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Sofia,
11. Juni 2010: Es ist schon
ein propperes Unternehmen, das sich die Familie Balkanski in
ihrer bulgarischen Heimat aufgebaut hat. 17 Jahre waren sie mit
verschiedenen Darbietungen im Circus Krone engagiert. Zu ihrer
besonderen Spezialität dem Schleuderbrett kamen Perche-Artistik,
Sprünge über Trampolinbahnen und das Todesrad. Letzteres
beeindruckte nicht nur durch den großen Durchmesser, sondern
auch durch die tollkühnen Stunts der beiden Artisten, den Söhnen
von Truppenchef Alexander Balkanski. |
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Einer davon,
Alexander Balkanski junior führt uns an diesem heißen Sommertag
durch das Unternehmen, welches gerade auf dem nunmehr dritten
Platz nacheinander in Bulgariens Hauptstadt steht. Die ersten
beiden Plätze seien gut gewesen, auf diesem dritten habe das
Zuschauerinteresse - insbesondere wegen der einbrechenden
Sommerhitze - nachgelassen. Nichtsdestotrotz erleben wir trotz
hoher Temperaturen eine Besucherkulisse, über die sich die
meisten Circusse hierzulande freuen würden. Nach den
Gastspielen in Sofia geht es zügig an die Schwarzmeerküste
(Burgas: 14.7. bis 1.8.; Varna: 5. bis 29.8.), um
Feriengäste sowie Einheimische dort zu unterhalten. Äußerst
faszinierend ist die moderne Technik, die rund um das Spektakel
eingesetzt wird. Dieser Bereich ist die Domäne von Alexanders
Bruder Nikolai, der das Unternehmen technisch derart auf
Vordermann gebracht hat, dass man tatsächlich Balkanski junior
glauben mag, wenn er vom „Modernsten Circus Europas“ spricht.
Der ganze Platz wird von kleinen Kameras überwacht, die direkt
mit der Zentrale eines externen Sicherheitsdiensts verbunden
sind. An der Kasse kann sich der Besucher auf zum Kunden hin
gerichteten Monitoren seinen Sitzplatz direkt aussuchen, bevor
der Kassencomputer die zugehörigen Tickets ausspuckt. Die
Verkäufe an den Erfrischungs- und Süßigkeitenständen werden
sofort elektronisch erfasst. Somit ist es jederzeit auf
Knopfdruck möglich, mittels eines mobilen Endgeräts zu erfahren,
wie viel Zuckerwatte aktuell verkauft wurde, um den
gegebenenfalls nötigen Nachschub zu organisieren und die
notwendigen Nachweise gegenüber den Behörden führen zu können.
Truppe Eshimbekov,
Josefine Igen
Die Licht- und
Tonanlage für die Show ist ebenfalls auf dem neuesten Stand. Wenn das
bulgarische Fernsehen vorbeikommt, um aus dem Chapiteau zu
übertragen, kein Problem. Der Ton kann direkt vom Equipment des
Circus abgenommen werden. Die Systeme sind kompatibel. Neuestes
Werk von Nikolai ist der stylische
Cafewagen. In kleinen, modern gestalteten Sitzecken werden
Getränke und Snacks serviert. Als Clou können die beiden Erker
in kürzester Zeit auf Knopfdruck eingefahren werden und der
Wagen ist transportfertig. Neuer Bauart ist
ebenfalls das weiße Chapiteau, wenngleich auf dem Platz, auf dem
wir den Circus besuchen, nur das kleinere ohne Balkonlogen
aufgebaut ist. Die Atmosphäre im Inneren ist, anders als es die
Technik drumherum vermuten lässt, jene, die man gemeinhin von
einem klassischen Circus erwartet. Will heißen, es gibt ein
Gradin mit Einzelsitzen (Klappstühle), schön gestaltete
Logenkästen und eine Gardine aus schwerem roten Stoff. Ganz
klassisch auch die Begrüßung sowie die weiteren, wohl dosiert
gesetzten Ansagen durch Alexander Balkanski junior, welche
dieser im edlen Livree übernimmt.
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Höhepunkt im
Programm ist natürlich die Truppe Eshimbekov, welche im Januar beim
Internationalen Circusfestival von Monte Carlo einen Silbernen
Clown gewonnen hat. Völlig zu Recht sind sie mit ihrer
Dshigitenreiterei die Schlussnummer. Diese Darbietung der fünf
Herren und einer Dame aus Kirgisien ist wohl derzeit das Beste,
das in diesem Genre zu sehen ist. So schnittig und risikofreudig
ist die in landestytpische Folklore verpackte Reiterei selten zu
sehen. Sehenswert ist ihre zweite Darbietung, bei der sie sich
auf das Hochseil begeben, um dort in einem Stil ähnlich der bei
uns bekannten Tashkenabev zu arbeiten. Es werden also
Menschentürme bis zum Drei-Mann-Hoch gezeigt, die größtenteils
durch Longen abgesichert werden. Die ganze Nummer läuft in einem
zackigen Tempo ab. Wie zum damaligen Zeitpunkt zu hören, sollte
diese Truppe den Circus Balkanski nach den Sofia-Gastspielen
wieder verlassen.
