So bringt etwa eine der asiatischen Elefantendamen eine Tasche in die Manege, der der kleine Chris Rui entsteigt um mit Elefantenhaken und Peitsche im passenden Format einige Kunststücke zu dirigieren. Dass er dabei großen Spaß hat, ist seinem ausgelassenen Spiel deutlich anzusehen. Die Bananen als Belohnung verfüttert er natürlich ebenfalls selbst. Zählen wir Chris Rui mit, so gibt es für die nun noch drei Elefanten insgesamt vier Vorführer. Den Hauptteil übernehmen Franco Knie sen. und jun. Linna Knie-Sun rundet das Bild - zumeist auf dem Elefantenrücken – ab. Die Elefanten werden abgelöst von Watussi, Esel und Kamel. Sie dienen aber nur als Anschauungsobjekte für René Rindlisbacher und Sven Furrer. Jedes der Tiere symbolisiert für sie den Vertreter einer Schweizer Stadt, über die sie ihre - teilweise grenzwertigen - Witze machen. Wie bereits im Vorjahr füllt vor der Pause eine asiatische Truppe die Manege. Im Shaolin-Stil verblüffen acht Chinesen mit faszinierenden Sprüngen im Kopf- und Handstand. Sie springen von Kopf zu Kopf bzw. Fuß zu Fuß eines Partners. Der Schlusstrick dieser Zhejiang Acrobatic Troupe ist schier sensationell: Ein Artist erklimmt im Kopfstand die aufsteigenden runden Stufen eines treppenartig aufgebauten Gestells, das auf den Köpfen zweier Untermänner sitzt.


Trio Bellissimo

Für knisternde Erotik sorgen die sechs Mitglieder des Circus-Theater Bingo zu Beginn des zweiten Teils. Während ein Pärchen am Trapez gewagte Figuren und Voltigen zeigt, räkeln sich in der Manege zwei Pärchen auf Stühlen sowie der Sicherheitsmatte für das Trapez. Wenngleich eine Schweizer Zeitung diese Inszenierung als „aus dem Rotlichtviertel“ kritisierte denke ich, dass in einem Circusprogramm durchaus Platz ist für derartige Szenen. Den ersten frenetischen Beifall der Show erhalten nachmittags wie abends die drei Schönheiten des Trio Bellissimo. Ihre wunderbar sinnliche Mischung aus Equilibristik und Kontorsion zur spanischen Version von „All by myself“ feiert bei Knie genauso Erfolge wie bei Roncalli. Hier ergänzen sich auf geniale Weise Ästhetik und Leistung. Mit ihrem nächsten Auftritt treffen Edelmais dann schon deutlich besser als noch zuvor meinen Geschmack. Sven Furrer gibt den Tierdokumentationsfilmer Tierlimoser des Schweizer Fernsehens. Vor die Linse bekommt er ein Exemplar der Spezies „Züricher“, gespielt natürlich von René Rindlisbacher. Die hier reichlich primitiv dargestellten Züricher bekommen ordentlich ihr Fett weg. Ob dabei unbedingt an einen der Hauptmasten des Knie-Chapiteaus „uriniert“ werden muss, sei dahingestellt. Die Parodie auf einen TV-Tierfilm jedenfalls ist absolut gelungen.


Barto, Zhejiang Acrobatic Troupe, Zhang Fan

Groß angelegt ist die Pferdeshow der Familie von Fredy Knie jun. Zunächst lässt seine Gattin Marie-Jose einen braunen Araber zum Tänzer werden. Dann führt Maycol Errani einen 10er-Zug wunderschöner Friesen vor. Die Geschirre sind sehr elegant und das blaue Lichtdesign ist äußerst effektvoll. Die Vorführung der Pferde erreicht in den ersten Tagen noch nicht den hohen Knie-Standard. Vermutlich wird Géraldine Katharina Knie nach Beendigung ihrer Babypause hier übernehmen. Höchst originell ist die Präsentation von jeweils drei dunkel und hell gescheckten Pferden in drei Größen durch Fredy Knie jun. Es ergeben sich einzigartige Bilder, wenn die Pferde und vorwitzigen Ponys durch die Manege fegen. Ordentlich Tempo ist bei seiner Präsentation von drei Korbpferden im Spiel. Die Schimmel fegen herrlich ungestüm durch das Sägemehl und kommen auf Kommando in den Metallreifen zum Stehen. Als da capi gibt es einige Steiger. Dass Barto ein paar Knochen weniger als unsereins haben muss, zeigt er bei seinem dritten Auftritt, wenn ihm einige vermeintliche Missgeschicke mit einer Röhre geschehen, in der er dann zusammengefaltet fröhlich durch die Manege spaziert.

Zhang Fan macht da weiter, wo das Trio Bellissimo aufgehört hat: Er begeistert mit Persönlichkeit und großem Können. Das Publikum feiert ihn genauso wie zuvor die drei Ukrainerinnen. Seine keine Wünsche offen lassende Trickfolge zeigt er ohne sein Requisit – das Schlappseil – auch nur einmal zu verlassen. Er balanciert im Handstand, im Spagat, auf einer Leiter und kopfüber auf einem Einrad. Zum Schluss bewegt er sich auf dem schwingenden Seil. Der ansprechendste Beitrag von Edelmais wurde richtigerweise als letzter ihrer Auftritte gesetzt. Während Rindlisbacher die Geschichte des Circus wiedergibt, übersetzt Furrer in einen Edelmais-eigenen „Dialekt“ der Gebärdensprache. Dabei sind einige witzige Einfälle zu erleben. Das artistische Programm wird (bezogen auf den Pool der engagierten Artisten) ebenso richtigerweise vom Duo „Flight of Passion“ beschlossen. Die beiden Gewinner eines Goldenen Clowns von 2009 zeigen eine traumhaft choreographierte Luftkür an Strapaten, wobei der hohe Risikograd dieser Darbietung ebenfalls zur Geltung kommt. Insbesondere die Tricks bei denen Dmitry Grygorov das Gewicht seiner Partnerin Olesya Shulga nur mit den Zähnen hält, sind äußerst leistungsstark. Zum Finale heizen die Bingo-Mitglieder in knallroten Kostümen die Stimmung nochmals richtig auf.


Flight of Passion

Es entsteht eine regelrechte Stadionatmosphäre. Unter dem Regen von glitzernden Papierstreifen und -sternen strömen die Artisten in die Manege und lassen sich vom Publikum feiern. Die Familie Knie erscheint in eleganter Abendgarderobe - Linna Knie-Sun im dunklen Kleid, Mary-Jose Knie sowie die Herren im Frack. Natürlich gibt es verschiedene Zugaben, bei der sich auch Artisten zusammenfinden, deren eigentliche Nummern nichts miteinander zu tun haben. So entsteht ein stimmungsgeladenes Gesamtbild von ungeheurer Intensität und Vitalität – Vive le Cirque!

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Text und Fotos: Stefan Gierisch