Während die Eshimbekov in Deutschland bislang nur kurze Gastspiele
bei Busch-Roland und Probst hatten, sind die weiteren Darbietungen
mit Tieren hierzulande wohlbekannt. Die Familie Igen etwa durch ihre
Engagements bei Giovanni Althoff. Im ersten Teil erleben wir das
sympathische Ehepaar mit Ziegen und einem Bernhardiner. Bei dieser
bajuwarisch aufgemachten Darbietung werden die beiden von einer der
Töchter unterstützt. Ihren zweiten Auftritt haben Josefine und
Daniel Igen mit einer ganzen Meute Tibet-Terrier. Bestens dressiert
sind die quirligen Vierbeiner mit sichtbarer Freude bei der Sache.
Von Fliegenpilz und Probst kennen wir Lars und Christine Hölscher,
die mit ihren drei Elefantendamen eine flotte und elegante Show
kreiert haben, in der die beiden Tierlehrer artistisch mitwirken. |
Christine Hölscher |
Vierbeiniger Star
ist weiterhin die Afrikanerin Sonja, die beiden Inderinnen sind
aber ebenfalls perfekt in den Ablauf integriert, sodass ein
stimmiges Gesamtbild entsteht. Artistisch wird die Show durch
eine Afrika-Truppe eröffnet. Zunächst beweisen sich die
fröhlichen Jungs vom schwarzen Kontinent als Reifenspringer,
wobei die Requisiten mit kleinen Fackeln besetzt sind, die zuvor
von der „Feuerfrau“ entzündet wurden. Nach einer
Menschenpyramide übernimmt Hausartist Mischo im Tarzan-Outfit und lenkt die Blicke unter die
Circuskuppel, wo er peppig an einem Kubus seine Tricks zeigt. Zurück
in der Manege wird er von der afrikanischen Dame mit den feurigen
Fingern begrüßt, die sodann die Limbostange für ihre insgesamt
sieben Partner in Flammen setzt. Geschmeidig bewegen sich diese
unter der immer näher am Boden hängenden Stange hindurch. Als da
capo gibt es weitere Pyramiden. Direkt vor dem Finale erleben wir
diese Truppe nochmals. Diesmal als Seilspringer.
Kenia-Girl,
Mihail Dimitrov, Kenia-Boys
Auch Mihail Dimitrov ist ein weiteres Mal in der Show vertreten. Nämlich
dann, wenn er als Spiderman seine Kür an den Strapaten
vollführt. Die große Nummer vor der Pause ist eine
Hausproduktion. Die Motorradkugel und die motorisierten
Zweiräder gehören dem Circus Balkanski, die Artisten aus Ecuador
wurden entsprechend engagiert. Außergewöhnlich ist dabei, dass
das Trio eine Frau beinhaltet, die nicht als Staffage dient,
sondern mutig mit durch die Kugel saust. Die Artisten beweisen
dass man auch mit „nur“ drei Artisten eine tolle Darbietung in
diesem Requisit zeigen kann. Starke Tricks machen dies möglich.
Wie uns erzählt wurde, soll es im kommenden Jahr mehr Artisten
in der Kugel geben. Das Todesrad von Nikolai und Partnerin war
bei unserem Besuch leider nicht zu erleben.
Tic und Tac, Sascha Koychev
Klar, dass in
einem klassisch ausgerichteten Programm auch die Sparte
Clownerie zu finden ist. Bei Balkanski ist sie gleich vierfach
besetzt. Wobei die vier Komiker unterschiedlichen
Stilrichtungen angehören. Zunächst erleben wir ein kesses
ukrainisches Pärchen (Eduard
und Galina Tkach alias Tic und Tac), das sich als komisches, aber nicht ungeschicktes,
Jongleurduo produziert. Ich würde sie mal den „zeitgenössischen
osteuropäischen Spaßmachern“ zuordnen. Die klassische
osteuropäische Schule repräsentiert ihr älterer bulgarischer Kollege
Hristo „Kiki“ Kazandziev, der im
Anschluss auf einem Stoffpferd reitend seine Späße treibt. Der
Vierte im Bunde ist Pantomime Sascha Koychev. Trotz ihrer unterschiedlichen
Stilrichtungen finden sich die vier in der nächsten Szene
gemeinsam wieder. Diese spielt auf einer Parkbank, hinter der
eine nicht ganz so versteinerte Statue steht und mit dem
Liebespaar auf der Bank allerlei Schabernack treibt. Neben
kleineren Zwischenspielen erleben wir noch ein „Bienchen“ der
drei Herren, das dankbar kurz und damit im wahrsten Sinne des
Wortes „spritzig“ ausfällt. Natürlich endet die Show mit einem
Finale, bei dem alle Mitwirkenden nochmals einen kurzen
Soloauftritt bekommen und sich gemeinsam in einem großen
Schlussbild verabschieden, welches mit einem Regen bunter
Papierschnipsel effektvoll unterstützt wird. Die Clowns
erscheinen im Nachthemd und sagen „Gute Nacht“. Die
Abschiedsworte gehören Alexander Balkanski junior, welcher diese
auf sehr sympathische Weise übernimmt. Mit dieser verbindlichen
persönlichen Art, vor allem aber mit einem solch ansprechenden
Programm gewinnt man das Publikum. Die Chancen, dass die Gäste
an diesem Abend auch im kommenden Jahr wieder beim Circus
Balkanski zu Besuch sein werden, stehen damit sehr gut. Zu
wünschen ist es diesem bulgarischen Vorzeigeunternehmen auf
jeden Fall.
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Text: Stefan Gierisch; Fotos: Stefan
Gierisch, Sven Rindfleisch
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